Levssprecher Nr. 11.
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1877.
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Hlr. 23
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Samstag» den 9. Aebruar.
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1907
»
Die Landtagseröffnung.
Der alte ehrwürdige Halbmondsaal war gestern wieder einmal der Schauplatz des glanzvollen Vorgang- eiurr Landtagseröffnung. Die Bänke der Abgeordneten, welche früher durch die blauen Uniformen der ritterschaftlichen Abgeordneten einen gewissen Aufputz erhalten hatten, boten gestern da- etwas eintönige Bild einer ununterbrochenen Reihe von schwarzen Fräcken und Gehröcken dar; nur ganz rechts beim Bauernbund sorgte der Abg. Pergler v. Perglas mit seiner Laudwehrkavallerieuniform für eine kleine Unterbrechung. Auch in der Gruppe der Mitglieder der Ersten Kammer, welche durch die neuen, unserem Herrenhaus durch die Berfafsllngsrevifiou zugeführteu Elemente wesentlich verstärkt ist, hat sich der schwarze Frack jetzt ebenfalls seine Stellung erobert. Aber gegen die bnnten, farbenfrohen Uniformen und Ordensbänder vermag er hier doch noch nicht aufzukommeu. Hier waren gestern die Maltheser- und Johanniter-Uniformen mit den leuchtenden Ordensbändern in der Mehrheit. Sooft gab es württembergische und Preußische Militäruniformeu und die hieher verpflanzten blauen Uniformen der Ritterschaft. Unter der letztere« fiel der Freiherr Schenk v. Stauffevderg durch sein jugendliches Aeußere auf. Dir violetten Soutateu der beiden katholischen Prälaten uud die schwarzen Talare der protestantischen Prälaten mit dem goldenen Prälatrukreuz auf der Brust gaben dem Bild noch eine ganz prägnante Note. Die meiste Aufmerksamkeit unter den Mitgliedern der Ersten Kammer erregte Wohl Fürst Windischgrätz, den wir in seiner Eigenschaft als württembergische» Gesetzgeber zum erstenmal zu sehen bekamen : eine elegante Erscheinung mit großer Glatze, ganz der Typ eines österreichischen Aristokraten, der io der anspruchslosen Uniform eines österreichischen Jäger- obersten mit einem schmalen roten Ordensband darüber und dem Orden deS Goldenen BließeS sehr vornehm auSsah. Der Fürst legte als erster den Ständeeid in die Hand des Königs ab. Aach ein staatsrechtliches Unikum, daß ein Manu, der bisher diesen Stäudeeid noch nicht geleistet, doch schon immer, wenn auch io Vertretung, seine Stimme mit in die Wagschale unserer Gesetzgebung legen durfte.
Die Ehre, beim Eintritt des Monarchen iu den Saal das Kölligshoch auszubringev, war dem Abg. Dr. Häffaer- Mergentheim zugefallen. Frhr. v. Soden, welcher bet den beiden letzten Laudtagseröffnungeu iu seiner Eigenschaft alS Minister rechts vom Thron stand, war gestern alS Kabinetts- chef iu der Begleitung des Königs unter den Hofchargen auf der linken Throuseite. Bon den Mitgliedern der Zweiten Kammer legte der Abg. für Oberndorf, Andre, alS Erster den Stäudeeid ab und als Novum ist zu verzeichnen, daß dieses Mal auch die ueueiutretendeu Sozialdemokraten den Etd in die Hand des Königs ablegten, während ste früher bekanntlich vorgezogeu hatten, sich durch den Präsidenten beeidigen zu lassen.
