subventionierten Linien und die Thätigkeit des früheren Abg. Meier (Bremen), der Direktor des „Norddeutschen Lloyd" (also der Gesellschaft, welche die Staatsdampfer stellt), ist und seinerzeit Mitglied des Ausschusses für das betreffende Subventionsgesetz war. Der letztgenannte, in seiner Abwesenheit angegriffene frühere Abgeordnete wurde außerdem durch seine Fraktions- genossen Gebhard und Wörmann verteidigt; auch sonst traten alle Redner, unter anderen auch Abg. Windthorst, für die Loyalität Meiers bei der früheren Beratung ein. Nach mehrstündiger Debatte wurde die erste Beratung beendet, die zweite vertagt.
Am Mittwoch beriet der Reichstag die ans dem Hause eingegangenen Anträge Hitze und Lohren, welche sich hauptsächlich auf Regelung der Frauen- und Kinderarbeit beziehen und von der eigens zuihrer Prüfung eingesetztenKommission in etwas geänderter Gestalt vorgclegt werden. Am Mitwoch wurden nur die auf die Kinderarbeit bezüglichen Bestimmungen durchberaten und die Weiterberatung auf eine Abendsitznng am Freitag vertagt.
Am Freitag stand die erste der für die Neichslande bestimmten Gesetznovellen auf der Tagesordnung; sie bezieht sich auf die Wahl der Bürgermeister, die bisher der Gemeindevertretung entnommen werden mußten, jetzt jedoch von der Regierung sollen ernannt werden können. Mit großer Schärfe traten die Elsaß-Lothringer Gerber, v. Dietrich und Simonis, ebenso der Abg. Windthorst dem Gesetze entgegen, in welchem sie lediglich eine Vergeltung der Regierung finden Ausfall der letzten Wahlen und ein neues Mittel sehen, die deutschen Sympathieen im Elsaß zu ersticken, während die Unterstaatssekrc- täre Back und v. Puttkamer, sowie die Abgg. v. Euny und v. Kardorff in dem Gesetz ein notwendiges Postulat sehen, die Regierung mit den Mitteln zu versehen, der französischen Agitation emgegenzutreten und die Verwaltung im Interesse Deutschlands zu reorganisieren. Ein Antrag Windthorsts auf Ausschußberatung wurde abgelehnt; das Gesetz wird also auch in zweiter Lesung im Plenum beraten werden.
* Stuttgart, 9. Juni. Finanzminister Dr. v. Renner feiert am 20. Juni sein 50jäh- riges Dienstjubiläum.
^ (Verschiedenes.) In einemLaden in Murrhard wurde ein Ojähriger Knabe ertappt, als er eben der Kasse 2 Thaler, 2 Zweimarkstücke und ein paar Zehner entnahm. — Dem Fabrikant Leins inRentlingen gelang es einen 7jährigen Knaben den Fluten des Wassers zu entreißen. — In Dornstadt geriet ein 4jähriges Mädchen in die Häckselschneid- maschme, so daß es, furchtbar zugerichtet, nach 24 Stunden starb.
* Karlsruhe, 10. Juni. Die Vorlagen über die strategischen Eisenbahnen wurden in
der heutigen Sitzung der 2. Kammer nach längerer Debatte einstimmig genehmigt.
* Karlsruhe. Wegen fahrlässiger Tötung von 12 Personen und Körperverletzung, herbeigeführt durch den Einsturz eines Neubaues in der Uhlandstraße, wurde der Bauunternehmer Kircheubauer zu drei Monat Gefängnis verurteilt. Die Entscheidungsgründe führen aus, Kirchenbauer habe ohne Prüfung des Planes bei Verwendung schlechten Materials und ohne die erforderliche Kontrolle gebaut.
* München, 9. Juni. Die herrlichsten Wasserwerke von Schloß Herrenchiemsee werden nicht mehr in Thätigkeit gesetzt werden, da die Wiederherrichtung dieser Herrlichkeiten 80,000 M. kosten würde. Die K. Vermögensverwaltung hat keine Lust, diese Summe auszugeben.
* In Nürnberg sollte in der Nacht zum 10. ds. ein Chevauxleger verhaftet werden, da er die nächtliche Ruhe störte. Derselbe widersetzte sich der Verhaftung und wurde im Streit mit der Militärpatrouille von einem Soldaten derselben erstochen.
