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nach seiner anfänglich schwachen Haltung der Kanzler England gegenüber gefunden hat. Der „Berliner Lokalanzeiger" sagt: „Der letzte Tag der gestern beendeten Legislaturperiode hat dem deutschen Volk noch eine große Freude gemacht. In einer Rede voll Ernst und Würde hat der Reichskanzler auf die Marokkodebatte im englischen Unterhaus geantwortet und die Art, wie er diese notwendige Aufgabe löste, wird in allen deutschen Herzen ein Gefühl froher Genugtuung zurücklassen." Das „Berliner Tageblatt" schreibt: „Die Rede des Reichskanzlers hat nichts entkräftet von alledem, was man in Deutschland gegen die Beth- mann-Hollweg'sche Politik vorbrachte. Aber man darf konstatieren, daß sie den Worten, die in England gefallen sind, passende und klare Worte gegenüberstellte." Die Voss. Zeitung konstatiert: „Kaum jemals seit vier Jahrzehnten hat ein Reichskanzler vor der Vertretung des deutschen Volkes so ernste Töne angewandt, wie gestern Hr. v. Beth- mann-Hollweg. Sir Edward Erey sprach fest und zuversichtlich, Herr Vethmann-Holl- weg ist an Kräftigkeit und Zuversichtlichkeit nicht hinter ihm zurückgeblieben." Dem Berliner Börsenkurier brachte die gestrige Rede keine Enttäuschung. Gewiß suchte Hr. v. Bethmann-Hollweg die mit Recht angegriffene Geheimniskrämerei im Sommer und Herbst zu verteidigen. Aber das Eingeständnis war doch charakteristisch, daß man im Reichstag von Anfang an mehr getan hätte, hätte man gewußt, was Erey erzählen werde." Die Deutsche Tageszeitung stellt mit Genugtuung fest, daß der Reichskanzler jetzt den Ton gefunden habe, der dem Ernst der Sachlage und dem Empfinden des deutschen Volkes entspreche. Sie schließt mit der Befriedigung darüber, daß auch der Reichskanzler doch etwas anders über die Dinge denke, als vor drei Wochen. Die Germania betont: „Die gestrige Rede Bethmanns war wohldurchdacht. nach Form, Inhalt und Stil gleich gut. Zu bedauern sei nur, daß Hr. v. Beth- mann nicht schon am 9. November England gegenüber die gleiche Offenherzigkeit zeigte." Als erfreuliches Moment der Debatte betrachtet sie es, daß die. unnatürliche Spannung zwischen den Konservativen und der Regierung durch die Haltung Bethmann- Hollwegs nunmehr behoben sein dürfte. Noch viel erfreulicher sei, daß der Reichskanzler endlich die Worte gefunden habe, die man jenseits des Kanals verstehen werde.
Tripolis 6. Dez. (Agenzia Stef.) Hier und in Ainzara verlief die Nacht ruhig. Auf die Meldung, daß eine 2000 bis 3000 Mann starke feindliche Abteilung sich noch heute morgen etwa 7 Kilometer östlich von Ainzara befand, ging die Division Eeraldi, unterstützt von der Brigade Reinaldi, erneut zum Angriff vor. Eine auf Tachuna vorgegangene Eskadron bemerkte mehrere auf dem Rückzug befindliche Karawanen und griff eine von ihnen an und tötete 5 Mann der bewaffneten Arabereskorte, verwundete viele und nahm 8 gefangen. Die Division Eeraldi stieß auf erwähnte feindliche Abteilung. Nach kurzem Vorpostengefecht ergriff der Feind die Flucht. Er ließ viel Munition, Getreide rc. zurück. Der Gesundheitszustand der Truppen ist ausgezeichnet. Die Eesamtverluste - der Italiener sind 1 Offizier und 16 Soldaten tot, 94 Soldaten verwundet. Vom Kriegsgericht wurden 14 Eingeborene unter der Beschuldigung, verräterisch italienische Soldaten getötet zu haben, zum Tode verurteilt.
Vermischtes.
