Wochen-Nundschau.
Wahlprüfungen.
Die Legitimationskommission der Zweiten Kammer hat am Montag in zweiter Lesung ihre sämtlichen Beschlüsse erster Lesung zu den Wahlanfechtungen bestätigt. Es bleibt darnach bei dsr Ungültigkeitserklärung der Wahl des Zentrumsmannes Andre in Oberndorf und des Sozialdemokraten Seeger in Nürtingen. Wenn das Plenum demgemäß entscheidet, was anzunehmen ist, werden also in zwei Bezirken Neuwahlen ftattzufinden haben. Die bisherigen Mandatsinhaber müssen sich nach Lage der Dinge darauf gefaßt machen, .abgesägt" zu werden. Der Sozialdemokrat Seeger hat letzthin einen fatalen Prozeß gehabt, nämlich eine Beleidigungsklage gegen seinen Schwager, der ihn u. a. „H . . . . bube" bezeichnet hatte. Die Zeugenaussage förderte allerlei Dinge zutage, die auf die Moral des Abg. Seeger kein gutes Licht werfen.
Differenzen auf der Linken.
Im Lager der bürgerlichen Linken sieht es augenblicklich böse aus. Die Einigung der linksliberalen Fraktionen hat sich in eine .Uneinigung" verwandelt. Das liegt daran, daß radikale Elemente gegen die Blockpolitik Sturm laufen und den parlamentarischen Vertretungen, die dabei noch nicht mitmachen wollen, das Leben außerordentlich sauer machen. Namentlich sind es „Eigenbrödler" der Freisinnigen Vereinigung, wie die ehemaligen Abgg. Dr. Barth und v. Gerlach, die gegen die offizielle Taktik geradezu wüten und freisinnige Führer in einer Weise befehden, als wären sie die schlimmsten Gegner. Die also Angegriffenen bleiben freilich die Antwort nicht schuldig und letzthin fiel von dieser Seite sogar in öffentlicher Versammlung das Wort: „Jagt die Eigenbrödler zum Teufel!" Das ist freilich leichter gesagt als getan. Immerhin sollte der von den linksliberalen Gruppen in ihren Frankfurter Vereinbarungen vorgesehene „Einigungsausschuß" in Tätigkeit treten und sich mit dem Vorgehen der „Barthlinge" befassen. Es kam aber nicht dazu, da Dr. Barth und v. Gerlach ihren Austritt aus dem Ausschuß des Wahlvereins der Liberalen, der Organisation der freisinnigen Vereinigung, erklärten. In der Partei selbst wollen sie jedoch bleiben und sie wollen auch ihre Agitation gegen die offizielle Taktik und die Blockpolitik fortsetzen. Es kann also nun, da die „Bande frommer Scheu" durch den Austritt aus dem Parteiausschuß gefallen sind,, erst recht lustig werden. Das Wirken dieser Herren gegen die Blockpolitik wird übrigens schon dadurch gekennzeichnet, daß sie von Haus aus den „Block" befehdet haben, also die Wahlrechtserklärung des Fürsten Bülow nur als neuen Vorwand benützen. Ihr Ziel ist das Zusammengehen des Linksliberalismus mit der Sozialdemokratie. Auch in Württemberg treten diese Gegensätze und Meinungsverschiedenheiten hervor und die Volkspartei hat ihre liebe Not damit. Letzthin machte der Landtagsabgeordnete Dr. Elsas, Vorsitzender der demokratischen Landesorganisation, einen „rollenwidrigen Seitensprung" mit einem Aufsehen erregenden Artikel im Neuen Tagblatt, worin er die Bildung eines württ. „Landesblocks" gegen den Vereinsgesetzentwurf befürwortete. Damit ist es jedoch nichts, weil die Volkspartei ihrem Landesvorsitzenden nicht folgen will. Seitdem hat ein Teil der „Liberalen Vereine" eine Agitation gegen die Blockpolitik und die Haltung der linksliberalen Fraktionen begonnen, ganz im Sinne des Barth und Gerlach. Einer der „Eigenbrödler", Dr. Breitscheid, hat in verschiedenen vom „Liberalen Verein" veranstalteten und von der Sozialdemokratie eifrig besuchten und beeinflußten Versammlungen Reden gehalten, denen sich radikale Resolutionen