Zeuge ging zur Polizei, wo man ihm mitteilte, daß gegen Hänselmann nichts vorliege und daß er allerdings die 14- tägige Kündigungsfrist einhalten müsse. Wacker ging wieder zu Hänselmann und bat ihn kniefällig: „Verschonen Sie doch meine Frau und meine Kinder, es handelt sich um mein sauer erspartes Geld." Hänselmann tröstete ihn, er bekomme sein Geld, wenn seine Zeit aus sei. — Staatsanwalt Banzer beantragte das höchst zulässige Maß von zehn Jahren Gefängnis und fünf Jahr Ehrverlust. Hänselmann verteidigte sich selbst. Er müsse sich im vollsten Maße schuldig bekennen. Nicht von Anfang an habe er die Absicht gehabt, die Leute zu betrügen. In den besten Verhältnissen ausgewachsen, mit der höchsten Auszeichnung für Leistungen auf künstlerischem Gebiet bedacht, Besitzer eines blühenden Geschäftes habe er das Unglück gehabt, gewissenlosen Finanzleuten in die Hände zu fallen. Er sei nach München gekommen, um sich wieder festen Boden zu schäften- Er bitte, sein Unternehmen als das zu betrachten, was es war, als eine leichtsinnige, verkrachte Spekulation. Das Urteil lautete auf stehen Jahre Gefängnis und fünf Jahre Ehrverlust. Das Gericht war der Anschauung, daß der Angeklagte von Anfang an in betrügerischer Absicht gehandelt habe.
* Berlin. Die Vorarbeiten zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf das Handwerk sind schon seit längerer Zeit an der zuständigen Stelle im Gange. Es wird aber noch eine Spanne Zeit vergehen, ehe der Entwurf spruchreif wird, da sich der gesetzlichen Regelung dieses Gegenstandes ernste Schwierigkeiten entgegenstellen.
* Berlin, 30. April. Im Lanfe dieses Jahres sind der deutschen Regierung wieder Mitteilungen der französischen Regierung zugegangen, aus denen hervorgeht, daß die Sterblichkeit in der Fremdenlegion eine bisher noch kaum erreichte Höhe gehabt hat. Allein in diesem Jahre sind schon bisher über 300 Totenscheine cingereicht worden, die sich nur auf deutsche Staatsangehörige beziehen. Wenn die Sterb lichkeit so anhält, so werden in diesem Jahre zwischen 6 bis 700 Deutsche in französischen Diensten sterben, und wenn nun die Fremdenlegion noch nach Dahome geschickt wird, so kann es noch schlimmer werden. Daraus kann man ersehen, welch ein furchtbarer Menschenverbrauch bei der Fremdenlegion stattfindet und wie schlecht diejenigen Elsaß-Lothringer beraten sind, die ihr in Massen aus jugendlichem Unverstände zulaufcn. Die meisten der in den letzten Totenscheinen Genannten sind Elsaß-Lothringer.
* Berlin, 2. Mai. Die Maifeier ist hier ruhig verlaufen bei kaltem regnerischem Wetter. Die Lokale, wo Versammlungen anzekündig-, waren überall dicht gefüllt.
* Berlin, 2. Mai. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht das Gesetz betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und wetnähnlichen Getränken, sowie die Ausführungsbestimmungen. — Die „Abendblätter" veröffentlichen eine Zuschrift der Waffenfabrik Ludwig Löwe, wonach anläßlich der gegen dieselben gerichteten Ahl- wardt'schen Broschüre seitens des königlichen Kommandanturgerichts wegen Verdächtigung der dem königlichen Kriegsministerium unterstellten Beamten Untersuchung gegen den Verfasser der Schrift eingeleitet wurde.
* Berlin, 3. Mai. Der „Voss. Ztg. zu
folge gilt es in russischen Hofkreisen für sicher, daß der Besuch des Zaren in Berlin noch vor der goldenen Hochzeit des dänischen Königspaares stattfinden werde.
* Berlin, 3. Mai. Die „Vossischs Ztg." meldet aus Petersburg: Der Zustand des Großfürsten Georg hat sich bedenklich verschlimmert.
