gehen schon 5 Gefängnisstrafen erlitten hat und erst am 30. August d. I. aus dem Landesgefängnis Freiburg entlassen wurde, wegen dringenden Verdachts eines begangenen Vatermordes auf die belastenden Aussagen eines Mädchens hin, welches die beiden im Handgemenge im Walde gesehen haben will, in Untersuchungshaft genommen.
* München, 30. Nov. Der von der Staatsanwaltschaft Leipzig wegen betrügerischen Bankerotts steckbrieflich verfolgte Dr. Jerusalem hat sich gestern dahier im „Rhein. Hof" erschossen. Jerusalem hatte die Maske eines alten Mannes angenommen. Als er merkte, daß man ihn beobachtete, scheint er den Entschluß znm Selbstmord gefaßt zu haben. Alles, was man vorfand — die Hotelrechmmg hatte er kurz vor dem Selbstmorde bezahlt — waren 29 Mark bar, einige leere Wechselformnlare, keine Wertpapiere. Als die Zimmerkellner und Hausdiener eindrangen, lag er in den letzten Zügen. Die Leiche ist von den Verwandten reklamiert worden. Jerusalem hatte sich als Dr. Phil. Müller ins Fremdenbuch eingezeichnet. Die Benachrichtigung der hiesigen Polizei erfolgte von Leipzig ans, wohin Jerusalem seine Absicht, sich das Leben zu nehmen, selbst gemeldet haben soll.
* (Schneller Tod.) Ans der Ober Pfalz wird geschrieben: Unlängst wurde eine privatisierende Bäuerin, welche in Amberg logiert, vor das dortige Rentamt zitiert, um wegen verschwiegenen Kapitalien zur Rechenschaft gezogen zu werden. Als ihr eröffnet wurde, daß sie wegen Steuerhinterziehung 1000 Mark zahlen müsse, sagte sie darauf: „Jesus, Maria und Joseph", fiel um und war tot.
* Berlin, 29. Nov. Die Kaiserin ist heute hier eingetroffen. — Der in der Thronrede angekündigte Gesetzentwurf, welcher die Landwehr und den Landsturm betrifft und bestimmt ist, eine wesentliche Erhöhung der Wehrkraft des Reiches herbeizuführen, ist dem Vernehmen nach dem Bnndesrate zugegangen. Die Vorlage wird im Bundesrate wohl wenig Aufenthalt erfahren und deshalb schon in kurzer Zeit an den Reichstag gelangen.
"'Berlin, 30. Nov. Die Militärvorlage ist als geheime Drucksache dem Bnndesrat zn- gegangen und dürste in 8 Tagen etwa dem Reichstag vorgelegt werden. Daß sie große finanzielle Opfer fordert, wird in parlamentarischen Kreisen bezweifelt.
* Berlin, 1. Dez. Der „Reichsanzeiger" enthält folgendes Bulletin: San Rein», 30. Nov. Das örtliche Leiden Sr. Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen zeigt augenblicklich keinerlei Symptome einer um sich greifenden Ausdehnung; Beschwerden irgend welcher Art sind nicht vorhanden, die allgemeinen Körperfunktionen sind andauernd sehr gut. Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit unternehmen täglich bei günstigem Wetter regelmäßige Spaziergänge und Ausfahrten in die Umgebung. Schräder. Krause. Mark Hovell.
* Berlin. Eine unerhoffte Freude ist jüngst dem Bürgermeister einer kleinen Stadt zu teil geworden. Als Studiosus der Jurisprudenz hatte er vor Jahrzehnten in Berlin geweilt und wie fleißig er auch den Studien abgelegen, er hatte doch noch Zeit gefunden, das Herz einer jugendlichen Schönen zu erobern. Dann aber hatten die Examina, die Studien auf anderen Universitäten und was sonst dazwischen gekommen sein mochte, den einstigen Bruder Studio ferngehalten; er hatte sich eine Familie gegründet, hatte Amt und Ehren erworben und den kurzen Berliner Liebesfrühling wohl längst vergessen. Da traf ihn eine überraschende Nachricht; das junge Mädchen jenes Liebesfrühlings war zwar älter und sogar alt geworden, ihr Herz aber hatte des Jugendfreundes nicht vergessen — sie! starb nnvermählt und fetzte zum Erben ihres! bedeutenden Vermögens den einstigen Bruder! Studio ein. Der Bürgermeister hat in freudiger I Rührung die Erbschaft natürlich angetreten. !
