* Berlin, 11. Mai. Der Kassierer der „Deutschen Bank" Frank, der seiner Zeit an den bekannten betrügerischen Rubelspekulationen zum Nachteile der Deutschen Bank teilnahm und sodann flüchtig wurde, ist gestern abend hier verhaftet worden.
* Berlin, 12. Mai. Rechtsanwalt Stein, der jüngst eine Erklärung gegen den antisemitischen Rektor Ahlwardt richtete, wurde gestern verhaftet. Es handelt sich um eine Hypotheken - angelegenhett, worin Stein sich angeblich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat.
* Der „Magdeb. Ztg." wird aus Berlin geschrieben, daß augenblicklich Pläne, die von einer süddeutschen Regierung ausgegangen sind und sich auf die Branntweinsteuer beziehen, den Gegenstand ernster Erwägung bilden. Nach der „Freis. Ztg." hätte die württembergische Regierung angeregt, „das 40 Millionengeschenk der Branntweinbrenner zum Besten der Reichs- kaffe zu beseitigen.
* Als neues Verkehrsmittel in Berlin beabsichtigt ein Unternehmer nach Londoner Vorbild ein „Polycycle" einzuführen, ein omnibus- artiges, aus einer Anzahl Fahrrädern bestehendes Fahrzeug, zur Aufnahme von 8—12 Personen, die sämtlich mittreten müssen. Er hat hierzu die Genehmigung des Magistrats nach- gesuchr.
* Glauchau, 6. Mai. Der Zusammenbruch der Glauchauer Spar- und Kreditbank, welcher durch leichtsinniges Ausleihen und nachlässige Verwaltung herbeigeführr wurde, ist in seinen Wirkungen geradezu verhängnisvoll. Jedes Mitglied hat auf Grund der unbeschränkten Haftpflicht 7000 Mk. zu zahlen. Viele der Betroffenen haben dadurch ihr ganzes Vermögen verloren und sind außer Stande ihren Anteil aufzubrtngen. Schon ist ein Selbstmordsfall aus Verzweiflung über den erlittenen Verlust zu verzeichnen.
* Spandau, 10. Mai. Der Kaiser ist heute vormittag zur Besichtigung des auf eine probeweise zweijährige Dienstzeit eingerichteten 1. Bataillons des 4. Garde-Regiments hier eingetroffen. Nach der Besichtigung zog er um die Mittagsstunde bei prachtvollem Wetter an der Spitze des Regiments durch die beflaggte Stadt zum Offizterskasino.
* Krefeld, 12. Mai. Der hiesigen „Volkszeitung" zufolge erstickten gestern bet einem verhältnismäßig kleinen Brande sieben Personen.
* (Merkwürdiger Grund zum Selbstmord.) Wegen angeblich zu hoher Steuer-Einschätzung hat sich in Straß bürg in der Uckermark eine alte Dame, Fräulein Stabenow, das Leben genommen. Sie glaubte nach der neuen Veranlagung mit ihrem Vermögen von 30 000 Mk. nicht mehr auskommen zu können und erhängte sich deshalb, nachdem sie ihren Entschluß einem auswärts wohnenden Neffen mitgeteilt, in ihrer Wohnung. Zuvor hatte sie die Wäf che, welche man ihr im Sarge anlegen sollte, sowie ein Messer zum
Losschneiden in bester Ordnung auf den Tisch gelegt.
*Metz, 11. Mai. Die bekanntlich seit 1870 andauernde Auswanderung aus Elsaß- Lothringen scheint noch nicht zum Abschluß gekommen zu sein, sondern neuerdings noch an Ausdehnung zuzunehmen. Die Gründe dieser Erscheinung sind übrigens nicht auf politischem Gebiete, wie dies wohl Anfangs der siebenziger Jahre der Fall war, zu suchen, sondern auf die wenig günstige wirtschaftliche Lage einzelner Landesteile zurückzuführen. Es geht dies u. a. daraus hervor, daß sich der Hauprstrom der Auswanderung nicht mehr nach Frankreich, sondern nach überseeischen Ländern, besonders nach Nordamerika richtet. Die dadurch entstandenen Lücken werden übrigens zum Teil durch Einwanderung aus Altdeutschland ausgefüllt.
Ausländisches.
