Verwaltung, die fanatische Bevölkerung und die leider so zersplitterte Christenheit.
* Stuttgart, 30. Juni. Zum Beginn der Reisezeit ist bei den württ. Staatseisenbahnen der Park der Personenwagen um 30 neue Wagen der verschiedenen Klassen vermehrt worden. Am meisten Aufsehen erregen nach dem Schw. Ai. die neuen Wagen 3. Klasse. Die Rücklehne ist erhöht, ähnlich wie bei den Wagen 2. Klasse. Darüber ist in einem eisernen Gestelle ein Netz für Gepäck, Reisegerätschaftcn, Hüte und dergl. angebracht, die Konstruktion als Langwagen aber beibehalten. Die Wagen haben an Bequemlichkeit gewonnen
* A a r l s r nhe, 1. Juli. Gerbereibesitzer Gottfried Hacker von Hau fach, welcher durch Diskontierung gefälschter Wechsel im Betrage von über 6000 M. ein inländisches Kreditinstitut geschädigt und sich nach Amerika geflüchtet hatte, ist vor wenigen Tagen bei dem ihn verfolgenden Landgerichte Offeubnrg eiugelicfert worden.
* Nürnberg, 1. Juli. Zur Zeit weilen in unserer Stadt drei Detektivcs ans Kenntncky und Ohio; die „Arbeit" der Herren soll diesmal einem schwindelhaften Kaffee-Agenten gelten, der mit 250000 Doll. Manko das Weite gesucht hat. D ie Afsaire wird mit dem jüngsten Krach ans der nordamerikanischen Kaffee-Börse in Verbindung gebracht.
* (Ünglücksfall auf dem Exerzierplatz.) In Ansbach stürzte kürzlich bei einer Attake ans dem Exerzierplatz „Urkas" ein Soldat der 4. Eskadron des 2. Ulanenrcgiments mit seinem Pferde. Der kolossale Staub, der ans genanntem Platze durch die Exerzitien aufgewirbelt wurde, machte es den Nachreitenden unmöglich, rechtzeitig bei Seite zu reiten, wodurch es kam, das; ca. ein Dutzend Ulanen ebenfalls mit ihren Pferden stürzten und einen. wirren Knäuel bildeten. Als endlich Roß und Reiter entwirrt waren, zeigte es sich, das; dem obengenannten Ulanen durch eine Lanze das Gesicht förmlich durchstochen war, außerdem, das; einige andere Ulanen leichte Verletzungen erlitten hatten. Die Gesichtsverletznng des betreffenden Ulanen ist eine schwere und mußte derselbe in das Militärspital ausgenommen werden.
Rüdes heim, 1. Juli. Der Flößereibetrieb auf dem Rhein ist in der letzten Zeit durch verschiedene Hindernisse im „wilden Gefährt" bei Canb stark behindert. Durch die dort gestrandeten Schiffe war die Strombaubehörde zu der Anordnung veranlaßt, daß große Floße bei Rüdesheimzerlegtwerden müssen und crstbeiCamp wieder vereinigt werden dürfen. Ein zu diesem Zweck eingestelltes Schraubenboot „Mainz" befördert die Floßteile ab Niederheimbach durch das „wilde Gefährt" bis unterhalb Canb. Den Floßbesitzern entstehen dadurch selbstredend Zeitverluste und Mehrkosten an Arbeitslöhnen u. dgl.
' Berlin, 30. Juni. Die Post spricht in einem Artikel im Hinblick auf den russischen Utas, betreffend die Beschränkung der Ausländer
bei der Erwerbung von Grundbesitz, von einer Politik, die den deutsch-russischen Krieg bei den Haaren herbeiznziehen sucht, deren Sieg nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, und sagt, der moralische Schwerpunkt des russischen Staates sei in heftigem Schwanken.
* B e i der Abstimmung über das Brantweinstenergcsetz am 17. Juni wurde das Gesetz mit 233 gegen 80 Simmen angenommen. Aus Württemberg stimmten mit Ja: Gras Adelmann, Bayha, Frhr. v. Ellrichshansen, v. Fischer, Grub, Keller, Leemann, Frhr. v. Neurath, Frhr. v. Ow, Siegle, Veiel; mit Nein: Göser, Gröber: Adä, Stählin, Bnrkardt, Erbgraf v. Neipperg.
* Iuntersdorf (Landkreis Köln), 28. Juni. Am Sonntag morgen ist zwischen hier und Frechen ein scheußliches Verbrechen verübt worden. Das dreizehnjährige Töchterchen eines hiesigen Schmiedemeisters wurde von einem Unbekannten überfallen, geschändet und derart mißhandelt, daß es gestern mittag gestorben ist. Das Kind hat vor seinem Tode den Hergang noch beschreiben können. Alles Bitren und Flehen des Kindes vermochte den Menschen nicht zu rühren und auf das Schreien desselben antwortete er mit den fürchterlichsten Mißhandlungen. So schlug er unter anderem seinem Opfer das linke Äuge aus dem Kopfe. Ein Fuhrmann fand das Mädchen in hilflosem Zustande in einem Roggenfelde.
