Wochen-Rundschau.

Um Friedrich Haußmanns Mandat.

Die Landtagsersatzwahl im Bezirk Gerabronn für den verstorbenen Friedrich Haußmann hat der Volkspartei einen Sieg gebracht, der ihr selbst ziemlich unerwartet gekommen ist. Sie hoffte zwar, das sozusagen angestammte Mandat behaupten zu können, rechnete aber mit einem zweiten Wahl­gang; der Bauernbund hingegen hatte die Zuversicht, den Bezirk diesmal erobern zu können, zumal er in der Person des Landwirts und Schultheißen Hofmann von Wittenweiler einen sehr angesehenen und zugkräftigen Kandidaten gefun­den hatte, der nur den einen, allerdings nicht ganz gering anzuschlagenden Fehler hatte, daß er wegen des gänzlichen Mangels an Rednergabe in keiner einzigen Wahlversamm­lung auftrat. Einen sehr zugkräftigen Kandidaten, den ge­eignetsten, der zu finden war, hatte auch die Volkspartei, nämlich den Kupferschmied Augst in Gerabronn, der den Reichstagswahlkreis zwei Legislaturperioden vertreten hat. Die Agitation wurde von beiden Parteien mit Hochdruck und mit Aufgebot namhaftester Parteiredner betrieben. Auch die Sozialdemokratie war sehr rührig, da sie in Teuerung und in der Bekämpfung der Blockpolitik eine Reihe wirk­samer Agitationsmittel erblickte. Sie ist allerdings ent­täuscht worden, da ihre Stimmenzahl nicht nur nicht ge­wachsen, sondern sogar erheblich zurückgegangen ist. Ent­täuschung hat auch der Bauernbund erlebt. Zwar hat er mehr Stimmen erhalten als bei der letzten Wahl, aber bei der Volkspartei ist das noch in höherem Maße der Fall ge­wesen. Das Wahlergebnis stellt sich nämlich ziffernmäßig wie folgt: Augst (Volkspartei) 2739, Hofmann (Bauernbd.) 2082, Wirth (Soz.) 380, Gröber (Zentrum) 19. Augst ist also mit einer Mehrheit von 248 Stimmen gewählt wor­den. Bei der Landtagswahl im Dezember 1906 war das Stimmenverhältnis: Volkspartei (Friedrich Haußmann) 2456, Bauernbund 2058, Sozialdemokratie 455, Zentrum 65.

Flotten vereins-Krach.

Am letzten Sonntag waren die Delegierten des Flotten­vereins in Kassel versammelt, um den Streit zu schlichten, der wegen der Ernennung des Generals Keim zum geschäfts­führenden Vorsitzenden entstanden ist. Aber es ist keine Schlichtung geworden, sondern die Fehde ist nun erst recht entbrannt. Es war eine stürmische Tagung und man ging auseinander mit Pauken und Trompeten. Wie kam es nun? Die Bayern fühlten sich und ihren zurückgetretenen Protektor Prinzen Rupprecht von Bayern beleidigt und verlangten Genugtuung Genugtuung durch den Rücktritt Keims. Der Kaiser und etliche andere fürstliche Protektoren stellten sich auf die Seite der Bayern, und so war der Skalp des Generals Keim fällig. Aber die Bayern sollten ihres Sieges nicht froh werden. Als die Kasseler Tagung be­gann, trat der Vorsitzende Fürst Salm-Horstmar mit der Erklärung hervor, daß nicht nur General Keim, sondern das gesamte Präsidium sein Amt niederlege und daß bis zur Wahl eines neuen Präsidiums auf der ordentlichen Haupt­versammlung in Danzig zwei neutrale Herren die Vereins­geschäfte besorgen würden. Dann wurde auf Vorschlag des Vorsitzenden beschlossen, erstens die Vorkommnisse, die durch den Kölner Friedensschluß bereits erledigt sind, nicht mehr in die Debatte zu ziehen, und ferner, allerhöchste und höchste Herrschaften aus dem Spiel zu laffen. Die Bayern pro­testierten dagegen als einen Versuch, sie mundtot zu machen, aber die Mehrheit blieb dabei. Es ging sehr stürmisch her. In der Debatte wurde gegen den bayerischen Verein der Vorwurf erhoben, daß er Zentrumseinflüffen zugänglich sei, was von den Bayern entrüstet zurückgewiesen wurde. Reichs­rat Freiherr v. Würtzburg, der Vorsitzende des bayerischen Vereins, gebrauchte in dxr Hitze des Gefechts sogar die gutbajuvarische Wendung:Red'u nöt so dalket daher!" Ge­neral Keim selbst wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück und ersuchte, den alten Kurs auch fürderhin beizube­halten. Dann wurde Schluß der Debatte beschlossen und eine Resolution angenommen, worin dein Präsidium, in der Ueberzeugung, daß es gemäß den Kölner Beschlüssen gehan­delt habe, Dank und Vertrauen ausgesprochen wird. Ein anderer Antrag, dem Präsidium für seinen hochher­zigen patriotischen Entschluß, zurückzntreten, und sür seine Verdienste Anerkennung auszusprechen, wurde durch die Annahme der ersten Resolution sür hinfällig erklärt. Die Bayern, unterstützt im wesentlichen nur von den Berlin- Brandenburgern und den Badensern, blieben in der Minderheit und verließen nach der Abstimmung unter Protest das Lokal. Einer ihrer Vertreter rief aus, daß nun das Verbleiben der Bayern im Flottenverein unmöglich sei. Unterdessen hat man es sich doch noch anders überlegt; man will einstweilen dabei bleiben. Das Weitere hängt von der Danziger Tagung ab. In Kassel ist die Entscheidung noch nicht ge­fallen. Die Mehrheit des Vereins gehört der Richtung Keim an und möchte es offenbar auf eine Trennung an­kommen lassen.

