Württembergischer Landtag.

Stuttgart, 24. März.

Die Zweite Kammer begann heute die Einzelberatung des Etats und zwar zunächst die des Justizetats. An Titel 1 Gehalt des Ministers, knüpfte sich wie üblich eine Art Generaldebatte, die von dem Berichterstatter Kraut mit einigen orientierenden Bemerkungen eingeleitet wurde, in denen er besonders auf das Streben nach Sparsamkeit hinwies. Dr. Eisele (V.) zollte der Justizverwaltung und dem ivürtt. Richterstande volle Anerkennung, dessen Mitglieder nicht weltfremd, sondern mit den Verhältnissen und Bedürfnissen des Landes wohl vertraut seien. Der Redner wandte sich dann gegen das Hilfsrichterwesen, die Doppelverwendung der Amlsamvälte auch als Richter und besprach die Notlage der Rechtsanwälte, die z. Z. ein kümmerliches Dasein führen. Die Aufnahmefähigkeit dieses Standes sei an ihrem Ende angelangt. Die Regierung müsse dafür sorgen, daß der Anwaltsstand unantastbar bleibe. Die Erhaltung seines An­sehens liege eben so sehr im Interesse des Publikums wie der Rechtspflege. Bei der bedingten Begnadigung Jugend­licher sollte nicht unterschiedslos verfahren, sondern auch auf den Verletzten Rücksicht genommen werden. Justizminister v. Schmidlin gab zu, daß dem System der Hilfsrichter Ein­halt getan werden müsse und versprach, der Entwickelung des Anwaltsstandes seine Aufmerksamkeit zu schenken. Unter­schiedslos werde bei der Begnadigung der Jugendlichen nicht verfahren. In 117 Fällen sei von der bedingten Begnadig­ung im vergangenen Jahre auch gegenüber Erwachsenen Gebrauch gemacht worden. Man müsse die Jugendlichen möglichst davor bewahren, daß sie die Schwelle des Gefäng­nisses überschreiten. Mattutat (Soz.) zollte der Verwaltung des Justizministers gleichfalls Anerkennung. Noch mehr Erfolg als die bedingte Begnadigung würde die bedingte Verurteilung versprechen. Der Redner brachte eine Reihe von Wünschen aus dem Gebiete der Strafprozeßreform vor und forderte insbesondere eine Einschränkung von Anklage- verhülungen bei Vergehen gegen Arbeitswillige. Dr. Mül­berger (D. P.) verlangte die Besetzung der Bezirksrichter­stellen mit erfahrenen Richtern und die der Untersuchungs­richter mit hervorragenden Kriminalisten. Bei Privatklagen sollte sich die Verhandlung mehr auf den Gegenstand der Klage konzentrieren. Betz (V.) wünschte eine Kammer für Handelssachen beim Landgericht in Heilbronn. Kraut B. K. stimmte den Klagen über die Notlage der Anwälte zu und sprach sich gegen eine weitere Stärkung des Laienelements in der Rechtssprechung aus. Rembold-Aalen (Z.) würde eine Beschränkung der Zahl der Anwälte nicht für richtig halten. Die Unabhängig­keit des Anwaltstandes sei von großer Bedeutung. Der Red­ner beklagte dann als einen Mißstand, daß die Amtsanwälte vielfach nur deshalb Berufung gegen ein Urreil einlegen, weil der Angeklagte Berufung eingelegt hat. Justizminister v. Schmidlin erklärte letzteres für unzulässig und bedauerte, nicht genug hervorragende Juristen zu haben, um all den Wünschen Rechnung tragen zu können. Eine Einschränkung des Arbeitswilligenschutzes würde wohl nicht dem Willen der Mehrheit des Hauses entsprechen. Das seiner Tätigkeit ge­spendete Lob werde ihm eine Mahnung sein, seine Verwalt­ung auch in Zukunft in liberalem Sinne und in einer das Volk zufriedenstellenden Weise zu führen. Schnaith (V.) wünschte wohl eine Besserung des Anwaltsstanves, aber nicht durch Erhöhung der Anwaltsgebühren. Hierauf wurde Titel 1 genehmigt und die Weiterb eratnng aus Freitag nach­mittag vertagt.

Landesnachrichten.

* Göttelfingen, 24. März. Am Sonntag Abend wurde im Saale des Bruderhauses die Schlußfeier des Missions- vereins abgehalten. Deklamationen von Gedichten, Auf­führungen und gesangliche Darbietungen verschönten den Abend. Die schöne Ausstellung in Handarbeiten, die den Winter über gefertigt wurden, gaben von regem Fleiß und Liebe zur Missionssache beredtes Zeugnis, und es wird auch dieses Jahr der Basler Mission ein schöner Beitrag über­wiesen werden können.

