haften Abmahmmg des Majors v. Wißmann, daß ja niemand sich zu diesem Schritt entschließen möge? Wie zu den bisherigen Berichten der Forschungs- reisenden und Sachverständigen, das Klima sei überall in unseren Kolonien ein gesundheitsschädigendes, Gelegenheit zu gewinnbringender Beschäftigung sei so gut wie gar nicht vorhanden? Wie zu den Erklärungen der Regierungsvertreter, daß der Plantagenba« in den Schutzgebieten nur durch Schwarze getrieben werden könne, demzufolge eine gänzliche Aufhebung der Sklaverei einstweilen unthunlich sein würde? — 8 1 des Auswanderungsgesetzes müßte vielmehr lauten: Die Ueberstedelung nach den Schutzgebieten wird untersagt.
* Berlin, 14. Oktober. Die „Tägl. Rundschau" will erfahren haben, daß der bisherige Direktor der Oberfeuerwerkerschule, Major Freiherr v. Stetten, seit einigen Tagen beurlaubt ist. Wie nach demselben Blatt verlautet, werden von den verhafteten Schülern nur wenige — man spricht von zwei bis drei — ernster bestraft werden. Nach dem, was bisher bekannt geworden, dürfte es sich bestätigen, daß die Leitung der Lehranstalt einen großen Teil der Schuld an den bedauerlichen Vorfällen trägt.
X Berlin, 16. Okt. Es wird behauptet, daß das kommende Umsturzgesetz den Reichstag erheblich mehr beschäftigen und zu viel schneidigeren Debatten führen wird, als die Steuervorlagen und was sonst noch das Parlament in seiner bevorstehenden Session beschäftigen mag. Wird doch sogar schon von der Möglichkeit einer Auflösung des Reichstages gesprochen, wenn das Umsturzzesetz abgelehnt und kein Ersatz in irgend einer Form dafür geboten werden sollte. So schlimm steht es nun wohl noch nicht gleich aus, denn es darf nicht vergessen werden, daß doch in Deutschland noch kein Anarchistenattentat von wirklicher Bedeutung vorgekommen ist. Indessen mag es ja möglich sein, daß bei wirklich weit auseinandergehenden Anschauungen in dieser wichtigen Angelegenheit die verbündeten Regierungen einen Ruf an die Wähler nicht scheuen werden. Zuvor wird ja aber doch abzuwarten sein, was nun der Reichstag sagen wird; man kann wohl diesmal sagen, daß Neigung besteht, den bekanntesten Auswüchsen, die sich in neuester Zeit gezeigt, nicht mehr mit duldender Miene, sondern mit scharfen Gesetzesbestimmungen entgegenzutreten. Allerdings von einer solchen Neigung bis zur definitiven Schaffung eines großen Gesetzes ist noch ein weiter Weg und im Wesentlichen wird es hierbei wieder einmal ganz darauf ankommen, wie die Zentrumspartei im Reichstage marschieren wird. Diese Partei bildet in dieser, wie in jeder wichtigen politischen Frage das Zünglein an der Wage der parlamentarischen Entscheidung und von ihrem Verhalten wird es also auch abhängen, ob die neue Reichstagssession ruhig und in aller Form zu Ende geht, oder ob sie einen jähen, unvermittelten Abschluß erfährt.
* Berlin, 16. Okt. Wie die „Berliner Neuesten Nachrichten" aus Posen melden, ist die bereits begonnene Einstellung polnischer Rekruten in Regimenter der Provinz Posen von der Posener Division des 5. Armeekorps fistirt worden. Die betreffenden Mann, schäften sollen in deutsche Gegenden verschickt werden.
* Berlin, 15. Okt. Major Leutwein telegra-
KerzenswcmdLungen.
Roman von I. v. Böttcher.
(Fortsetzung.)
„O — ich weiß jetzt, daß ich nichts zu verzeihen hatte. Aber mir selbst kann ich nicht verzeihen," flüsterte die Gräfin, Jda neben sich auf das Sofa vor dem Kamin ziehend.
