* Berlin, 29. Febr. Das völlige Schweifen des Reichskanzlers bei der langen heutigen Debatte im Reichstag über die Mißstände des Nebeneinandertagens des Reichstages und der Landtage und die dauernde Beschlußunfähigkett des Reichstages, eine Debatte, an der sich die Häupter aller Parteien beteiligten, fiel allgemein auf.
* Berlin, 29. Febr. Seit Samstag abend find keine weiteren Kravalle vorgekommen. In der Stadt herrscht vollständige Ruhe.
* Berlin, 29. Febr. Der Antrag der sozialdemokratischen Stadtverordneten betreffs Abhaltung einer außerordentlichen Sitzung zur Beratung sofortiger Arbeitschaffung für Beschäftigunglose wurde vom Vorsteher abgelehnt.
* Vom Eisenbahnzuge zermalmt wurde Mittwoch nachmittag auf dem Bahnhof in Charlottenburg ein Arbeiter bet dem waghalsigen Unternehmen, die einlaufende Maschine durch Entgegenstemmen mit seinem Körper zum Halten zu bringen!!
* Essen, 24. Febr. Aus der Krupp'schen Fabrik wurde am vorigen Freitag mit so schweren Geschützen geschossen, daß in vielen Häusern des Segerotvierrels bei jedem Schuß Thüren und Fenster aufschlugen und daß die heftigen Detonationen selbst nervenstarken Personen durch Mark und Bein gingen. Bei einem einzigen Häuserbesitzer in der Freistattstraße find allein 30 große Scheiben, L Mark 3,50 zersprungen und außerdem hat der Luftdruck eine große, teure Spiegelscheibe aus der Umfassung heraus in die Stube geworfen und zertrümmert.
* Die königl. Geschützgießerei in Spandau ist jetzt so beschäftigt, daß Tag und Nacht, Sonntags bis Mittag gearbeitet wird.
* Hamburg, 28. Febr. Die „Hamburger Nachr." bringen fünf Kampfarttkel. Der erste bekämpft die Einlösung der österreichischen Vereinsthaler, die eine Freigebigkeit gegen Oesterreich sei und der Reichskasse eine Ausgabe von vielen Mill. auflege. Eine Erklärung dafür sei nur in dem Wunsch zu finden, den Bundesgenossen zu verpflichten, wie dies auch durch den Handelsvertrag geschehen sei. Die zweite bezieht sich auf den von dem Abg. Bachem geäußerten Wunsch des Zentrums nach Wiedervereinigung mit dem kathol. Oesterreich, die die vorsechsund- sechziger Zustände zurückbringen möchte. Der dritte wendet sich gegen das deutschseittge Abstandnehmen von Beibringen der Ursprungs-Zertifikate bei Einfuhr von Getreide aus Oesterreich-Ungarn, wodurch der Ostseehandel geschädigt werde. Der vierte bezeichnet das Hinetn- werfen des Schulgesetzes als Zankapfel unter die Parteien als politisch nicht geschickt, weil Zentrum, Polen und Welsen durch Konzessionen doch nicht zu versöhnen seien. Der fünfte beschäftigt sich mit der Rechtfertigung Bismarcks bezüglich der Zeitungsartikel über die derzeitige Ernennung des Kardinals Ledochowskt zum Präfekten der Kongregation äo xroxagswäg, Käs,
und giebt Aufklärungen über die damalige Instruktion des Kardinals.
"Hamburg, 29. Febr. Eine für heute beschlossene friedliche Kundgebung der Arbeitslosen durch einen Umzug wurde infolge der Berliner Ereignisse aufgegeben.
"Hamburg, 1. März. Vermutlich als Antwort auf die Auslassungen des Kaisers gegen die deutschen Nörgler, bringen die „Hamb. Nachr." an erster Stelle einen Artikel aus Karlsruhe, wonach die Stimmung gegen den Berliner neuen Kurs in Süddeutschland, speziell in Baden und Württemberg so ernst sei, wie noch niemals zuvor.
* Danzig, 24. Febr. Der Danziger Zeitung zufolge teilte der Polizeidirektor gestern dem hiesigen Magistrat mit, 3000 Arbeiter, 1000 Arbeiterinnen seien ohne Erwerb und in großer Not. Der Polizeidirektor ersuchte den Magistrat um schleunige Erwägung über Schaffung von Arbeitsgelegenheit.
* Metz, 23. Febr. In Noveant (Station an der deutsch-französischen Grenze) wurde ein französischer Gendarmerie-Brigadier Friedrich wegen Verdachts der Spionage verhaftet und über die Grenze zurückgebracht.
