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1898.
^ De<r Gtzrnerlirst.
Bei einer Anzahl von Urteilen schwererer Natur er- kennen die Gerichte, wie bekannt, sür eine Reihe von Jahren auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Es wird die Frage aufzuwerfen sei», ob die Zeitdauer, für welche dieser Verlust ausgesprochen ist, stets richtig, das heißt genügend ist, und ob die heutige Form dieser Aberkennung der Ehrenrechte den Zweck erfüllt, zu welchem sie verhängt wurde. Es ist heute leider ja dahin gekommen, daß nicht wenige Verbrecher das Zuchthausleben der Gefängnisstrafe sogar vorziehen, daß das Elftere für sie in der gegenwärtigen Strafart jedenfalls nichts Abschreckendes hat. Und was ist dann ein Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf einige Jahre solchen Leuten? Das sind recht dunkle Stellen in unserer heutigen Strafrechtspflege.
Der deutsche Strafvollzug ist milder, als in manchem anderen Staat. Denken wir daran, wie in Rußland die schweren Verbrecher nach den ostasiatischen Bergwerken geschafft werden und wie sie dort zu arbeiten haben, dann führen unsere Zuchthäusler ein beinahe idyllisches Leben. Es muß zugegeben werden, daß auch in Rußland durch diese Deportation die Verbrechen nicht aufgehört haben, kaum vermindert sind, aber es ist doch eine Sühne, die der Schwere der That entspricht. Vielleicht ist die Sühne sogar zu schwer, aber ein Mangel an Abschreckendem, wie bei uns die Zuchthausstrafe für viele Verbrecher hat, ist jedenfalls auch nicht das richtige.
In Oesterreich wird bei schweren Verbrechen noch häufig auf Fasten an bestimmten Tagen, auf Dunkelarrest und andere Strafverschärfungen erkannt. Bei uns treten Verschärfungen in der Zuchthausstrafe nur ein, wenn sich der Verbrecher iw Zuchthause selbst widerspänstig zeigt. Wir hoffen sehr auf Besserung, aber wie viele rückfällige Verbrecher haben wir? Das Zuchthaus hat, wie es heute ist, keine große erziehende Wirkung, von Autoritäten auf diesem Gebiete ist es oft genug ausgesprochen: Zuchthäusler sind meist für die menschliche Gesellschaft verloren. Darum sollte aber der Zuchthausstrafe wenigstens ein deutlicherer Straf-Charakter ausgeprägt werden; ins Zuchthaus sollen die Verbrecher nicht hineintanzen, sie sollen es fürchten.
Frankreich hat heute noch seine Deportationsorte. Der furchtbare Aufenthalt in Cayenne, dem Lande der „trockenen Guillotine", ist wohl noch entsetzlicher, wie der in den russischen ostasiatischen Bergwerken. Es ist auch noch gar nickt so lange her, daß den zu Zwangsarbeit verurteilten französischen Verbrechern die kennzeichnenden Buchstaben „P. F." eingebrannt wurde. Ebenso ist noch nicht viel Zeit verflossen, daß in England mit der neunschwänzigen Katze geprügelt wurde, bis das Blut vom Rücken lief.
Alles das sind unerfreuliche Bilder! Aber im Kampfe der Gesellschaft mit Rohheit und Brutalität darf sie nicht mit stumpfen Waffen fechten. Die Strafe soll nicht in grausame Härte ausarten, wir wollen den zu Boden Gestürzten nicht für immer am Boden halten, aber die Strafe muß gefürchtet sein. Dahin gehört auch die Frage vom Ehrverlust! Giebt es kein Mittel, um diese Strafe wirklich als eine solche erscheinen zu lassen?
Wir haben ja eine ungemein weitreichende Gleichgiltigkeit gegen solche Gesetzesbestimmungen, die sich nur auf das „Moralische" beziehen. Für jeden auf Ehre haltenden Menschen ist es etwas Fürchterliches, sich in die Lage zu versetzen, daß trübe Verhältnisse und Schicksalsschläge ihn zwingen könnten, den Offenbarungseid zu leisten. Er würde vielleicht in seinem ganzen Leben keine frohe Stunde mehr haben. Und wie Viele machen sich daraus rein gar nichts? Namentlich in unseren Großstädten ist die Zahl der „Manifestanten" heillos groß.