(Weinachtsverkehr bei der Post.) Für
den gesteigerten Päckereiverkehr vor Weihnachten sind von der Postverwaltung besondere Maßnahmen durch Vermehrung der Beförderungseinrichtungen, der Arbeits
kräfte usw. getroffen worden. Den Aufgebern von Weihnachtssendungen wird aber dringend empfohlen, die Einlieferung zur Post nicht erst in den letzten Tagen vor dem Christfest, sondern möglichst frühzeitag zu bewirken, die Sendungen fest und dauerhaft zu verpacken und mit deutlicher, vollständiger und haltbar befestigter Aufschrift zu versehen. Die Einlieferung zur Post sollte nicht kurz vor Schalterschluß, sondern etwas früher erfolgen.
(Barfrankierung der Postsendungen.)
Bei dem Umfang, den die Barfrankierung von Briefsendungen in Bayern genommen hat — es handelt sich um nahezu 2 Mill. Sendungen im Monat — ist die Reichspostverwaltung nochmals in die Prüfung der Frage eingetreten, ob sie jene Einrichtung auch im Reichspostgebiet zulassen soll. Geschieht letzteres nicht, so wird auch die wllrttembergiche Postverwaltung die bis jetzt in größeren Städten bestehende Barfrankierung von Ortsdrucksachen ausdehnen.
(Neue Versicherungsmarken.) Das
4. Buch der Reichsversicherungsordnung „Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung" tritt mit dem 1. Januar 1912 in Kraft. Demzufolge werden neue Versicherungsmarken ausgegeben und zwar: Ein-, Zwei- und Dreizehnwochenmarken für die Lohnklasse 1—5 zu 16 bis zu 6 ^ 24 sowie eine Zusatzmarke für freiwillige Zusatzversicherung zu 1 . //. Mit dem Verkaufe der neuen Marken wird am 27. Dezember begonnen. Die alten Versicherungsmarken werden noch bis zum 30. Juni 1912 von den Postanstalten weiter verkauft. Da die alten Marken nur für Zeiten, die vor dem 1. Januar 1912 liegen, zu kleben sind, wird das Publikum beim Ankäufe von Versicherungsmarken in den ersten Wochen nach dem 1. Januar 1912 durch die Schalterbeamten ausdrücklich befragt, ob Bersicherungsmarken für die Zeit vor dem 1. Januar 1912 oder ob solche für die Zeit nach dem 1. Januar 1912 gebraucht werden. Vom 1. Juli ab werden alte Marken nur noch von den Versicherungsanstalten an das Publikum verkauft. Bis zum 31. Dezember 1913 können alte Marken gegen neue Marken bei den Postanstalten noch umgetauscht werden, wenn sie nicht verdorben sind, in barem Geld darf der Wert solcher Marken nicht erstattet werden.
Eingesandt.
Hirsau 6. Dez. Im Lauf dieses Sommers, so hieß es, wurde von den Ee- meindekollegien Hirsaus beschlossen, unseren sog. Stadtgarten um ein Beträchtliches durch Neuanlagen zu vergrößern, und zwar mit einem Kostenaufwand von ca. 20000 Mk. In letzter Zeit, hörte man, sei die Ausführung dieses Plans wegen anderer Fragen, der Nagolduferkorrektur und Brllckenver- breiterung, auf unbestimmt vertagt worden. So begrüßenswert einerseits der Entschluß der Eemeindekollegien war, durch Bewilligung erheblicher Summen Hirsau als Luftkurort zu heben, so fragt es sich doch andererseits, ob gerade die Ausführung des genannten Projekts die daran geknüpften Erwartungen zu erfüllen im Stande gewesen wäre.