* Unter der Ueberschrift „Ernste Ueberrasch- ungen" gehen der hin und wieder zu offiziösen Kundgebungen benutzten „Düsseldorfer Zeitung", wie sie sagt, „aus Berlin von hochgeschätzter Hand bemerkenswerte Mitteilungen" zu, denen wir nachstehende Stellen entnehmen: „Es kann und soll auch nicht geleugnet werden, daß die in Aussicht gestellte MilitärVorlage den eigentlichen Brenn- und Kernpunkt der gesamten nächsten parlamentarischen Zukunft bildet. Die militärischen Autoritäten sind unerschütterlich davon überzeugt, daß die Wehrkraft ves Deutschen Reiches einer durchgreifenden Reformation bedarf, daß sowohl eine starke Vermehrung der Offiziers- und Mannschaftsziffern im Kriegsfälle unabweisbar ist, als auch eine Vermehrung der Armeekorps Im Frieden. . . Mag nun die Volksvertretung im Reichstage und im preußischen Abgeordnetenhause noch so skeptisch verfahren, darüber wird in kurzer Zeit ein Zweifel nicht mehr bestehen können, daß die Miauelschen Steuerreformen im ursächlichsten Zusammenhänge mit den geplanten Wehrverbesserungen stehen! Beides ist materiell nicht mehr von einander zu trennen, und der Gewissenskonflikt, in welchen der berechtigte Sparsina der Volksvertreter mit ihren patriotisch-nationalen Pflichten tritt, muß gelöscht werden! Wie ich aus allerzuverlässigster Quelle versichern kann, wird die Regierung Preußens, werden die Bundesregierungen bedingungslos an der Durchführung der Wehrvorlage sesthalten, die Not gebietet dies; die bestimmte Ueberzeugung, daß die heutige deutsche Wehrkraft nicht ausreicht, den von Ost und von West zu gewärtigenden Vorstößen auf die Dauer mit Erfolg die Spitze zu bieten, muß und wird diesen Widerstreit der finanzpolitischen und patriotischen Erwägungen zum Vorteil der letzteren entscheiden, selbst auf die Gefahr einer Doppelauflösung, einer Auflösung des Reichstages und des preußischen Landtages hin!"
* Der „Berliner Lokal-Anzeiger" berichtet folgenden Fall: Durch eine sonderbare Todesursacheverloren die in Berlin wohnenden F.'schen Eheleute ihr einziges, vierjähriges Kind. Vor 14 Tagen ungefähr hatte ber Junge, als die Mutter Bohnen kochen wollte, einige davon genommen um sie zum spielen zu verwenden, dabei hatte er sich aber eine ins Ohr gesteckt und alle Bemühungen, sie zu entfernen, schlugen fehl. Nach dem Tode fand man die Bohne und eS zeigte sich, daß sie gekeimt und eine Gehirnentzündung hervorgerufen halte.
' (Die schnellste Fahrt nach Amerika.) Das „Wolff'sche Tel. B." meldet: „Der Schnelldampfer „Fürst Bismarck" der Hamburg-Ame- rikanischen-Packetfahrt-Aktien-Gesellschaft ist am
hatte sich am 23. Nov. aus München in die Schweiz geflüchtet, wurde aber nach wenigen Tagen in Raga; verhaftet und hieher geliefert. Nicht weniger als 81 Personen waren das Opfer seines frechen Schwindels. Mit Rücksicht auf die große Zahl der Zeugen — 84 — mußte der Schwurgerichtssaal zur Verhandlung in Anspruch genommen werden. Hänselmann hatte keinen Verteidiger aufgestellt. Bei seiner und der Zeugen-Vernehmnng wurde konstatiert, daß Hälft elmann Ende der 80er Jahre Direktor des Südd. Verlagsinstituts war, als welcher er 12,000 Mk. Gehalt bezog. Dieser Gehalt reichte indessen nicht hin, da er Equipagen, Pferde, Maitreffen rc. hielt. Hänselmann häufte Schulden auf Schulden, aus denen ihn immer wieder sein Schwager herausriß. Auf diese Weise zahlte Letzterer nach und nach die Summe von 100,000 Mk., wogegen Hänselmann seine Ansprüche auf etwaige Erbschaften an seinen