* London, 1. März. Das Reutersche Bureau meldet aus Saint Jean (Neufundland): Von 200 durch einen Schneesturm überraschten Robbenfischern find 150 zurückgekehrt. Man befürchtet, daß sie durch die intensive Kälte umgekommen sind. Es stehe fest, daß 13 Fischer erfroren seien.
* Petersburg, 28. Febr. Das Chaos im Eisenbahnwesen, veranlaßt durch Getreidetransporte für die Notleidenden, ist bereits so groß, daß die Provinzpresse Lärm schlägt. Einzelne Bahnen sind förmlich versperrt und das für Notleidende bestimmte Getreide der Unbill der Witterung ausgesetzt. Die Kiewl- janin macht darauf daaufmerksam, die gegenwärtigen Getreidetransporte seien ein Kinderspiel im Vergleich zu den Aufgaben, welche den Eisen-s bahnen im Mobilisierungsfalle bevorstehen. Die Gesellschaft sei in Aufregung, da keine Diktatur wie die des Obersten Wendrich im stände sei, eine gute Betriebsorganisation, bei welcher jeder Mann auf seinem Platze sei, zu ersetzen. Die ganze Etsenbahnadministration sei jetzt über Bord geworfen bloß wegen der Getreidetransporte. Wie, fragt der Kiewljanin, werden wir im Kriegsfälle Truppen, Bagage u. s. w. befördern?
* Petersburg, 28. Febr. Der Mangel an Aerzcen in den Hunger- und Typhusbezirken macht sich immer fühlbarer. In diesen Tagen sollen Sanirätszüge dahin abgehen, auch melden sich zahlreiche Studenten zur Aushilfe. Aus Semipolatinsk melden dortige Geistliche, in ihren Psarrbezirken lägen ganze Familien infolge der furchtbaren Hungersnot krank darnieder ; in einem Psarrbezirk allein 200 Kinder.
* Wie man aus Petersburg meldet,, wird die Russtfizierung der Lehranstalten in den Ostsee-Provinzen mit solcher Zähigkeit durchgeführt, daß nunmehr auch für die Kinderbe- wahr-Anstalten das Russische als Unterrichtssprache vorgeschrieben ist. Des wetteren wird berichtet, daß der scheinbare Stillstand, welcher in der Ausführung strenger Maßregeln gegen die Juden in Rußland eingetreten war, durch eine Verfügung des Kreisvorstehers von Kon- stinow, im Lubliner Gouvernement, unterbrochen worden ist, der zufolge aus drei Ortschaften dieses Kreises Juden wegen gesetzlich verbotener Niederlassung ausgewiesen wurden.
* Aus Warschau wird dem „Standard" vom 26. Februar telegraphiert: Im nächsten Frühjahr werde die russische Armee in 3 Armeen geteilt werden, in eine Nordarmee unter dem Großfürsten Wladimir, eine Westarmee unter General Gurko und eine Südarmee unter General Dragomirow. Das oberste Kommando werde dem General Obrutschew übergeben. 800,000 Kosaken und andere Reitertruppen seien an den Grenzen Deutschlands und Oesterreichs aufgestellt.
* Sofia, 20. Febr. Ein Erlaß des Fürsten gewährt allen bulgarischen Flüchtlingen, die bis zum Mai in die Heimat zurückkehren, volle Amnestie.
* New - York, 27. Febr. „World" mel - det sensationell: 800 Cubaner organisierten in Amerika, mit dem Hauptfitz in New-Aork, Vorbereitungen zur Revolution in Cuba.
Handel «nd Verkehr.
* Stuttgart, 29. Febr. (Landesprodukten- Vörse.) In abgelaufener Woche erfuhren die Preise für Brotsrüchte am Weltmärkte eine Abschwächung. — Die Situation hat sich zu Gunsten der Käufer geändert; der Konsum verhält sich zuwartend, da die Hauptabnehmer, die Müller, durch schlechten Mehlabsatz „zu größeren Unternehmungen" bet den immerhin noch hohen Getreidepreisen nicht animiert werden können. Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, rumän. Ig.. 23.75 bis 24.75 Mk., dto.
22.50 Mk., amerik. Kansas 22 bis 22.80 Mk., russ. azima 23.50 Mk., I-L Ul-tts, 23.25 Mk., Kernen 24 Mk., Gerste, bayer. 18.50 bis
19.50 Mk., ungar. 20 Mk., Nördl. 20 Mk., Haber, Alb 14.50 Mk., Mais, mixed 13.80M. Mehlpreise pr. 100 Kilogr. inkl. Sack bei Wagenladung: Suppengries: 37.50 Mk., Mehl Nr. 0: 37 bis 38 Mk., Nr. 1: 35 bis 36 Mk., Nr. 2: 34 bis 34.50 Mk., Nr. 3: 32.50 bis 33 Mk., Nr. 4: 29.50 bis 30 Mk. Kleie mit Sack 10 Mk. pr. 100 Kilo je nach Qualität.
