bronn ermahnte die Versammlung, gegen die Sozialdemokraten nicht ungerecht zu sein. Einem Geistlichen stände es weit besser an, anstatt nach der Polizei zu rufen, mit liebevoller Hand seine Schutzbefohlenen von Irrwegen zu retten. Verschiedene Redner traten den Ausführungen Wursters eifrig entgegen und Referent meinte zum Schluß, er habe nicht erwartet, daß in der Versammlung solche Gegensätze zu Tage treten würden.
* (Verschiedenes.)JnObereßlingen wurde eine Frau, als sie ihrem Hunde ein Stück Brot geben wollte, von demselben in den Unterkiefer gebissen, so daß die Wunde vom Arzl zugenäht werden mußte. — Auf der Bahnstrecke zwischen Illingen und Mühlacker legte sich ein Mann, namens Beiser von Großingersheim auf die Schienen, um sich vom Zug überfahren zu lasten. Der Zug konnte jedoch noch rechtzeitig zum Stehen gebracht werden. — Der Fuhrmann Haag von Strümpfelbach geriet unter seinen mit Steinen beladenen Wagen und fand seinen Tod. — In Heidenheim gerieten mehrere junge Leute in Streit, wobei ein Bursche so schwer mit dem Messer verletzt wurde, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. — In Unterjes- sin gen wurde der ledige Bauer Paul Seibold wegen Wilderer verhaftet. — Am Mittwoch morgen sprang vor dem C annstatter Tunnel ein Ulan aus dem Eisenbahnwagen; derselbe wurde überfahren und getötet. — In Ernstmühl, OA. Calw, ist das Wohnhaus des Bauern Mutschler, sowie zwei Nachbargebäude und eine Scheuer abgebrannt.
* Augsburg, 18. Mai. Das Schwurgericht verurteilte den Postanweisungsfälscher Teitzel wegen zahlreicher in München, Nürnberg, Würzburg, Augsburg und Wiesbaden verübter Fälle zu 5 Jahre Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust.
* Die „Köln. Volksztg." bespricht jetzt auch die Teufelsaustreibunz in Wemding und verurteilt den Pater Aurelian mit Entschiedenheit. Sie vermißt an ihm jede Spur von dem Bewußtsein, „daß das alleräußerste Mißtrauen, die allerstrengste Vorsicht erstes Erfordernis auf einem Gebiete sind, auf welchem in unzähligen Fällen körperliche und geistige Krankheit, bewußte und unbewußte Simulation, raffinierte Bosheit und wenigstens vorläufig auf natürlichem Wege unerklärliche Symptome in einer Weise ineinander fließen, daß auch das geübteste Auge und der klarste Verstand oft vergeblich an der Scheidung sich abmühen. Bezüglich der Sätze in dem Bericht des Paters, welche von der protestantischen „Hexe" Frau Herz handeln, sagt die „Köln. Volksztg.": „Sie sind das be- zerchnendste m dem ganzen Bericht, möglicher Weise auch der springende Punkt und der Schlüssel in der ganzen Angelegenheit. Der Exorcist tritt der gegen eine unseres Wissens unbescholtene Frau vor zahlreichen Anwesenden erhobenen
Beschuldigung mit keinem Wort entgegen und die weitern Sätze über die „Ursache der Besessenheit" vollends verraten ein Maß von Leichtgläubigkeit und Leichtfertigkeit im Urteil, das kaum noch überboten werden kann.
- Mainz, 17. Mai. Die „Köln. Ztg." berichtet: Ein sehr peinlicher Austritt spielte sich heute mittag auf der Kaiserstraße ab. Ein von der Stadt für die dortigen Anlagen bestellter Feldschütze hat einen Lieutenant angezeigt, weil dessen Hunde angeblich in einem dortigen Blumenbeet Schaden angerichtet hatten. Ueber die gerichtliche Zustellung der Klage geriet der Offizier in solche Aufregung, daß er den Anzeiger aufsuchte, ihm den Säbel auf den Leib setzte und die Zurücknahme der Anzeige begehrte, da er ihn sonst niederstechen würde. Der Offizier behauptete, seine Hunde verließen das Haus nicht während der Schütze auf der Richtigkeit seiner Anzeige bestand und deren Zurückziehung ablehnte. Da nun der Offizier wiederholt den Schützen mit dem Säbel bedrohte, ging ein Viehtreiber mit einem Knüppelstock drohend vor, und es drängten sich noch andere Leute hinzu, worauf der Lieutenant den Degen einsteckte und einem Soldaten befahl, den Feldschützen zu verhaften. Der Schütze folgte dem Soldaten nach der Polizeiwache. — Nach der „Frkf. Ztg." ist der Offizier der Sekondelieutenant im 13. Husarenregtment v.Lucius, ein Sohn des früheren preuß. Landwirtschaftsministers.
