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Mr. 61.
IMensteig, Samstag den 27. Mai
1893.
M e i t a g e.
Vermischtes.
* Stuttgart, 23. Mai. Eine für die zahlreichen Imker Württembergs interessante Entscheidung ist dieser Tage vom Reichsgericht getroffen worden. Ein süddeutscher Honigfabrikant hatte bis vor kurzer Zeit seinen von ihm fabrizierten „Schweizer Alpenhonig" zum Verkauf angepriesen. Sein Fabrikat wurde jedoch vom Landgericht einer Prüfung unterzogen, wobei es sich herausstellte, daß der gepriesene „Schweizer Alpenhonig" aus Chile bezogen war, ein Kunstprodukt sei und 58 Prozent Glykose — aus Kartoffel- oder Stärkezucker — enthalte, im übrigen aber aus einem Absud verschiedener Kräuter bestehe. Das Landgericht glaubte den Begriff Honig dahin definieren zu müssen, daß darunter der von den Bienen gesammelte Blütensaft zu verstehen sei und verurteilte den Hontgfabrikanten zu 3 Wochen Gefängnis und 1000 Mk. Geldstrafe. Hiergegen legte der Hontg- sabrikant Revision beim Reichsgericht ein, weil nach seiner Ansicht der Begriff „Honig" vom Landgericht unrichtig definiert worden sei. Das Reichsgericht trat jedoch den Ausführungen des Angeklagten entgegen und trat dem Urteil des Landgerichts in allen Punkten bet.
* Aus Mannheim, 17.Mat, schreibt man: Um einer zu erwartenden Schulstrafe zu entgehen, ertränkte sich im Neckar das 12 Jahre alte Töchterchen des Kanzleiasststenten Rapp. Die am Neckaruser zurück- gelassenen Kleidungsstücke führten auf die Spur. Der Fall erinnert an einen kürzlich tu Ludwigshafen vorgekommenen, wo sich ein Mädchen im gleichen Alter ebenfalls wegen einer Schulstrafe vergiftete.
* Berlin. Aus der Fahrt zum Standesamt starb eine 22jährtge Putzmacherin Hierselbst. Obgleich der Arzt dem jungen Mädchen geraten hatte, die Hochzeit zu verschieben, da es noch an den Folgen der Influenza leide, ließ es sich nicht bewegen, davon Abstand zu nehmen. Als das Brautpaar aus der Fahrt nach dem Standesamt begriffen war, wurde die Braut plötzlich ohnmächtig. Ehe der erschrockene Bräutigam ärztliche Hilfe schaffen konnte, starb seine Braut in seinen Armen. Ein Lungenschlag hatte ihrem Leben ein Ende bereitet.
* Ueber die Lage Deutschlands bringt die Londoner „Times" einen düsteren Leitartikel. Das Blatt steht in der wachsenden Opposition im Süden und Westen des Reichs das Wiederaufleben des Parttkularismus, der früher Deutschland zu einem geographischen Begriff gemacht hat und auswärtigen Jntrtguanten preisgab. Alle Freunde Deutschlands bedauerten dies; es sei dies die größte Gefahr für Deutschlands Weltstellung. An sich sei der obwaltende Parteihader bitter genug. Die Oede der Negationen der Radikalen und die wilden Träume der Sozialdemokraten seien ebenso entmutigend für den patriotischen Staatsmann als die grobe Unwissenheit und engherzige Selbstsucht der Konservativen, welche die Zukunst des Vaterlandes um Unterstützung der als Antisemiten und Agrarier verkleideten Anarchisten verkauften. Aber all dieser Metnungszwist wäre erträglich, wenn dahinter die allgemeine Ueberzeugung steckte von der Wichtigkeit der Einheit und der allgemeine Entschluß, die Lokaltnteressen dem Reichswohl unterzuordnen.
* (BeimRennen verspielt.) Umzuerfahren was aus den Rennbahnen in Berlin verspielt wird, hat sich der „Kons." Einsicht von den Einnahmen des Totalisators verschafft. In etwa drei Wochen betrugen bei sechs Rennen die Umsätze am 17. April 207140 Mk., am 22. April 308330 Mk., am 29. April 217740 Mk., am 1. Mat 218430 Mk., am 2. Mai 182680 Mk., am 6. Mat 262890 Mk., zusammen 1397 210 Mk. Bei den Buchmachern und Wettbureaux dürste mindestens die gleiche Summe verspielt worden sein, so daß in sechs Rennen etwa 2 800000 Mk. verwettet worden sind. Wenn man annimmt, daß die Rennzett sechs Monate dauert, so dürsten demnach in dieser Zeit allein in Berlin rund 15 bis 16 Millionen als aus den Rennplätzen verwettet oder verspielt in Anrechnung gebracht werden können. (Gebe ohne Zweifel auch eine gute Steuerquelle!!)
