Abg. Kardulow. Vizepräsident Baron Meyendorf ermahnte den Redner, im Rahmen der persönlichen Bemerkung zu bleiben, daraus entstand laut „Voss. Ztg." ein Höllenlärm auf der Rechten und Rufe wurden laut: Ein Fremdling (der Vizepräsident ist, wie sein Name sagt, deutscher Abkunft) erdreistet sich einen rechtgläubigen Bischof zu belehren. Frechheit! Unerhört! Tie Konservativen stürmten auf den Vizepräsidenten los, der nur durch das Dazwischentreten der Liberalen vor Tätlichkeiten bewahrt blieb.
An unterrichteter Stelle wird mitgeteilt, daß die Regelung der Orientbahnfrage nach dem Urteil der deutschen Unterhändler für die Interessen der Orientbahn- gesellschast, die ja jetzt in eine ottomanische Gesellschaft umgewandelt werden soll, befriedigend ausgefallen sei. Auch in politischer Beziehung werde es auf deutscher Seite mit Befriedigung begrüßt, daß dieser Streitfall, an dem Deutschland seit Beginn der Orientkrisis im vorigen Herbst ein besonderes Interesse nehmen mußte, nun seine endgültige Lösung gefunden hat.
Württembergischer Landtag.
" Stuttgart, 7. Juni.
Die zweite Kammer hat heute nachmittag nach kurzer Pfingstpause ihre Verhandlungen wieder ausgenommen. Vor Eintritt in die Tagesordnung widmete Präsident v. Payer dem heute vormittag in Tübingen an den Folgen einer Gallensteinoperation verstorbenen Abgeordneten von Herrenberg, Guoth, einen warmen Nachruf. Guoth ist nur 41 Jahre alt geworden, von denen er mehr als 8 dem Hause angehörte, das durch seinen Tod den Verlust eines allgemein beliebten, eifrigen und kenntnisreichen, in landwirtschaftlichen Fragen kaum zu ersetzenden Mitarbeiters zu beklagen hat und sich zur Ehrung des Andenkens an ihn von den Sitzen erhob. Der Abg. Schaible teilte namens der Staatsschuldenverwültungskommission mit, daß die Staatsschuld am Ende des Rechnungsjahres 1908 (31. März 1909) 589 789 828 Mk. 58 Psg. betragen hat, somit 3 231200 Mk. mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Das Haus setzte sodann die Etatsberatung bei Kap. 116 von den Salinen fort. Berichterstatter war der Abg. Käß (Vp.), die Finanzkommission hat beschlossen, die Regierung zu ersuchen, zwecks Veräußerung des Besitzes der Saline Sulz mit der Stadtgemeinde Sulz in Verbindung zu treten und ihr die Berechtigung der Gewinnung von Hallerde einzuräumen, im Falle der Ablehnung dieser Erwerbung den Betrieb der Saline, soweit nicht rechtliche Bedenken entgegenstehen, vom 1. Januar 1911 an einzustellen und in diesem Falle die Arbeiter entsprechend zu entschädigen. Der Referent erklärte, die Verhältnisse rechtfertigten in keiner Weise das Fortbestehen des Betriebs der Saline. Ihre Einrichtung sei überaus mangelhaft. Den Interessen von Sulz solle in keiner Weise zu nahe getreten werden. Böhm (D. P.) meinte, die Aera der Rücksichtslosigkeit, die vom Ministerpräsidenten inauguriert worden sei, habe teilweise schon kräftig eingesetzt. Die Einwohnerschaft von Sulz wünsche einmütig die Weiterführung der Saline und zwar aus historischen und wirtschaftlichen Gründen, in letzterem Falle mit Rücksicht auf die Hallerdenfabrikation für die Landwirtschaft und die Sole für das Solbad, das für Sulz als Luftkurort sehr wichtig sei. Es sei kein Heimatschutz, wenn man eine solche Saline kurzerhand aufgebe, weil sie sich zwei Jahre lang nicht rentiert hat. Finanzminister v. Geßler betonte, die Aufhebung der Saline sei zur Zeit keine Notwendigkeit, da mit einem, wenn auch geringen Ertrag noch zu rechnen sei. Bei dem Widerstreit