"Paris, 10. Mai. Die Agitation zu Gunsten der Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes gewinnt wieder neues Leben. Heute vormittag gab die Gesellschaft der christlichen Gutsbesitzer in einem Beschlüsse dem Wunsch Ausdruck, es möge zu einem Einvernehmen zwischen den Mächten kommen, die im stände seien, dem Papste die Wiedereinsetzung in die weltliche Macht und die Unabhängigkeit zu verschaffen, die ein Gemeingut der ganzen katholischen Christenheit sei. ,
* Paris, 12. Mai. Der Kriegsminister Freyciner ordnete umfassende Untersuchungen ^ der bei den Armeelieferungen, namentlich bei Stiefel-Lieferungen verübten schweren Betrü- ^ gereien an. Mehrere Lieferanten und Beamte j! sind bereits verhaftet, weitere Verhaftungen stehen bevor, mehrere angesehene Persönlichkeiten erscheinen als schwer kompromittiert.
* Paris, 12. Mai. Floguet hielt in 'i
Bahonne über die kirchliche Lage eine Rede, in F
welcher er zwar Jedem religiöse Freiheit zu- sicherte, jedoch die Pflicht der Regierung betonte, M die Sraatsgesetze gegen die Angriffe des Klerus
zu richten. Zff
* Lüttich, 12. Mai. Die verhafteten
Anarchisten sind bezüglich der Attentate und Dynamitdiebstähle vollständig geständig und j
behaupten, die erübrigten Vorräte in die Maas .->
geworfen zu haben. Die Nachforschungen in
der Maas blieben einstweilen erfolglos. Alle ^
Lütticher Advokaten verweigern die Übernahme . ° ihrer Verteidigung. "l °
* Lüttich, 12. Mai. Durch Geständnisse
der verhafteten Anarchisten entdeckte die Polizei « . größere Mengen von Explosivstoffen z. B. in ^ . der Nähe des Etablissements Mathüssen, dessen ^ Sohn verhaftet ist, 50 Dynamirpatronen. In ^
Esneux waren 200 Dynamitpalronen und grö- , ßere Mengen Pulver vergraben. ^
* London, 11. Mat. „Times" meldet L
aus Alexandria: Der Kassier Jäger wurde in Begleitung einer Frauensperson durch den deut-
oder die allgemein sozialen Zustände, oder auch der neue Zolltarif daran schuld?
* München, 12. Mai. Die Bestimmungs- Kommission der Abgeordnetenkammer lehnte das Ausführungsgesetz zur Krankenkaffennovelle in der Fassung der Regierung ab, wonach die landwirtschaftlichen Arbeiter und alle Dienstboten in die Gemeinde-Krankenversicherung einbezogen werden sollen.
* Worms. Die hiesige Polizei hat im vo
rigen Jahre 1604 Arbeiterwohnungen, die insgesamt von 10,400 Personen bewohnt waren, untersucht. Heber die Ergebnisse spricht sich jetzt der Oberbürgermeister Küchler in dem Verwaltungsrechenschaftsbericht aus. 14 Prozent aller Wohnungen wurden als feucht und ungesund und 4 Prozent als im hohen Maße überfüllt ermittelt. In keiner Form, heißt es unter anderem, beute der Wucher seine Opfer so schonungslos aus wie der Wohnungswucher. Der Schluß des Berichts lautet wörtlich: „Wohnungen, die auf den Wohnraum rund 5 Personen über 6 Jahre, also mit den kleinen Kindern mindestens 8 Seelen beherbergen, zerstören durch die mit dieser Menschenanhäufung unvermeidlich verbundene Unreinlichkeit und schlechte Luft nicht allein die Gesundheit, sondern auch alle Scham und Sitte, ganz abgesehen davon, daß ein Familienleben in solchen Wohnungen undenkbar ist. Es muß deshalb der Erlaß von Bestimmungen zur Verhütung ungesunden Wohnens als ein unerläßliches Bedürfnis angesehen werden." ,
* Frankfurt a. M., 10. Mai. Den Abendblättern zufolge ist Obertelegraphenasststent Müngersdorfs verhaftet worden, weil er seinen Paß an den flüchtigen Rothschild'schen Kassierer Jäger für die Summe von 60000 Mk. abgegeben habe. Außerdem sei ein Eierhändler verhaftet worden, der zwischen beiden vermittelt habe.
"Berlin. Bei der Bataillonsbestchtigung des dritten Garde-Regiments am Montag auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin ließ der Kaiser Regimentskolonne formieren, rief alsdann den Grenadier Lück, der vor kurzem auf Posten den Schuß abgegeben hatte, durch den zwei Männer schwer getroffen wurden, vor die Front und ernannte ihn mit den Worten zum Gefreiten: „Gefreiter Lück! In Anerkennung deines korrekten Benehmens auf Posten ernenne ich dich zum Gefreiten. Ich hoffe, daß du auch fernerhin dich durch Mut und Entschlossenheit auszeichnen wirst, und daß du stets dem Regiment Ehre machen wirst. Darauf reiche ich dir die Hand!"