Die Galerien waren von einem sehr zahlreichen Publikum besetzt. Iu der Diplomateuloge sah man u. a. den
Preußischen Gesandten Graf Plesseu-Cronsteru mit Gemahlin. » *
Nach der feierlichen Eröffnung deS Landtages durch den König (stehe TagrS-PM.) hielt die Abgeordneten- kammer gestern noch eine kurze geschäftliche Sitzung ab, in welcher der Alterspräsident, Abgeordneter Baut- leon, das Wort ergriff, um darauf hiuzuweiseo, daß er als ältestes Mitglied des Hauses nach H 167 der Verfassungs- Urkunde berufen sei, die Geschäfte deS Hauses zu führen, bis dieses einen Vorstand bestellt habe. In der letzten Tagung deS verflossenen Landtags habe es nicht au Momenten gefehlt, wo die Geister in diesem Hause sehr lebhaft aufeinander geplatzt seien; von dem Pflichtgefühl und der Vaterlandsliebe jedes einzelnen Mitgliedes sei aber zu erhoffen. daß alle sich rückhaltlos stellen auf die neugeschaffene verfassungsmäßige Grundlage, und daß jedes Mitglied dazu beitragen werde, daß auch die neue Verfassung dem Lande zum Wohl und dem württembergischeu Volk« zum Segen diene. Der Alterspräsident setzte darauf die nächste Sitzung auf Freitag vormittag 11 Uhr an mit der Tagesordnung: Entgegennahme deS Berichts deS Ständischen Ausschusses über die Legitimation der Abgeordneten, ferner Wahl deS Präsidenten.
Die Erst« Kammer hält ihre erste Sitzung ebenfalls heute ab. Auf der Tagesordnung steht die Wahl deS Vizepräsidenten, der Schriftführer, der Legitimatious- uud GeschäftSordoungS-Kommisfiou.
Die Fraktion des Bunde- der Landwirte uud der Konservativen hat den Abg. Stadtschultheiß Hang-Langenau
zum Borfitzenden, den Abg. Kraut zum Bizevorfitzendeu und den Abg. Körner zum Schriftführer ernannt. Die Fraktion zählt, nachdem der Aög. Beißwanger-Schorodorf ihr als Gast beigetreten ist, 15 Mitglieder. Der gestrigen Sitzung der Fraktion wohnte auch das Mitglied der Ersten Kammer, Domäuepächter Schmid-Platzhofan. — Nachdem gestern auSgegebeueu vorläufigen MitgliedrrverzeichniS der Zweiten Kammer ist übrigens der Abg. Beißwanger noch als „Wilder* angegeben, ebenso der Abg. Mülberger-Eßliugeu.
Zürn WaHLrefuLLaL.
Aom 8. Wahlkreis. Freudevstadt, 5. Febr. (Korr.) Das war heute ein Tag von besonderem Schlag, eine Wahlschlacht ist geschlagen, die mit einem glänzenden Sieg der vereinigten Liberalen gegenüber dem Zevtrum endigte. Mit 4472 Stimmenmehrheit hat unser Kandidat, Fabrikant H. Wagner-Calw gesiegt. Die Parole hieß: Nicht Andre! sondern der andre. Als dir Wahlresultate iu den Gasthöfeo, speziell iu beiden »Partei-Lokalen* bekannt wurden, wollte» die Beifallsrufe als Zeichen großer Begeisterung kein Ende nehmen. Das war eine patriotische Stimmung, die seit den Siegesfeiern 1870 kaum mehr wahrgenommeu werden konnte. Patriotische Reden ans Vaterland und Volk folgten Schlag auf Schlag und im gemeinsamen Gesang begeisternder Baterlaudslieder kam die Stimmung der versammelten Parteifreunde zum Ausdruck. Möge sich immer, wenn es gilt, für die Wohlfahrt des lieben Vaterlandes zu kämpfen, solche Einmütigkeit zeigen.
ss Mom 8- Wahlkreis, 7. Febr. So heiß umstritten wie diesmal war daS ReichStagsmaudat des 9. Wahlkreises noch nie. AlS die Parole der Sozialdemokratie: Für Schellhoru grgeu Haußmanu I bekannt gegeben war, entbrannte ein erbitterter Kampf. Bolkspartei und Deutsche Partei taten ihr Möglichstes und noch iu letzter Stunde wurde von diesen Parteien der redegewandte badische Land- tagsabgeorduete Maser aus Offeuburz zu Hilfe gerufen. Das Zentrum entfaltete in deu Bezirken Spalchiugeu uud Tuttlingen, auch iu Rottweil eine äußerst rege Tätigkeit, nur im Baliugrr Bezirk war die Agitation fl:u. Umso energischer setzte iu diesem eigensten Gebiete Haußmauus die Bolkspartei ein. Das Endresultat war das bereits gemeldete, überraschende. Die Sozialdemokraten hatten die Wahlparole zum großen Teile nicht befolgt, iu rein evang. Orten gingen sie trnppeuweise ius Lager der Bolkspartei über; eine Ausnahme machten hievon nur die organisierten Sozialdemokraten deS Tattlinger Bezirks. Daß iu Balingen die Genossen sich nicht an die Parole hielten, brachte der
Bolkspartei den Steg.