B l o cks ch m e rz e n.

Die lebhaften, ja leidenschaftlichen Erörterungen, die durch die Wahlrechtserklärung des Fürsten Bülow im preußischen Abgeordnetenhause hervorgerufen worden sind, dauern fort­gesetzt an. Auf der Linken ist man gegen den Reichskanzler in einer sehr bitteren Stimmung, und es fehlt nicht an Aeußerungen, die dafür eintreten, um den Block in Brüche gehen zu laffen. Namentlich in der Freisinnigen Vereinigung ist solches Gelüst vorhanden, wo ja etliche heftige Gegner

Schwarzwälder Sonntagsblatt.

der Blockpolitik sich immer bemerkbar gemacht haben. Auch im demokratischen Lager ist man sehr aufgebracht. Allein es fehlt doch in allen drei Parteien der Linken nicht an Leuten, die den Kopf klar behalten und übereilte Schritte zu verhüten suchen. Man fragt sich, was es dem Liberalismus nützen könne, wenn der Block jetzt unverzüglich in die Brüche ginge und wenn gar Fürst Bülow zurückträte. Wer nach dem Fürsten Bülow kommen wird weiß Niemand, wohl aber weiß man, was nach dem Zerfall des Blocks kommen werde, nämlich eine neue Auflage der Zentrumsherrschaft. Und danach hat kaum ein Liberaler Verlangen. Das ist immer­hin ein starkes Bindemittel für den Block. Freilich, Opfer werden die Liberalen der Blockpolitik und dem Fürsten Bülow zuliebe künftig nicht mehr bringen, darüber besteht kein Zweifel. Unter diesen Umständen scheint dem Block kaum noch eine längere Dauer beschieden zu sein, was die Lösung der vorliegenden gesetzgeberischen Aufgaben durch ein Zu­sammenwirken der zum Block gehörigen Parteien mit der Regierung anbelangt. Ein sicheres Urteil über die Lage wird man indessen jetzt noch nicht abgeben können.

Aus dem Reichstag.

Der Reichstag hat in dieser Berichtswoche über die Interpellationen wegen einer reichsgesetzlichen Regelung des Knappschaftswesens eine mehrtägige Debatte gehalten. Den Anlaß dazu gaben die schweren Differenzen, die im Ruhr­revier zwischen den Bergarbeitern und den Unternehmern wegen eines neuen Knappschaftsstatuts (die Knappschaften sind Einrichtungen für die Unterstützung der Bergleute in Krankheits- und Jnvaliditätssällen) entstanden sind. Eine Einigung zwischen Unternehmern und Arbeitern konnte nicht erzielt werden, sodaß das neue Knappschaftsstatut behördlicher-

Miuisterialrai von Stieler,

der neue Leiter der württemberglschen Ztaatsbahnen.