' Glog an. Der Stadtverordnete Dr. G. hat in der Stadtverordnetenversammlung den Antrag eingebracht, man möge mit Rücksicht aus den durch die neue Steuer verteuerten Schnaps die Löhne der Holzhauer in der Stadtforst entsprechend erhöhen, da der Schnaps für den Arbeiter ein unabweisbares Bedürfnis sei.
* (F-ener ans einem Norddeutschen Lloyd- Dampfer.) Wie Bremenhafener Blätter be- richtcn, brach ans dem Norddeutschen Lloyd- Dampfer „Fulda" ans dessen letzter Rückreise von New-Nork Feuer aus, das, wenn es nicht noch rechtzeitig entdeckt worden wäre, leicht zu schlimmen Folgen hätte führen können. Der Dampfer hatte in Newyork eine größere Ladung Baumwolle eingenommen. Am zweiten Tage der Fahrr machte ein Maschinist die Entdeckung, daß die zum Laderaum führende Thür glühend heiß war, und nichts gutes ahnend, meldete er dies sofort dem Kapitän; als man nachsah, fand mau, daß die Baumwolle aus unbekannten Ursachen, wahrscheinlich aber infolge von Selbstentzündung, in Brand geraten war. In aller Eile wurden, ohne daß einer der zahlreichen Passagiere, von denen einige durch das Heißwerden des Bodens allerdings unruhig geworden waren, etwas merkten, die nötigen Vorkehrungen getroffen, und -gelang es glücklicher Weise, das Feuer bald durch cinströmendeu Dampf zu ersticken. Am nächsten Morgen warf man an 40 Ballen Baumwolle und mehrere Kisten Tabak, welche durch dm Brand beschädigt worden waren, über Bord, und da erst wurden die Passagiere
ans die Gefahr, in welcher sie geschwebt hatten, aufmerksam. Allgemein anerkannt wurde das rasche und sichere Vorgehen, dem allein es zu danken ist, daß ein größerer Schaden verhütet wurde.
* Ein großes Flottenmanöver findet vom 23. Juli bis 15. August in der Dan zig er Bucht statt. Am 28. August geht das Geschwader nach der Nordsee und hat Manöver daselbst bis zum 10. September.
Ausländische?.
* Wien, 1. Juli. Es verlautet, König Milan bestehe ans der Scheidung von seiner Gattin. Wenn Ristic die Rückkehr der Königin Natalie nach Serbien nicht verhindern wolle, stehe eine neue Ministerkrise bevor. Daneben wird aber auch behauptet, die österreichische Regierung bemühe sich vergeblich, Milan von der Abdankung abznhalten. Sein Rücktritt werde bereits nach seiner Rückkehr nach Belgrad erfolgen.
* P r a g. Einen Selbstmord ans wahrhaft tragischen Motiven begieng der Wachtposten in der Strafanstalt Karthans, Franz Kalkowscy, vom 18. Infanterieregiment. Im Alter von acht Jahren verlor er Vater und Mutter, welche beide wegen Raubmordes, und zwar ersterer zu zwanzig Jahren, letztere zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wurden. Bei dem Rundzange erkannte Kalkowscy nach 12 Jahren seinen eingekerkerten Vater, was er sich so sehr zu Herzen nahm, daß er sich mit dem Dicnstgewehr erschoß. Die Mutter des Selbstmörders verbüßt die Strafe in Nepy.
- Rom, 1. Juli. Die Kammer genehmigte den Zwanzigmillionen-Kredit für Afrika.
* Paris, 2. Juli. Der deutsche Botschafter, Graf zu Münster, hatte gestern Nachmittag ans dem auswärtigen Amte eine Konferenz mit dem Minister Flonrens, die beinahe eine stunde gedauert, was nicht geringes Aufsehen erregt hat. Wie ich zu wissen glaube, hat es sich in dieser Konferenz hauptsächlich um die brennend gewordene Frage des Eingangzolles auf Spiritus gehandelt, Graf Münster hat aber auch die Gelegenheit benutzt, um die unerhörte Dentschen- hetze, welche hier augenblicklich grassiert, zur Sprache zu bringen. (Der Erfolg bleibt abzn- w arten. D. R.)
* Paris, 2. Juli. Die Komitss der Patriotenliga in Bordeaux und Bayonne demissionierten wegen der Haltung, welche die Pariser Patriotenliga hinsichtlich Boulanger's eingenommen hatte.