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So lange eS ParlameutSwahlen gibt, uud iu ihnen auf die Hauptwahlen Stichwahlen folgen, find die letzteren, von geringen Abweichungen abgesehen, stets im Sinne der erstereu ausgefallen, und meist haben sie sogar daS anfängliche Resultat noch iu verstärktem Maße bestätigt. Immer haben aber die Stichwahlen eine klare uud deutliche, gewichtige uud nachdrückliche Probe auf das Exempel gebildet. So ist es auch diesmal gekommen. Der Mensch hängt nun einmal am Erfolg, und da bei den Hanptwahleu in unverkennbarer Weise die Grundstimmnug des Volkes an das Tageslicht tritt, so wählen auch bei den Stichwahlen die allermeisten von denen, die sich zuerst noch zurückgehalten haben, im Sinne der Mehrheit. DaS ist nur natürlich, eS ist nicht allein bei uns iu Deutschland, sondern überall passiert. Und es kann sogar noch mehr geschehen, wie sich im ersten Berliner Wahlkreise, also gewiß einem solchen mit intelligenter Bevölkerung zeigte, die Stimmeozahl der Wähler der Minderheit, hier der Sozialdemokraten, ist nicht unerheblich von der Hauptwahl biS zur Stichwahl zurück- gegaugeu. Selbstverständlich gefällt daS deu Unterlegenen wenig, es wird darum nach besonderen Erklärungen gesucht, aber eS gibt keine andere, wie die oben mitgrtrilte, eS war eben immer so uud wird nach meuschlichem Ermessen immer so bleiben. Auch andere deutsche Politische Parteien haben diese schmerzhafte Erfahrung gemacht und haben sich darüber von den heutigen Besiegten manches scharfe Wort gefallen lasten müssen. Da haben wir die Erklärung für daS Stichwahl-Resultat, daS dem neuen Reichstag nun sein endgiltigrS Gesicht gegeben hat.
Es gibt ein bekanntes deutsches Sprichwort, daS heißt: »Allzu scharf macht schartig I' Uud die Sozialdemokratie hat daS vergessen, ste hat nicht beachtet, daß der Mensch nicht allein von politischem Hader lebt, sondern auch seine Rahe verlangt.
Wir wollen uns hüten, uuS für die Zukunft mit festen Prophezeiungen festzulegeu, das ist, wie die Herren Bebel uud Singer mit ihren Voraussagungen erfahren haben, eine recht unliebsame Sache. Aber das kann recht Wohl ausgesprochen werden, daß ein solcher kraftvoller Zug, wie er sich am 25. Januar uud am 5. Februar gezeigt hat, auch kein Strohfeuer ist, das mit einem Eimer voll Wasser wieder auSgelöscht werden kann.
Im Ganzen zählt der Reichstag, der nach einer im Reichsavzriger veröffentlichten kaiserlichen Verordnung am Dienstag, den 19. Februar zusammevtritt, etwa 225 Kolonial- freunde und 172 Kolouialgegner. AuS der Minderheit des 13. Dezember ist also eine recht ansehnliche Mehrheit geworden.
