Gnliiier Woiütnüloli.
Dienstag
Um die Heimat.
44) Roman von Bruno Wagone r.
(Fortsetzung.)
So sprach denn der Baron mit seiner Tochter. Mit einem wehen Lächeln hörte sie, wie er am Ende seiner Auseinandersetz- »ungen über ihre Vermögenslage das Opfer von ihr verlangte, das die Rettung bringen sollte. Nicht mehr wie damals, heftig und aufgebracht, drang er auf sie ein. Der arme Vater war ein anderer geworden in der kurzen Zeit. Die Sorgen hatten ihn aufgerieben. Müde und hoffnungslos sprach er mit ihr. Das machte einen viel tieferen Eindruck auf sie, als es damals sein aufbrausender Zorn vermocht.
Er hatte ihr alles klargelegt. Wenn es jetzt zum äußersten kam, so war das Gut nicht zu halten. Die ersten Hypothekengläubiger würden befriedigt werden. Aber es war nicht anzunehmen, daß sich ein Liebhaber fand, der das Gut zum vollen Wert übernahm. Es würde wahrscheinlich tief unter dem Preise losgeschlagen werden und kaum die letzte Hypothek decken. Das Wirtschaftsinventar und die Hauseinrichtung würden nicht ausreichen, die llbrigenSchulden zu bezahlen. Es war der volle Zusammenbruch, der bevorstand.
Sie hatte das alles kommen sehen. Seit einem Jahre — seit sie den Vater oft in der Wirtschaft vertreten hatte, ahnte sie, wie schlimm es stand. Und nun verlangte der Vater von' ihr das Opfer, den Mann zu heiraten, der die Rettung bringen sollte.
War es denn zu viel verlangt? Im stillen sagte sie sich, daß Hunderte von Vätern dieses Opfer forderten, Hunderte von Töchtern es brachten. Und sie? Den alten Vater aus Haus un2> Hof ziehen lassen, arm und hoffnungsleer, — den Bruder, den sie zärtlich liebte, seines Erbes berauben?
Sie war aufgestanden und neben den Stuhl getreten, auf dem ihr Vater saß — ein kranker, gebrochener Mann, den die letzte Spannkraft verlassen, seit er seine Last von seiner Seele heruntergesprochen hatte. Leise legte sie ihren Arm um seinen Hals und seine kalte Wange an sein Gesicht.
„Laß mir bis morgen Zeit," sagte sie. „Wenn uns bis dahin kein anderes Mittel einfällt, dann magst Du zu dem Vetter gehen und ihm sagen, daß ich seine Frau werden will.
Kein anderes Mittel! Ruhelos ging sie in ihrem Zimmer auf und ab und sann und sann. Warum wollte sie denn das Opfer nicht bringen, das man ihr zumutete? Sie dachte an jenen Pfingsttag, an dem sie neben Franz von Gudow auf der Chaussee dahingegangen war und er ihr seinen Antrag gemacht hatte. Damals hatte sie ihn abgewiesen, und nun sollte sie ihn rufen lassen und ihm sagen: „Hier bin ich, Nimm mich, wenn Du mich heute noch willst." Wenn er dann fragte, was ihren Sinn gewandelt, dann mußte sie sagen: „Du sollst mich nicht umsonst haben ich fordere einen festen Preis für meine Hand." Und er? Würde er sich nicht voll Verachtung abwenden von der Braut, die sich ihm verkaufen wollte?" Alice von Vählow lächelte bitter. Nein. Es war nicht wahrscheinlich, daß er so empfinden würde. Er würde höchstens sagen: „Siehst Du, Kusinchen, ich habe gleich gesagt, daß Du doch noch meine Frau wirst." Und dann würde sie heiraten, und ihr Mann
Beilage z« Nr. 28 ».
würde ihres Vaters Schulden bezahlen. War das so furchtbar? Es war im Grunde genommen etwas ganz Alltägliches.
Oder doch nicht? Da war noch das eine: Franz von Gudow wußte, daß sie einen anderen geliebt hatte. Er hatte ihr damals seinen Namen genannt. Und nun sollte sie zu ihm gehen und ihm sagen: Jener andere ist längst verheiratet; jetzt bist Du gut genug für mich." Wenn der Vetter sie dann aber fragte: „Du liebst den Schulmeister also nicht mehr?" Sollte sie lügen? Nein, dann würde sie ihm sagen müssen: „Ich habe nie aufgehört, ihn lieb zu haben, auch da er für mich verloren ist; und ich werde auch nie aufhören, ihn zu lieben und an ihn zu Senken."
Dann würde Franz von Gudow sie doch heiraten, das wußte sie genau. Ihm würde ihre romantische Grille keine Kopfschmerzen machen. Er kannte sie ja gut genug und durfte sich darauf verlassen, daß sie ihm die korrekteste Gattin sein würde, trotz ihrer Schwäche für den Schulmeister. Sie sah im Geiste schon des Vetters spöttisches Lächeln, wenn er seiner Braut die Hand küssen würde.
Aber wenn sie dem Vetter nun Unrecht tat? Er war oberflächlich, leichtsinnig. Doch er war Offizier und Edelmann, und die Schwester ihrer verstorbenen Mutter war seine Mutter gewesen. Gab es nicht doch vielleicht einen Ausweg? Wenn sie zu ihm fuhr und ihm die volle Wahrheit sagte — ihm sagte, daß sie sich tief gedemütigt fühlen würde, wenn sie ohne Liebe seine Frau werden sollte, — daß sie sich an seine Großmut wendete, ihrem Vater zu helfen, und daß sie ihr Schicksal in seine Hand legte, einerlei, ob er das Opfer annehmen oder ihr helfen wollte — uneigennützig als ein Freund, dem sie danken und den sie hochschätzen wollte ihr Leben lang?
