Wochen-Rundschau.
Jugendgerichtshöfe.
In der Strafrechtspflege spielt in neuerer Zeit das Verfahren gegen jugendliche Personen eine große Rolle. Man hat mehr und inehr erkannt, daß hier eine besondere Behandlungsweise erforderlich ist. Mehrfach ist man dazu übergegangen, die Aburteilung von Verfehlungen jugendlicher Personen besonderen Jugendgerichtshöfen zu übertragen; in Stuttgart ist ebenfalls ein solcher gebildet worden. Aber auch dort, wo besondere Jugendgerichtshöfe nicht möglich sind, soll nun in Württemberg eine besondere Behandlung Platz greifen, was mit großer Befriedigung zu begrüßen ist. Der „Staatsanzeiger" veröffentlicht einen Bericht des Justizministers v. Schmidlin an den König, in welchem der Minister mitteilt, daß vom 1. Juli ab bei allen Amtsgerichten des Landes für die schöffengerichtlichen Strafsachen gegen jugendliche Personen besondere Vorkehrungen getroffen werden. Diese Strafsachen sollen grundsätzlich dein Geschäftskreise des die Aufsicht führenden Amtsrichters gehören, der mit der vormundschaftsrichterlichen Tätigkeit betraut ist. Es soll auch wo möglich eine äußere Absonderung der Hauptverhandlungen gegen jugendliche Personen von den übrigen schöffengerichtlichen Verhandlungen durchgeführt werden.
Block-Siege.
Am Montag ist im Reichstage .die zweite Lesung des Vereinsgesetzes zu Ende geführt worden. Um das Gesamtergebnis mit ein paar Worten vorwegzunehmen: es ist durchaus bei den Beschlüssen der Kommission, den „Kompromiß- beschlüsien", geblieben. Alle Abänderungsanträge, die von der Opposition in reicher Fülle gestellt wurden, fielen, da die Blockmehrheit durchaus entschlossen war, bei der Kommissionsfassung stehen zu bleiben und die Ungewißheiten und Gefahren, die das Eingehen auf Abänderungsanträge mit sich gebracht haben würde, zu vermeiden. Und der Block hatte nicht nur die Entschlossenheit, sondern auch, was die Hauptsache ist, die Kraft, seinen Willen durchzusetzen.
Es hat ja in neuerer Zeit um den Block etwas übel ausgesehen, und sein letztes Ständlein schien nahe zu sein. Offene und heimliche Gegner hofften und wünschten, daß sich beim Vereinsgesetze sein Schicksal erfülle. Zwar war es mit unendlicher Mühe in der Kommission gelungen, eine Verständigung der Blockparteien unter sich und mit der Regierung über den 8 7, den Sprachenparagraphen, zu erzielen; aber im linksliberalen Lager begegnete das Sprachenverbot auch in der wesentlich gemilderten Kompromißfaffungso vielfachem Widerspruch, daß die Gefahr einer Absplitterung von linksliberalen Abgeordneten bestand, die hingereicht hätte, das Gesetz zu Fall zu bringen. Das wäre dann das Ende des Blocks gewesen. Und gerade diese Lage hat den Verhandlungen im Reichstage ihr Gepräge gegeben. Es handelte sich um den Fortbestand des Blocks, um eine Kraftprobe, die erste und ernsthafte Kraftprobe. Gerade deshalb ist mit so außerordentlicher Leidenschaft gestritten worden, mit einer Leidenschaft, wie man sie im Reichstage wohl nur noch bei den Kämpfen um den Zolltarif erlebt hat. An und für sich wäre kein Grund gewesen, sich dermaßen zu erregen. Das Vereinsgesetz ist ja gewiß eine wichtige Sache; aber sein Inhalt ist, zumal in der Kommissionsfassung, unzweifelhaft im großen Ganzen sehr freiheitlich. Selbst beim Zentrum hat man das anerkennen müssen. Freilich: der Svrachen- paragraph! Zwar soll das Verbot des Gebrauchs fremder Sprachen — gemeint ist eigentlich ausschließlich die polnische — erst nach 20 Jahren in Kraft treten. Bis dahin können die Polen in ihren Versammlungen noch nach Herzenslust polnisch reden, allerdings nur in jenen Bezirken, wo sie mindestens 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Immerhin steht ein solches Sprachenoerbst theoretisch nicht im Einklang mit etlichen Parteigrundsätzen, namentlich auch des jLinksliberalismus, praktisch liegt jedoch die Sache so, daß, wenn ein Reichsvereinsgesetz nicht zustande käme, Preußen ederzeit die Möglichkeit hätte, von sich aus ein Sprachenverbot zu erlassen. In diesem Falle würde es zweifellos nicht so glimpflich ausfallen, wie in der jetzigen Fassung
Schwarz Wälder So«»tagsblatt.