* Hannover. Ein angeheiterter Handlungskommis hatte einen ihn zur Ruhe verweisenden Nachtwächter „Philister" genannt und stand deshalb wegen Beamtenbeleidignng vor dem Schöffengericht. Sein Verteidiger führte ans, daß in dem Worte Philister, das biblischen Ursprungs sei, keine Herabwürdigung liege, man müsse auf die studentische Bedeutung des Wortes und darauf Rücksicht nehmen, daß ein'Nachtwächter, dessen Sinn mehr auf das Praktische gerichtet sei, für die idealen Anschauungen der Jugend kein Verständnis habe. Aber das Gericht teilte diese ideale Anschauung nicht, sondern stellte sich auf den Standpunkt des praktischen Nachtwächters und verurteilte den Angeklagten zu 15 Mark Geldstrafe.
* Wien, 1. Dezbr. Offiziöse Berichte enthalten zahlreiche Details über militärische Vorkehrungen Rußlands an der Grenze.
* Wien, 30. Nov. Ans London meldet die „Neue fr. Presse": Die hervorragendsten militärischen Kreise glauben, das Uebel des Kronprinzen sei doch kein Krebs. Alle Symptome seien vereinbarlich mit einer Absceßbildung unterhalb der Knorpelhaut. Das Bersten der Abscesse führt muköse Membrane herbei, die äußerlich dem Krebs ähnlich seien. Das akute Oedem und das Verschwinden danach komme niemals beim Krebs vor.
Ein entsetzlicher Vorfall har sich dieser Tage in Ko cs (Eisenburger Komitat) zugetragen. Ein junges hübsches Weib, die verwitwete Frau Loipersbeck, legte sich, um den Verfolgungen ihrer Schwiegermutter zu entgehen, in Gemeinschaft mit ihren vier kleinen Kindern auf die Eisenbahnschienen vor den einherbransenden Zug. Alle fünf blieben als zermalmte Leichen auf dem Geleise liegen.
* Prag, 28. Nov. Vor der eingetretenen Zollsperre wurden aus Böhmen beträchtliche Quantitäten Gerste und Raps exportiert. Die
Exportansprüche waren so groß, daß vorübergehend keine Säcke und keine Waggons aufzutreiben waren. Ein Teil der Ausfuhr konnte nicht rechtzeitig die Grenze passieren, weshalb dieser dem neuen Zollsatz unterliegt.
* Triest. Als der Erzbischof von Spalato am Dienstag durch die Stadt fuhr, wurde er von einem Rekruten gröblich beschimpft, der auch mit einem Kommißbrot nach ihm warf. Der Erzbischof hob das Brot auf und brachte es selbst in die Kaserne. Der Rekrut wurde sogleich verhaftet.
* Paris, 29. Nov. Angesichts der drohenden Gefahr einer Wahl Ferry's zum Präsidenten der Republik haben sich die radikale und äußerste Linke entschlossen, unter gewissen Bedingungen Schritte zu thun, um Grevy zum Bleiben zu bewegen. Eine gestern stattgefnndene Versammlung hervorragender Abgeordneten der Radikalen und Intransigenten soll mit großer Majorität beschlossen haben, Grevy zu halten, wenn derselbe ein Ministerium Clemeucau bilde und demselben gestatte, sich mit der eventuellen Demission Grevy's und der definitiven Wilson's vor der Kammer zu präsentieren.
* Paris, 30. Nov. Die radikalen Blätter überschütteten Ferry mit Spott und Drohungen. Die „Lanterne" ruft ans: „Ferry, wenn er gewählt werden sollte, ist der Bürgerkrieg, der in drei Tagen ausbrechen kann, ist die Isolierung Frankreichs, das seine Bündnisse verlieren und fortan von Bismarks Gnaden abhängen wird, ist die Verschacherung Frankreichs an die Orleans und an Deutschland. Der Augenblick ist gekommen, um die Energie der Republikaner anfzurnfen. Eher alles als Ferry!" — Die rückläufige Bewegung zu Gunsten Grsvys wird heute vielfach besprochen. Die Furcht vor Jules Ferry einerseits, die Unmöglichkeit, über einen Kandidaten für die Präsidentschaft sich zu einigen, andererseits, diese zwei Gründe haben die Bewegung gefördert. Rocheforc kam eigens ins Palais Bourbon und erklärte, er würde viel lieber Grevy erhalten, als den Tonkinesen ihm folgen sehen. „Ich will lieber eine Magd, die mich bestiehlt, als einen Kammerdiener, der mir den Hals abschneidet", sagte der Redakteur des „Jntransigeant." — Die revolutionären Aufrufe gegen die Wahl Ferrys haben den Zorn nicht bloß der Opportunisten, sonoern auch an- derer ordnungsliebender Leute erregt. Die Pa- triotcnliga wird scharf getadelt, daß sie sich mit den Anarchisten zu einem Straßenanfstand verbünden will.