Freudenstadt, 23. März. Auf einstimmigen Beschluß der bürgerlichen Kollegien wurden die Pläne zur Ausnützung der Murgwasserkräfte zwischen Schwarzenberg und Schön- münzach behufs Erlangung der Konzession beim K. Oberamt Freudenstadt eingereichl. Man hofft, 600 Pferdekräfte zu gewinnen.

" Rottenburg, 24. März. Der entlassene Kassier der hiesigen Darlehenskasse, soll ea. 36 000 Mark unterschlagen haben. Er hat sich wie wir gestern meldeten, durch Vergi ften der Strafe entzogen. Der Fortbestand der Kasse soll ge­sichert sein, da genügend Sicherheit für das Manko zusammen­gebracht sei.

ff Hengstseld OA. Gerabronn, 24. März. Vorgestern fiel e n 34 jähriges Mädchen, das einzige Kind der Familie Ebert, in den hochangeschwollenen Brettachbach (Weidenbach). Ein zirka sechsjähriger Knabe zog es heraus, aber das Mädchen geriet nochmals in das gefährliche Element und der Knabe brachte es wieder aufs Trockene. Bis er aber helfende Erwachsene herbeischaffle, war das Mädchen ge­storben. Die Wiederbelebungsversuche blieben ohne Erfolg.

Westernhausen, OA. Künzelsau, 24. März. Gestern nachmittag fiel das drei Jahre alte Töchterchen des Joh. Knörzer jun. in die Jagst. Auffallenderweise trieb das Wasser einige hundert Meter das Kind auf dem Rücken schwimmend gegen die Falle oberhalb der Mühle des Ortes, wo der Sohn des Müller^ Stern es mit einer Stange vom Tode des Ertrinkens rettete.

ff Göppingen,' 24. März. In letzter Zeil sind hier so viele falsche Fünszigpfennig- und Zweimarkstücke angehalten worden, daß man das Vorhandensein einer Falschmünzer­werkstätte hier vermuten muß.

' Waldsee, 24. März. Vorgestern abend b rann he das große Wohn- und Oekonomiegebäude des Oekonomen Bohner in Kohlhaus bis auf die Grundmauern nieder. Da­bei kamen ca. 10 Slück Großvieh und etliche Schweine in den Flammen um. Ein verwundetes Pferd und ein Schwein mußten geschlachtet werden.

Friedrichshofen, 24. März. Für Donnerstag ist eine Probefahrt mit Z 1 in Aussicht genommen. Die Fernfahrt nach München steht Samstag oder Montag bevor und erfolgt mit neuer Füllung des Luftschiffs. Tie Münchener Fahrt soll, wie verlautet, auf den Wunsch deS Prinzregenten zurückzuführen sein.

Vom BoÄcnsee, 24. März. Die Erlaubnis zum Be­gehen des Eises auf dem Unterste wurde nunmehr auf­gehoben. Seil 1805 war nicht mehr der Fall zu verzeichnen, daß der See noch Ende März zugefrorcn war. Da die Fischer in ihrem Beruf schwer geschädigt sind, wäre das baldige Verschwinden der Eisdecke sehr zu begrüßen. Auf dem Heimweg von Radolfzell wurde die Frau des Adler­wirts Keller von Güttingen von einem Strolch überfallen. Die Frau entriß jedoch dem Wegelagerer den Dolch und setzte sich kräftig zur Wehr, so daß dieser flüchten mußte. In Pfullendorf rettete Privatier Schulz drei Kinder vom Tode des Ertrinkens; die Kinder hatten sich auf die dünne Eisdecke des Stadtsees gewagt und waren eingebrochen.

ff Pforzheim, 24. März. Der hiesige Schneid erstreik Ü hat nur einen Tag gedauert. Die Arbeiter haben die Be- f dingungen der Arbeitgeber angenommen.

ff Pforzheim, 24. März. Ein Angestellter in einer hiesigen Bijouteriefabrik, K. Leibbrand, hat einen Apparat zur Rettung von Personen aus brennenden Häusern er­funden, der hauptsächlich aus einer Abrolltrommel und einem Drahtseil mit Steigeisen besteht; das Drahtseil wird am Hause aufgehängt. Als er nun gestern im Hofe des Rathauses mit dem Rettungsapparat eine öffentliche Probe ablegen wollte, nahm Leibbrand noch einen Mann auf die Schulter, als er sich im Steigeisen stehend am Seil herab­ließ. Dabei ließ er aber den betreffenden, den 19 jährigen Mechanikerlehrling los, sodaß dieser ca. 8 Meter hoch, auf den asphaltierten Rathaushof st ürzte, das Bein brach und sich an der Hüfte schwer verletzte, so daß er ins Spital gebracht werden mußte. Leibbrand selbst war ebenfalls in Gefahr, da er das Drahtseil losgelassen hatte. Er blieb in schrecklicher Situation mit dem Fuße im Bügel am Draht­seil freischwebend hängen, wurde aber durch sofortige Hilfe b in ein Fenster gezogen uud gerettet.