und den Polen wäre also in Wirklichkeit rein gar nicht geholfen. Das haben sich denn auch die Fraktionen der Linksliberalen gesagt, und darum sich nicht auf das reine Prinzip gesteift. Ihre Erwägung war eben, daß unter den obwaltenden Umständen der Sprachenparagraph nicht schwer genug wiege, um deshalb die sonstigen Errungenschaften des Gesetzes fallen zu lassen. Die Opposition, Zentrum und Sozialdemokratie, samt polnischem und sonstigem Anhängsel, bauschte dagegen die Bedeutung des Sprachenparagraphen ungeheuer auf und erging sich auch sonst in den außerordentlichsten Uebertreibungen, als ob das Vereinsgesetz das reaktionärste und verdammenswürdigste Gebilde sei, das jemals den Reichstag beschäftigte. Es galt eben, wie schon gesagt, den Block zu sprengen. Von den Rednern der Blockparteien wurde den Angriffen und Uebertreibungen der Gegner ebenso nachdrücklich wie wirksam entgegengetreten, und namentlich waren es zwei Württemberger, die Abgg. Dr. Hieber und Payer, die im Vordergründe standen. Abg. Dr. Hieber, der Vorsitzender der Vereinsgesetzkommission war und sich durch seine klugen und geschickten Bemühungen um das Zustandekommen des Kompromisses große Verdienste erworben hat, erwies sich in leinen Reden, die vielfach geradezu glänzend
genannt worden sind, als ein schneidiger und schlagfertiger Debatter, der in völliger Beherrschung sämtlichen Materials von niemand übertroffen wurde. Namentlich fand er in der Polemik gegen Zentrum, Polen und Sozialdemokraten äußerst wirkungsvolle Argumente. Mit der größten Spannung sah man der Rede des Abg. v. Payer entgegen, der namens der freisinnigen Fraktionsgemeinschaft sprach und eingehend darlegte, was diese zur Zustimmung zu dem Entwurf ver- anlaßte, selbst gegen Widerspruch aus dem eigenen Lager. Gerade Payer, einer der führenden Männer der freisinnigen Fraktionsgemeinschaft und wohl der bedeutendste Kopf in ihr, ist viel angefochten worden, auch von seinen engeren Parteigenossen, und es klang so etwas wie eine „Ich hab's gewagt"-Stimmung hindurch, als er auseinandersetzte, wie er und seine Freunde trotz schwerer Bedenken sich zur Annahme des Entwurfs entschlossen haben. Er hielt den Gegnern vor, daß sie ja selbst nicht daran glaubten, was sie sagten, und er sprach es unumwunden aus, daß für den Freisinn die Erwägung mirgespielt habe, sich nicht ausschalten zu lassen zu Gunsten anderer, die danach trachten, ihren früheren Einfluß, ihre frühere Machtstellung wieder zu erlangen. Und dann betonte er, daß es im politischen Leben ohne Kompromisse überhaupt nicht abgehen könne, daß für jede Partei die Notwendigkeit komme, Opfer zu bringen, daß das ^Festhalten an Programmsätzen bis in die allerletzte Konsequenz
zum Widersinn führen müsse. Er sprach auch aus, daß
man in Süddeutschland die Polenfrage zu wenig würdige, !
und daß man den preußischen Verhältnissen Rechnung tragen müsse und er hielt den Polen vor, daß sie zuerst ihren großpolnischen, staatsfeindlichen Bestrebungen entsagen müßten, j wenn sie so laut den Ruf nach gleichen Rechten erheben. Diese Rede wurde in der Sitzung vom Samstag gehalten, > wo die Entscheidung über den 8 7 fiel. Schon in den beiden vorhergehenden Sitzungen war es stürmisch hergegangen, zumal vom Zentrum und der Sozialdemokratie durch Obstruktionsversuche auf eine Verschleppung hingearbeitet j wurde. Allerdings vergeblich. Der Block machte durch ^
Debatteschluß solchen Versuchen ein Ende und nahm die ersten Paragraphen mit einer klaren, festen Mehrheit an, bei einer Besetzung des Hauses, wie sie kaum je zuvor schon da war.
So blieb es auch bei der Entscheidung über den Sprachenparagraphen. Er wurde bei Anwesenheit von 382 Abgeordneten mit 200 gegen 179 Stimmen bei 3 Enthaltungen !
angenommen. Von der Linken stimmten nur die !
Abgeordneten Haußmann (Volkspartei), Potthof, Dohrn !
und Neumann-Hofer (sreis. Vereinigung) gegen den 8 7. Der Block hat also mit einer wider Erwarten großen Mehrheit ^ von 21 Stimmen die Kraftprobe glänzend bestanden. Das Abstimmungsergebnis entfesselte einen gewaltigen Lärm. Die i Opposition ries „Pfui!" und dergleichen, der Block aber begeistert Bravo. Es war ein denkwürdiger Moment. Auch ^
in der Montagssitzung war die erregte Stimmung noch nicht gewichen, und obgleich nach dem Sieg des Blockes beim Sprachenparagraphen jeglicher Ansturin der Opposition als vergeblich erkannt werden mußte, gab es doch bei dem 8 10a, betreffend den Ausschluß jugendlicher Personen unter achtzehn Jahren von politischen Versammlungen, stürmische Debatten.
