Erscheint Dienstag Donnerstag, LamStag und Lsnmag mit der GratiL-Beilage .Der SonntagS- Gast.'

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Dienstag, 6. Septbr.

Bekanntmachungen aller Ar: rinden die erfolg­reichste Verbreitung.

1898 .

Tagespolitik

Nun hat's keine Not mehr! Des Zaren Friedenswerk und die Henry'scbe Fälschung mit allen ihren Folgen bieten den Blättern Stoff in Hülle und Fülle. War doch ohnehin der Dreysushandel schon ziemlich langweilig ge­worden. Aus all' den Prozessen gegen Zola, Labori, Ester­hazy und Picquart kam nichts Neues mehr heraus.Drey- fus ist unschuldig!" Das war ein Axiom bei einer großen Zahl vorurteilsfreier Franzosen, deren Name einen guien Klang hat.Dreyfus darf nicht unschuldig sein!" Nach diesem Rezept ließ der in Frankreich übermächtige General­stab alle die einschlägigen Prozesse führen. Die krankhafte Sucht der Franzosen, alle Vorgänge des politischen Lebens mit den Niederlagen von 70 und 71 in Verbindung zu bringen, die fixe Idee der Revanche, sie sind an all' dem kopfverwirrenden Unheil schuld, das der Deyfushandel zu Tage fördert. Die Befangenheit nach jener Richtung hin und die Freude, Deutschland eins anzuhängen, schlug Generäle, Minister und einen großen Teil des Volkes mit Blindheit und machte sie zu Narren eines plumpen Fälschers, der obendrein noch glaubt, ein patriotisches Werk zu thun. Er soll es gar nicht haben fassen können, daß ihn der Kriegs­minister ins Gefängnis aöführen ließ. Was batte er denn verbrochen? Einfach ein Schriftstück gefälscht, um den Generalstab, der sich ziemlich stark blamiert hatte, in der öffentlichen Meinung herauszureißen. Dafür hätte er den Dank des Vaterlandes verdient. Statt dessen steckt man ihn ins Gefängnis. Man kann die Wut des Mannes begreifen, die ihn zum Rasiermesser greifen ließ, um sich die Kehle ab­zuschneiden. Aber so leicht wie ein Hals läßt sich die öffentliche Diskussion nicht abschneiden, bei der man immer mehr dahinterkommt, daß man es beim ganzen Dreyfus- handel mit einer Bandenschurkerei zu thun hat, wie es ja auch Bandendiebstahl giebt. Esterhazy, du Paty und Henry ein sauberes Kleeblatt und dazu noch die Generale Pellieux, Boisdeffre und Gonse, die mit Eid und Ehren­wort für dieses Kleeblatt eintraten. Der Verbündete an der Newa muß an diesen Enthüllungen mindestens ebenso Freude haben, wie die Franzosen selbst an der Friedensaktion des Zaren, die sie aller Hoffnungen auf Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens beraubt. Daß die europäischen Herrscher sich der zarischen Einladung zu einer Friedenskonferenz nicht entziehen können, war vorauszusehen und die Idee des allge­meinen Weltfriedens mußte bei allen Menschenfreunden ein begeistertes Echo Wecken. Mehrere Potentaten, so der deutsche Kaiser, Papst Leo, der Sultan, König Leopold haben schon ihre Bereitwilligkeit der zarischen Anregung gegenüber zu erkennen gegeben, aber die Wirklichkeit ist rauh und mit der Abrüstung wird es wohl noch gute Weile haben. Die militärischen Meldungen aus den meisten Staaten Europas lassen nicht merken, daß man sich die Abrüstung als bald bevorstehend denkt. Was es mit den Blättermeldungen wegen neuer Mehrforderungen für das deutsche Heer auf sich hat, läßt sich heute noch nicht übersehen. In Rheinhessen sollte, wie es hieß, ein neues Armeekorps gebildet werden, sogar auch für Ostpreußen wäre noch die Bildung eines zweiten Armeekorps geplant, wenn man der Meldung eines Provinzial­blattes Glauben schenken darf. Belgien will sich eine Kriegs­marine zulegen. Schweden Befestigungen gegen Rußland und Norwegen errichten, Frankreich stellt 100 Millionen Frank mehr in seinen außerordentlichen Hceresetat ein. und die 30 000 Gewehre, die der Fricdenszar dem Fürsten von Montenegro geschenkt hat, werden auch nicht verrosten, ohne vorher strapaziert worden zu sein. Wofür sollen unsere jungen Damen schwärmen, wenn es keine Leutnants mehr, unsere weiblichen Dienstboten, wenn es keine Grenadiere und Füsiliere mit den schönen bunten Röcken und blanken Knöpfen mehr giebt. Was sollte werden, wenn 300 deutsche Städte ihre Garnisonen verlieren würden und die Pulver­fabriken nur noch für die Kunstfeuerwerker zu thun hätten? Unsere schönen neuen Kanonen, die Schnellfeuergeschütze könnte man ja allenfalls zu Kirchenglocken umgießen, die den Frieden verkünden, den die Menschheit schon seit Jahr­tausenden vergeblich ersehnt.

