Lokalblatt zu berichten weiß, herrscht in einem bekannten Musik-Verlag-Geschäfte unserer Stadt zur Zeit fieberhafte Thätigkeit. Bei letzterem ist nämlich die russische Nationalhymne verlegt. Infolge des gegenwärtig in Frankreich herrschen­den Russenwahnsinns seien nun von dort so zahlreiche Eilbestellungen auf die Hymne ein­gelaufen, daß von derselben eine neue Auflage schleunigst angefertigt werden mußte.

* Berlin, 21. Aug. DieVoss. Ztg." erfährt aus Wien: Das russische Ministerium wies sämtliche russische Eisenbahnstationen tele­graphisch an, die Uebernahme von Roggen zur Beförderung über die Grenze einzustellen.

* Berlin, 22. Aug. Der Kaiser und die Kaiserin sind heute früh 8 V 4 Uhr von Kiel hier eingetroffen und verließen die Eisenbahn an der Haltestelle bet Schöneberg, von einer großen Volksmenge enthusiastisch begrüßt. Der Kaiser und die Kaiserin stiegen alsbald zu Pferde unv begaben sich nach dem Tempelhofer Felde zur Abhaltung der Parade des Gardekorps.

* Die offiziöse WienerPresse" führt aus, die deutscheReichsregierung habe einen staatsmännischen Blick bewiesen, indem sie sich von der heftigen Agitation gegen die Getreide­zölle nicht beeinflussen ließ. Die gegenwärtigen Vertragsverhandlungen sind zur Hebung der deutschen Industrie bestimmt. Diesem vitalen Interesse gegenüber müsse die Aufhebung der Getreidezölle zurücktreten, zumal die Getreide­preise dadurch nicht viel beeinflußt werden. Die Getreidehausse werde bald aufhören und die Landwirtschaft für ein geringeres Ernte­ergebnis durch die bessere Verwertung desselben entschädigt.

* Ueber die Höhe der eintretenden Ermäßi­gungen im Getreide-Frachttarif giebt die nach­nachstehende vergleichende Zusammenstellung Auf­schluß:

Auf eine

Frachtsatz nach dem

Entfernung

normalen

neuen

Ermäßig.

von

Spezial- Ausnahme-

Kilometern

Tarif I.

Tarif

für 100 Kilogramm in Mark

300

1.47

1,32

0,15

400

1,92

1,52

0,40

500

2,37

1,72

0,65

600

2,82

1,92

0,90

700

3,27

2,12

1,15

800

3,72

2,32

1,40

900

4,17

2,52

1,65

1000

4,62

5,07

2,72

1,90

1100

2,92

2,15

1200

5,52

3,12

2,40

Dem Vernehmen nach sollen außer Preußen auch diejenigen deutschen Bundesstaaten, welche Staatseisenbahnen besitzen, seitens des Reichs­kanzlers um Annahme der gleichen Tarife er­sucht worden sein.

* Ein Kaufmann an der deutschen Ostgrenze macht derNordd. Allg. Ztg." telegraphisch folgende Mitteilung: In Ostpreußen ist die Roggenernte vollständig und die Weizenernte

zur Hälfte geborgen. Die russische Roggen­ausfuhr ist riesig, alle Häfen laden was immer bewältigt werden kann, und unsere Grenzstationen sind mit augesammelten Roggenwagen überfüllt. In Wirballen sind gestern 34009 Wagen ein­getroffen und warten auf deutsche Wagen zur Ueberführung nach Deutschland. Bis zum 27. Aug. werden über Eydtkuhnen sicher 1090 Wagen gehen. Die Roggenpreise sind in Kowno von 135 auf 95 Mk. gesunken. Ein Warschauer Telegramm meldet: In sämtlichen Gouverne­ments Polens werden umfangreiche Roggen­ankäufe gemacht. Man berechnet die Gesamt­menge, welche bis zum 27. Aug. zur Verladung gelangt, mindestens auf 30,000 Tonnen. In hiesigen kaufmännischen Kreisen herrscht allge­mein die Ueberzeugung, daß das Ausfuhrverbot spätestens in 3 Monaten wieder aufgehoben wird. Die Ernte in Polen ist gut.