Wir müßten in solchen Angelegenheiten eine größere Oeffentlichkeit haben. Wer einen solchen moralischen Defekt davon getragen hat, der denkt, wenn er ist, wie die Meisten: Das haben die Leute bald wieder vergessen! Er geht hin und trinkt einen Schoppen über den Durst. Gerade so, wie wir für manchen Verbrecher eine handgreifliche Strafverschärfung gebrauchen könnten, so müßte auch bei Ehrverlust, Offenbarungseiden rc. leichtfertigen Gemütern mit aller Bestimmtheit klar gemacht werden, daß es sich um bitteren Ernst und nicht um einen juristischen Spaß handelt. Worte thun nicht weh!, so denkt diese Kategorie. Aber sie muß merken, daß Worte nicht Schall sind, daß sie auch treffen. Mildernde Umstände herzlich gern Dem, für den sie angebracht sind. Wer aber mit dem Gesetze spielen zu können vermeint, den soll es auch treffen!
LsrservstttU.
Kiautschou ein Jahr in deutschem Besitz. Am heutigen Montag ist ein Jahr verflossen, seitdem Deutschland durch
den Kommandanten des ostasiatischen Geschwaders, Vizeadmiral v. Diederichs, von der Bucht von Kiautschou nebst Umgebung Besitz ergriffen hat. Diese Besitzergreifung ist bekanntlich durch einen deutsch-chinesischen Vertrag ratifiziert worden, sie bedeutet einen außerordentlich hervorragenden Fortschritt zur Konsolidierung der deutsch-asiatischen wirtschaftlichen Beziehungen.
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Der Philosoph Eduard von Hartmann ist nicht für den Abrüstunqsvorschlag des Zaren. Er sagte einem Berichterstatter: „Der militärische Dienst ist — das können nur Unwissende leugnen — eine körperliche und sittliche Schule . . . Sollte die vorgeschlagene Abrüstung eintrrten, so würde Europa in einen Zustand der Hinfälligkeit, der Verwirrung und des unvermeidlichen Verfalles stürzen, der dem der Völker Griechenlands nach dem peloponnestschen Kriege gleichkäme. Ich muß mich gegen die Meinung aussprechen, die man sich so sehr bemüht, in Aufnahme zn bringen, als ob die Rüstungen die Nationen erschöpften. Das ist ein Vorurteil oder vielmehr ein tatsächlicher Irrtum! That- sache ist, daß die Rüstungen der europäischen Staaten niemals so in die Höhe geschraubt waren, wie gegenwärtig, und dennoch war niemals der öffentliche Reichtum so bedeutend, wie augenblicklich. Auch wird England sich fernhalten, weil jedermann sagt, daß Rußland nur deshalb zu Lande abrüste, um sich zur See besser bewaffnen zu können. Mit den Ersparnissen, welche es machen würde, indem es seine Rüstungen auf dem Lande auf die Hälfte oder zwei Drittel vermmdert, würde es sich eine ungeheure Flotte heranbilden können, bestimmt, sich mit der Flotte Großbritaniens zu messen. Es ist deshalb natürlich, daß diese letztere Macht von Abrüstung nichts wissen will.