* (76000 Mark vermißt.) Das Franks ur- furter Polizeipräsidium erläßt ein Ausschreiben, wonach ein am 2. dss.Mts. von Frankfurt nach Paris adressiertes Wertpacket, deklariert mit 600 Mk., russische Obligationen im Werte von 76 000 Mk. enthaltend, vermißt wird. Für die Wiedererlangung hat der Beschädigte eine Belohnung von 3000 Mark ausgesetzt.
* Berlin, l9.Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." bespricht die militärische Machtstellung Italiens und sagt, der Ausgang der Kabinettskrisis habe gezeigt, daß die italienische Nation von dem Bewußtsein durchdrungen sei, daß sie einer unge- minderten Heeres- und Flottenmacht ihre Sicherheit verdanke. Deutschland begrüße das militärische Erstarken seiner Verbündeten aufs freudigste und erblicke darin ein Element der Befestigung des europäischen Friedensbundes.
* In Berlin hat in der Nacht von Sonntag auf Montag ein dreizehnjähriges Mädchen, Klara Wernecke, seinen sieben Jahre alten Stiefbruder Hermann Büge von der Kottbuser Brücke herab in den Kanal geworfen. Hilfe war nicht zur Stelle und der Knabe ertrank. Das Mädchen behauptet, die That nicht vorsätzlich ausgeführt zu habe»; doch steht diese Aussage in Widerspruch mit Angaben anderer Kinder.
* Gelsenkirchen, 18. Mai. Der Landratsamtsverwalter tzammerschmtdt untersagte die von der Ortspolizeibehörde bereits genehmigte Frohnleichnams-Prozession.
* Hamburg, 17. Mai. Die „Hamburger Nachrichten" widerrufen aufs entschiedenste die
Meldungen der Zeitungen, als ob Graf Herbert Bismarck die Wiedereinstellung in irgend ein Amt erstrebe. Dem Grafen zuzumutea, nachträglich, vom streberhaften Ehrgeiz erfaßt, auf dem Posten eines Agenten der heutigen Leitung des Auswärtigen Amts der Vollstrecker der Instruktionen desselben zu sein, verrate Anschauungen, welche unabhängigen, ehrliebenden Männern nicht zugetraut werden dürfen.
* Bet den am Sonntag im Frankreich stattgehabten Wahlen der Maires und Beisitzer durch die Gemeinderäte wurden in den meisten großen Städten die bisherigen Maires wiedergewählt. Die Städte Marseille und Roubaix wählten Bürgermeister, die der sozialdemokratischen Partei angehören. In beiden Städten fanden zu Ehren der Gewählten Arbeiterkundgebungen statt. — Wilson, der bekannte Schwiegersohn des verstorbenen ehemaligen Präsidenten Grevy, ist am Sonntag von dem Gemeinderate in Loches (Departement Jndre-et-Loire) zum Maire (Bürgermeister) gewählt worden. (In Frankreich würden sich eben auch für Ravachol Wähler finden, wenn derselbe der goldenen Freiheit zurückgegeben würde.)
* Brüssel, 18. Mai. In Tournai wurde gestern durch eine Explosion entzündeter Petroleumvorräte das Haus eines Färbermeisters und ein Nachbargebäude in die Luft gesprengt. Zwei Personen sind tot, fünf lebensgefährlich verwundet.
"Belgrad, 19. Mai. In einer Stadt Alt-Serbiens verhaftete dre türkische Polizei 2 verdächtig allssehende Reisende, welche bulgarische Priester waren. Man nahm ihnen 15 Briefe an bulgarische Führer in Makedonien ab. Dem Inhalt derselben zufolge stünde eine Erhebung nahe bevor.
* Athen, 17. Mai. Nach dem vollständigen Wahlergebnis verfügt Trikupis von 207 Mitgliedern in der neuen Kammer über 170. Das gegenwärtige Ministerium bleibt bis zur Rückkehr des Königs ins Amt.
* New - York, 17. Mai. 1(0,000 Granitarbeiter begannen einen Streik, um den Achtstundentag zu erlangen. '
Vermischtes.
