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Mr. 104.
Altenßeig, Samstag dm 5. September
1885
Zum Studium der evangel. Theologie im Seminar Tübingen wurde u. a. ermächtigt: Friedr. Lutz, Sohn des Rotgerbers in Altensteig; außerhalb des Seminars: Theodor Weber, Sohn d. Inspektors in Wildberg.
2 Noch einmal die Karolineufrage.
Neuere Nachrichten über den Stand der Verhandlungen zwischen Deutschland und Spanien liegen nicht vor; trotzdem läßt sich mit Bestimmtheit annehmen, daß sowohl von seiten der deutschen wie der spanischen Regierung alles gethan werden wird, um den Gang der Dinge zu beschleunigen und der allgemeinen Aufregung ein Ende zu bereiten. Diese Aufregung ist zwar in Deutschland nicht besonders zu merken, dafür macht sie sich in Spanien durch allerhand Demonstrationen Luft, die teilweise ihre Spitze gegen die konservative Regierung und die Monarchie richten.
Vorläufig allerdings echauffiert man sich ziemlich unnötig. In Berlin ist noch nicht einmal die offizielle Meldung von der Besitzergreifung eingegangen. Man weiß nicht, ob unser Admiral die Karolinen in Bausch und Bogen für deutsches Besitztum erklärt hat oder ob es sich nur um die Protektoratserklärung über einige der größeren und um welche Inseln handelt.
König Alfons von Spanten befindet sich offenbar in einer sehr schwierigen Lage. Er möchte es mit Deutschland nicht verderben, muß aber andererseits auch der erregten Stimmung seines Volkes Rechnung tragen. Auf seinen Einfluß ist es jedenfalls zurückzuführen, daß wenigstens die dem Ministerium nahestehenden Blätter eine ruhigere Sprache führen. Das Volk — so darf man wohl nach den zahlreichen Berichten aus Spanien sagen, verlangt den Krieg gegen Deutschland. Nun ist das zwar nicht allzutragisch aufzufassen, denn zu einem Landkriege zwischen Deutschland und Spanien wird es nie kommen und will man den Kampf auf und bei den Karolinen selbst ausfechten, so würde derselbe an Langweiligkeit den französischen Tonkinfeldzug ber weitem übertreffen.
Aber bis zum offenen Ausbruch der Feindseligkeit sind wir ja gottlob noch lange nicht. Die Sachlage ist vielmehr die: Die „Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft in der Südsee", die ihren Sitz in Hamburg hat, besitzt bereits seit Jahren auf den Karolinen und auf den Marschallsi..seln je neun Niederlassungen, deren Grund und Boden ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum ist. Nie hat sich auf den Inseln ein spanischer Beamter blicken lassen: es ist damit also auch der Schein einer spanischen Oberhoheit vermieden worden. Damit nun nicht etwa eine fremde Macht komme und die Inseln annektiere, die so vielen deutschen Interessen zu Stützpunkten dienen, stellt Deutschland den Archipel unter seinen Schutz. Jetzt besinnt man sich in Spanien darauf, daß auf den Landkarten und Geographiebüchern die weltentlegenen Karolinen als „spanische Kolonien" angeführt sind. Nach den Festsetzungen der Berliner Konferenz hat aber Deutschland unwiderleglich die besten Ansprüche durch seine Kulturarbeit, durch den faktischen Besitz.
Darum dreht sich nun der Streit und wenn Recht eben Recht ist, dann kann die schlteß- liche Entscheidung nicht zweifelhaft sein und wenn die spanischen Chauvinisten noch so stark ins Horn stoßen. Als Deutschland gemeinsam mit England im Jahre 1875 dagegen protestierte, daß Spanien von de« Karolinenwaren Zölle erhebe, hat Spanien die Zollerhebung einfach Unterlasten. Jetzt sagt eine offiziöse spanische Korrespondenz, die ,Nordd. Allgem. Ztg? habe die bezügliche deutsche Note von da
mals unvollständig mitgeteilt. Es fehle darin der im Original befindliche Satz, daß Deutschland keine koloniale Ansprüche mache und befriedigt sein würde, wenn ein kolonisierendes Land wie Spanien den Schutz des fremden Handels in jenen Gegenden organistre.
Es kann sein, daß eine deutsche Note vor zehn Jahren so sagte, aber für den vorliegenden Fall ist das ohne Belang und spricht eher gegen Spanien; denn dieses hat in Wirklichkeit nichts zum Schutze des Handels auf den Karolinen gethan, auch während der letzten zehn Jahre nicht, während Deutschland seit zwei Jahren in die Kolonialpolitik eingetreten ist.
Etwas kaltes Blut könnte den Spaniern bei der Behandlung dieser Angelegenheit nicht schaden. Ihr sprichwörtlicher Stolz würde sich dann weniger verletzt fühlen, wenn Deutschland sein gutes Recht aufrecht erhält.
Tagespolitik.
— Der mecklenburgische Reserve - Offizier Graf Grote - Deven ist wegen Mitunterzeichrmng einer „Erklärung" zu Gunsten des Herzogs von Cumberland durch vom Kaiser bestätigten Spruch des Kriegsgerichts zu 13 Monaten Festung und Dienstentlastung verurteilt worden.
— Dis Aufregung unter den Deutschen im nordöstlichen Böhmen ist in stetigem Wachsen begriffen. Die tschechischen Heldenthaten von Königinhof haben in den benachbarten deutschen Städten eine solche Entrüstung hervorgerufen, daß daselbst Repressalien gegen die ansässige tschechische Bevölkerung befürchtet werden, und die Behörden gezwungen find, außergewöhnliche Vorkehrungen zum Schutze der öffentlichen Ordnung zu treffen. Daß dies nötig wurde, ist im Interesse des Deutschtums sehr zu beklagen. Mit Steinwürfen und Knüttelhieben treibt man keine Politik.