Schwager abtreten mußte. Die Schwester Hänselmanns zahlte 8000 Mk., während seine Mutter 21000 Mk. Schulden deckte. Als Hänselmann sich nicht mehr halten konnte, meldete er den Konkurs an, welcher mit Einwilligung der Gläubiger durch Vergleich erledigt wurde. Nun wandteer sich nach München. Hier gründete er im Juni v. Js. ein Kommissionsgeschäft in der Lonnenstraße Nr. 2. Die Geschäfts- und Wohnungseinrichtung besorgte sein L-chwager. Das Geschäft ging schlecht und H. verfiel auf den Kautionsschwindel. Durch Inserate in den Zeitungen lockte er Leute an sich. Diese wurden als Ausgeher engagiert und mußten zur Sicherstellung der von ihnen einzutassterenden Geschäftsgelder Kaution leisten. Hänselmann spiegelte den Leuten vor, daß er ein blühendes Geschäft besitze; seine Verwandte seien sehr reich u. dgl. Dabei verfehlte Hänselmann nicht, wie zufällig, die Schublade seines Pultes zu öffnen, in der jederzeit Geld lag. Die Kautionen dienten Hänselmann zur Bestreitung seiner Genußsucht. Anfänglich hatte er bloß 3—4 Ausgeher in seinem Geschäft. Diese mußten Briefe besorgen, Inserate ausgeben und dergleichen Dinge mehr, nur nicht Gelder einkassieren, aus dem einfachen Grunde, weil Nichts einzukassieren war. Im Herbste engagierte Hänselmann immer mehr Leute als Ausgeher, Bureaudiener, Schreibgehilfen, Buchhalter, und hatte schließlich 60 Personen zugleich engagiert. Außerdem „etablierte" er in der Dachauerstraße Nr. 36 eine Kolportage-Buchhandlung, für welches „Geschäft" gleichfalls Leute mit Kautionen engagiert wurden. Der ganze Kolportagebuchhandel erstreckte sich auf zehn Werke. Auch ein Wurstwarengeschäft ließ er am Sendlingerthorplatz auf seine Rechnung betreiben. Damit man dem Schwindel nicht aus die Spur komme, verbot er den Leuten mit einander zu sprechen. Manche der Geprellten wurden bald mißtrauisch, Hänselmann wußte sie indessen wieder zu beschwichtigen. Im Ganzen fielen ihm 81 Personen mit Kautionen im Betrage von 90—1000 Mk. zum Opfer. Nach seinem zu Gerichtshanden gekommenen Geschäftsbuch bezifferte sich Hänselmanns Einnahme im August auf 11 Mk. 82 Pf., im September auf 11 Mk. 11 Pf., im Oktober auf 59 Mk. 59 Pf. Daß Hänselmann sehr verschwenderisch gelebt haben mußte, geht daraus hervor, daß er bei seiner Verhaftung in Ragaz keinen Pfennig mehr hatte, während er in der Zeit vom Juni bis November nicht weniger als 19 070 Mk. erschwindelt hatte. Als Hänselmann verduftete, nahm er seine Geliebte, die Näherin Therese Moser mit, während er seine Frau in den traurigsten Verhältnissen zuruckließ. Hänselmann gab alles zu. Ein Zeuge, Maurer Wacker, ein ergrauter, verheirateter Mann, erzählt: Er wurde arbeitslos und suchte eine Stellung. Im November las er ein Inserat Hänselmanns und begab sich zu diesem. Hänselmann verlangte 200 Mk. Kaution. Zu allem Unglück hatte nun Wacker nur eine auf 1000 Mk. lautende Obligation, sein ganzes sauer erspartes Vermögen. Durch allerlei Redensarten wußte Hänselmann nun den Wacker zu bewegen, die Obligation herzugeben. Eine Stunde später traf Wacker einen Kommissionär, dem Wacker erzählte, was er gethan. Dieser sagte ihm, das Geld sei verloren, er solle nur schleunigst die Sache rückgängig machen. Daraufhin ging Wacker zu Hänselmann und erklärte, die Stellung nicht antreten zu können, man solle ihm sein Geld wieder zurückgeben. Hänselmann erklärte: „Das geht mich nichts an, Sie müssen Ihre 14tägige Kündigungsfrist einhalten." Der
Der Jets des Verfluchten. v«bo.en.)