* Eine merkwürdige Umwandlung hat der alte Preußenrus „Mit Gott für König und Vaterland!" soeben in dem Wahlkreise Fußangels erfahren. Wie dem Märkischen Sprecher zu entnehmen, eröffnet nämlich die ultramontane Süderländtsche Volksz. den Wahlkamps zu Gunsten Fußangels mit einem stimmungsvollen Aufruf, der also schließt: „Hie Hühne, hie
Fusangel! lautet für uns die Parole, und da fällt
die Entscheidung nicht schwer. Mit Gott für Vaterland und Fußangel in den Wahlkampf, der hoffentlich diesmal ein ganz einmütiger ist".
* Cornelius Herz, dieser fast schon vergessene und verschollene Mann, läßt wieder einmal von sich hören, und zwar bringt Rochefort eine Notiz im ,Jntran- sigeant/ in der er behauptet, daß Cornelius Herz geneigt sei, nach Frankreich zurückzukehren und Papiere auszuliefern, welche Deputierte und Senatoren sehr stark kompromittieren würden. Herz stellt aber die Bedingung, daß die über seine Güter verhängte Beschlagnahme aufgehoben werde. — Darauf wird die französische Regierung schwerlich eingehen, denn mit „Papierchen" hat man nun nachgerade genug gespielt.
* Ein schauriger Fund ist, nach der Mitteilung der „B. N. N.", dieser Tage bet den Umbau-Arbeiten an dem alten Krankenhause zu Rotterdam gemacht worden. Beim Abbrechen eines schon halbverfallenen Seitenflügels stieß man im Erdgeschoß auf eine starke Mauer, welche zu dem Gebäude eigentlich nicht gehörte und viel älter als letzteres war. Da die Mauer ein Gewölbe zu verschließen schien, wurde sie durchbrochen. Die Arbeitsleute stiegen mit einem brennenden Licht durch die Oeffnung hinab, waren aber nahe daran, ohnmächtig umzustnken, weil ihnen eine derart verdorbene Luft entgegenströmte, daß das Licht verlöschte. Erst nachdem der ärgste Dunst durch die Oeffnung abgezogen war und eine Laterne herbeigeschafft war, konnten die Leute in dem unheimlichen Raume weiter Vordringen und entdeckten nun, daß sie sich in einem etwa 6 m langen unv 2 w breiten wie hohen Bogengewölbe befanden, welches ringsum nur feste Mauern ohne jeden Eingang zeigte und offenbar durch die spätere Vermauerung eines Gewölbeganges an den beiden Schmalseiten entstanden war. Aus dem Boden aber lagen verstreut umher die Teile von acht Skeletts: hier ein Schädel, dort ein Brustkasten, da eine Hand, hier ein Fuß, — alles vom Alter gebräunt. Bereits Jahrhunderte lang müssen die Skelette in dieser so auffallend verschlossenen Gruft gelegen haben; doch hat sich so gut wie nichts ermitteln lassen, was über den unheimlich seltsamen Fund Aufschluß geben könnte. Nur „sagt man", daß „früher einmal" an der Stelle des alten Krankenhauses ein Kloster gestanden habe.
Haus- und Landwirtschaftliches.
* Brennnesseln erscheinen im Frühjahr sehr zeitig; aber es ist nicht sehr bekannt, daß man aus den jungen Pflanzen eme wohlschmeckende und ganz billige, außerdem gesunde Suppe bereiten kann. Das Einsammeln ist für dir Kinder, die sich dabei mit Tüchern um die Hände oder mit Handschuhen versehen, übrigens eine angenehme Beschäftigung im Freien. Gewöhnlich benutzt man die Nesseln als das gesündeste Futter für junge Gänse; weniger bekannt ist, daß sie ebenfalls ein sehr nahrungsreiches Futter für das Rindvieh abgeben, das nicht nur günstig aus die Milch- und Fletschbtldung einwirkt, sondern dasselbe auch gegen Krankheit sichert. Hartes Fletsch, mit den Nesselblättern gekocht, wird weich, und rohes Fletsch, besonders Käse schützen sie gegen schnelle Fäulnis, wenn man sie schichtweise zwischen dieselben legt. Der reife Nesselsame, den man im Spätsommer sammelt, und die getrockneten und im Wasser gekochten Blätter sind ein ausgezeichnetes Winterfutter für Hühner, die fleißig danach legen, sowie gutes Vogelfutter. Zuletzt kann man sie wie Hanf benutzen; ihre langen Faser lassen sich sogar noch weißer bleichen als jene, und die Art der Gewinnung ist ganz dieselbe. Dabei gedeiht diese anspruchslose Pflanze auf dem schlechtesten Boden, braucht weder Wartung noch Pflege und verträgt große Hitze und strenge Kälte. Man sollte meinen, ihr Anbau würde sich im Großen lohnen; denn man bereitet von ihr das Nesseltuch; wenigstens ist sie mehr Berücksichtigung wert, als wie ihr bisher zuteil geworden ist.