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Die Abrüstungskonferenz wird neueren Mitteilungen zufolge weder in Petersburg, noch in Kopenhagen, noch auch in Brüssel, sondern in Genf abgehalten werden.

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Aus der letzten Lebenszeit des Fürsten Bismarck werden noch weitere Mitteilungen gemacht. So berichten die Leipz. N. Nachr., daß der letzte politische Artikel, den der Fürst gelesen hat, sich auf Rußland bezog und daß es das Ver­hältnis Deutschlands zu diesem Staat war, dem die letzte politische Betrachtung des Fürsten auf dieser Welt gegolten hat. Bekanntlich war auch das letzte politische Denken

Kaiser Wilhclw's I. aus seinem Totenlager den deutsch-russi­schen Beziehungen gewidmet. Die letztwillige Verfügung des Fürsten ist auf großem Quartbogen von der Hand des vr. Chrysander nach dem Diktat des Fürsten niedergeschrieben und von diesem unterzeichnet. Das Schriftstück liegt zwi­schen zwei roten, zusammengebundenen Pappdeckeln. Der Kaiser las es bei seiner Anwesenheit in Friedrichsruh durch und reichte es mit den Worten zurück:Ja, dagegen ist nichts zu machen."

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Einen Beweis der Liebe und Verehrung ihres Volkes erhielt die Königin-Mutter von Holland, indem ihr 300 000 Gulden überreicht wurden. Die Königin will ein Sana­torium für Schwindsüchtige errichten lassen und den Rest der Summe für wohlthätige Zwecke im Interesse der indischen Kolonien verwenden. Das Krönungsgeschenk der Stadt Amsterdam für die Königin Wilhelmina besteht in einer reich vergoldeten, mit prachtvollen Malereien versehenen Staatskarosse. Die Kutsche ist ein Meisterwerk der Wagen­baukunst.

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Leute, die das spanische Volk kennen, erklären seine rätselhafte Gleichgültigkeit nicht als Leichtsinn, sondern als tiefe Verzweiflung. Ganz Spanien glaubte, als der Krieg erklärt wurde, daß nun thatsächlich ein richtiger Krieg ge­führt würde. Wie hätte man denn auch etwas anderes voraussetzen können, wo alle Sachverständigen dem Publikum mit wichtiger Miene versickerten, daß Spanien nicht nur kämpfen, sondern sogar siegen könnte. Und man zog in den Krieg, weil man noch, noch immer, an die Führer glaubte. Jetzt hat die Bevölkerung den Glauben an all diese Leute verloren und sieht andererseits doch auch wiederum niemand, dem sie Vertrauen schenken könnte. Daher dieser furchtbare Skeptizismus, der alle Welt ergriffen! Daher diese Be­schränkung ans den Kampf ums Dasein im engeren Sinne! Viele lesen überhaupt keine Zeitungen mehr, nur um darin nickt das Spiegelbild dieser verhaßten Politiker, die man für alles verantwortlich macht, wiederzufinden. Manche rühmen sich sogar, nicht mehr wissen zu wollen, was da vorgeht, sich nicht mehr dafür zu interessieren, was sich möglicherweise ereignen kann. Allenthalben hört man nur noch von Festlichkeiten, Stiergefechten und Verbenas, Konzerten und Sommertheatern reden; man will sich gewaltsam be­täuben und zerstreuen, nur um nicht ewig diese politischen Jammergestalten, die alle, wie sie da sind, klägliches Fiasko gemacht haben, vor Augen zu haben. Das ist die wahre innere Lage Spaniens!