anschlossen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die „Liberalen Vereine" in Württeinberg bei ihrer Gründung als wesentlichstes Ziel die Förderung der Einigung des Liberalismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, so kann man nicht umhin, diese Agitation für eine ungewöhnliche Erscheinung zu halten. Im Lager der Volkspartei ist man denn auch recht aufgebracht über dieses Auftreten. Uebrigens erhebt sich aus den „Liberalen Vereinen" selbst Widerspruch, und auf der demnächst stattfindenden Landesversammlung wird es jedenfalls lebhafte Auseinandersetzungen geben. Also auch hier Zwist und Zwiesvalt! In den Kreisen der nationalliberalen — deutschen — Partei sieht man diesen Vorgängen teilweise mit einer gewissen Schadenfreude zu. Allein Abg. Dr. Hieber hat in einer großen Rede, die er in der Jahresversammlung der Deutschen Partei Groß-Stuttgarts über die politische Lage hielt, nachdrücklich darauf hingewiesen, daß das politische Verhalten der Nationalliberalen dadurch nicht beeinflußt werden dürfe. Man möge die Schadenfreude dem Zentrum und der Sozialdemokratie überlassen und nicht dazu beitragen, deren Geschäfte zu fördern. Der Zerfall des Blocks wäre gleichbedeutend mit einem Wiedereinrücken des Zentrums in seine frühere Machtstellung. Der „Block" sei kein Vertrag, der gekündigt werden könne, sondern ein Zustand, herausgewachsen aus einer politischen Notwendigkeit. Diese Einsicht haben, darin hat Prof. Hieber recht, auch die parlamentarischen Vertreter der linksliberalen Fraktionen, und das ist und bleibt ein Bollwerk gegen die Zerstörungsbestrebungen.
Stengels Rücktritt.
Es ist Tatsache: Frhr. v. Stengel tritt von seinem Amte als Staatssekretär des Reichsschatzamts zurück. Einstweilen freilich gibt er noch die Unterschriften und erledigt die laufenden Geschäfte, aber im Reichstag und in dessen Kommissionen macht er nicht mehr mir. Die Erledigung
Schwa rz Wälder Soantagsblatt.
seines Abschiedsgesuchs wird hinausgeschoben, bis ein Nachfolger für ihn gefunden ist; damit hat es seine Schwierigkeiten. Vertraulich ist, so viel man weiß, bei einer ganzen Reihe von Persönlichkeiten angefühlt worden, aber es scheint, daß keine Lust hat, diese Würde zu übernehmen. Mancher möchte wohl gern Minister sein, aber Reichsschatzsekretär, gerade jetzt — rnsroi! Wer zur Zeit im Reichsschatzamt sitzt, hat seinen Sitz auf Nesteln und nicht auf einem bequemen Sessel und Geld muß her, und zwar auf dem Wege der sog. Reichsfinanzreform. Und das ist eine schwierige Sache. Jin Reichstage will man, daß diesmal gründliche Arbeit gemacht, damit das „Gefrett" endlich einmal ein Ende nimmt. Aber wie? Die Regierungen der Einzelstaaten sträuben sich mit sämtlichen Händen nnd Füßen gegen jegliche direkte Reichssteuer, jeden Eingriff in ihren „angestammten" Steuerbereich. Die Mehrheit des Reichstags aber will nicht mehr lediglich zu indirekten Steuern gegriffen wissen, sondern verlangt mindestens die Heranziehung der Erbschaften für das Reich oder gar — wenigstens in einem Teil der Parteien — eine Reichsvermögenssteuer. Wie soll da der Reichsschatzsekretär zwischen Seylla und Charybdis hindurchkommen? Einstweilen hat man die Steuerfrage verschoben, etwa bis zum Herbst. Ein wenig Zeit ist damit immerhin gewonnen, freilich wird nachher das Feuer auf den Nägeln erst recht schmerzlich. Die ungeklärte politische Situation mußte jedoch neben den sonstigen sachlichen Schwierigkeiten eine solche Hinausschiebung als das kleinere Uebel erscheinen lassen.
Herzog Ernst von Altenburg fi.