* (Die Folgen mehrtägiger Ruhe bei Pferden.) Ueber eine interessante, wenn auch nicht neue Beobachtung, betreffend die nachteiligen Folgen mehrtägiger Ruhe bet Pferden, welche längere Zeit hindurch angestrengthaben arbeiten müssen, berichtet ein Tierarzt: Es ist eine seit nunmehr bald 10—15 Jahren beobachtete Erfahrung, daß stets am dritten Weihnachts-, Oster- oder Pftngsttage, am zweiten oder dritten Kir- meßtage eine größere Anzahl von Pferden beim Beginn der Arbeit am Schlagfluß zusammenbrechen und wenn nicht schleunige Hilfe geholt wird, getötet werden müssen, aber auch bet solcher oft noch nachträglich dem Roßschlächter oder Abdecker verfallen, kurz großer Schaden entsteht. Die Beobachtung hat gelehrt, daß dieses Vorkommnis davon herrührt, daß Tiere, welche an regelmäßige tägliche Arbeit gewöhnt sind, wohl einen, aber nur in seltenen Fällen zwei Tage ohne Schaden ausruhen können, daß die täglich geübte energische Blutztrkulation, die durch außergewöhnliche längere Ruhe unterbrochen wird, zu Blutergüssen in das Rückenmark, die Nieren und deren Umgebung rc. Veranlassung gtebt und dadurch den sogen. Nieren- Rückenmarkschlagfluß hervorruft, der, je nach der Menge des Blutergusses, zum Tod, zu unvollkommener Heilung (Kreuzlähme), oder bei rascher Hilfe und geringgradigem Erguß zwar zur Heilung, aber doch zu längerer Krankhetlsdauer führt. Es ist deshalb unbedingt nötig, daß derartige Pferde, vorzüglich Arbeitspferde schweren Schlages, am zweiten Ruhetage einige Stunden bewegt werden, also im Schritt oder langsamen Trab zwei Stunden auszureiten sind.
* (Nester im Hühnerstall.) Im Geflügelstalle darf es an einer hinreichenden Anzahl von Nestern nicht fehlen, und sollte jeder Züchter und Liebhaber darauf bedacht sein, lieber einige Nester zu viel als zu wenig anzubrtngen. Will ein Huhn sein Ei legen unv findet die Nester bereits besetzt, so ist es unnötigerweise gezwungen, damit zu warten. Wo die Nist- gelegenhett beschränkt ist, kann man manchmal beobachten, wie eine ganze Schar Hühner das einzige Nest belagert, um die Gelegenheit abzuwarten, ihre Eier los zu werden. Ja, man zwingt die Hühner auf diese Weise zum Verlegen der Eier, worüber es so viele Klagen giebt. Ist das erst etnigemale geschehen, so wird bald eine Angewöhnung daraus. Legt das Huhn das Et auf den bloßen Stallboden, so zerbricht dasselbe sehr leicht, die Hühner stürzen darauf los und verzehren es, daher die Untugend des Eierfressens, wovon ja oft eine ganze Hühnerschar ergriffen wird.
* Um Haushühner von Ungeziefer zu befreien, wendet man ein sehr etnsaches Mittel an. Man legt abends an die Stellen, an welchen die Hühner ruhen, schwächere Zweige von Erlenbäumen aus. Etnigemale dieses Mittel wiederholt, befreit alle Hühner vollständig vom Ungeziefer.
* (Mittel gegen schweißige Hände.) Gegen schweißige Hände empfiehlt sich das öftere Waschen derselben in mäßig kaltem Wasser, dem man etwas Weinsäure oder Alaun zugesetzt hat. — Ein anderes Mittel ist: Borax, Salicyl- säure, von jedem 75, Borsäure 2, Glycerin, Alkohol, von jedem 50 Gr.; täglich 3mal die Hände etnreiben.