„Setzen Sie sich hierher, Jda," sagte sie, „und erzählen Sie mir alles. Aber vergessen Sie nicht, daß zehn Jahre vergangen sind, während welcher wir uns nicht sahen; das letzte was ich von Ihnen hörte, war, daß Sie mit Madame d'Ancourt in Aegypten waren. Und nun stehen Sie plötzlich in London vor mir. O, ich habe Sie so vieles zu fragen. Ihnen so manches zu erklären."
„Auch ich habe Sie etwas zu fragen, Frau Gräfin," sagte Jda und ihre Pulse schlugen schneller. „Lassen Sie meinen Fragen den Vortritt, bitte, nur dies eine Mala!
„Fragen Sie, meine Liebe."
„Gräfin Avioli, Sie hatten einst eine Tochter — ein treues, geliebtes Kind, das Ihnen entrissen wurde — wohl nicht durch den Tod?"
Die Wangen der Gräfin wurden aschbleich, sie ließ Jdas Hand los und erhob sich wie von einer unsichtbaren Gewalt getrieben.
„Jda, warum fragen Sie mich das?" stieß sie hervor.
„Sie liebten sie also?"
„Ich — liebte sie — oh, Gott sei mir gnädig!
phisrt aus dem Lager Witbois den 14. September, daß Hendrick Witboi sich, nachdem er wiederholt geschlagen worden, der deutschen Schutzherrschaft bedingungslos unterworfen Habs. — Es wird mehrseitig bestätigt, daß der Vorfchlag, die europäischen Mächte sollten schon fetz: ein Eingreifen zwischen Japan und China wegen der koreanischen Frage eintreten lassen, von der deutschen Regierung abgelehnt worden ist und daß ein solches Vorgehen infolge dessen von der diplomatischen Tagesordnung der Mächte für jetzt abgesetzt ist.
* Potsdam, 16. Okt. Die Verhandlung des Disziplinargerichtshofes gegen den früheren Kameruner Kanzler Leist unter dem Vorsitz des Landgerichts- Präsidenten v. Seydewitz hat heute begonnen. Die Staatsanwaltschaft vertritt Legationsrat Rose, Verteidiger ist Rechtsanwalt Müseler. Bei Verlesung der Anklage regt der Vorsitzende die Frage an, ob die Oeffentlichkeit auszuschließsn sei. Legationsrat Rose erklärt, die Thatsachen seien bekannt, das auswärtige Amt habe keine Veranlassung, den Ausschluß der Oeffentlichkeit zu beantragen. Der Verteidiger und Leist selbst wünschen höchstens teilweisen Ausschluß. Der Gerichtshof beschließt, öffentlich zu verhandeln und sich den eventuellen Ausschluß derOeffent- ltchkeit vorzubehalten. Die Anklage brandmarkt die am 15. Dezember 1893 durch den Angeklagten angeordnete Durchpsitschung von 20 Dahomeyweibecn mit 5—10 Hieben mittels einer gedrehten Fiußpferd- peitsche unter der angeordneten völligen Entblößung der Weiber. Die Prügelstrafe sei zweifellos unstatthaft, jedenfalls lag dazu keine Ursache vor. Das Auspeitschen sei die unmittelbare Ursache eines Aufstandes. Leist zu jener Maßregel nicht befugt gewesen. Demselben wird ferner vocgeworfen, daß er sich sogenannte Psandweiber habe holen lassen zu Ausführung von Nationaltänzen und anderen Vergnügungen, was um so strenger zu verurteilen sei, als der Thä- ter der erste Kameruner Reichsbeamte war. Ferner befanden sich dort zwei deutsche Misstonsgesellschaflen. Die Anklage führt ferner nach Vallenün's Wahrnehmungen aus, daß Leist sich eines Nachts Pfandweiber gewaltsam zuschleppen ließ. Der schwerste Vorwurf sei die Schädigung des Ansehens des Reiches, die Erzeugung der größten Erbitterung an der ganzen Westküste. Der Angeklagte wird also beschuldigt, seine Amtsbefugniffe überschritten, sein Amt mißbraucht und einen Aufstand herbeigeführt zu haben. Der Urteilsspruch lautet: List wird von der Anklage, durch sein Verhalten eine Empörung in Kamerun herbeigeführt zu haben, freigesprochen, dagegen wird er wegen Ueberschreitung seiner Amtsbefugnis, einer unsittlichen Handlung und eines Dienstvergehens schuldig erklärt und zur Versetzung in ein anderes Amt mit Vs Verminderung seines Einkommens verurteilt.