Der Einsender und mit ihm wohl manche andere Ortsbewohner hegen in dieser Hinsicht erhebliche Zweifel und sehen die Zurückstellung des Projekts als ein glückliches Ergebnis an. Die Kurgäste, die das ganze Jahr über und besonders im Sommer hierherkommen, sehnen sich vor allem anderen nach dem Wald und nach keinem „Stadtgarten". Unsere herrlichen Wälder locken und ziehen die Fremden an. Dorthin, wo unverfälschte Natur, würzige Luft und Ruhe sich finden, eilen die Scharen der Stadtbewohner. -Was aber sollen sie in dem geplanten „Stadtgarten" suchen und finden? Parkanlagen finden sich an vielen Orten, fast in jeder größeren Stadt, aber Wälder, wie wir sie hier haben, sind selten. Nicht einmal Ruhe finden unsere Gäste in
unserem Ort und seinen Anlagen, wie sie es verlangen können. Wenn man z. B. sich erinnert, wie in diesem Jahr — und auch jetzt noch oft genug — bei Tag und Nacht stundenlang Hundegebell die Luft erschüttert, muß man da nicht bedenklich den Kopf schütteln, wenn die ersten und einfachsten Vorbedingungen, die zu einem Kurort gehören, nicht einmal beobachtet werden? Auch die K. württ. Staatseisenbahn könnte mehr zur Ruhe beitragen; bei Tag - und besonders bei Nacht, bei den Frühzügen, hört man sehr häufig ein langanhaltendes, schrilles Pfeifen der Lokomotiven, das ganz gewiß zum Betrieb nicht notwendigerweise gehört, die Bewohner des Orts aber jäh aus ihren Träumen rüttelt.
Dem Einsender fällt es schwer, triftige Gründe zu finden, welche die Notwendigkeit der Erstellung eines Parks erklären. Zur Hebung der Schönheit unseres Tales ist ein solcher nicht nötig. Unser Tal ist von Natur so schön, daß künstliche Anlagen eher seine Schönheit beeinträchtigen, als erhöhen können. Die Gründe, warum Hirsau als Luftkurort nicht emporkommen will, liegen anderswo. Vor allem ist Schuld daran die Wohnungsfrage. Seitdem in letzter Zeit verschiedene Fremdenpensinnen sich aufgetan haben, ist es zwar besser geworden, aber im allgemeinen muß man sagen, daß die Unterkünfte nicht auf der Höhe sind. Unsere Easthöfe, das kann nicht verschwiegen werden, entsprechen nicht den Anforderungen der Neuzeit. Natürlich kann hier nicht von heute auf morgen Wandel geschaffen werden, aber Unternehmungsgeist und Fleiß werden es doch zuwege bringen, daß auch hier der Fortschritt sich mehr und mehr Bahn bricht.
Des Weiteren sollte für die Sauberkeit des Ortes mehr geschehen; bei Regenwetter ist es fast unmöglich, vom Bahnhof über die Nagoldbrücke zu gelangen oder den Villenweg zu begehen, ohne in Schmutz fast zu versinken. Außerhalb des Ortes, an den Straßen nach Calw, Wildbad, Ernstmühl, ist durch Trottoirs besser gesorgt, als innerhalb. — Die Ortsbeleuchtung ist ungenügend. Vom Bahnhof herab bis zur Calwer Landstraße sind ein Trottoir und bessere Beleuchtung dringend nötig. — Die Freizügigkeit der Kühe dient auch nicht jedem Fremden zur Beruhigung.
Mit das Wichtigste ist aber die Zugänglichmachung des Waldes. Die Waldwege sind absolut nicht so beschaffen, wie ein besserer Kurort sie seinen Gästen bieten soll. Vielfach sind die Wege zu steil angelegt, besonders gerade im ersten Anstieg. Die Sitzplätze sind äußerst dürftig und oft baufällig. Manche Wege sind durch gefällte Baumstämme monatelang, selbst im Sommer, gesperrt. Wenn die Gemeindekollegien einen größeren Beitrag bewilligen würden, um im Verein mit dem K. Forstamt die Erschließung unserer Wälder tatkräftig in Angriff zu nehmen, so würden sie sich sicherlich den allergrößten Dank unserer Gäste erwerben. Wir wollen den ganzen Wald, der ringsum uns umgiebt, als unseren Park betrachten, nicht nur die kleine Wiese an der Nagold.
Es ist des Einsenders feste Ueberzeu- gung, daß die projektierten Kuranlagen hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Fremdenverkehr in Hirsau nicht den Erwartungen entsprechen würden, wenn nicht vorher die viel wichtigeren, oben angedeuteten Punkte ihre Erledigung gefunden haben.
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