seits in Geltung gesetzt werden mußte. Die Mißstimmung unter den Bergarbeitern ist außerordentlich groß, da sie sich benachteiligt und in ihrem Einfluß auf das Knappschafts- wesen ungebührlich verkürzt sehen, abgesehen von der finanziellen Seite namentlich auch durch die Art und Weise des Wahlverfahrens und der Verwaltung. Die Beschwerden der Bergarbeiter fanden im Reichstage sehr lebhafte Für­sprecher, und nach den Ausführungen der Redner aus den verschiedensten Parteien ist kein Zweifel, daß eine große Mehrheit des Reichstags die reichsgesetzliche Regelung des Bergwesens wünscht. Die Neichsregierung, in deren Namen Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg sprach, stellt sich freilich nach wie vor auf den Standpunkt, daß die Berggesetzgebung Sache der Einzelstaaten bleiben soll. Die Gründe für diesen Standpunkt können indessen nicht als stichhaltig anerkannt werden. Recht eingehend gestaltet sich auch die Erörterung über die Novelle zum Viehseuchengesctz, das eine Menge einschneidender Bestimmungen enthielt, auf die näher einzu­gehen im Rahmen dieser Uebersicht nicht möglich ist. Darin ist alles einig, daß der gründlichste Schutz des heimischen Viehbestandes vor Seuchen ein Gebot der Notwendigkeit ist. Aber über die Art und Weise dieses Schutzes im Einzelnen gehen die Ansichten erheblich auseinander. Besondere Wichtigkeit wird mit Recht der Entschädigungsfrage und der Frage der Einbeziehung der Tuberkulose beigemessen. Von der Linken her wird dem Gesetz eine agrarische Tendenz zugeschrieben, in der Richtung, die Grenzsperre gegen das Ausland rigoros aufrecht zu erhalten, was von der Rechten und auch vom Regierungstisch jedoch in Abrede gestellt wurde. Schließlich wurde der Entwurf an eine Kommission verwiesen, wo es möglich sein wird, die Einzelheiten genau durchzugehen. Als ein Beweis für die Gespanntheit der innerpolitischen Lage mag noch erwähnt werden, daß sowohl bei der Knappschafts-Interpellation wie bei der Viehseuchen­novelle, die an und für sich mit der Blockpolitik nichts zu tun haben oder ist etwa die Maul- und Klauenseuche eine Blockfrage? die durch die Wahlrechtserklärung des Fürsten Bülow im preuß. Abgeordnetenhause geschaffene Situation in die Debatte gezogen wurde. Von sozial­demokratischer Seite wurde was ja nicht verwunderlich

ist, in der schärfsten Weise die Wahlrechtsfrage hereingebracht; aber auch von Rednern der Linken wurde darauf angespielt, und ein Abgeordneter der freisinnigen Vereinigung erteilte sogar dem Fürsten Bülow in aller Form ein Mißtrauens­votum, das freilich einstweilen kein politisches Erdbeben verursachte. In der Dienstagssitzung wurde der Gesetzent­wurf über die Funkentelegraphie beraten Kommissions­verweisung und ferner die zweite Lesung des Gesetzent­wurfs über die Majestätsbeleidigungen und die erste Lesung des Scheckgesehes vorgenommen. Der Mittwoch brachte eine Erklärung des Reichskanzlers, nach welcher er es ablehnt, auf die Verhandlungen über das Landtagswahl­recht in Preußen einzugehen, da es eine innere Angelegenheit des preußischen Staates sei.

Das Polengesetz.

Im preuß. Abgeordnetenhause ist die Polenvorlage gegen die Stimmen der Freisinnigen, des Zentrums und der Polen angenommen worden. In Bezug auf das Enteignungsrecht, den hauptsächlich umstrittenen Punkt, hat das Kompromiß, das letzthin zwischen der Regierung und den Mehrheits­parteien vereinbart worden war, eine Abänderung erfahren, die von grundsätzlicher Bedeutung ist. Nach jenem Kom­promiß sollte das Recht zur zwangsweisen Enteignung polnischen Grund und Bodens für Zwecke der deutschen Ansiedlung auf bestimmte, genau bezeichnet« Bezirke beschränkt bleiben. Davon ist inan indessen wieder abgekommen. Das Enteignungsrecht wird vielmehr sür das ganze Gebiet der Provinzen Posen und Westpreußen gewährt, aber mit der Einschränkung, daß das Enteignungsrecht aus eine Fläche insge­samt von 70 000 Hektar begrenzt wird. Im Einklang damit ist die von der Regierung zur Auffüllung des Ansiedlungsfonds geforderte Summe herabgesetzt worden. Die preußische Regierung hat also, da die Zustimmung des Herrenhauses nicht zweifelhaft ist, ihre Absicht weitgehend erreicht. Ob der Zweck, den diese Ausnahmemaßregel gegen das Polentum erreichen will, wirklich erreicht werden wird, steht dahin. So viel ist sicher, daß der nationale Kampf im Osten dadurch noch wesentlich verschärft werden wird, und er ist wahrlich schon scharf genug. Aber dieser unglückselige Kampf ist so scheint es beinahe derart geworden, daß es darauf hinausgehen muß, wer der Stärkere ist, das Deutschtum und der Staat oder das Allpolentum.