Herzog Ernst von Sachsen-Altenburg, einer der sympathischesten unter den deutschen Bündesfürsten, ist in der Nacht zum 7. ds., 81 Jahre alt, gestorben. Mit ihm ist wieder einer dahingegangen, der Deutschlands große Zeit an
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Derzoq von Sachsen-Altenburg.
hervorragender Stelle mit erlebt und an dem Einigungswerk tätig mitgewirkt hat. 1866 stand er auf Seite Preußens im Feld und auch den Feldzug von 1870 71 machte er mit. Er war Generaloberst der Infanterie. Sein Nachfolger in der Regierung, die er fast 55 Jahre geführt hat, ist sein Neffe, Prinz Ernst, der sich Herzog Ernst II. nennt. Er ist mit der Prinzessin Adelheid zu Schaumburg-Lippe, einer Schwester der Königin von Württemberg, vermählt.
Marokko.
In der Marokko-Angelegenheit ist in der letzten Zeit eine Wendung eingetreten, die den Franzosen, im höchsten Grade unangenehm ist. Die beiden Sultane, sowohl der „legitime" Abdul Aziz wie sein feindlicher Bruder Mulay Hafid, haben sich nämlich, wie bekannt geworden ist, an Deutschland gewandt und dieses um ein Einschreiten gegenüber dem französischen Vorgehen ersucht. Natürlich ist das nicht gemeinsam geschehen, sondern jeder hat unabhängig vom andern gehandelt. Der marokkanische Minister des Auswärtigen ließ am 16. Jan. durch den deutschen Konsulatagenten in Rabat an den deutschen Gesandten in Tanger zur Uebermittlung an die deutsche Regierung im Namen des Sultans Abdul Aziz das Ersuchen richten, gegen das französische Vorgehen, als einer Verletzung der Algericasakte, Einspruch zu erheben. Und Mulay Hafid ließ durch den deutschen Vizekonsul in Saffi fragen, ob das französische Vorgehen auf Grund eines Mandats der Mächte, besonders Deutschlands, erfolge, und zugleich die Bitte hinzufügen, die deutsche Regierung möge dafür eintreten, daß Frankreich sich nicht in die Thronstreitigkeiten mische, weil diese innere Angelegenheiten Marokkos seien. Die deutsche Regierung ließ den beiden Sultanen antworten, die französische Regierung habe bestimmt versichert, sich an die Algericasakte halten zu wollen. Es stehe den Marokkanern frei, sich an alle Mächte zu wenden, da Deutschland nach dem Inkrafttreten der Algericasakte allein nichts mehr tun könne. Die deutsche Regierung werde aber der französischen Mitteilung machen. Das ist denn auch geschehen und die Pariser Regierung hat nicht gezögert, dieses Verfahren für durchaus korrekt und freundlich zu erklären. Im Uebrigen aber ist man in Frankreich von dieser Sache „greulich berührt", und das begreift man gut. Denn auf die französische Marokkopolitik fällt ein
schlimmes Licht dadurch, daß sich jetzt sogar Abdul Aziz, der sich den Franzosen schon mit Haut und Haaren verschrieben zu haben schien, über das französische Vorgehen beschwert. Allerdings hat Abdul Aziz, als er von Frankreich um „Auskunft" ersucht wurde, die Anrufung Deutschlands ableugnen lassen, aber das macht auf Niemand Eindruck. In der französischen Kammer, wo der Sozialistenchef Jaures am Montag über die Angelegenheit interpellierte, bemühte sich Minister Pichon, den Zwischenfall zu verwischen und seine Bedeutung als unerheblich hinzustellen. Gleichzeitig wiederholte er die reichlich ein dntzendmal gehörten Versicherungen, daß Frankreich sich an die Algericasakte halten wolle. Aber das macht nachgerade nur noch wenig Eindruck. In Berlin scheint nian allmählich ebenfalls die Vertrauensseligkeit aufgeben zu wollen. In offiziösen Auslassungen wird nämlich mit zunehmender Deutlichkeit, wenn auch in der Form verbindlich, den Franzosen nahegelegt, auf ihrer Bahn nun endlich innezuhalten. Ob das geschehen wird, steht dahin. Einstweilen führt General d'Amade in der Gegend von Casablanca frisch-fröhlich Krieg. — Der Kaid Mc. Lean, ein seit Jahren im Dienste des Sultans Abdul Aziz stehender Engländer, der von dem Räuber Raisuli seit Monaten gefangen gehalten wurde, ist letzthin endlich in Freiheit gesetzt worden, nachdem die weitgehenden Bedingungen Raisulis erfüllt worden waren.
Neueste Nachrichten.