Verantwortlicher Redakteur: W. Rieker, Altensteig.
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Johanna, gewesen, und wir beide uns ohne Zeugen gesprochen. Sie wollen es?"
„Ja, Gustav, ich werde Sie erwarten."
Ich fühlte den leisen Druck ihrer Hand, die ich noch in der weinigen hielt, und auf welche ich jetzt meine Lippen preßte. Dann wandte ich mich zu Friedrich.
„Auch Sie, Freund, werden bis dahin gegen alle schweigen, auch gegen Ihre gute Mutter. Gehen Sie jetzt mit meiner Kousine und bleiben Sie in deren Nähe, bis der Onkel und die Tante heimgekehrt sind. Sie werden bald erfahren, welche Bewandtnis es mit den geheimen Ausgängen meiner Kousine hatte. Eins aber mögen Sie jetzt schon wissen: ihr gebührt unsere tiefste Verehrung."
„Ach, Herr Justitiar, Sie können mir ja bezeugen, daß ich nie etwas Böses darüber gedacht!"
„Ja, Friedrich, das Zeugnis darf ick Ihnen ausstellen!"
„So hatte ich mich nicht geirrt, als ich dein Wissen vermutete," sprach Johanna zu dem wackeren Gärtner. „Doch laß uns gehen, damit Gustav nicht länger gehindert wird, diesem Unglücklichen Beistand Zu leisten . . . Wie gnädig erwies sich mir der Himmel, indem er zwei edle Menschen über mich wachen ließ!"
Sie richtete bei diesen Worten einen Blick auf mich, der mein Herz in nie gekanntem Glücksgefühl erzittern ließ.
„Auf Wiedersehen, Gustav; morgen, sobald es möglich!"
Damit verließ Johanna an Friedrichs Seite die Kapelle.
Ich preßte die Hände gegen die hochwogende Brust und hätte wohl noch lange auf die Thür geschaut, welche die Geliebte meinen Blicken entzogen/wenn ein dumpfes Stöhnen Theodors mich nicht erinnert hätte, daß dringende Pflichten meiner harrten.
Friedrich führte seine junge Gebieterin auf -demselben Wege, den
diese in jener verhängnisvollen Sonntag-Nacht eingeschlagen, Lurch den Garten, wo Hektar sie freudig umsprang, nach dem Wohnhause. Während des Gehens wechselten sie nur wenige Worte.
Die alte Christine erschrack nicht wenig, als sie ihren Sohn an der Seite der Zurückkehreuden sah. Johanna beruhigte die treue Dienerin viit freundlichen Worten. Nachdem sie Mantel uno Tuch abgelegt, begab sie sich mit den beiden in das Familienzimmer.
„Nun, Friedrich, bitte ich dich um die versprochenen Erklärungen," sprach Johanna, während Christine fürsorglich die Theemaschine in Bereitschaft setzte. „Deine gute Mutter darf sie anhören; denn sie hat stets um meine heimlichen Ausgänge gewußt."
„Das Hab' ich mir wohl im Stillen gedacht, Fräulein," erwiderte der Gärtner. Er berichtete in schlichter Weise, was die Leser bereits wissen, und fuhr dann fort: „Als meine Mutter heute abend in dringender Weise Ihre Ausgehe-Stiefelchen verlangte, und zwar unter einem nicht stichhaltigen Vorwände, da konnte ich leicht errate», daß Sie in dieser Nacht wieder einen Ausgang vorhatten. Ich konnte ihn nicht verhindern; aber ich wußte, was ich zu thun hatte. Heimlich gebot ich meinem Burschen, Rock und Mütze zu nehmen, in aller Stille das Arbeitspferd zu satteln, es durch die Hintere Gartenpforte auf den Fahrweg zu führen und dort zu warten. Darauf schrieb ich dem Herrn Justitiar, was ich verraten müsse, und bat ihn um Verhaltungsbefehle. Mit diesem Briefe mußte Karl nach dem Schlosse jagen, um denselben durch einen Diener mit der Meldung, daß der Bote auf Antwort warte, dein Herrn Justitiar zustellen zu lassen.
„Karl ist ein listiger und gewandter Mensch. Ohne zu wissen, um was es sich handele, richtete er seinen Auftrag pünktlich aus und war schon gegen neun Uhr mit einer schriftlichen Antwort zurück.
(Fortsetzung folgt.)