der Interessen und dem nicht bedeutenden Interesse des Staates wolle er den Gang der ständischen Verhandlungen abwarten. v. Balz (D. P.) trat für den Kommissionsautrag ein, jedoch mit den. Hinzufügen, daß die Regierung gebeten werden sollte, zu erwägen, ob sich die Verwaltung der kleinen Saline durch Vereinigung mit Wilhelmshall nicht verbilligen lasse. Außer der Gewinnung von Hallerde sollte Sulz auch der Weiterbezug von Sole für die bestehenden Base- und Kureinrichtungen eingeräumt werden. Minister v. Geßler gab zu, daß bei der Verwaltung sich etwa 2000 Mk. ersparen ließen, mehr aber nicht. Die Abgabe von Sole zu billigem Preis (30 Psg pro Hektoliter) würde gerne erfolgen. Keßler (Z.) betonte das Interesse von sechs Oberamtsbezirken an dem Fortbestehen der Saline. Ihre Aufhebung käme dem Hohenzollernschen Salzwerk in Haigerloch zu gute. Die Hallerde habe namentlich für Klee großen Nutzungswert. Käß (V.) hob hervor, aus historischen Gründen lasse sich kein Betrieb aufrechterhalten, der in jedem Jahre mit einem Defizit abschließe. Erstaunt sei er über die Haltung des Ministers, der heute seine Mitteilungen über die Rückständigkeit des Betriebs nicht wiederholt habe und nun eine ganz andere Stellung einnehme als in der Kommission. Mit den Anträgen des Herrn v. Balz könne er sich einverstanden erklären. Minister v. Geßler bestritt, daß er seine Haltung geändert habe. Die Rückständigkeit liege lediglich in der Kleinheit des Betriebs. Körner (B. K.) führte aus, daß seiner Partei durch die Anträge v. Balz die Zustimmung zu dem Kommissionsantrag erleichtert werde. Eine Rücksichtslosigkeit gegen die Stadt Sulz liege seiner Partei fern. Keil (Soz.) bedauerte die unentschlossene Haltung der Regierung und stimmte dem Kommissionsantrag zu. Dr. v. Kiene (Z) hielt den Zeitpunkt für die Auslassung der Saline für gekommen, jedoch unter Wahrung der Interessen der Stadt Sulz. Seine Partei werde nicht einmütig abstimmen. Hierauf wurde der Kommissionsantrag nebst den von dem Abg. v. Balz beantragten Einschaltungen angenommen. Das Kapitel wurde genehmigt und die Sitzung sodann nach zweistündiger Dauer abgebrochen. Morgen Eisenbahnbankreditgesetz.
Landesnachrichten.
Atkenfterg. 8. Juni.
' Offerte. Bei manchen Lesern gibt es vielfach Mißverständnisse über Inserate, bei denen der Auftraggeber nicht genannt und die Expedition Offertübermittlerin ist. Die Zeitungsexpeditionen werden oftmals um Auskünfte gebeten über Inserate, bei denen es ausdrücklich heißt: „ Offerte sind bei der Expedition abzugeben". Bei diesem Wortlaut kann aber eine Expedition unter keinen Umständen den Namen des Betreffenden, der etwas durch die Zeitung sucht, verkauft, vermietet re. rc. nennen. Wenn es heißt: „Offerte sind bei der Expedition einzureichen", so sind die Offerte schriftlich zu übergeben. Auskünfte können in diesem Falle nie gegeben werden. Anders ist es dagegen, wenn es in dem Inserat heißt: „Näheres durch die Erped." oder „Zu erfragen in der Erped." oder „Wo sagt die Exped." oder so ähnlich. Hier hat die Expedition vom Auftraggeber die Erlaubnis, die nöligc Auskunft über das betr. Ausschreiben zu geben. Um nun allen unnötigen Anfragen, die, wenn sie nicht beantwortet werden können, oft zu Mißverständnissen führen, aus dem Wege zu gehen, bitten wir unsere Leser, sich zu merken, wo Offerte einzureichen oder wo direkte Anfragen bei der Expedition zu machen sind. Im letzteren Falle ist die Expedition sehr gerne bereit, Auskunft so weit zu geben, als sie in der Lage ist.
* Besitzwechsel. Auch das neuerbaute Wohnhaus von Adam Hehr, au der Pfalzgrasenweiler Straße gelegen,
DZ L«sesrucHt. M
Lebens klugheit steuert glücklich an allen Klippen vorüber — scheitert aber im Angesicht des Hafens. Lebens- weisheit kann überall scheitern, Schiff und Ladung verlieren, aber zuletzt gewinnt sie dennoch das rettende Gestade.
Otto v. Lcffmr.
Marga.
Roman von C. Cro u e.
Fortsetzung (Nachdruck verboten.)
Wie vom Sturm gebeugte Blumen sanken die Anwesender fast zur Erde und manch stolzer Nacken beugte sich tief mit ehrfurchtsvoll.
In seiner lebhaften und leutseligen Art wandte Seine Hoheit sich mit einem freundlichen Won au diesen und jenen.
„Sagen sie Ihrer verehrten Gemahlin, lieber Tahlberg, daß die Unpäßlichkeit dem heutigen Abend seine Zierde raubt", wandte serenitsimus sich an Baron Hannibal. „Wir bedauern lebhaft, die charmante Frau nicht zn sehen."
„Unbegreiflich", dachte die Baronin, welche die Worte gehört hatte.
Die -rnrstin hatte gleich ihren Platz eingenommen.
Znm allgemeinen Staunen befahl sie Erika zn sich und richtete einige freundliche Worte an das sich tief verneigende Mädchen. Dabei zog die hohe Frau ein paar Blüten ans dem Strauß, den sie in der Hand hielt, und übergab sie der Künstlerin mit einem huldvollen Kopfnicken.
Die Freifrau strich sich über die Stirn. Eine heiße Glut war ihr bis in die Schläfen gestiegen und die Umgebung begann ihrem Blick undeutlich zu werden.
Erika Hellis hatte das Podium betreten.
Noch einen Augenblick, und silberhelle Töne fluteten durch )en weiten Raum. Man hielt den Atem an, dem berückenden Klang zu lauschen.
Auch der Fürst hatte sich weit vorgebengt und schien im Hören und Schauen versunken, wie die Baronin mit Emvörung bemerkte.
„Es fehlt nur noch, daß Erich sich denen allen zugesellt", »achte die erbitterte Frau, oder — Macleman!"
Ein haßerfüllter Blick traf die elfenhafte Gestalt, die sich »ort nach Beendigung des Liedes mit anmutiger Bescheidenheit gegen das Beifall spendende Fürstenvaar verneigte.
Jetzt stand es bei der Baronin fest, nicht ruhen noch rasten wollte sie, bis diese vermessene Kreatur ihren Lohn empfangen. Ans irgend einem Grunde durfte wohl der bis jetzt tief verhüllende ! Schleier nicht gelüftet werden, den sie so geschickt über alles M s drapieren wußte, was auf die Vergangenheit Bezug hatte. Jetzi
! sollte sie entlarvt und vernichtet werden.-
i Währenddessen saß Fanny von Dahlberg allein in ihrem , eleganten Salon.
> Die Vorhänge waren zugezogen. Unter Wolken farbiger Seide verbreiteten die Lampen ein gedämpftes Licht über den großen, geschmackvoll ausgestatteten Raum und ließen auch den zierlichen silbernen Kessel aufblitzen, der behaglich über einer lustigen Spiritusflamme summte.
Unweit des Kamins, in welchem ein flammendes Feuer brannte, stand ein Tisch mit Backwerk und Früchten. Fast sah es ans, als erwarte die junge Hausfrau noch späte Gäste.
Fanny selbst, in einen niedrigen Sessel geschmiegt, saß vor dem Kamin, die Füße auf das Gitter gestemmt. In langen weichen Falten lag die Schleppe ihres Kleides achtlos auf den Teppich hingebreitet. Den Kopf* stützte sie in die Hand und wenn von Zeit zu Zeit ein heftiger Windstoß durch den Kamingang fuhr und die Funken aufsprühten, dann warfen sie einen Hellen Schein auf ein ernstes, blasses Gesicht, und auf zwei sinnend«
ist in anderen Besitz übergegangen. Es wurde samt vorh. Inventar (Wagen, Geschirre, Pferde etc.) an Otto Hänßler in Obertürkbeim um Mark 22 500.— verkauft. Uebernahme 5. Juli.
* Freudenstadt, 7. Juni. Gestern abend ereignete sich hier ein schweres Unglück. Der achtjährige Knabe der Lieb'schen Eheleute wollte anscheinend einem Automobil nachspringen. Beim Ueberschreiten der Straße wurde er von einem andern daherfahrenden Auto erfaßt und dabei so schwer verletzt, daß der Tod sofort eintrat. Den Chauffeur soll keine Schuld treffen.
js Rottweil, 7. Juni. Von der K. Strafkammer wurde der Bauer I. B. Müller von Vollmaringen OA. Horb wegen Urkundenfälschung, Untreue und Unterschlagung zu der Z u ch t h a u s st r a f e von 2 Jahren 6 Monaten, an welcher 2 Monate als durch die Untersuchungshaft verbüßt abgehen, und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre verurteilt. Müller hat als Rechner des Darlehens- kassenvereins in Vollmaringen eine Reihe von Veruntreuungen begangen, die sich im ganzen auf etwa 30 000 Mk. belaufen. Tie Darlehenskasse ist dauernd um ca. 23 000 Mk. geschädigt.
js Tübingen, 7. Juni. Ter Gipser Buck von hier wußte sich unter falschem Namen auf dem Postamt eine Anweisung zu erschwindeln. Er wurde verhaftet, ist aber einem Starrkrampfanfall erlegen.