-u. Ebhausen, 14. Febr. Den Mitgliedern des hiesigen Bezirksschwarzwaldvereins bot im Saal des Gasthauses z. Waldhorn die Vorführung von Lichtbildern durch Pf. Eberbach eine angenehme Unterhaltung. Reizende Landschaftsbilder aus unserer Gegend, aus dem Rheintal und der Umgebung des Vierwaldstädter- und Bodensees mit entsprechenden Erläuterungenfesselten die Aufmerksamkeit der zahlreichen Besucher. Durch Veranstaltung einer Gabensammlung floß der Vereinskasse, die an einer empfindlichen „Ebbe" leidet, eine hübsche Summe zu. Der gebührende Dank für die Vorführung der Lichtbilder wurde Pf. Eberbach durch den Vereinsvorstand Schulth. Dengl er namens des Vereins gezollt.
js Tübingen, 14. Febr. Vor dem Schwurgericht standen gestern der Holzhauer Wacker von Schwarzenberg Und seine Tochter Rosine wegen Blutschande und Kindsmords. Die beiden haben das von der Tochter am 5. Dezember v. Js. geborene Knäblein, um den blutschänderischen Verkehr zu verdecken, sogleich nach der Geburt getötet und die Leiche im Garten verscharrt. Der Vater wurde zu 3^2 Jahren, die Tochter zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.
! Rottenburg, 14. Februar. Bischof Benzler von Metz ist gestern abend zum Besuch des Bischofs Dr. v. Keppler hier eingetroffen.
js Reutlingen, 14. Februar. Bezirksbauinspektor Fr. Kein Pt er ist in der Vollkraft seines Lebens durch einen Hirnschlag hinweggerafft worden. Er war in Albershausen O.A. Göppingen am 25. Januar 1858 geboren. In seinem Fach galt er als Autorität. Er hat viele Staatsbauten erstellt, so in Oehringen, Rottenburg, Wildbad, Tübingen und auch hier. Seine Beerdigung findet in Eßlingen statt.
! Nürtingen, 13. Februar. Wie verlautet, beabsichtigt die Volkspartei, bei der in diesem Frühjahr notwendig werdenden Landtags-Nachwahl die Kandidatur dem früheren Abgeordneten Gabler anzutragen, da angenommen wird, daß die Deutsche Partei ihr früher gegebenes Versprechen gegenüber der Person Gablers auch jetzt noch aufrecht erhalten wird, und das umsomehr, als die Volkspartei sowohl bei den Gemeindewahlen als auch bei der letzten Reichstagswahl die Deutsche Partei wesentlich und erfolgreich unterstützt hat.
js Stuttgart, 14. Febr. Das Landtagsmandat, das durch den Tod des Stuttgarter Landtagsabgeordneter Kloß in der Zweiten Kammer sreigeworden ist, verbleibt der sozial dem. Partei ohne Neuwahl. Als Ersatzmann tritt in die Zweite Kammer Georg Reichel, zweiter Vorsitzender des Deutschen Metallarbeiterverbandes.
! Stuttgart, 14. Febr. (Delegiertenversammlung des Landesverbands.) Wie der Liberale Verein Stuttgart mitteilt, findet Sonntag den 1. März in Stuttgart eine Dele- giertenversammlnng der Liberalen Vereine Württembergs statt, die sich mit der gegenwärtigen politischen Lage befassen wird.
* Stuttgart, 14. Febr. Das Schwurgericht verurteilte heute den Küfer Robert Ehmann von Vaihingen a. F. wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode zu 2 Jahren Gefängnis.
! Stuttgart, 14. Februar. Zum Mord in der Eberhard st raße. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart setzt aus die Entdeckung des Täters eine Belohnung von 1000 Mark und bemerkt zu der Tat selber noch folgendes: Der Stich, der die Halsschlagader durchbohrte, ist offenbar von einem Rechtshänder mit großer Gewalt und einem sehr scharfen Instrument geführt worden. Die Tat geschah auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bereits am Dienstag vermutlich in den Nachmittagstunden zwischen 4 bis 6 Uhr und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit zur Zeit der Abenddämmerung (5 bis 6 Uhr). Die Staatsanwaltschaft gibt zu, daß gewisse Anzeichen, wie Lage und Befund der Leiche, auf einen Lustmord deuten, daß aber ebenso mit der Möglichkeit eines anderen Motivs unbekannter Natur zu rechnen