Im Regierungsentwurf stand diese Bestimmung nicht; sie ist auf Verlangen der Konservativen hineingekommen, die davon ihre Zustimmung zu dem Entwurf abhängig machten, und so gaben schließlich die Freisinnigen ihre Zustimmung. Wortführer der Sozialdemokraten bei der Bekämpfung dieser Bestimmung war Abgeordneter Hildenbrand (Stuttgart), der auch vorher schon den sozialdemokratischen Standpunkt in der Debatte zu vertreten hatte. Er tat das, wie man anerkennen muß, mit viel Gewandtheit und Schlagfertigkeit. Württemberg hat also die Ehre gehabt, in diesen bewegten Tagen im Reichstage durch drei Abgeordnete verschiedener Parteien in vorderster Reihe zu fechten. Das Ende mar, wie eingangs schon gesagt, die Annahme sämtlicher Paragraphen. Dazu i wurde ein von nationalliberaler Seite gestellter Antrag an- ! genommen, wonach das Gesetz am 15. Mai 1908 in Kraft ^ treten soll. Die dritte Lesung wird ebenfalls noch in dieser Woche erledigt werden, sodaß das Vereinsgesetz noch vor Ostern unter Dach kommt. Der Block hat einen glänzenden Sieg erfochten, das muß man ihm lassen. Fürst Bülow, der in diesen stürmischen Tagen zeitweise im Reichstage erschien, konnte zuletzt ruhig zu Hause bleiben; dem Block drohte keine Gefahr mehr. Auch das Börsengesetz, die zweite „Blockfrucht", wird in den Hafen kommen. Es ist am Dienstag in zweiter Lesung angenommen worden. Beide, Vereinsgesetz und Börsengesetz, kamen dann schon am Mittwoch zur dritten Lesung. In der Schlußabstimmung wurde das Vereinsgesetz mit 194 gegen 168 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen definitiv angenommen, ebenso das Börsengesetz mit 203 gegen 168 Stimmen. Optimisten glauben nun schon, daß der Block auch die Reichsfinanzreform im Herbst überstehen werde. Es wird aber doch wohl gut sein, in dieser Beziehung etwas weniger optimistisch zu sein. Immerhin muß man zugestehen, daß die Blockpolitik wieder neues Leben bekommen hat.
8 5 0 Milli onen - Anl eih e.
Das Reich braucht Geld, und Preußen braucht auch Geld, und zwar Anleihegeld. Beide haben sich zusammen getan, insofern nämlich, als sie zu gleicher Zeit an den Markt herantreten, und zwar mit der Bagatelle von insgesamt 850 Millionen Mark. Sage und schreibe! Man ist ja nachgerade an große Ziffern gewöhnt, aber 850 Millionen Mark, beinahe eine Milliarde auf einmal, ist doch entschieden ein bischen „happig". Und dabei hat Preußen erst im Januar d. I. 181 Millionen Mark „gepumpt", was doch auch schon ein namhafter Batzen ist. Selbst an der Börse, wo man sich doch sonst durch Zahlen nicht leicht verblüffen läßt, war man zunächst ein wenig verblüfft. Man faßte sich freilich bald, denn die Sache bringt immerhin etlichen Profit. Zunächst für'das Finanzkonsortium, das die quasi Milliardenanleihe übernommen hat. Die Uebernahmebe- dingungen ergeben einen erheblichen Nutzen; übrigens sind auch die Bedingungen für die Zeichner recht günstig. Die Anleihe, zu 4 Prozent verzinslich, wird zu 99,50 zur Zeichnung aufgelegt. Der Modus der gleitenden Zinsskala, den Preußen im Januar wählte, ist verlassen worden. Im Allgemeinen ist die Zeit für die Finanzoperation nicht ungünstig, da nicht mehr so viel Geld von der Industrie in Anspruch genommen wird als früher. Aber man kann sich doch, und da liegt der Hase im Pfeffer, der Frage nicht erwehren: Wohin soll es führen, wenn in dieser Weise fortgefahren wird, Anleihen auf Anleihen zu häufen?
Generalstreik in Rom.
In Rom hat es Ende der letzten Woche wieder einmal einen Generalstreik gegeben. Er war jedoch, wie das bei derartigen Sachen gewöhnlich geht, nur kürz. Der Anlaß war folgender: Die Beerdigung eines Arbeiters sollte aus Gründen, mit denen wir uns nicht näher zu befassen brauchen, zu einem großen Zuge durch die Straßen benutzt werden,
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