Mannheim, 34. März. Ein Schuhmachermeister hatte sich gestern mit seiner Frau vor dem Schöffengericht wegen häuslichen Streites zu verantworten. Beide wurden zu je 20 Mark Geldstrafe verurteilt. Beim Verlassen des Gerichts- > saales drohte die Frau ihrem Manne, daß sie ihn e r - ;

schießen werde. Tatsächlich feuerte auch die Racheschnaubende auf der Straße 3 Revolverschüsse auf ihren Mann ab. Zwei trafen, einer in den Kopf, der andere in die Schulter. Die Verletzungen sind aber nicht lebensgefährlich.

' Wilhelmshaven, 24. März. Die Kaiserjacht Hohenzollern ist in vergangener Nacht, infolge dichten Nebels westlich von Norderney-Feuerschiff mit dem norwegischen ! Dampfer Pors z us a m m e n g est e n, der sank. Seine ' Mannschaft wurde gerettet. Die Hohenzollern erlitt leichte Beschädigungen am Bug und ging zur Re­paratur nach Wilhelmshaven.

Zur Reichsfinanzreform.

DieGermania" macht Mitteilungen über das Zu- f staudekommen eines neuen Kompromisses zur Reichssinanzresorm auf Grund der Erhöhung oder Neuein­führung folgender indirekter Steuern: Brausteuer (mit einem Mehr von 100 Millionen), Branntweinsteuer (mehr 100 Millionen) Tabak- und Zigaretten st euer (mehr 50 Millionen), Kaffeezoll (mehr 40 Millionen), Zündholz st euer (neu 15 Millionen). DieGermania" bemerkt dazu, dieses Kompromiß befinde sich bereits in vielen Händen. Die Weinsteuer, Kohlensteuer, Gas- und Elektrizi- täts- und die Anzeigensteuer sollen endgültig fallen gelassen werden. Zu diesen Mitteilungen bemerkt die Deutsche Tageszeitung: Nach unserer Kenntnis der Sachlage kann davon nicht die Rede sein, daß ein Kompromiß abgeschlossen sei. Daß Kompromißvvrschläge aufgetaucht sind, ist allerdings l richtig, aber es handelt sich dabei lediglich um unverbindliche Vorschläge.

Ausländisches.

jf Bern, 24. März. Die internationale Konferenz für den Rückkauf der Gotthardbahn durch die Schweiz trat heute im Sitzungssaale des Bundes zusammen.

Belgrad, 25. März. Der serbische Kronprinz ver­zichtete, infolge der Angriffe serbischer Blätter auf ihn wegen dem Tode seines Dieners, auf den Thron.

M -L . ief - -- - >: l W.

Das Menschenherz ist aller Wunder größtes: denn wechselnd birgt's in seiner Tiefen Schoß, was rauh, was mild, was widrig und was groß; ein Rätsel ist es, und kein Weiser löst es.

Halm.

Strinmehstrahe Nr. 111

Moderner Kriminalroman von Hans Hy an. Fortsetzung. Nachdruck verboten.

IV.

Als Berthold Fallgräbe sich in der Untersuchungs- gefängniszelle allein befand, wollte er zunächst lachen, aber der Schall, der von den vier weitzgetünchten Wänden in sein Ohr zurückdrang, hatte etwas Erschreckendes für ihn selbst, und so viel er sich mit seinem klaren Verstände auch zu überreden bemühte, er würde in wenigen Tagen wieder in Freiheit sein, so verließen ihn doch die Angst und die Unruhe nicht. Das kleine, vergitterte Fenster hoch da oben, durch das er nicht hinaussehen konnte, durch das nur die rasch am Himmel dahinjagenden Oktoberwolken sichtbar wurden, machte ihn bedrückt und ließ es nicht zu, daß sich seine Gedanken in ihrer sonstigen Klarheit sammelten.

Er hatte sofort, schon gestern im Polizeigewayrsam verlangt, an seinen Rechtsanwalt schreiben zu dürfen, doch hatte man bis jetzt auf sein mehrfaches Ersuchen reine Rücksicht genommen.

Da der Gefangenaufseher sich auch hier ablehnend ver­hielt, wahrscheinlich in der Annahme, stnterstichungs- gefangene dieses Kalibers düi-Oen nick-, ü > D nM.mm, so bat Berthold Fallgräbe. höflich, aber bestimmt, daß man

ihn sofort dem Herrn Direktor Vorführer: möchte.

Dieser selbst war wohl nicht anwesend, dahingegen wurde er gleich darauf zu dem sogenannten Polizei­inspektor gebracht, einem Beamten, der die internen Ver­gehen der Gefangenen aburteilt und den Verkehr der Inhaftierten mit den Gerichten vermittelt.

Der fragte ihn kurz nach seinen Personalien und dem Grunde der Einlieferung und meinte dann mit einem humoristischen Lächeln:

Aha, wieder einer von den vielen Mördern, die uns die neue Sache schon hergebracht hat!"

Darauf ließ er sich von Berthold Fallgräbe dessen Geschichte genauer erzählen und lachte herzlich, als er hörte, daß der Versicherungsbeamte, als der Entdecker der Mordtat selbst unter dem schweren Verdacht des Mordes eingesperrt worden war.

Ja", sagte Fallgräbe,Herr Oberinspektor, Sie haben gut lachen, aber ich sitze hier drin und weiß nicht, was ich angeben soll."

Na, vor allen Dingen werden Sie Ihrem Anwalt eine Mitteilung machen, ich werde Ihnen sofort Papier und Tinte in die Zelle bringen lassen . . . Sie dürfen natürlich nichts weiter schreiben, als daß Sie Ihren Anwalt bitten, so schnell wie möglich Sie hier zu besuchen, wozu hoffentlich der richterliche Beamte seine Zu­stimmung geben wird . . . denn Sie wissen ja wohl, daß der persönliche Verkehr zwischen Anwalt und Angeschuldiglen Noch immer dem Ermessen des Richtexs respektive des Staatsanwalts anheimgestellt ist, der die Sache gerade bearbeitet . . . Im übrigen werde ich unseren Lehrer bitten. Sie mit Lektüre zu versorgen."

Berthold Fallgräbe war entzückt von dieser Liebens­würdigkeit und hatte kurz darauf schon seinen Brief an einen ihm bekannten Rechtsanwalt, den Dr. Weudemann geschrieben, dann setzte er stch mit einem Roman von Willibald Alexis auf seinen Schemel, und der Tag verging ihm schneller wie in seinem Bureau. Aber trotzdem war der nächste Morgen nicht weniger unangenehm.

Einmal hatte er schlecht geschlafen aus dem harten Jndiafaserkissen der eisernen Bettstelle, dann war es noch

I

j nicht möglich gewesen, trotz allen Entgegenkommens ihm ! die Sewstbetöstigung zu verschaffen, auf die er als Unter­suchungsgefangener Anspruch hatte, die aber erst bestellt und im geregelten Gang der AnstaltZordnung verfugt wird,

> sobald der Gefangene sich über den Besitz der dazu nötigen ! Mittel ausweist. So gab es denn jetzt Suppe und ein § Stück Schwarzbrot statt Sahnenkaffees mit belegten Bröt- , chen, wie er es zu Hause gewohnt war.

! Das konnte natürlich Fallgräöes Stimmung nicht ! bessern, und nun wartete er Stunde für Stunde auf den ! Anwalt, der auch nicht kam.

i Im Anfang hatte er mit großem Interesse die Haus­ordnung gelesen, die mit einer gewaltigen Paragraphen- ! anzahl alles festsetzt, was der Gefangene nicht tun darf.

! Berthold Fallgräbe hätie gern seinen Aufseher, der ibn i übrigens auch durchaus korrekt und höfnch behandelte, i gefragt, was denn ein Gefangener eigentlich dürfe. Aber j seinem Vorsatz getreu, in nichts einen Anlaß zur Unzufrn',. n- ! heit zu geben, unterließ er das. Noch lieber hätte er ge- ! beten, man möchte ihn gemeinsam mit anderen linier- f suchungsgesangenen sitzen lassen, doch sah er hiervon schon deswegen ab, weil er sich dadurch selbst zu dem Glauben

> bekannt hätte, daß er länger die Luft des Untersuchungs- ! gesängnisses atmen würde.

Er studierte nun eifrig die Inschriften an den Wänden, § all die vielen mäßigen und ungeduldigen Berschen und Ausrufe, die von den Händen der dem Gesetz Verfallenen herstammten. Viele hatten nur durch Striche und Kreuze, die hintereinander folgten, die Zahl der Tage festzubaltrn versucht, die sie in dieser Zelle zubrachten. Sie halten sich so vielleicht ihren Kalender gemacht, damit sie nicht eines Tages die Erinnerung verlören, wie weit die Zeit ihrer Gefangenschaft vorgerückt sei und wie lange Le nach der ersehnten Freiheit schon schmachteten. Dazwischen aber fanden sicki zynische Worte, Anreden: an irgend eine Ge­stellte und sentimentale Erinnerungen an frühere, glück­lichere Zeiten.

Einer, dxm es wirklich mit seiner Reue ernst zu fein schien, halte nur die Armcke "schrieben: j !, nume NLN.:':I n :n"