— In Frankreich tobt der Wahlkampf an allen Ecken und Enden und gerade mit Rücksicht auf den bevorstehenden Wechsel in der Präsidentschaft der Republik ist es erklärlich, daß alle Parteien die Lage für sich nach Möglichkeit auszunutzen bestrebt sind. Recht schlimm ergeht es Ferry. Er nahm vor kurzem noch alle vermeintlichen Erfolge in Tonkiu für seine Politik in Anspruch. Jetzt wird aber immer klarer, daß in Tonkin und Anam nur in den Städten und mit Mühe die Ordnung von den durch Seuchen furchtbar geschwächten Truppen aufrecht erhalten werden kann und daß das ganze Land noch einmal erobert werden müßte, um den französischen Schutzherrschafts - Vertrag voll zur Ausführung zu bringen.
— Die Siegeszuversicht, mit der Parnell vor einigen Tagen in Dublin auf einem Bankette sprach, wo er seinen Anhängern die völlige Selbständigkeit Irlands für die nächste Parlamentssesston in Aussicht stellte, scheint in den Thatsachen wenig begründet. Die gesamte englische Presse beider Parteien sagt, England würde einen Selbstmord begehen, wenn es in die Forderungen der Iren einwilligte. Lord Hartington sprach sich seinen Wählern gegenüber in gleichem Sinne aus.
— Schon im vergangenen Jahre tauchte das Gerücht auf, der Zar von Rußland werde sich in Samarkand zum Kaiser von Mittelasien krönen lassen; es soll dies gewissermaßen ein Schachzug gegen die Krönung der Königin „Viktoria" als „Kaiserin von Indien" sein. Jetzt erscheint die Meldung von neuem auf der Btldfläche und beunruhigt die muselmännische Bevölkerung nicht wenig. Allerdings verschiebt man den Termin der Krönung auf den Herbst nächsten Jahres, bis zu welcher Zeit dir mittel
asiatische Eisenbahn nahezu fertizgestellt sein wird. — Ein anderes Gerücht sagt, der Zar werde dem Schah, der schon verschiedene Male in Petersburg war, demnächst auf persischem Boden einen Gegenbesuch machen.
Laadesnachrichtev.
* Altensteig, 4. Sept. Unsere Sedanfeier war diesmal wieder recht würdig arrangiert und war das Programm für Alt und Jung gleich versprechend. Nach demselben wurde die Feier eingeleitet, früh am Morgen durch Böllerschüsse und Tagwache. Um 12 Uhr bewegte sich ein ansehnlicher Festzug, an dem sich der Kriegerverein, Liederkanz undTurn- verein, die Schuljugend und vom Rathause aus die königl. und städtischen Beamten beteiligten unter Vorantritt der städtischen Musik in die Kirche. Unser hochwürtiger Hr. Stadtpfarrer Mezger hielt eine vw ächt religiösem und patriotischem Geiste getr gem Predigt, in wel- - cher er der großen Verdienste der deutschen Waffen rühmend gedachte, aber auch an die schuldige Pflicht des Dankes gegen Gott, den Lenker der Schlachten, ermahnte. Der Zoll des Dankes gegen Gott sei namentlich in den 70er Jahren in den gefüllten Kirchen in erhebendster Weise zum Ausdruck gekommen. Nach beendigtem Gottesdienst ging der Zug durch die reichbc- slaggte Stadt auf den Festplatz unter den Eichen, wo Herr Collaborator Rau nach vorhergehendem Gesang des Liederkranzes die Festrede hielt. Dieselbe zeichnete sich auS durch Aufzählung der Schlachttage und ihrer Erfolgs, wodurch bei allen Zuhörern, welche jene denkwürdige Zeit miterlebt haben, angenehme Erinnerungen aufgefrischt wurden. Ne lautet:
„Geehrte Fest v ersammilung!
Wiederum schicken wir uns an, jenen glorreichen Entscheidungskampf von Sedan, den folgewichtigsten unter den vielen herrlichen Siegen unseres deutschen Heldenheeres festlich zu begehen. Es waren erhabene aber auch schwere Tage, die wir während des deutsch-französischen Feldzugs der Jahre 1870/71 erleben durften, galt es doch mit dem übermütigen Erbfeind für 100jährige Schmach und alten Raub gründlich abzurechnen und der deutschen Nation die ihr gebührende Stellung unter den Staaten Europas zu erringen. Einmütig erblickten die deutschen Fürsten in der frechen Beleidigung des greisen Preußenkönigs eine Beleidigung des deutschen Volkes. Ganz Deutschland erhob sich wie Ein Mann. Voll Gottvertrauen und mit todesmutiger Begeisterung eilten die Krieger zu ihren Fahnen; überall bildeten sich Vereine zur Verpflegung der Verwundeten und zur Unterstützung der Familien ausgezogener oder gefallener Krieger; Frauen und Jungfrauen sorgten für Bekleidungs- und Verbanbsstücke, Tausende und aber Tausende legten freiwillige Gaben auf den Altar des Vaterlandes, ein edler Wetteifer ging durch alle Gauen Deutschlands. Der Geist des Jahres 1813 war wieder erwacht. In kürzester Zeit wurden die deutschen Heere an der Grenze aufgestellt und hielten treue Wacht. Am 4. August 1870 errangen die Preußen und Bayern unter Befehl des Kronprinzen von Preußen den ersten Sieg bei Weißenburg. