Jahren stand Absender bei Ihnen in Diensten. Er stahl damals 100 Mark, ohne das; es bemerkt worden wäre. Am Hochzeitslage meiner einzigen Tochrer fühle ich mich gedrungen, mein Gewissen zn entlasten und zu sühnen, was ich gethan."
* Berlin. Für den Czarenbesuch wird in der seltsamsten Weise präludiert. Aus Petersburg kommt abermals die beinahe unglaubliche und trotzdem gut verbürgte Nachricht, das; der Czar den Prozeß gegen die „Nowoje Wremja," welche den deutschen Militärbevollmächtigten von Vil- laume auf's Schwerste beleidigt hatte, niedergeschlagen habe, weil das Blatt angeblich im Besitze von Aktenstücken sei, welche Herrn von Villanme kompromittierten und die von der „Nowoje Wrema" behaupteten Tchatsachen vor Gerich: zum unheilbaren Schad-n unseres Bevollmächtigten bestätigen könnten. In ehrliches Deutsch übersetzt heiß, das: der Czar ist überzeugt davon, daß Oberstlieutenant von Villanme seine amtliche und Vertrauensstellung zn niedrigen und gehässigen Konspirationen benutzt hat, er läßt sich aber nicht auf die Beweise für diese unerhörte Beschuldigung ein, sondern er veranlaßt unter dem Deckmantel großmütigen Verzeihend, daß dem militärischen Vertreter des deutsche!; Kaisers der ordentliche Rechtsweg zur Erweisung seiner Unschuld oder zur Ahndung des frechverleumderischen Panslavistenblattes abgeschnitten wird. Die bekannte Clique in Petersburg und Paris, die so vortrefflich harmoniert, wird ans der Affaire schon genügend Kapital zn schlagen wissen. Wenn aber jetzt noch Jemand glauben sollte, daß die bevorstehende Zweikaiserbegegnnng mehr als ein unvermeidlicher Höflichkeitsakt sein, werde, dann würde er die Zeit und ihre Zeichen wahrhaftig schlecht genug verstehen.
Berlin, l 0. Novbr. Im kronprinzlichen Palais ist die Lüftung und Instandsetzung der Z immer angeordnet worden, um ans alle Fälle gerüstet zn sein. Mit fieberhafter Ungeduld er- w artet man hier die Veröffentlichung des Befundes der gemeinsamen ärztlichen Untersuchung.
* Nach einer Brüsseler Korrespondenz der „Frkf. Ztg." handelt es sich darum, d.n durchgehenden telegraphischen Verkehr zwischen England und Deutschland künftig nicht mehr über Belgien gehen zn lassen. Seit drei Jahren nämlich nehmen die Reparatur- und andere Arbeiten auf den Telegraphenlinien im östlichen Teile Belgiens kein Ende. Da hieraus sich häufige Verzögerungen ergeben, so senden die englischen und deutschen Telegrapheu-Verwalt- ungen, ermüdet von diesen beständigen Hindernissen, bereits einen großen Teil ihrer Depeschen über Holland, das die größten Anstrengungen macht, Belgien diesen Transit gänzlich zu entziehen. Belgien bezieht bisher an Taxen für die Benützung seiner Telegraphenlinien zn genanntem Zwecke jährlich eine Summe von ungefähr 90»000Frcs. Die Brüsseler „Gazette" bespricht diese Gefahr und klagt den Verkehrs
minister Vandenpeereboom wegen seines Mangels an Fürsorge an und hält ihm die Verluste vor, die Belgien bereits unter seiner Verwaltung erlitten habe.
' (Ansgefundene alte Briefe.) In der Gastel- schen Wagenfabrik Mombach bei Mainz sind eben zwei ältere Reichspost-Eisenbahnwagen im Umbau. Bei dem Auseinandernehmen der doppelten Wände fand sich nun ein auf unerklärliche Art dazwischen geratenes Paket Briefe aus dem Jahre 1870 und zwar sämtlich Soldatenbriefe ans dem Oldenbnrgischen, von Angehörigen der in Frankreich befindlichen Soldaten. Die Briefe sind meist vermodert, bei einem ist zn entziffern, daß die Absenderin, eine Frau, ihrem Manne mitteilt, der Klapperstorch habe ein Bübchen gebracht und der Mann möge ans Frankreich heimschreiben, welchen Taufnamen der Junge erhalten solle. Wenn derselbe noch am Leben und gesund ist, wird er jetzt bald schon selbst in die Reihen der deutschen Krieger cintreten. Die Briefe werden, soweit dies angeht, noch an die Absender zurückbefördert und sind zn diesem Zweck der Reichspost schon zugestellt worden.
* Bon der bewaffneten Macht des deutschen. Togogebietes, welche ans dreißig Negern besteht, entwirft Dr. Henrici in der ,Staatsb.- Ztg/ folgende Schilderung: „Weiße Hose bis zum Knie ohne Schnhwerk; ein weißes Banm- woll-Trikot und darüber das weiße Matrosenhemd; um den Leib ein langer, roter Shawl; auf dem Kopf, keck hinten sitzend, ein kleines rotes Käppchen mit blauer Troddel. Die Tracht ist äußerst kleidsam, soll aber künftig durch eine andere Uniform ersetzt werden. Als Waffe führen sie den Mauser-Karabiner."
Köl n. Dieser Tage wurden drei Arbeiter verhaftet, welche beim Ansschachten auf dem städtischen Bauplatz am Nathanse einen Topf mit über 400 wertvollen Gold- und Silbermünzen gefunden, den Fund aber, statt ihn der städtischen Behörde abzuliefern, unterschlagen und bei Sammlern und Händlern verkauft hatten. Die Zahl der znrückgegebenen L-ilbermünzen beträgt 388, die der Goldmünzen 39. Die letzteren sind größtenteils Goldgnlden von Ludwig dem Bayer; auch befinden sich einfache Münzen mit dem Bildnis des Kaisers Wenzel darunter. Es ist fast anzunehmen, daß der Fund der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehört. Alle Münzen sind wohl erhalten.
* Auf der Bochum benachbarten Zeche „Carolina" herrscht großer Jubel, weil mn der vierten Tiefbausohle ein 7 Fuß mächtiges Flöz reiner Kohle angefahren worden ist.
* Straßfurt, 9. Novbr. Im Salzbergwerk stürzten gestern infolge Zerreißens des Förderseiles in die Tiefe.
* Ans Schlesien, 4. Novbr. Aus dem Masienversand von russischen Gänsen darf man einen Schluß ziehen auf das Vorhandensein ungeheurer Mengen dieses Geflügels im Zarenreich. Dieser Tage langten 20000 Gänse aus
cs zu verdanken, daß das Unglück verhütet wurde, da dieser noch zur rechten Zeit sein Schiff stoppen und zurückfahren ließ. Es wäre wirklich an der Zeit, österreichischerseits schiffskundigere Leute auf diese wichtigen Posten zu schicken.
- (Verschiedenes.) In Oehringen machte - Schneidermeister Schn, seinem Leben durch Erhängen ein Ende. — In dem U lmer Amtsgerichtsgefängnis sind zwei wegen Diebstahls in Untersuchungshaft befindliche Gefangene ausgebrvchen. — In Freudenbach nahm der Schafknecht des Schäfers Holzmann ein in dessen Wohnstube anfbewahrtes geladenes Gewehr und spielte damit; dasselbe ging los und der Schuß traf die 50 Jahre alte Dienstmagd B. Hain in den linken Arm, welcher andern Tags im Krankenhaus in Creglingen amputiert werden mußte.
* Eine Riesentraube wurde inAnselfingen im badischen Höhgau gepflückt. Dieselbe ist mehr als 1 Fuß lang, hat Beeren in Größe von Tanbeneiern und wiegt 875 Gramm.
Ein merkwürdiger Befund ergab sich bei einer dieser Tage in Freiburg an einem Knaben vorgenommenen Sektion, der an Tuberkulose gestorben war. An einer Stelle der Lunge fand sich nämlich laut „Breisg. Ztg." ein Stückchen Tannenzweig aufliegend, welches dem Verstorbenen bei irgend einer Gelegenheit in den Mund geraten war und von da seinen Weg durch die Luftröhre genommen haben muß. Trotz mehrfacher operativer Eingriffe, von denen der letzte erst kurz nach dem Tode erfolgte, kam man nicht auf die Spur des seltsamen Krankheitserregers, da derselbe zn sehr abseits sich gelagert hatte.
In München trug sich ein Unglücksfall zu, der die Familie eines dortigen höheren Militärbeamten in tiefe Trauer versetzte. Ein Schüler der fünften Lateinklasse, der 16jährige Johann Farmer, manipulierte in der Unterrichtspause mit der Schußwaffe, indem er mehreremale den Hahn spielen ließ. Plötzlich krachte ein Schuß und die Kugel traf einen 14jährigen Mitschüler in den Kopf, so daß dieser augenblicklich eine Leiche war.
* Im Bereiche des Landwehrbezirkskommandos Nürnberg ereignete es sich bei der neulichen Einstellung von Rekruten, daß nicht weniger wie 6 derselben im Stande der heiligen Ehe leben. Einer von diesen Leuten ist schon im 5. Jahre verheiratet; derselbe war bereits dreimal zurückgestellt.
* Frankfurt, 9. Nov. Bankkassier Weinbach wurde der Unterschlagung in mindestens 30 Fällen für schuldig erkannt. Urteil 2 Jahre Gefängnis.
* (Gesühnt.) Ein Frankfurter Geschäftsinhaber erhielt vor einigen Tagen aus Berlin einen Wertbrief mit 160 Mark von unbekannter Hand. Der Sendung war ein Schreiben bei- gefügt, in welchem zu lesen war: „Vor vielen
Klein-Meschen.
Eine münsterländische Novelle von I. v. Dirk ink.
(Fortsetzung.)
„Es ist Wie ein Gottesgericht," dachte Lucie, „sein Glück machte ihn schwindelig, er mußte fallen."
Sie hatte keinen Trost für den Vater, aber zur Mutter zog es sie jetzt hin. „O, lieber Gott!" flehte sie händeringend, „sei barmherzig und tröste die Mutter! Laß mich leiden für die beste, güt'gste der Frauen." Lucie entledigte sich ihrer Schuhe und schlüpfte leise auf die Kammer. Auf den Knieen schleppte sie sich nach dem Lager der Kranken und dann barg sie ihr Antlitz in die Hände. „Verzeiht, Mutter, gute Mutter, verzeiht mir! O, ich bin es nicht wert, aber Ihr seid ein Engel!" kam es in abgebrochenen Sätzen Wer Luctens Lippen. Jetzt hob die Schulzin den Kopf und tastete mit der heißen, durchsichtigen Hand aus dem Deckbette umher.
„Wer weint da, du Lucie?" fragte sie milde. „Kind, sei getrost. Dein Brüderchen ist ein Engel im Himmel. Der liebe Gott hat es lieber gehabt, als wir. Und es war stets ein so zartes Würmchen, daß ich sein frühes Ende wohl vorausgesehen habe. Aber für den Schulzen ist's ein harter Schlag, eine Prüfung von oben. Ich fürchte, wir haben diese Zuchtrute Gottes wohl verdient und darum laßt uns nicht murren, damit er uns nicht ganz zu Boden wirst."
Lucie hätte unter diesen Trostesworten vor Reue und Scham vergehen mögen. „Mutter, herzliebe Mutter, hast du mir von Herzen verziehen, daß ich oft so wunderlich war? Ach, ich hatte das Kind doch so irmnig lieb, mochte es nur nicht zeigen," gestand Lucie, sich zur Selbstverleugnung zwingend.
„Ich weiß, Lucie, du bist gut, mein Kind!"
„O, Mutter, haltet ein!" stieß Lucie jetzt unter lautem, krampff haftem Schluchzen hervor. „Nein, ich bin schlecht, aber verzeiht mir, verzeiht!"
Jetzt kam Lisbeth und führte das weinende Mädchen gewaltsam hinweg. Draußen schalt sie: „Die Schulzin muß Ruhe haben; sie ist schon halb im Himmel, erschweren sie ihr nur den Tod nicht. Du liebe Zeit, jetzt haben wir gut Lamentieren, nachdem — ja, ja!" unterbrach sie sich, „wenn das Kind ertrunken ist, deckt man den Brunnen zu"
Karl hatte den Schulzen von der Wiege losgeriffen. Er führte den völlig gebrochenen Mann in den Hof, um frische Luft zu genießen. Lucie schlich in die Kammer und als sie sich unbewacht wußte, küßte und herzte sie die kleine Leiche, als hätte sie ihr das Leben einhauchen wollen. Sie wollte ihm das Totenkleidchen mit Schleifen schmücken und kramte nun in dem Schub des alten Schranks, der Herm' Eggers gehört hatte. Aber weder Schleifen noch sonstiger Flittertand befand sich in dem Geheimfache, sondern ein vergilbtes Heft, wie Schulkinder solche gebrauchen.
Neugierig blätterte Lucie in demselben. Ihr Blick überflog zuerst flüchtig die erste Seite, wo große, kühne Buchstaben in ganzen Reihen aufmarschiert standen.
Luciens Augen wurden größer und größer. Sie las und las und ihre Miene wurde starr, ihre Glieder erbebten. Eine ganze Weile blieb sie völlig fassungslos. Dann kam wieder Leben in ihre Gestalt, aber sie erschien wie geknickt. Bedächtig legte sie das Heft wieder an seinen alten Platz, ihr Auge funkelte unheimlich. Taumelnd trat sie an die Wiege. Lange starrte sie in das wachsgelbe Gefichtchen der Leiche. „Wüßte ich sicher!" rief sie halblaut, „daß er nicht erstickt ist, so wäre ich ruhig; denn ihn könnte man ja beneiden, — ihn und die Mutter,