jf Tübingen, 7. Juni. Der Landtagsabgeordnete G u o t h- Herrenberg ist in der hiesigen chirurgischen Klinik, wo er sich einer Gallensteinoperation hatte unterziehen müssen, erst 41 Jahre alt, gestorben. Er gehörte der deutschen Partei an und hat sich im Landtage besonders durch seine Förderung der elektrischen Licht- und Kraftübertragung auf dem Lande hervorgetan.
js Korntal, 7. Juni. Der 19 Jahre alte Schlosser Paul Niethammer von Weil im Dorf versetzte gestern abend auf dem Bahnhof in Korntal dem verheirateten Eisenbahnassistenten Adolf Huber, angeblich aus Rache für eine scharfe Zurechtweisung, die er sich von Huber im Streit mit einem Bahnbediensteten zugezogen hatte, mit einem Prügel einen Schlag auf den Kopf. Huber erlitt eine schwere Schädelverletzung und ist heute früh im Katharinenhospital gestorben. Der Täter wurde ins Untersuchungsgefängnis eingeliefert.
ss Eßlingen, 7. Juni. Unter Vergiftungserscheinungen starben rasch hintereinander ein fünf- und sechsjähriger Knabe des Schneiders Eberspächer in Obereßlingen. Die Leichen wurden am Samstag seziert und Teile derselben zur chemischen Untersuchung nach Tübingen weitergegeben. Vermutlich handelt es sich um ein Pflanzen- oder Fäulnisgift, das die Kinder beim Spielen aufnahmen. Ein weiteres Kind ist ebenfalls erkrankt.
* Frankfurt a. O., 7. Juni. Als heute mittag gegen Ist/» Uhr das Automobil des früheren persischen Generalkonsuls in Berlin, v. Greve, auf der Fahrt von Frankfurt a. d. Oder sich etwa 3 Km. von Müncheberg i. d. Mark befand, versagte plötzlich die Steuerung, als der Chauffeur das Gefährt in die Mitte der Straße lenken wollte. Durch die starke Erschütterung stürzte Greve aus dem Wagen und trug eine Gehirnverletzung davon, infolge deren augenblicklich der Tod eintrat. Ein weiterer Insasse des Gefährts, ein Inspektor Greve, wurde etwa 15 Meter weit auf den anliegenden Acker geschleudert und erlitt neben geringfügigen Verletzungen einen Armbruch. Der Chauffeur, der behauptet, nur mit einer Schnelligkeit von 25—30 Kilometer gefahren zu sein, blieb unverletzt. Der Tote wurde nach dem Müncheberger Krankenhaus gebracht.
Augen, die traumverloren in die züngelnden Flammen starrten.
Der Zeiger auf der Kaminuhr rückte unaufhaltsam vor.
! Allmählich sank das Holz zusammen - der summende Kessel ver- i stammte, aber die grübelnde Gestalt blieb unbeweglich, j Sie hörte auch nicht, daß ein leichter Schritt über den j weichen Teppich kam - merkte nicht, daß jemand sich mit einem i schelmischen Lächeln über sie herabbeugte, z Erst als zwei warme Lippen ihr Haar berührten, sah Fanny auf.
„Erika!"
Wie aus drückendem Banne erlöst, stand sie rasch auf.
„Wie spät kommst Du, Kind. Natürlich haben sie Dir mit ihrer selbstsüchtigen Begeisterung wieder viel zu viel zugemntet. Du gehst sträflich mit Stimme und Gesundheit um, Erika. Gieb doch nicht immer nach."
Ein schöner, warmer Ausdruck lag jetzt in Fannys Blick, als sie Erikas Kopf zwischen ihre Hände nahm und ihr forschend in das etwas erregte Gesicht sah.
„Ich mußte allerdings einige Lieder wiederholen, und Du weißt, die Zeit ist immer geneigt, in zu schnellem Lauf dahin- ! zueilen. Deshalb komme ich auch im Hofkleide. Ich wollte nicht ! vorher nach Hause fahren."
Sorgsam wie eine Mutter hatte die junge Frau während dessen einen zweiten Sitz näher an das Feuer gerückt, die Glut gcschint und die Flamme nmer dem Kessel aufs neue angcfacht. Jetzt drückte sie Erika in den Sessel und hob ihre Füße auf das Kamingitter.
„Aber Fanny!" lachte Erika. „Du verwöhnst mich ganz unverantwortlich. Was würde man sagen, wenn es bekannt würde, daß Baronin von Doblberg, die tonangebende Dame der Residenz, eigenhändig die Füße der Sängerin . Erika auf das Kamingitter hebt? Stelle Dir die Entrüstung, den Sturm unter Deinen Mitmenschen vor."
„Mögen sie nur. Wie die Leute in solchem Fall denken, stört nach durchaus nicht. Ich muß mein verklammtes Vögelchen