* Danzig. Unter der Vorspiegelung, technischer Leiter einer großen Zuckerraffinerie in Lodz zu sein, hatte im Sommer d. in Zopoot ein Herr die Bekanntschaft einer Dame aus begüterter Familie gemacht und sich schließlich mit ihr verheiratet. Die Hochzeitsreise, die das junge Ehepaar nach dem angeblichen Heim des Bräutigams in Polen kürzlich antrat, nahm einen unerwarteten Verlauf. Auf der Grenzstation
ich liebte sie, wie das Heil meiner Seele. Ihr Andenken ist mir teurer, als die ganze Welt. O, Jda, Jda, warum wollen Sie mir das Herz brechen?"
„Ihr Andenken?" wiederholte Jda leise, „ist sie denn tot?"
„Tot, tot!" klagte die Gräfin, die Hände ringend, und hastig auf und abschreitend, während sich in ihren Zügen der heftigste Schmerz malte. „Läge sie nicht im Grabe, mein Mutterherz würde mich längst zu ihr geführt haben."
„Sind Sie sicher, daß sie tot ist?" fragte Jda und ihre Stimme klang unendlich sanft durch die Stille, die im Zimmer herrschte.
„Warum martern Sie mein Herz so unsäglich?" fragte die Gräfin sich mit flehendem Ausdruck zu Jda wendend.
„Weil," erwiderte Jda langsam, „weil auch ich der Liede und Zärtlichkeit im Leben entbehrt habe, die mir von Rechts wegen zukam. Ich habe nie die Umarmung einer Mutter gefühlt, nie die Zärtlichkeit einer Matter gekannt, nie ihre liebende Stimme gehört. Gräfin Avioli, glauben Sie, daß, wenn meine Mutter, ohne dessen bewußt zu sein, neben mir stände, ihr Matterherz sie zu mir geleiten würde?"
Die Gräfin war vor Jda stehen geblieben und sah sie durchdringend an. Ein konvulsivisches Zittern erschütterte ihre ganze Gestalt; sie versuchte die Hände aaszustrecken, als wolle sie etwas an sich ziehen, aber ihre Arme fielen kraftlos herab.
„Jda, Jda! warum fragen Sie mich das?" stammelte sie, bald rot, bald blaß werdend.
nahm der junge Ehemann seiner Gattin den Reisepaß ab, am ihn angeblich bei der Polizei visieren zu lasten. Aber weder der Reisepaß, noch der Gatte und mit ihm die Mitgift von 30000 Mk., die er an sich genommen hatte, find seitdem wieder gesehen worden. Der so jäh um ihr Lebensglück betrogenen Dame blieb nichts anderes übrig, als zu ihren Eltern zurückzukehren. Der Vater machte sich nun sofort zur Verfolgung des gewissenlosen Schwiegersohnes auf; in Lodz erfuhr er aber bereits, daß dort ein technischer Direktor des angegebenen Namens gar nicht existiere.
Ausländisches.
* Pest, 16. Okt. Mehrere Offiziere des 65. Infanterie-Regiments wurden, weil fie ihre Stellung gegenüber den Rekruten mißbrauchten und diese brandschatzten, teils versetzt, teils degradiert, teils verhaftet.
* Rom, 16. Okt. Demnächst finden unter dem Vorsitze des Papstes zwei Konferenzen zur Beratung der Mittel behufs Rückkehr der abgefallenen orientalischen Kirchen zur Einheit der katholischen Kirche statt. Die erste Konferenz wird in dieser Woche abgehalten.