L«rirdesir«retzvietzteir.

* Alten steig, 3. Sept. (Mehlverfälschung.) Auf eine Fälschung des Mehls durch Seifenstein (Speckstein) weist die ChicagoerTribuna" vom 15. Juli hin. Die Fabrikanten von Queensboroug (Nordkarolina) rechnen in einem Zirkular den Müllern den Gewinn vor, den sie aus der Fälschung ziehen können und geben hierbei an, daß die letztere unter dem Namen Shipstuff verfrachtet wird. In Amerika scheint hiergegen vom Staate nicht energisch einge­griffen zu werden. Unseres Erachtens müßten auf Ver­fälschungen von Nahrungsmitteln und namentlich auf solche von so nichtswürdiger Art die schwersten Strafen des Straf­gesetzbuchs zur Anwendung gelangen. Daß die Fälscher, welche aus der Schädigung der Menschheit Gewinn ziehen, vielleicht dadurch Reichtümer erwerben, mit niedrigen Strafen bestraft werden, erscheint dem Laien manchmal geradezu be­fremdlich.

* Der September, welcher am Donnerstag seinen Ein­zug gehalten hat, bringt uns am 23. den offiziellen Einzug des Herbstes, die Herbsttag- und Nachtgleiche mit dem Ein­tritt der Sonne in das Zeichen der Waage.

* Vom Lande. Welche unsinnigen Mittel bei Krank­heiten oft angewendet werden, statt auf den Rat des Arztes zu hören, zeigt folgendes Beispiel: Ein lljähriges Mädchen leidet von Jugend auf an bösen Augen. Im Frühjahr ver­schlimmerte sich das Uebel, ohne daß ärztliche Hilfe die Krankheit rasch und gänzlich beseitigte. Da ließen die Eltern auf den Rat menschenfreundlicher Personen die Ohrläppchen des Kindes durchstechen, um Ohrringe durchzustecken; die Wunden wurden mit dem ätzenden Saft der Wolfsmilch ein­gerieben. Bald darauf zeigten sich die Folgen dieser gefähr­lichen Behandlung, denn der Kopf schwoll zu einer unförm­lichen Masse an und das Kind schwebte am Rande des Grabes. Jetzt befindet sich das Kind glücklicherweise auf dem Wege der Besserung.

* Stuttgart, 2. Sept. (Sedanfeier.) Am heutigen Sedantag zeigten die Straßen der Stadt vielfach Flaggen- schmuck. In den Volksschulen fanden im Anschluß an den

Vormittagsunterricht Gedächtnisfeiern statt, bei denen beson­ders auch des Fürsten Bismarck gedacht wurde. Nachmittags hatten alle Klassen frei. Gestern abend fand aus dem Fangelsbach-Friedhof die übliche Totenfeier an den Gräbern der Gefallenen statt.

* (Neue Postkarten.) Die Hoibuchdruckerei von Greiner und Pfeiffer in Stuttgart hat wiederum eine neue Serie von Ansichtspostkarten in Farbendruck hergestellt, die sicherlich den ungeteilten Beifall aller Sammler finden wer­den. Dieselben, auch uns vorliegend, stehen bezüglich der Leistungen im Chromodruck in erster Reihe und sind in ihrer Ausführung sehr hübsch und preiswert. Eine Empfehlung derselben von Seiten verschiedener Kunstkenner dürfte der schlagendste Beweis für deren tadellose Ausführung und Ab­satzfähigkeit sein.