Wie ein Fieber überkam es sie. Das war der letzte Weg, den sie betreten mußte. Niemanden wollte sie vorher etwas sagen. Noch heute mußte sie zu ihm. Sie wußte, daß er seit einigen Tagen auf seinem Gute anwesend war. Es dunkelte schon. Einerlei. Sie ließ den Kutscher rufen und bestellte selbst den leichten Korbwagen; aber er sollte nicht vor der Haupttllr Vorfahren, sondern am Seitengang, damit ihr Vater nichts merkte. Wenn sie es ihm gesagt hätte, würde er sie vielleicht zurückgehalten haben.
Einen Augenblick überlegte sie, ob sie Bernhard mitnehmen sollte. Aber die Fahrt dauerte gut zwei und eine halbe Stunde, denn ihres Vetters Gut lag jenseits des Sees, nach der mecklenburgischen Grenze zu, und es war kalt und feucht. So fuhr sie denn allein mit dem jungen Kutscher in den nebligen Abend hinaus.
Der Baron von Vählow hatte sich den braunen Lodenmantel umgehängt und die runde Jagdmütze aufgesetzt. In die Rocktaschen steckte er einen Packen voll Schriftstücke, die er dem Geheimfach seines Schreibtisches entnommen. Dann griff er nach dem dicken Krückstock und verließ das Haus. Nur dem alten Diener hatte er gesagt, daß er noch in Neuendamm zu tun hätte. Nun schritt er die Chaussee entlang — ganz allein, und der Diener sah ihm kopfschüttelnd nach. Der gnädige Herr war doch so schlecht zu Fuß, und nun nahm er nicht einmal den Wagen.
Aber der Baron wollte kein Aufsehen erregen. Der Gang, den er jetzt vor hatte,
5. Dezember 1911.
war vielleicht der schwerste seines Lebens. Doch es half nichts, er mußte getan werden. Wenn einer ihm helfen konnte, dann war es der alte Stahmer in Neuendamm. Der Mann war sehr reich. Wenn er die gekündigte Hypothek übernahm und ihm das Geld für den Wechsel vorschoß, dann war Poggenhagen zu halten.
Aber es hatte dem Baron eine schwere Ueberwindung gekostet, ehe er sich zu diesem Schritt entschlossen. Der Gutsherr sollte zum Bauern gehen und dessen Hilfe in Anspruch nehmen! Freilich, Stahmer war kein gewöhnlicher Bauer; aber die Demütigung für den Baron wurde dadurch nicht geringer. Nur die Verzweiflung, die er in den Augen seiner Tochter gesehen, hatte den stolzen Freiherrn dazu gebracht, auch diesen letzten Versuch noch zu machen. Sollten seine Kinder büßen was er durch seine schlechte Wirtschaft verschuldet hatte? Wenn Stahmer half, brauchte Alice den Vetter nicht zu heiraten.
Im Dorfe war alles still. Aus den Fenstern der Häuser schimmerte mattes Licht. Nun tauchte der große Stahmersche Hof aus dem Dunkel auf. Einen Augenblick stand der Baron zögernd vor der Tür. Er warf einen Blick durch das Fenster in die hell erleuchtete Stube. Am Tische saß der alte Bauer mit den weißen Haaren und dem glattrasierten Gesicht, das so feste Züge aufwies, als seien sie aus Holz geschnitzt. Ihm gegenüber beugte sich Heinrich Stahmer über die Zeitung, aus der er dem Alten vorlas. Sie waren also allein.
Mit schnellem Entschlüsse drückte der Gutsherr auf den Türgriff. Nun ging die Hausklingel, laut und schrill; und gleich darauf stand in dem Türrahmen die hohe Gestalt des Hoferben, der verwundert nach dem Begehr des späten Gastes fragte. Dann erkannte er den Baron und führte ihn ins Zimmer, nachdem er ihm Mantel und Hut
abgenommen hatte.-
Als der Freiherr von Vählow zwei Stunden später aus dem Hof trat, taumelte er wie ein Schwerkranker. Er mußte sich fest auf den Eichenstock stützen, den er in der Hand trug. Aber seine Linke preßte sich unwillkürlich auf die Vrusttasche, in der er ein Stück Papier verwahrte, das ihm die Rettung aus der Not verhieß. Der alte Christian Heinrich Stahmer, Doppelhufner in Neuendamm, verpflichtete sich darin unter ausdrücklicher Zustimmung seines Sohnes und Erben Johann Heinrich Stahmer, vorbehaltlich der im Laufe der nächsten Tage zu treffenden materiellen Abmachungen und der Eintragung ins Grundbuch, die ausfallende Hypothek von sechzigtausend Mark auf Poggönhagen zu übernehmen, die Wechsel über zwanzigtausend Mark auf Akzept des Barons von Vählow einzulösen und den Betrag auf das Gut eintragen zu lasten.
Aber dann kam das andere; und der Baron fühlte, daß er das nie verwinden würde; und es war doch die Bedingung gewesen, unter der allein der alte Stahmer das Geld hatte hergeben wollen. Der Freiherr von Vählow verkaufte an den Bauern hundert Morgen besten Weizenbodens und schöner Wiesen, die unmittelbar an die Neuendammer Feldflur stießen; und Stahmer hatte mit dem Preise nicht lange gedrückt, wie das sonst wohl Bauernart war. Er hatte auch seinen Stolz und wollte den nachbarlichen Gutsherrn nicht übervorteilen.
(Fortsetzung folgt.)