* In Parts ist der „Banquier" Auguste Jean, zugleich Börsenmakler, mt mindestens einer Million dsrchgebrannt. Ec lebte auf einem großen Fuße (man sagt, er brauchte 100000 Francs jährlich) und schien im Reichtum zu schwimmen. Unter den Betrogenen befanden sich seine sämtlichen Bureauange- stell'.en.
* Brüssel, 15. Okt. Anläßlich des Sieges der Sozialdemokraten bei den Wahlen organisierten dieselben abends eine Riesenkundgebung. Bon Sozialisten in Paris, London and Wien sind Glückwunschtelegramms eingelaufen. In Lüttich wurde der Sozialfftenfühcer Demblon von der Menge im Triumph durch die Stadt getragen. Ja Mons stürmten die Sozialisten nachts das katholische Versammlungslokal. Sämtliche Trappen im Kohlenbecken find marschbereit.
* Brüssel, 15. Okt. Das Resultat der ersten Wahl nach dem allgemeinen Stimmrecht ist ein beträchtlicher Verlust des gemäßigten Liberalismus. Die Sozialisten eroberten einen Teil der liberalen Sitze, die Katholiken behalten dis Majorität und bleiben Regierungspartei. Die offiziellen Resultate werden heute nachmittag bekannt. Wenn der Ministerpräsident in Nivelles gegen die Liberalen gewählt wird, erscheint das Kabinett vollzählig in der Kammer. Seine Wahl hängt von den Stimmen der Sozialisten ab.
* Brüssel, 16. Okt. Rußland verweigerte end- giltig die Auslieferung des Anarchisten Sternberg.
* London, 16. Okt. „Times" melden, daß Japan folgende Friedensbedingungea gestellt hat: Kriegsentschädigung. Unabhängigkeit Koreas, Annektion von Formosa, bedeutende Reformen der Verwaltung Koreas, Ausschluß Chinas von der Einmischung in dieselbe.
* L o ndo n, 16. Okt. „Times" meldet aus Tientsin 15. ds.: In Peking ist ein kaiserlicher Erlaß erschienen, wonach die chinesische Regierung volle Verantwortlichkeit für den Schutz der Ausländer übernimmt. Das Geschwader hat die Docks wieder ver-
„Mutter," murmelte Jda, sich dicht an ihre Brust schmiegend, „meine liebe Matter, nimm dein Kind an dein Herz, das verwaiste Kind, das so lange — lange Jahre nach diesem Ruheplatz sich gesehnt hat."
Sie legte das Perlenkreuz und die Kette in die Hand der Mutter, als Beweis der Wahrheit ihrer Worte.
„Jda, ist es wahr, mein Kind? Wo hast du jenes Kreuz her?" ries die Gräfin. „Bist du wirklich mein verlorenes Kleinod? Laß mich dir in die Augen sehen, laß mich dein Herz an dem «einigen schlagen fühlen! Nenne mich noch einmal bet dem süßen Namen, oder ich glaube, daß ein grausamer Traum mich täuscht!"
„Mutter, meine liebe Mutter!"
Und die Gräfin sank auf die Kniee nieder, verbarg das Gesicht in dem Schoß ihrer Tochter und schickte ein heißes Dankgebet zum Himmel empor.
„Jda," sagte sie aufbltckend, als die Hand der Tochter liebkosend ihre weichen Locken streichelte, „wie lange wußtest du das schon? Wer sagte es dir?"
„Giuseppe Antonardt sagte es mir, Mutter."
„Giuseppe Antonardt," wiederholte die Gräfin langsam. „O, jener finstere Bösewtcht! Aber wann, Jda? Du hast mir nicht gesagt, wann!"
Jda beugte sich über die Hand ihrer Mutter und ihre Lippen darauf pressend, antwortete fie:
„Vor zehn Jahren."
„Du wußtest es schon damals in Paris?"
„Ja, ich wußte es schon damals."