* Berlin. Etwa 270 russische Bauern, die vor einem Monat nach Brasilien auswan­dern wollten, aber nicht konnten, weil die dor­tige Regierung die Ueberfahrt für sie verweigerte, kamen damals von Bremen hierher zurück und wurden einstweilen im städtischen Asyl für Ob­dachlose untergebracht. Da die Erhaltung dieser kräftigen, teilweise auch auf den Bettel aus­gehenden Leute aber sehr viel Geld kostete, so beschloß die Stadt, sie zu Arbeiten heranzuziehen. Das verweigerten sie aber aufs entschiedenste, und als man ihnen ernstliche Vorstellungen machte, gingen sie mit Knütteln und Steinen auf die Beamten los. Sie konnten nur dadurch gebändigt werden, daß man die Hydranten öff­nete und sie mit kaltem Wasser überschüttete. Nun sind sechs Rädelsführer verhaftet. Der Rest wird ins Arbeitshaus zu Rummelsburg gebracht werden, falls die Leute es nicht vor­ziehen, Berlin zu verlassen. Bei 36 von ihnen fanden sich plötzlich die Mittel zur Weiterreise nach Rußland vor, die sie am Sonntag früh antraten.

* Koburg. Ein heiteres Intermezzo trug sich dieser Tage in der zum Schützenfest hier ausgestellten Ehlbeck'schen Menagerie zu. Bei den Produktionen des großen Elephanten hatte sich ein Herr vomersten Platze" zu weit vor­gewagt. Der Elephant, gewohnt, von den Zu­schauern Brot, Zucker u. dgl. zu empfangen, streckte ihm seinen Rüssel hin, erhielt aber von dem Herrn statt des Gewünschten einen leichten Schlag mit der Hand. Im nächsten Augenblick flog ein dunkler Gegenstand durch die Luft, der auf denletzten Platz" niederfiel. Es war die Perrücke jenes Herrn, die der gekränkte Elephant ihm vom Haupre gezogen und forrgsschleudert hatte. Die Belustigung des übrigen Publikums über den so plötzlich entstandenenMondschein" läßt sich leicht denken.

' Danzig, 21. Aug. Das hiesige königl. Proviantamt hat bereits von der Vorgesetzten Dienstbehörde Anweisung erhalten, mit dem An­kauf von Weizen für die Brotverpflegung der Truppen vorzugehen.

Prozeß wurde Oberbürgermeister Hegelmaier zu 25 Mk. Geldstrafe und in die Kosten verurteilt,

* Durch die großen Lorbeeren, welche der Stuttgarter Liederkranz sich in Berlin ersang, wurde, wie es scheint, auch Göppinger Sängern der Mund wässrig gemacht. Sie richten sich zu einer Sängerreise nach der Schweiz. Nach einem Abstecher in das Bad Pfäffers wird Zürich besucht werden, wo der Direktor der dortigen Harmonie, früherer Lehrer in Göp­pingen, H. Angerer, seinen Landsleuten ohne Zweifel für einen freundlichen Empfang sorgen wird. Daß nachher von einzelnen Sanges­brüdern Ausflüge nach den schönen Plätzchen der Schweiz Vierwaldstättersee, St. Gott­hard, Berner Oberland, Rheinfall, u. s. w. gemacht werden, versteht sich von selbst.

"(Verschiedenes.) Die bürgerlichen Kollegien von Göppingen beschlossen, zu Kanalisationszwecken und zu Erbauung eines neuen Schulhauses 1 Million Mark aufzunehmen. In Altheim fiel ein IVzjähriges Kind in eine mangelhaft bedeckte Güllengrube und ertrank. In einem Orte im Fränkischen schnitt sich ein noch nicht schulpflichtiger Knabe mit dem Messer in den Daumen der linken Hand und klagte sein Weh, da die Mutter krank zu Bette lag und der Vater auswärts in Geschäften war, der Haushälterin. Diese, statt die leichte Wunde auszuwaschen und zu verbinden, nahm Karbolsäure und goß solche in die Wunde, worauf der Finger sich derart entzündete, daß er vom Arzt abgenommen werden mußte. In der Nähe von Heilbronn wurde ein von Weinsberg kommender Mann von zwei mit Messern bewaffneten Strolchen angefallen und ihm 10 Mk. abverlangt, die derselbe denn auch notgedrungen hergab, worauf die Strolche das Weite suchten. Ein Bauer von Murr hat sich in einem Anfall von Geistesstörung in der Murr ertränkt. DasD. Volksbl." berichtigt, daß Lehrer R. von Heiningen an' den er­haltenen Schußwunden nicht gestorben ist, doch scheint er noch nicht außer Gefahr zu fein. Ein Arbeiter auf dem R 0 ttweiler Bahnhof verzehrte zu seinem Vesper am Donnerstag nach­mittag 7 rote Würste, 1 mittelgroßen Rettich, 2 Pfund Schwarzbrot» und 3 halbe Liter Bier. Der Verzehrer dieser Portionen soll sich gegen­über seinen Kameraden geäußert haben, wenn sie es zahlen, so esse er gerade noch einmal die gleiche Portion. Das Ulmer Münster wurde nach dem Ausweis der Eintrittskarten vom 1. Januar 1891 bis 15. Aug. von nahezu 10,000 Fremden besucht.