(Historische Erzählung von W. Grothe.)
> Fortsetzung.)
Mit leuchtenden Augen führte Sophia Peter und Iwan die Stufen hinauf und ließ sie nebeneinander Platz nehmen, dann kniete die Zarewna nieder und leistete die Huldigung. Ich folgte Natalie Narisch- kin, Galitzin, Trotzkoi und noch ein halbes Dutzend herbeigeeilter Bojaren. Die Strelzi schwangen aber ihre Waffen empor und schwuren Treue dem Zarenpaare und der Regentin des Vaterlandes, der schönen Sophia Alexejewna mit fürchterlichem Geschrei.
An der Thür des Thronsaales stand aber der Rächer Stenka Rasins und schaute finster in das Gewoge. Er leistete keinen Eid der Treue wie die anderen.
Als Sophia mit den beiden Zaren den Saal verließ — es geschah dies unter den Jubelrufen der Strelzi — wollte ihnen Natalie, Peters Mutter, folgen. Da trat ihr Makom in den Weg und wehrte ihr, sich den dreien anzuschließen.
„Die Brüder suchen nach deinen Brüdern, Zarin," sagte er, „du solltest ihnen suchen helfen, daß sie den Lohn empfangen, den sie verdient haben."
„Wollt ihr mich zur Brudermörderin machen?" fragte Natalie mit rascher Geistesgegenwart und einem Mut, den sie sonst nicht besessen hatte. Ihre Worte blieben nicht ohne Eindruck auf die Massen; ein wildes Hurra erscholl Natalien, welche bisher nur die Nähe ihrer Stieftochter geschützt hatte. Makom trat aber finster zurück, indem er sich sagte: „Und er soll nicht entkommen, der in dem Blutgericht über den Helden von Astrachan gesessen hat."
Zwei Tage und drei Nächte suchten die Strelzi Vergebeos nach Iwan Narischkin, am Morgen des dritten Tages entdeckte man ihn unter
den Stufen des Hochaltars, von einem Teppich bedeckt. Man zog ihn jubelnd hervor. Der prächtige Bruder der Zarin war furchtbar verwandelt, die Stunden der Todesangst hatten ihn fast unkenntlich gemacht. Natalie suchte ihn zu retten, sie flog herbei und flehte knieend um das Leben des geliebten Bruders, der kraftlos zusammengebrochen war. Auch die Geistlichkeit, welche dem Blutbade ein Ende zu machen suchte, senkte ihre Kreuze über ihn, daß die Strelzi scheu zurückwichen.
Da ertönte Makoms Stimme. „Wer darf mit Iwan Narischkin Mitleid fühlen? Rettet das Vaterland vor dem Gleißner in Purpur und Gold!"
„Rettet das Vaterland!" wiederholte sich der Ruf, und man riß den Halbtoten empor und schleppte ihn zur großen Treppe.
Als die untenstehenden Strelzi den- Gefangenen oben bemerkten, jauchzten sie und warteten nicht die Frage: „Ist euch dieser genehm?" ab, sondern jubelten: „Herunter mit dem Vampyr Rußlands! Herunter mit Iwan Narischkin!"
Als dreiundvierzigstes Opfer dieses Aufstandes wurde er in die Lanzen und Speere geschleudert. Ueber seinem entseelten, von hundert Wunden zerrissenen Körper umarmten sich die Strelzi, als hätten sie den schönsten Sieg davongetragen, und riefen: „Jetzt sind wir zufrieden! Jetzt sind wir vergnügt!"
Makom aber warf sich auf ein schnelles Roß und sprengte zu dem Felsen, an dessen Fuß einst das Heimatsdors des Helden von Astrachan gestanden hatte. Das Heimatsdorf war nicht wieder aufgebaut worden, um das Andenken an den Rächer seines Bruders zu vernichten, doch der Lieblingsplatz des Gerichteten, der Altar, stand noch da, wie er am Anfang aller Tage gestanden, und das Volk der Umgegend hatte ihm den Namen „Der Fels des Verfluchten" gegeben.
Als Makom bei demselben ankam, war der Tag schon im Ver^