„vehemente Temperament", das jetzt zum Ausbruch kommt und das jetzt als der größte Fehler Bismarcks bezeichnet wird, es war einst seine größte Tugend, denn ohne sein rücksichtsloses Wesen hätte er niemals seine Ziele erreicht. Wenn uns dieses Temperament jetzt unbequem werden will, dann dürfen wir nie vergessen, daß wir es einst hoch- gepriesen und bewundert haben. Wir aber glauben fest daran, daß Bismarck der Mann der Vorsehung war, daß ihn der Himmel unter Millionen auserwählt hat, um Deutschland zur Einheit, zur Größe und zur Macht zu führen, und solange dieser Glauben in uns lebt, darf auch die Hochachtung vor ihm nicht deshalb sterben, weil er ebenso, wie wir Alle, als ein Mensch von Fleisch und Blut erscheint, dem nichts Menschliches fremd ist.
* Appenweier, 19. Juli. Am 16. d. Mts., mittags, trat am Bahnhof zu Appenweier ein Fremder zu einem Sicherheitsbediensteten, stellte sich demselben gegenüber als Untersuchungsrichter von Karlsruhe vor und beorderte ihn, ein auf dem Perron sich aufhaltendes Paar, einen Burschen und ein Mädchen, die anscheinend dem Arbeiterstandc angehörten, zu verhaften und wegen Erregung von Aergernis und Unfug dem Amtsgerichte Offenburg vorzuführen ; der angebliche Untersuchungsrichter reiste aber sofort mit dem sich zur Abfahrt fertig machenden Zug landabwärts weiter. Der Bedienstete leistete dem Befehl des angeblichen Untersuchungsrichters Folge und führte den Auftrag pflichtgemäß aus. Bei dem Verhör in Offenburg ergab sich, daß das verhaftete Paar nach Straßburg reisen und Arbeit suchen wollte. Da den beiden Personen keine belastenden Thatsachcn nachzuweisen waren-, wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt. Die näheren Erhebungen ergaben, daß der angebliche Untersuchungsrichter sich diesen Titel rechtswidrig angeeignet und einen schlechten Witz gemacht hat. Nun wurden Nachforschungen nach dem Witzbold angestellt, der heute denn auch wirklich zu Rastatt in der Person eines Wirtes ermittelt wurde, welcher an gedachtem Tag in Ober- kirch war und ans der Rückreise den frivolen Witz sich erlaubt hat, der ihn nunmehr freilich teuer zu stehen kommen wird. Der Wirt wurde in Haft genommen und hat jetzt Zeit, über seine Lage nachzudenken und dürfte aber für die Folge ohne Zweifel auf ähnliche Scherze Verzicht leisten.
* Ein hübsches Stückchen soll kürzlich in einer Schule im badischen Unterlande passiert sein. Ein Lehrer hatte bei der Prüfung durch den Visitator arges Pech; es wollte dieses Mal gar nicht „laufen". Im Bewußtsein seiner Treue ließ er aber den Mut nicht sinken und ließ, vom Visitator aufgesordert, noch ein Lied singen zu lassen, seine Kinder anstimmen: „Freund, ich bin zufrieden, geh' es wie es will". Der gestrenge Visitator hatte zum Glück Verständnis für Humor, auch für die Abart Galgenhumor, so daß das Ende ein sehr glimpfliches gewesen sein soll.
' Konstanz, 25. Juli. Eine schlimme Nachricht kommt aus Geisingen. Im dortigen Vorschußverein wurden Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung entdeckt und die angestcllte Untersuchung ergab daS Vorhandensein eines
Defizits von 135,000 Mk. Gestern war der Staatsanwalt in der Angelegenheit in Geifingen. Der Kassier, dessen Geschäft geschlossen wurde, soll krank darniederliegen.
' München, 26. Juli. Nach amtlicher Schätzung sind bislang 9000 Tllgwerk Fichten- und Tannenbestand durch die Nonnenraupe vernichtet.
* Das bayerische Ministerium des Innern hat eine Untersuchung über die Ursache der hohen Fleischpreise ungeordnet. Dieselbe ist in vollem Gange. Es ist eine Reihe von gesonderten Gutachten eingefordert von der Regierung für Oberbayern, dem landwirtschaftlichen Generalkomite, dem Münchener Ministerrate
u. s. w. — Nun, diese Sache scheint uns doch sehr einfach zu liegen. Die hohen Fleischpreise entstehen durch die hohen Viehpreise, welche ja allgemein als eine Wohlthat für unsere Viehzüchter betrachtet werden. Die Preise finden ihre Regelung durch die Nachfrage, d. h. durch den Bedarf. Um einiges würden sich die Viehpreise verringern, wenn die Einfuhr nicht durch Verbote gehemmt würde. Allein die Vieheinfuhrverbote stützen sich auf die Abwehr von Krankheiten, deren Einschleppung eine große Gefahr für den einheimischen Viehstand in sich birgt. Könnte die Einfuhr aus den Fleisch produzierenden Ländern unbeschränkt gestattet werden, daun würden die Vieh- und damit auch die Fleischpreise bei uns wesentlich fallen. Ein anderes Resultat dürfte diese angeordnete Untersuchung wohl kaum ergeben.