* Paris, 30. Nov. Wie man der „Kölner Zeitung" von hier mitteilt, unterhält die französische Gesandtschaft in Brüssel eine sehr rege Thätigkeit, um die belgische Regierung zu veranlassen, die Geschützbestellungen nicht mehr an Krupp in Essen zu richten. Für den schlimmsten Fall suchte der Gesandte, aber vergebens, dahin zu wirken, daß wenigstens die Geschütze für die Lütticher Werke, weil diese gegen Deutschland gerichtet seien, in Frankreich bestellt würden,
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Warys Gefangener.
Autorisierte Uebersetzung aus dem Englischen von S. S.
(Fortsetzung.)
Herr Keith sah recht elend und abgehärmt aus, wie er so neben ihr stand. „Ist es eine Phant-sie-Zki-ze?"
„O, nein! Es ist das Bild von Florence Lee, der jüngsten Tochter von Oberst Lee. Sie ist sehr hübsch."
„Sie sind eine wahre Künstlerin, Fräulein Huntingdon."
„Ich male sehr gern. Aber stehen Sie doch nicht. Herr Keith. Ich freue mich, daß Sie kräftiger als gestern sind; aber Sie müssen auch nicht unklug sein."
„Giebt es etwas neues in Stopford heute morgen?" sagte er, indem er sich gegen die Mauer lehnte und zusah, wie sie eine große holländische Schürze «mband, die ihr Kleid vor Facbflecken schützte. Kaum hatte er die Frage gestellt, so überfiel ihn große Angst, die sich an seinem Gesicht erkennen ließ.
„Irgend etwas neues?" wiederholte sie, izre Palette in die Hand nehmend. „Sie meinen Neuigkeiten? O, nein, in Stopford giebt es nie etwas neues!"
Er ging von der Staffelei weg und setzte sich inseinen Lehnstuhl; aber schon einige Augenblicke später unterbrach feine Stimme das Stillschweigen.
„Ist Dr. Huntingdon zu Hause?"
„N in, heute nicht. Er kam in aller Frühe heim, ehe ich auf war; gleich darauf wurde er wieder weggeholt."
„Was — ist ein Unfall vorgekommen?"
„Ein Unfall? Ich glaube nicht," sagte sie ziemlich gedankenvoll;
„ich glaube, wenn ein Unglück passiert wäre, so würde ich es wohl gehört haben."
„Ich glaube, im Hause eines Arztes ist man an Unfälle und allerhand schreckliche Dinge gewöhnt," bemerkte er nachdenklich.
„Ja, ich glaube, wir sehen die Schattenseiten des menschlichen Lebensoft, sehr oft," entgegnetesie; „aber Robert spricht nicht viel von seinen Geschäften."
Jetzt war Stillschweigen eingetreten. Mary widmete ihre ganze Aufmerksamkeit ihrer Malerei. Herr Keith schien in Gedanken versunken zu sein. Nach einer langen Pause blickte er auf.
„Fräulein Huntingdon, läßt die Erfahrung, die Sie bis jetzt an der Menschheit gemacht haben, Sie dieselbe streng oder mild beurteilen? Wenn Sie z. B. von einem Verbrechen hörten, würden Sie da den Verbrecher verurteilen oder würde es Ihnen leid thun, daß derselbe der Versuchung unterlag? Ich lege Ihnen da eine komische Frage vor, nicht wahr?" fuhr er fort, matt lächelnd, als er ihren erstaunien Blicken begegnete. „Sie werden sie mir aber doch beantworten nicht wahr?"
„Ich möchte niemand verurteilen, sagte sie nach einer Weile. „Ich habe selbst zu viele Fehler in mir; es weiß auch niemand, wie kräftig der Versuchung wiederstanden wurde, ehe man ihr nachgab."
„Ich danke Ihnen," erwiderte ec, und Mary wunderte sich, warum er ihr eigentlich dankte.
Der Vormittag verging auf ziemlich angenehme Weise. Mary malte sehr emsig und ließ nur kleine Pausen eintreten, um sich mit ihrem Gaste zu unterhalten, der vollständig zufrieden schien, auf die Kissen gelehnt, sie beobachten zu können. Manchmal war er aber unruhig. Wenn bisweilen die Hausglocke laut ertönte, was sie im Hause eines Arztes oft zu thun pflegt, so schrack er zusammen und seine Lippen erbleichten. Ungefähr um ein Uhr brachte Nannte das zweite
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