* (Verschiedenes.) In Schwenningen wurde ein Handwerksbursche festgenommen, welcher mittelst Er­brechens einer Kommodeschublade ein 20-Markstück entwendete. Zur Ausführung seiner That schickte er ein Kind des Be­stohlenen, das sich in der betr. Stube befand, in einen Laden, um sich etwas zu kaufen und benützte dann die Abwesenheit des Kindes, seinen Plan durchzuführen. Ein aus dem Oberamt Weinsberg gebürtiger Bauer kaufte auf dem Vieh­markte in Heilbronn eine ziemlich wertvolle Kuh und band dieselbe, um sich etwas zu restaurieren, vor einer Wirtschaft an. Als er den Heimweg antreten wollte, mußte er die Entdeckung machen, daß die Kuh kurze Zeit vorher von einem Manne losgebund.n und abgeführt worden war. Seit Oktober v. I. hat ein junger Mann, angeblich vr. rnsä. Lang aus Louisville in Nordamerika, in Stuttgart gewohnt und unter verschiedenen unwahren Angaben bei zahlreichen Geschäftsleuten Waren ohne Zahlung entnommen, auch Darlehen kontrahiert. Derselbe wollte nachts Stutt­gart verlassen, wurde aber zuvor festgenommen. In Crailsheim fiel der Telegraphenarbeiter Weller von einer Telegraphenstange, welche er erstiegen hatte, so un­glücklich auf darunter gelagerte Eisenbahnschienen, daß er einige Rippen und das Becken brach, auch am Kopfe schwer verletzt wurde. Er mußte in einem Gefährte nach Hause geschafft werden. Sein Zustand soll bedenklich sein. In Adelsheim führte die Familie Schifferdecker ihren letzten Erntewagen heim. Der Wagen war die Leibenstadter Steig heruntergekommen und der Sohn wollte eben die Sperre aufmachen, da brauste der Schnellzug heran, das Pferd wurde scheu, warf den Wagen um und die auf dem Wagen sitzende Mutter und Tochter trugen durch den Sturz schwere Verletzungen davon. Die Tochter ist wieder auf dem Wege der Besserung, aber die Mutter ist nach einigen Tagen schweren Leidens gestorben.

* (Konkurse.) Bockborny, Ludwig, Schreiner, In­haber eines Viktualiengeschäfts in Stuttgart. Wehrslein, Josef, Schreinermeister in Ravensburg, und dessen Ehefrau Marie geborene Rauser. Jakob Allgaier, Bauer von Opferdingen, mit unbekanntem Aufenthalt abwesend.

* Ein reisender Gärtnergeselle brach Mittwoch auf dem Weg nach Scköllbronn bei Ettlingen bei der Wilhelms­höhe vor Hunger und Mattigkeit zusammen und wurde fast bewußtlos aufgefunden und in's Hotel verbracht, wo ihm Nahrung und Pflege zu teil wurde, wozu auch verschiedene Gäste beisteuerten; der junge Mann hatte vorher in einem Ettlinger größeren Haus um Arbeit um's Brot nur für die Stunden des Regens angehalten, wurde aber abgewiesen.

* München, 2. Sept. Zu der Frage der Mädchen­gymnasien bemerkt Dr. Sigl im Bayerischen Vaterland: Gescheite Väter werden ihren damischen Sprößlingen allen- fallsige gelehrte Schrullen bei Zeiten und gründlich aus- treiben und sie waschen, kochen, flicken und stricken lernen lassen. Besagte Mägdelein können auch so genug Kreuz und Elend über die Männerwelt bringen." Davon weiß Dr. Sigl zu erzählen!

* Berlin, 3. Sept. In London haben in den letzten Tagen zwischen dem ersten Lord des Schatzes, Balfour, und dem deutschen Botschafter, Grafen Hatzfeld, Konferenzen statt­gefunden, über deren Inhalt in englischen Blättern die verwegensten Vermutungen laut werden, deren abenteuerlichste wohl die ist, daß zwischen England und Deutschland ein förmliches Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen worden sei. So angenehm gewissen Politikern in England das Zu­standekommen eines solchen Bündnisses, das selbstverständlich auf das Verhältnis Deutschlands zu Rußland nicht ohne Einfluß sein könnte, auch sein möchte, so genügt es, um die Irrigkeit dieser Vermutung darzuthun, darauf hinzuweisen, daß bei der Leitung unserer auswärtigen Politik keinerlei Neigung besteht, mit der auswärtigen Politik eines anderen Staates gemeinsame Sache zu machen.