* Ein eigenartiges Ehehinderuis ist einem Bräutigam zu Schnierlach (Elsaß) in die Quere gekommen. Als er seine Geburtsurkunde verlangte, stellte es sich heraus, daß er im Register als . . . Mädchen bezeichnet war. Er muß nun warten, bis die Staatsanwaltschaft seine Umwandlung ins männliche Geschlecht auf dem vorgeschriebenen Wege vollzogen hat.
Verantwortlicher Redakteur : D. Rieker. AltenAeig.
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„Wann hätte ich das gesagt?" fragte die regierende Großfürstin dagegen.
„Hier soeben zu der Zarewna, Eurer Schwester," versetzte Nikolai.
„Ich habe versprochen, daß ich ihn nicht morden lassen würde; der Gerechtigkeit freien Lauf lassen, ist nicht Mord, das ist meine Pflicht." Mit diesen Wort entfaltete sie das Blatt, nahte dem Tische und schrieb ihren Namen mit großen Zügen unter das Schriftstück.
„Und nun wieder auf zu Pferd!" fuhr sie fort, indem sie dem jungen Manne das Todesurteil überreichte. „Bringe es nach Wosdwi- schansko, daß die Todesangst der beiden Hochverräter nicht umsonst verlängert werde."
Sie reichte ihm dann die Hand zum Kusse. Nach einer Minute sprengte der junge Mann auf frischem Rosse in die Nacht hinaus, nach Wosdwi- schansko, wo ein reges Leben herrschte und wo man seiner Zurückkunst harrte.
Die regierende Großfürstin trat eben zum Fenster und öffnete es.
- Die balsamische Sommernachtslust drang belebend in das Zimmer, und sie sog sie mit langen, durstigen Zügen ein.
„Es mußte sein," sagte sie nach einer Pause, „ich konnte nicht anders, wollte ich ruhig herrschen — der Kampf muß ausgesuchten werden, ob der Uebermut und die Willkür herrschen sollen, oder ob sich Rußland des innern Friedens erfreue. Ich fühle, es ist ein schweres Amt, zu herrschen —" hier hielt sie in ihrem Selbstgespräche inue. „Halt, Sophia," fuhr sie lächelnd fort, „du heuchelst selbst vor dir schon. Es ist schön zu herrschen, und ich wollte lieber tot sein, als nicht Regentin. Chowansky oder Sophia Konnte mir da ein Ausweg bleiben?"
Sie läutete, die Gürtelmagd trat in das Zimmer. „Was befiehlt deine Hoheit?" fragte sie und blieb in harrender Stellung an der Thür stehcn.
„Wie befindet sich die Großfürstin Zarewna Kathiuka?" fragte Sophia.
„Ich denke gut," erwiderte die treue Zofe; „sie wird baldigst schlafen. Das wird ein trauriges Erwachen sein, wenn sie erfährt, daß der Fürst tot ist."
Die Regentin schaute die Gürtelmagd mit scharf beobachtenden Blicken an. „Woher weißt du?" — fragte sie, den Satz nicht vollendend. „Ich hoffe, daß du nicht gehorcht hast."
Die Gürtelmagd schüttelte unwillig den Kopf. „Das brauche ich doch bei dir nicht, Herrin," versetzte sie; kenne ich dich doch und weiß, daß Sophia niemand neben sich duldet, seitdem sie unsere Regentin geworden ist."
„Und ich wollte vor mir heucheln," dachte Sophia. Dann befahl sie der treuen Dienerin, sie zu entkleiden.
Eine Stunde darauf wachte niemand mehr in dem Dreifaltigkeitskloster des heiligen Sergei. Der Schlaf halte sich mitseinem bunten Träumen- strauß auf die Augen aller herabgesenkt. Da lag auf ihrem Bette die schöne Sophia und ihre Züge lächelten und ihre Brust hob sich mächtig, sie träumte, der ganze Erdkreis bringe ihr seine Huldigungen dar.
Auch Kathiuka lächelte im Schlafe. Sie sah sich an der Seite des schönen Jury, wie sie vor dem Altar stand und der Metropolit das Band um ihre Hände schlang, und wie alles glückwüuschend nahte. Sie aber lehnte sich an die Brust des Geliebten und flüsterte: „Mein Jury, mein Gemahl."
Nicht alle Hoffnungen, Wünsche, Träume erfüllen sich; unser Glück besteht in der Einbildung, welche im prismatischen Lichte uns die eigenen Gedanken vor die Seele führt und die Wirklichkeit unseren Augen verhüllt.
(Fortsetzung folgt.)