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Englands Flotte ist mächtiger als alle anderen Flotten zusammen. Sie ist nicht an Schiffen stärker, aber sie hat in allen Weltteilen Stützpunkte und Kohlenhäfen, während andere Flotten nur hier und da Kohlenplätze haben. Ohne Kohlen ist aber das modernste Panzerschiff nicht mehr wert als ein Wrack. Das muß vor allem auch Deutschland beherzigen. Wir haben ein bedeutendes Geschwader in Ostasien, wir haben kleinere Streitkräfte detachiert in Afrika, in Westafrika, in der Südsee rc. Für keines dieser Geschwader besitzen wir gegenwärtig im Auslande selbst irgend einen Stützpunkt. Der erste Anfang hierzu ist der Hafen von Kiautschou, welcher für die wichtigste ostasiatische Station als Flottenstützpunkt im Werden be- griffen scheint. In unseren einzelnen Kolonien besitzen wir keinen Flottenstützpunkt, in anderen Teilen der Welt ebensowenig. Wir besitzen ferner keinerlei nennenswerte Kohlenstationen im Auslande, welche in der Lage wären, unsere Seestreitkräfte im Falle irgend einer Verwicklung mit deren notwendigstem Bedürfnis, der Kohle, auszurüsten. Ueberall sind wir auf Fremde, meist auf England, angewiesen. Zu welchen Folgen das führen kann, das hat der spanisch- amerikanische Krieg zur Genüge bewiesen. Durch einen bloßen Federstrich können Vonseiten Englands die Seestreitkräfte anderer Nationen fast überall auf der Erde lahm gelegt werden. Es genügt hiezu ein Kohlenverkaufsverbot in den englischen Häfen. Die Wichtigkeit der Anlegung von Kohlenstationen kann deutlicher gar nicht bewiesen werden. Hierzu kommt ein dritter Gesichtspunkt, der jedenfalls beleuchtet werden muß. Das internationale Telegraphennetz ist fast ausschließlich in englischen Händen, insbesondere Deutschland hat hieran keinen irgendwie nennenswerten Anteil. Im Augenblick einer europäischen Verwickelung können sowohl unsere Seeftreitkräfte, als unsere Kolonial- Verwaltungen völlig abgeschnitten werden, einfach dadurch, daß Telegramme über die englischen Linien nicht befördert werden. Die gewaltige Macht und der ausschlaggebende Einfluß, der hierdurch dem Jnselreichs eingeräumt wird, drängt sich von selbst auf. Zeiten wie die gegenwärtige sind geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit auch in Deutschland auf diese Verhältnisse zu lenken und daraus von selbst Aufgaben zu entnehmen, deren Lösung für uns ein unabweisbares Lebensbedürfnis werden wird.
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Zu den neuen Militärforderungen meint die .Köln. Ztg.', es sei als bestimmt zu betrachten, daß in dem neuen Etat eine Forderung für die Umgestaltung der Feldartillerie enthalten sei, derart, daß diese Umgestaltung jedem normalen Armeekorps von zwei Divisionen zwei Brigaden Feldartillerie, je eine zu zwei kleineren und übersichtlicheren Regimentern für die Division, außerdem vielleicht eine Haubitzabteilung für jedes Armeekorps geben werde. Anderseits sei man auf eine Verminderung der reitenden Abteilungen auf die für Kavalleriedivisionen im Kriege nötige Zahl bedacht.
Daß man eine besondere Telegraphentruppe errichten wolle, sei schon vor langer Zeit berichtet worden.
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Im österreichischen Reichsrat ist der Antrag eingebracht worden, ein Ehrengericht zur Vermeidung der sich immer mehr häufenden Duelle zwischen Abgeordneten einzusetzen. Die Statuten dieses Ehrengerichtshofes müßten aber so eingerichtet werden, daß leichtere Beleidigungen, wie Lump, Schuft, Verleumder und dergl. ausgeschlossen blieben, denn sonst bekäme der Gerichtshof zu viel zu thun und das Haus müßte noch Nachtsitzungen abhalten, um die vom Gericht erkannten Widerrufe, Ehrenerklärungen und Abbitten entgegenzunehmen.
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Nach dem .Echo de Paris' soll ein französisches Geschwader, bestehend aus dem Panzer erster Klasse, „Bren- nus", den gepanzerten Küstenwächtern „Bouvines" und „Admiral Trehouart" und einem Kreuzer erster Klasse, aus Toulon nach Genua oder Cagliair abbefohlen worden sein, um den Kaiser Wilhelm zu begrüßen. (Wer glaubt's?)