" Paris. Vor einigen Tagen fanden die Wächter im Park von Vincennes die gegen einen Baum gelehnte Leiche eines Mannes. Dieselbe hielt in der Rechten einen Revolver, in der Linken einen Feldblumenstrauß. In letzterem steckte ein zusammengefaltetes Billet, das die mit Bleistift geschriebenen Worte enthielt: „Bevor ich sterbe, Luise, pflücke ich für dich diesen Strauß mit Frühlingsblumen, den ich in der einen Hand
Kaus und Well.
Novelle von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)
Nack einer ermüdenden Nachtfahrt langten Valentine und Martha am Reisczi.le an. Sie wnßtcn, daß sich das Haus des Bruders am Markte befand und brauchten nicht lange zu suchen, da blinkten ihnen euch sch m über einem Laden an dessen Schaufenstern Stearinkerzen in blauen P kcten, Rauchtalakrollen. Zuckerhüte. Badeschwämme, Futter- kaltnn, Kleiderstoffe, sowie Schuhe und Ltiefcl ausgestellt waren, die F rma: „Michel Kleinpeters Nachfolger" in Goldbuchstaben entgegen Als sie den ziemlich mit Käufern gefüllten Laden betraten, hörten sie die keifende Stimme ihrer Schwägerin Sophie und unmittelbar dar uf eine klat chcnde Oh'.fe g , welche die Wange eines unglücklichen Lehrlings traf.
Hier also sollten die Würfel ihres Eningen Loses fa'.'en; von jenem schelteninn Munde ollten sie Rat vernehmen; jene knöcherne Hand, von deren Härte sie eben ein Beispiel erlebt hatten, sollte sich ihnen helfend entg,genstrecken!
Schwägerin Sophie, kaum zu ernennen i: dem abgetragenen Kleide, in welchem sie ihrer Kundschaft aufwarte e, stellte sich über den Besuch ihrer Schwägerinnen, obwohl sie denselben mit mathematischer Sicherheit vorausgefehen hattH in hohem Grade überrascht. Sie that nicht derg eichen, als könne derselbe irgendwie mit dem Ablelen des Hofrats zusa-nmenhängm, sondern als hätten sich die jungen Damen nur aufgemacht, um ihr durch ihre Gegenwart eine besondere Ehre zu erzeigen. So vornehm wie daheim frei ich würden sie es hier nicht finden, sagte sie, auch gin>,e es ziemlich unruhig im Hause zu, denn man habe von früh mm g.ns bis spät aberns alle Hände voll zu thun. An öffentlichen Belustigungen fehlte es im Orte gänzlich, und was dergleichen Entschul
digungsreden mehr waren, sämtlich darauf berechint, den Schwestern das Geständnis, daß sie als Hilfsbedürftige gekommen seien, recht zu erschweren.
Als Martha, die ihrer Schwester an Mut und Entschlossenheit weit überlegen war, endlich mit dem wirklichen Zweck ihrer Reise heroor- rrat, schicn das Erstaunen Sophiens keine Grenzen zu kennen.
Das sei doch hoffentlich nicht der Schwestern Ernst, daß ihnen keine andere Zuflucht offen stehe, meinte Sophie. Sie hätten ihr ja immer so viel Rühmens gemacht von den zahlreichen Freundschaften, die sie unterhielten, — von den Gutsbesitzern, Pastoren und dergleichen, deren Töchter ja Irans jahrein bei ihnen zum Besuch gewesen seien und sich vom Alizen Schwiegecpapa Hofrat Härten in die Konzerne und auf die Bälle führen lassen. Die müßt n sich dob jetzt eigentlich um Valentine und Martha reißen, um ihmn mit RN und Thal beizuüehen und ihnen Liebe und Güte zu erzeigen!
A!s die Schwestern betrübt schwiegen, nahm sich Alexander ihrer an, indem er eine schüchterne philosophische Betrachtung über den zweifelhaften Wert derartiger Freundschaftsbeziehungen anstellte, von denen man stets im Stiche gelassen werde, wenn, man ihrer ernstlich bedürfe.
Dos schien Sophie ganz neu, daß es solche undankbare Menschen geben sollte, indessen Alexander müsse es doch wissen und seine Schwestern wahrscheinlich noch besser. Aber was könne denn hier für sie geschehen?
Sie wären zwar zu einem Besuche recht sehr willkommen, dagegen werde man doch unmöglich von ihr verlangen, daß sie die Schwägerinnen füttern solle, bis sie sich e nmal verheiraten.
Martha wandte ein, daß ihnen nichts ferner liege, als jemand zur Last zu fallen; sie wollten sich ihren Unterhalt selbst erwerben und bäten nur um Rat, wie sie dies anzusangen hätten.