* (Bestialität.) Die Krämersfrau Lina Widder von Pasing hatte sich wegen Verbrechens der Körperverletzung zu verantworten. Dieselbe unterhielt hinter dem Rücken ihres Ehemannes ein Liebesverhältnis und benutzte eine Frau namens Schütz als Briefträgerin. Da diese jedoch schon den zweiten Brief dem Ehemann der Widder übergab, rächte sich die Angeklagte dadurch, daß sie dem dreijährigen Mädchen der Schütz namens Anna eine ätzende Flüssigkeit, wahrscheinlich Schwefelsäure, in's Gesicht goß, so daß das Kind sein ganzes Leben lang verunstaltet ist. Ferner zog sie das Kind derart am linken Ohr, daß das Auge dadurch dauernd nach auswärts und abwärts gerichtet bleibt. Die unmenschliche Frauensperson wurde zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.
* Berlin, 10. Juni. Der „Reichsanzeiger" schreibt: Se. Majestät der Kaiser und König haben die letzten Tage, von krampfhaften Unter- leibsbeschwerden vielfach beunruhigt, fast ausschließlich im Bette zugebracht. Auch hat sich eine katarrhalische Reizung der Augenlider hinzugesellt.
ir-, 1-1 Der Kaiser batte
xine bessere Nacht, die Schmerzen sind wesentlich geringer. Prinz Wilhelm besuchte gestern nachmittag den Kaiser. Dem Vernehmen nach ist die Reise des Kronprinzenpaares nach England auf Montag verschoben.
* lieber die Ursache der Erkrankung des Kaisers schreibt die ,Fürstl. Neuß-Geraer Ztg/: „Die Erkältung des Kaisers stammt von seiner Fahrt auf der „Pommerania" in Kiel. Wegen der frischen Brise bat man den Kaiser, die Kajüte aufzusnchen, statt dessen aber wählte erden Kommandoplatz und sagte: „Das wäre noch besser; die Matrosen wollen doch ihren Kaiser, den sie ohnehin so selten schauen, nicht in der Kajüte, sondern auf dem Verdeck sehen. Da hätte ich ja lieber mit dem Wagen zurück
fahren können; wenn ich einmal auf dem Schiff bin, bleibe ich auch oben!"
* Die Berliner medizinische Gesellschaft und die ärztlichen Bezirksvereine haben gestern über die Petition beraten, die vom Dresdener Aerzteverein an den Reichstag gerichtet worden ist und Einführung von Strafbestimmungen zur Unterdrückung der Kurpfuscherei verlangt. Mit 168 Stimmen gegen 164 wurde ein Antrag angenommen, zu erklären, daß im Interesse des allgemeinen Wohles das Verbot der gewerbsmäßigen Kurpfuscherei, wie es vor 1869 bestand, wiederhergestellt werden müsse.
* (Ein unschuldig verurteilter Mörder.) Der wirkliche Mörder der vor vier Jahren zu Elber- feld ermordeten Frau Ziethen ist jetzt, nachdem der Gatte der Ermordeten, der Barbierherr, Gastwirt und Samenhändler Albert Ziethen, welcher seiner Zeit vom Schwurgerichtshofe zu Elberfeld als schuldig erkannt und zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden war, bereits vier Jahre im Zuchthause geweilt, in der Person des Barbiergehilfen August Wilhelm ermittelt worden. Albert Ziethen war hauptsächlich durch die Aussage seines Gehilfen Wilhelm, der anfangs von der ganzen Angelegenheit nichts zu wissen vorgab, dann aber erzählte, wie Ziethen seine Frau getödtet, belastet worden und vornehmlich auf Grund dieser Aussage ins Zuchthaus gewandert. Sowohl während der Untersuchung, als auch in der Hauptverhandlung beteuerte der Verurteilte fortwährend seine Unschuld. Ihm schien sein Barbiergehilfe der eigentliche Mörder zu sein, und so beauftragte er denn seinen Bruder, den in Berlin lebenden Restaurateur Heinrich Ziethen, den Wilhelm zu beobachten, um eventuell eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erwirken. Bald nach der Gerichtsverhandlung verschwand jedoch Wilhelm plötzlich, und erst vor Kurzem gelang es Heinrich Ziethen, der während der ganzen vier Jahre ununterbrochen um die Aufklärung der Angelegenheit bemüht war, den ehemaligen Barbier- gchilfen seines Bruders in Berlin zu ermitteln. Er ließ den Wilhelm zunächst von einem Arbeiter, der mit dem Verdächtigen bekannt war, aushorchen. Diesem gegenüber bemerkte Wilhelm einmal: „Ich muß nach Amerika, sonst koffers yrer noch meinen Kopf!" Sodann unterzog der Brodherr des Wilhelm, Herr Piesker, diesen einem scharfen Verhör, in welchem August Wilhelm denn schließlich in vollstem Maße geständig war. Er erzählte, daß er, während Herr Albert Ziethen auf einer Reise nach Köln begriffen war, der Gattin desselben unsittliche Anträge gemacht habe. Dieselbe drohte ihm, alles ihrem Manne zu erzählen, und so habe er denn, als Frau Ziethen ihm gerade den Rücken zukehrte, ihr ans Furcht vor dem Meister mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen und sie so getötet. In diesem Augenblick sei der Gatte der Ermordeten von der Reise zurückgekommen und er, Wilhelm, sei schnell in sein Zimmer hinaufgeeilt und habe so gethan, als
Kaus und Wett.