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Zwischen den starken englischen Rüstungen und dem russischen Abrüstungsvorschlage schwankt der Zeitenpendel der Tagesgeschichte hin und her. Salisbury hat am Mittwoch eine große politische Rede gehalten, die nicht Fisch noch Fleisch ist, auch wohl nicht sein sollte; denn wenn man dieselbe gelesen hat, ist man so klug wie zuvor und fragt sich immer wieder, weshalb England Millionen und Millionen aufwendet, um der Welt seine kolossale Flotte schlachtfertig zu zeigen.
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r) Nltensteig, 13. Nov. Sehr schwach besucht war der am Sonntag in der Blume hier gehaltene Vortrag von Herrn Wenz, homöop. Praktiker von Marienbad. Jedenfalls war das prächtige Wetter eine Hauptursache, daß die größte Mehrzahl der Vereinsmitglieder sich von dem wirklich gediegenen Vortrag fernhielt. In seinem lehrreichen 1 Stunde dauernden Vortrag bezeichnete Redner als Hauptwittel gegen Keuchhusten (Blauer Husten oder Stickhusten) der Kinder: ^.eeonit, Lsllaäouna, Ip6oa.oug.ng. und Vergtruw, daneben täglich warmes Bad und Aufenthalt in einem Zimmer von 14—16° L. — Neue Hoffnung und Hilfe für Lungenkranke, Lungenschindsüchtige, Kehlkopsleidende und Asthmakranke gewähre das neu entdeckte Heilverfahren mittelst dem sog. Fichtengeist. Dieser Fichtengeist stellt die verdichteten Heilkräfte des Fichten- und Tannenwaldes dar, welche zu jeder Zeit und an jedem Ort und in jedem Krankenzimmer durch einfache Verdampfung gewonnen werden können und durch deren Einatmung die kranke Lunge außerordentlich günstig beeinflußt wird. — Herr Konditor Flaig in Altensteig hat den Vertrieb der Fichtenpräparate übernommen und ist gerne bereit den Jnhalationsapparat, den Fichtengeist, sowie Fichtennadelpastillen nebst genauer Beschreibung des Heilverfahrens überall hin zu liefern. Günstige Erfolge mittelst dieses Verfahrens in der Heilanstalt Marienbad liegen vor und ist der Kosten em äußerst geringer. Von großer Wichtigkeit sind die Ausführungen des Hrn. Wenz über Magen und Verdauung. Die diätetischen Gifte, besonders schlechte Luft und schlechte Nahrung sind gefährlicher als die eigentlichen Gifte, letztere töten schnell und man kann sich vor ihnen hüten, der ersteren Wirkung ist zögernd, grausam und unabwendbar. Darum ist die Lebensweise nach den Regeln der Natur die sicherste Grundlage der Gesundheit. Voran stellt er den Genuß reiner frischer Luft. Die Haupterfordernisse einer gesunden Wohnung sind: gute Luft, Sonnenlicht, Trockenheit, Geräumigkeit und Reinlichkeit. Geregelte Lebensordnung in Speise und Trank, Einfachheit und Mäßigkeit im Essen und Trinken bewahren vor vielerlei Krankheiten. Reinlichkeit, vernünftige Hautpflege, gehörige angemessene Bewegung und die nötige Ruhe sind Erhaltungsmittel der Gesundheit.
* Altensteig, 14. Nov. Die neueste Nummer des „Christenboten" veröffentlicht folgende interessante Mitteilungen des evangelischen Konsistoriums über den Stand der kirchlichen Verhältnisse im Jahr 1897 innerhalb der evangelischen Landeskirche: 1) Kinder evangelischer Eltern wurden geboren 50265, darunter aus rein evangelischen Ehen 41744, aus gemischten Ehen 3288; uneheliche von evangelischen Müttern 5283 (— 10,51 Proz.). Evangelisch getauft wurden 48 602; die Taufe wurde verschmäht bei 50, wobei auf Stuttgart 15 ausgesprochene Taufverweigrr- ungen kommen. Von Sektenpredigern wurden 27 Kinder getauft. Aus gemischten Ehen wurden evangelisch getauft 1897 Kinder. 2) Ehen Evangelischer wurden geschlossen 11937 und zwar rein evangelische 10 823, gemischte 1114