* In Bevern bei Darmstadt fiel ein Landmann plötzlich des Nachts, wahrscheinlich in einem Wahnsiunanfalle, seine schlafende Frau mit einem Brodmesser an und brachte ihr sieben schwere Wunden bei. Die Unglückliche starb sofort.
* Am 24. wurde in Berlin nach einem Vortrage des Abg. Schippe! in einer von ungefähr 1000 Personen besuchten soz. Versammlung eine Resolution angenommen, nach welcher die gegenwärtige Regierung für „unfähig erklärt wird, der Arbeiterklasse auch nur das Geringste zu bieten."
* Für den bevorstehenden Besuch des Kaisers Wilhelm in England hat der deutsche Botschafter in London, Graf Hatzfeld, nunmehr mit Lord Salisbury alle Einzelheiten geordnet. Der Kaiser trifft am 3. k. abends ans der Insel Wight ein, woselbst er bis 7 k. verbleibt.
* Zur Reise des Kaisers Wilhelm nach Rußland wird gemeldet, daß die Ankunft des Kaisers am 17. August in Narva erfolgen wird, wo an diesem Tage das Hauptquartier der manö- verierenden Truppen sich befindet. Der Kaiser soll auf seiner Reise auch von dem Reichskanzler
v. Caprivi und dem Erzherzog Karl Ludwig von Oesterreich begleitet werden.
* Eine Erinnerungsfeier an den deutschfranzösischen Krieg soll seitens hervorragender Persönlichkeiten, welche den Krieg als Solvaten mitgcmacht haben, für diesen Herbst geplant
er seine Person stets dem großen Ganzen opfere.
* (Verschiedenes.) InBalingen hat sich die Jakob Steinle, Taglöhners Witwe, beim Aufnchmen eines Graspacks mit einer Sichel das linke Auge ausgestoßen, so daß die Sehkraft vollständig verloren ging. — In Stuttgart hat sich ein 20 Jahre alter Kaufmann in der Nähe der Silberburg mittels eines Ter- zerols einen Schuß in die rechte Schläfe beigebracht, in der Absicht, sich das Leben zu nehmen.
Derselbe wurde von Vorübergehenden anfgefunden und noch lebend in das Katharinenhospital verbracht. — Aus der Irrenanstalt Zwiefalten sind am Sonntag zwei gefährliche Kranke entwichen. Dieselben ließen sich am Blitzableiter binunter und erreichten den nahen Wald, einer davon ist ein Mörder, der seine eigene Schwester umgebracht hat. — Der Fuhrmann I. Linden- bergcrvon Kornwest he im kam unter seinen mit Rinden beladenen Wagen, wobei ihm die Räder über den Unterleib gingen. Er wurde bewußtlos in seine Wohnung verbracht, wo er bald darauf starb. — In Ulm geriet ein 11- jähriger Knabe mit seiner Mutter, einer Witwe, in Streit und war deshalb von seinem Pflegevater gezüchtigt worden. Infolge dieser Bestrafung machte der Junge einen zweimaligen Selbstmordversuch mittels Erhängens. — lieber das Vermögen des Eiscnbahnrestauratcnrs Jul.
Bacher in Eutingenist das Konkursverfahren eröffnet worden. — In dem Hause des Webers Ringel von Erd m anuhausc n wurde am Mittwoch eingcbrochen und 850 Mk. gestohlen.
* Der „Pforzheimer Beobachter" bringt einen Artikel über den Fürsten Bismarck, worin es heißt: Wir durch- bläitern schon seit Tagen mit Euer und Aufmerksamkeit die Zeitungen aller Parteirichtuugen und suchen »ach einem gerechten Urteil über das Verhalten des Fürsten Bismarck in jüngster Zeit; aber wir finden keinS. Bismarck weilt zwar noch unter den Lebendigen, aber da man ihn als politisch tot betrachten möchte, scheint man sich auch beeilen zu wollen, alles zu vergessen, was er uns Jahrzehnte lang war, und nur seine Fehler scheinen unauslöschlich in das Gedächtnis seiner Mitmenschen ein- gegraben zu sein! Noch vor kurzen Monden war der Alte in Friedrichsruh das A und das O aller Ltaatsweisheit und nun auf einmal verlangt man von dem größten ütaatsmanne unseres Jahrhunderts, daß er den Mund au dem Europas Blicke hingen, geschlossen halten soll?
Bon Anbeginn seines politischen Auftretens an hatte Bismarck nichr allein große Volksmassen, sondern auch bedeutende Männer gegen sich. Er hat gegen den Willen Tausender und aber Tausender sein Werk, nach seinem Sinne, fortgesetzt, und als es vollendet war, da riefen ihm Millionen, die ihn vorher kreuzigen wollten, ihr Hosiannah zu. Er ist jetzt gegangen, weil er in Bezug auf die Lösung der sozialen Frage anderer Meinung war, als der Kaiser. Nun, man kann voll und ganz aut der Seite der kaiserlichen Sozialpolitik stehen und braucht deshalb doch den Standpunkt, den Bismarck einnimmt, nicht mit feindlichen Augen zu betrachten. Es ist ja möglich, daß er in dieser Hinsicht Unrecht hat; aber die Möglichkeit ist durchaus auch nicht ausgeschlossen, daß er in. Rechte ist.