Novelle von Gustav Höcker.
(Fortsetzung.)
„Frau Rupstnger kann mit deines Vaters Gelbe schalten und walten und ich wette meinen Kopf, daß sie sich etwas Gehöriges bei Seite ickmfft und deinen Vater betrügt, daß ihm noch einmal die Augen übergehen werden."
„Das glaube ich nicht," versetzte Alexander, „sie ist eine —"
„Valentine hat ihre erste Jugend hinter sich," unterbrach ihn Sophie, „und es wäre wohl Zeit, daß sich ein Mann für sie fände. Sie hat auch schon zwei Anträge gehabt."
„Was du sagst!" rief Alexander neugierig.
„Ihr früherer Musiklehrer hat sich um sie beworben, aber sie wollte keine „Musikantenfrau" werden. Jetzt ist er erster Kapellmeister am Hoftheater und hat eine Bankierstochter zur Frau. — Dann der Speze- reiwarenbändler an der Ecke, ein junger Anfänger, der aber schon eine recht schöne Kundschaft besitzt, — der hat ihr erst vor kurzem einen Antrag gemacht, ist aber bös heimgeschickt worden, denn - natürlich! — für eine „Krämersfrau" ist sie ebenfalls zu hoch. Haha! Das eingebildete Ding."
„So ganz unrecht hat sie nicht," wagte Alexander einzuwenden, „wenigstens von ihrem Standpunkte aus/
„So, so, von ihrem Standpunkte aus," spottete Sophie, „auf diesen Standpunkt bin ib neugierig." Damit ließ sie sich in den zunächst stehenden Sessel sinken, und die Arme herausfordernd über der Brust verich änlt. schien sie mit ihren stechenden Blicken den Gatten durchbohren zu wollen.
„Sieh, lieb: Sophie," fuhr Alexander fort, „für einen kleinen Kaufmann paßt Valentine ganz und gar nicht. Danach sind meine
Schwestern nun einmal nicht erzogen. Mag man darüber urteilen, wie man will, aber leugnen läßt sich nicht, daß sie eine Bildung erhalten baben, die ihnen in beschränkten Verhältnissen eher hinderlich, als von Vorteil sein würde. Glaubst du, daß z. B. ein Kaufmann, wie der Nachbar drüben an der Ecke, mit Valentine glücklich sein würde? Und wie erst sollte sich in dem neuen einfachen Hauswesen oder wohl gar im Laden eine Frau zurecht finden, die an Zerstreuungen gewöhnt und mehr für geistige Genüsse, als für wirtschaftliche und geschäftliche Angelegenheiten empfänglich ist?"
„Man merkt doch gleich, daß du in die Familie gehörst," versetzte Sophie mit einem unangenehmen Lächeln. „Aber ich muß dennoch sagen, daß du die Rechnung ohne den Wirt gemacht hast. Deine Schwestern sind für eine anspruchsvolle Lebensstellung erzogen, darin hast du allerdings vollkommen recht. Was gibt ihnen denn aber die Ansprüche auf eine solche Stellung? Hm? Etwa jene Bildung, von der du so viel Rühmens machst? He? Darauf beißt heutzutage niemand mehr an. Von so anspruchsvoll erzogenen Dämchen verlangt man Vermögen, und du hast mir selbst gestanden, daß dein Vater keines hat, sondern aus der Hand in den Mund lebt, wie das denn auch, trotz seines bedeutenden Einkommens, bei einem so großartigen Haushalte gar nicht anders sein kann. — Gott in deine Hände," fügte Sophie hinzu, „was soll denn daraus entstehen, wenn einmal dein Vater die Augen schließt? Was wird dann aus deinen Schwestern werden s Wäre es nicht besser, man hätte sie, statt zu Salondamen, zu einfachen, bürgerlichen Hausfrauen erzogm? Dein Vater hat einen Fehler begangen, Alexander, den er gar nicht verantworten kann. Aber so geht's, wenn die Frau wegstirbt und der Mann schwach ist und sich die Töchter über den Kopf wachsen läßt."
„Sophie, ich bitte dich, sprich doch nicht so. Mein Vater war immer nur auf das Beste seiner Kinder bedacht."