Die Freude über diesen Ausgaug der Wahl ward innerhalb der nationalen Parteien aller Orten laut, in der Reichshauptstadt führte sie zu begeisterten Huldigungen, die dem Reichskanzler uud dem Kaiser dargebracht wurden. Als das Wahlresultat iu seinen wesentlichen Zahlen bekannt geworden war, zog eine vieltausendköpfige Menge unter dem Gesang patriotischer Lieder zunächst zum Reichs- kaozlerpalaiS. Fürst Bülow erschien, dankte für die Kundgebung, betonte, daß ihn sein Vertrauen zum deutschen Volke nicht getäuscht habe uud erklärte, daß es der deutsche Geist, der unsterblich sei, gewesen, der die schönen Wahlerfolge errungen habe. Mit einem Hoch auf das deutsche Vaterland schloß der Kanzler unter stürmischem Jubel seine Ansprache. Nach dem Schloß, nach dem Schloß! ertönte nun der Ruf. »Deutschland, Deutschland über alleS" brauste es durch die Stille der Nacht, und uuterdenKläugeu diese- LiedrS marschierte die Menge, uuter der sich zahlreiche Studenten uud Offiziere iu Zivilkleiduug befanden, nach der Straße »Unter den Linden". Tiefes Bedauern rief eS hervor, daß die Lichter im krovpriozlichen PalaiS schon erloschen waren, pud daS krooprinzltche Paar sich nicht, wie am 25. Januar, deu Huldigenden zeigte. Da naht daS wohlbekannte Automobil, daS den von Potsdam zurück- kehrendeu Kaiser nach dem Schlosse führt. Begeisterte Hoch's and Hurra's. Der Chauffeur muß ganz langsam fahren, der Kaiser grüßt ununterbrochen iu herzlichster Weise. Dem Automobil nach, zum Schloß. Bald erscheint Prinz Adalbert an einem Fenster und ruft auf die Menge hernieder: Die Majestäten werden sofort kommen. Nicht ohne Mühe werden von Lakaien nach verschiedenen vergeblichen Versuchen die vereisten Balkontüren geöffnet. Alsbald erscheinen der Kaiser uud die Kaiserin. So spontane und gewaltige Ovationen, wie dort in der Nacht um ?/.1 Uhr find dem Herrscher selten dargebracht. Endlich herrscht Ruhe. Uud der Kaiser erinnert an das Wort deS Reichskanzlers »Deutschland kann reite», wenn es will" und fügt hinzu, es kann auch alles niederreiteo, was sich ihm eutgrgeustrllte. Beifällige Zwischenrufe, Bravo's uud Hurra's unterbrachen Len Kaiser bei seinen Ausführungen, die ebenso sehr gegen alle höfische Zeremonie verstießen, wie fie daS Hrrrscherpaar sichtlich erfreuten.
DaS Sttchwahlergrbuis vom Dienstag ist /eich au interessanten Einzelheiten. Mit besonderer Spannung war der Stichwahl iu Frankfurt a. M. entgegevgrseheu worden, das sich seit 1884 uuuuterbrocheu in sozialdemokratischem Besitze befand. Der Kolonialdirektor Deroburg hatte dort gesprochen und Bebel war grkommeo, am deu Eindruck der Deruburgschen Rede zu erschüttern zu versuchen. Der Sozialdemokrat wurde geschlagen, und der freisinnige BolkS- parteiler Oeser ging als Sieger hervor. Noch schlimmer stand eS iu Darmstadt, wo Gefahr im Verzüge war, daß der sozialrevolutiouäre Berthold, der Nachfolger deS »Hofgängers* Kramer, siegte. Mit beinahe 2000 Stimmen Mehrheit ging der Nattonalliberale Osann alS Sieger aa- drr Wahl hervor. In München I, daS Jahre lang im Besitze der Sozialdemokraten war, siegte der Nationalliberale Wölzl über deu Sozialdemokrateu. Abg. Eickhoff, der in Lennep den Sozialdemokrateu verdrängte, war bereit- in seinem Wahlkreis Mülhausen-Langensalza gewählt worden. Vielleicht kandidiert nun iu dem sichersten der beiden Wahlkreise der AmtSgenosfe des doppelten Maudatiuhabers, Lehrer Marten, der als Kandidat der freisinnigen Volks- Partei uud bisheriger Vertreter deS Herbert BiSmarckscheu Wahlkreise- Jericho» dem Konservativen v. Byern unterlag.
Die »Nordd. Allg. Ztg.* schreibt u. a.: Die Patriotischen Kundgebungen der Nacht vor dem Königlichen Schloß uud dem Hause des Reichskanzlers haben gezeigt, daß die Bevölkerung Berlins sich über die Bewertnug der Wahlergebnisse sofort klar gewesen ist. Die freudige Ge-