Denn ob die Reform, die wir jetzt begonnen haben, zu einem glücklichen Ende führt, das muß erst die Zeit entscheiden. Der Kanzler ist aus seinem Amte geschieden, weil die neue Zeit es erforderte. Aber er ist nicht geschieden, wie wir es Alle wünschen mußten. Tiefen Groll im Herzen zog er sich nach Friedrichsruh zurück. Dasselbe
Aie Megekinder des Kommerzienrats.
Novelle von Carl Hartmann-Plön.
(Fortsetzung.)
Jsabella war anfangs überrascht, fast erschrocken, aber gleich darauf erwachte ihr Stolz, sie war empört, daß er es wagte, ohne Anmeldung, ja, ohne vorher anzuklopfen, in ihr Zimmer, in ihr abgeschlossenes Heiligtum einzudringen und in diesem Tone erwiderte sie jetzt, sich wie eine Fürstin erhebend:
„Habe ich Sie nicht bitten lassen, die Villa nicht zu betreten?"
„Ich komme auch nicht, weil ich die Sehnsucht nicht länger bezwingen konnte. Sie zu sehen, zu Ihren Füßen niederznsinken und ein Wort der Liebe von Ihnen zu hören — das alles ist jetzt vorüber — nein — mein Zweck war, Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen Ihr Wort zurückgebe!"
„Freiwillig? Oder welchem Zwange gehorchen Sie?"
„Dem meines Gewissens."
„Ihres Gewissens?" sagte Jsabella höhnisch und von einem Gedanken erfaßt, fragte sie: „War vielleicht mein Vater soeben bei Ihnen? Hat er Ihnen erzählt, daß der Graf Hohenfels und sein Sohn beide tot — im Mühlensce ertrunken sind?'
„Tot? Der edle Graf Hohenfels tot und auch sein Sohn? O", rief Heinrich betroffen aus, „zu jeder anderen Zeit würde mich der Schmerz um sie weit mehr ergreifen, als in diesem Augenblicke, wo ich genug mit meinem eigenen Schmerze zu thun habe! Nein, Komtesse, Ihr Herr Vater war nicht bei mir, aber Sie können unbesorgt sein, die bewußte Summe wird ihm trotz alledem ungeschmälert ausgezahlt sverden!"
„Wir bedürfen Ihres Geldes nicht mehr!" rief sie mit schneiden
der Stimme in großer Erregung aus, als sie merkte, daß ihre Frage mißverstanden worden war. „Vom heutigen Tage an ist der Graf Waldsee Majoratsherr von Hohenfels! Behalten Sie den schnöden Mammon, womit Sie — nicht mein Herz — wohl aber meine Person, meinen Namen — was weiß ich? — zu erkaufen getrachtet haben!"
„Das war es", sagte Heinrich mit sehr erregter Stimme, „und deshalb mußte ich Sie noch sprechen! Für dieses Geld wollten Sie mir auch nur Ihre Person, nicht Ihr Herz schenken! Sie haben mich nicht geliebt, Sie lieben mich nicht und deshalb gebe ich Sie frei!"
„Sehr viel verlangt, wenn Sie auch noch beanspruchen, daß das Handelsobjekt Liebe fühlen soll!"
„Auch noch aus einem anderen Grunde bin ich gezwungen, Ihnen die Freiheit zurückzugeben. Ich bin Ihnen genaht als der Erbe eines Millionärs. Sie waren berechtigt, von dem Manne, den Sie nicht lieben konnten, dem Sie gezwungen in die Ehe folgen wollten, wenigstens das zu fordern — äußeren Glanz, Luxus — was der Reichtum zu bieten vermag. Auch das ist vorbei! Mein Onkel verheiratet sich wieder, ich bin jetzt ein armer Mann, der nichts sein eigen nennt, als was er sich verdient. Vor wenigen Augenblicken erst hat mein Onkel mir es schriftlich mitgeteilt.
„Ach, nicht das that mir wehe, nicht schmerzte es mich, etwas verloren zu haben, was ich noch nie besessen, aber das, was er mir sonst noch eröffnet?, zerriß mein Herz", fuhr Heinrich fort. „Hatte ich mich bis dahin mit dem beseligenden Gefühl getragen, daß Sie mich erhört, weil Sie in gleicher Weise mich liebten, wie ich Sie liebe, so wurde dieser Wahn mit einem Schlage schonungslos zerstört. Hinter meinem Rücken, ohne daß ich an eine solche Möglichkeit je gedacht, hat mein Onkel Ihrem Herrn Vater das Anerbieten gemacht, für die Ein-