* Berlin, 11. Mai. Nach der „Freis. Ztg." zirkuliert über die Auszeichnung des Grenadiers Lück durch den Kaiser auch die Version, daß der Kaiser im Offizierskafino dem Gefreiten nicht seine Photographie, sondern ein Glas Sekt habe verabreicht unter ehrender Anerkennung seines Verhaltens; er habe sodann mit Lück angestoßen.
Der Jets des Verfluchten. Nachdruck verboten.)
(Historische Erzählung von W. Grothe.)
«Fortsetzung.)
„Er ist ein solcher, welcher die Strelzi gegen uns loszulassen gedenkt, gegen uns die Maitage wiederholen will, welche den Narischkins verderblich wurden," versetzte die Regentin. „Noch gestern sprach es sein Vater deutlich aus. Entschließe dich und mache dich zur Reise bereit. Es bedarf nichts zu derselben."
„O unglückseliger Irrtum, laß mich ihn dir erklären, und du wirst sehen, daß es nur Gespenster sind, welche du fürchtest. Jury denkt nicht —"
Hier unterbrach Sophia die Rede, indem sie erinnerte, daß die Zeit verstreiche. Sie könne ihr auf der Reise das sagen, was sie zur Entschuldigung der Fürsten Chowansky Vorbringen wolle. Jetzt dürfe nicht gezaudert werden. Ihre Rede war dringend, befehlend und ließ keine andere Deutung zu, als daß Sophia Gewalt gegen Widerstand anwenden würde. Kathinka war eine jener weichen, gehorsamen Naturen, welche sich den Anordnungen und Befehlen gern und leicht fügen; hier setzte sie aber Widerstand den Anordnungen der Regentin entgegen.
Da wurden Sophias Augen starr, ihre Blicke drohend; ihre Stimme grollte wie dumpfer Donner. Sie faßte Kathinkas Arm und schüttelte diesen.
„Soll ich dich mit Gewalt dazu zwingen lassen, uns zu folgen?" fragte sie.
Kathinka sank auf die Kniee und erhob flehend die Hände; aber die Schwester riß sie empor. „Laß mich nicht vergessen, daß du meine Schwester bist," ries sie, „Du möchtest sonst als Genossin an Cho- wanskys Verbrechen bestraft werden. Fort! Oder ich rufe meine Frauen und lasse dich wie ein eigensinnig Kind bestrafen."
Da war es mit dem Widerstande zu Ende, Kathinka ließ sich in einen Mantel hüllen und folgte der voranschreitenden Schwester mit leisem Weinen. Wie schnell die Flucht zu dem Kloster des heiligen Sergei angetreten wurde, beweist, daß Natalie Narischkin nichts mit sich nahm, als ein goldenes Kreuz; den übrigen Schmuck ließ sie zurück. Sie fürchtete für ihren Sohn. Dies erfuhren die Chowansky, als sie sich in den Kreml begaben. Dann eilten sie zu den inzwischen versammelten Strelzi. Sie traten unter sie und fragten, ob die Söldner ihre Befehlshaber aufgäben, oder ob sie treu zu ihnen ständen. Ein wilder Jubelruf wurde den Fürsten zu teil. Man schwur, sich für sie töten zu lassen. Iwans Antlitz leuchtete vor Freude und er befahl, daß die Strelzi unter Waffen blieben, dann sagte er zu seinem Sohne leise: „Hier in Moskau sind wir die Herren, aber wir müssen es auch sonst sein. Ehe noch Sophia handeln kann, müssen wir uns ihrer bemächti- ! gen. Ich nehme fünfzig Reiter mit mir, während du in Moskau zurückbleibst."
„Nicht also, mein Vater," versetzte Jury, „ich werde dich begleiten."
„Das darf nicht sein. Wir dürfen Moskau nicht allein zurücklassen," bemerkte der alte Fürst. „Solange wir Moskau besitzen, sind wir die Sieger."
„Wir haben der Strelzi Untreue nicht zu fürchten," entgegnete Jury.
Endlich gab der alte Fürst nach, verschob aber nun die Abreise bis zum folgenden Tage, da er in betreff der Strelzi viele Anordnungen treffen mußte, um während seiner Abwesenheit keine Unordnungen ein- treten zu lassen, Anordnungen für die verschiedensten Zufälligkeiten, welche drohen könnten.
Der folgende Tag war ein Freitag. Makom machte am Morgen darauf aufmerksam, daß nach dem Volksaberglauben man an einem