O r d e n s s e g e n.

Das Krönungs- und Ordensfest, das am Sonntag in Berlin, wie alljährlich stattfand, hat auch diesmal ivieder eine gewaltige Fülle von Orden und Auszeichnungen ge­bracht. Nicht weniger als etwa 4000 Männer im deutschen Reiche sind des Segens teilhaftig geworden. Wer zählt die Leute, nennt die Namen, die alle einen Order: bekamen. Und so geht es jahrein, jahraus am Ordensfest, und zwischen­hinein noch manchmal und nicht zu knapp. Man sollte meinen, aller Knopflochschmerz im deutschen Vaterlande müßte allmählich gestillt werden. Aber es scheint, daß dieser Schmerz allen Balsams spottet. Die Knopflöcher sind uner­sättlich, und wenn der Ordenzum Halse heraushängt" ist es auch noch nicht einmal gut. Diesmal ist insbesondere eine große Zahl von Parlamentariern bedacht worden; vor allem sind es solche vom Block, und das veranlaßt böse Menschen, vonBlock-Orden" zu sprechen. Aber nicht nur Gerechte", sondern auchUngerechte" unter den Abgeord­neten haben etwas bekommen, beispielsweise der Zentrums­führer Spahn. Doch nein, zu denUngerechten" gehört Herr Peter Spahn nicht, .wenn er auch mit seiner Partei zurzeit grollend abseits steht. Er hat sich durch eine so hervorragende Flottenfreundlichkeit ausgezeichnet, daß ihm der NamePeter von der Waterkant" beigelegt worden ist. Doch genug davon. Nennen wir ein paar Namen, die eines Ordens teilhastig geworden sind. Da ist der nationalliberale Führer Bassermann mit dem Kronenorden 2. Klasse; unser Landsmann Prof. Hieber (natl.) mit dem Roten Adlerorden 4. Klasse, auch etliche andere Nationalliberale sind noch auf der Liste. Ferner verschiedene Konservative, was ja natür­lich ist, weniger natürlich ist die Ordensverleihung an Frei­sinnige. Diese pflegten sonst leer auszugehen, teils wegen mangelnder Gnade von oben, teils wegen ihres Männer­stolzes vor Königsthronen. Nun sind die freisinnigen Abgg. Kämpf, Meiner, Eickhoff, Fischbeck, Mugdan und Schräder dekoriert worden, in wohlausgemessener Gradabstufung, aber nicht zu hoch. Es gibt nicht wenige Leute im freisinnigen Lager, die von dieser Ordensauszeichnung nichts weniger als entzückt sind, weil sie ihnen politisch betrachtet, ein etwas unbehagliches Gefühl verursacht. Wie die Herren selber darüber denken, wissen wir nicht. Eine Vermutung haben wir immerhin, nämlich die, daß ihre Frauen (so sie eine haben) wahrscheinlich den Orden sehr nett finden werden.

Die Politik der Straße.

Die Sozialdemokratie hat zur Zeit eine große Vorliebe für Demonstrationen. Nach den Straßenkundgebungen für das Reichstagswahlrecht in Preußen veranstalteten sie am Dienstag in Berlin und auch in anderen preuß. Großstädten Versammlungen von Arbeitslosen. Nachher marschierte man in Zugskolonnen durch die Straßen. Das ging im allge­meinen ruhig von statten. Am Schiffbauerdamm aber kam es, da sich radaulustiger Großstadtpöbel ei. gesunden hatte, zu Zusammenstößen mit der Polizei. Diese zu Fuß und zu Pferde zog blank und es gab eine Anzahl blutiger Köpfe. Auch etliche Polizisten wurden verletzt.