* Vom Forbachthal, 21. August. Die Trauben wachsen trotz der vielen Regentage und kühlen Nächte heran, aber nicht viele Mar­kungen sind mit Trauben gesegnet. Und mit bedenklicher Miene fragt sich unser Weingärtner: was denn der September braten soll, wenn's der August nicht kochen will?

* Mainz, 19. August. Wie ein hiesiges

Irrtümer° (Nachdruck verböte».)

Roman von Karl Ed. Klopfer.

(Fortsetzung.)

Sormann bezahlte seine Rechnung und mietete das bisher bewohnte Zimmer noch auf weitere zwei Wochen. Er sprach davon, daß sein Chef ihn durch das ihm heute zugestellte Telegramm mit einem dringen­den Geschäfte betraut habe, das ihn für einige Tage nach Hamburg führe. Etwaige Korrespondenzen, die für ihn anlangen sollten, möge man bis zu seiner Rückkehr aufbewahren. Selbst für eventuelle Depeschen stellte er dem Portier eine Vollmacht aus, die ihn zur Annahme derselben berechtigte.

So war alles wohlgeordnet. Durch den Hausknecht des Hotels ließ er seinenKoffer nach dem Niederschlesisch Märkischen Bahnhof bringen, während er ihn einige Stunden später durch einen Packträger nach der Oberschlesischen Bahn expedierte. Dann ließ er durch denselben Dienst­mann ein Eilgutbillet nach Wien lösen.

Am selben Abend verließ er die schlesische Hauptstadt.

IX.

Es war c.r^' .'Dezember 1881, dem Festtage Mariä Empfängnis, als Sormann in den ersten Nachmittagsstunden auf dem Wiener Nord­bahnhofe anlang' .

Nachdem er in der Bahnhofrcstanration eine kräftige Stärkung zu sich genommen-'igd- seine weitere Noule nach den Fahrplänen verfolgt hatte, schickte.er, sc, ^ Koffer nach der Staatsbahn, denn er wollte schon den Nachlzug za. : nach Budapest benutzen. Dadurch war er der Notwendigkeit e. > ade»' ni einem Wiener Hole! abfteigen und eventuelle Spuren zurücklaffcn zu nüffrn.

Von Pest aus wollte er sich sodann direkt nach Bukarest oder Galatz wenden, wo er weiteres beschließen konnte.

Der prächtige Wintertag, der als kirchlicher Festtag unzählige Spaziergänger auf die Straßen gelockt hatte, bestimmte auch Sormann, die Residenz ein wenig zu durchstreifen.

Er durchschritt also im behaglichen Tempo eines Unbeschäftigten die lange Praterstraße, die vom Nordbahnhofe am Karltheater vorüber bis zum Donaukanal führt, welcher dort die innere Stadt begrenzt. Ueber die Aspernbrücke auf den Franz - Josephs - Kai gelangend, fchlenderte er diese Häuserzeile, in der die Wiener Großhändler ihre Geschäftslokale besitzen, entlang.

Als er die Straßenbiegung erreichte, die zum Schottenring führt, sandte die Dämmerung bereits ihre Schatten auf die Erde herab. Nach­gerade fühlte er sich durch die lange Fahrt und den Spaziergang unter dem hier herrschenden Menschengewühl doch etwas ermüdet.

Er trat in eines der luxuriös ausgestatteten Kaffeehäuser am Schot­tenring, um sich zu erfrischen. In einer Fensterecke fand er ein Plätzchen und versenkte sich in die Lektüre der verschiedenen Zeitungen, die auf dem Tische lagen. Aber seine innere Unruhe und der rings umher herrschende Lärm in dem dichtgefüllten Lokale zog seine Gedanken fort­während von den gedruckten Spalten ab. Unwillkürlich wandte er seine Aufmerksamkeit der bunten Umgebung zu, die bald sein Interesse fesselte.

Einige Tische seitwärts von ihm saß eine größere Gesellschaft. Es waren meist junge Männer, deren Haltung, Gebärden und Gcsprächs- ton m:t der etwas schäbigen Eleganz ihrer Toilette übereinsttmmten. In ihrer lärmenden Konversation war Sormann schon früher eine Stimme aufgefallen, die zeitweilig das Uebergewicht behauptete. Als er jetzt besonders aufmerksam hinüberlauschte, drang diese Stimme so deutlich an sein Ohr, daß er zusammenfuhr.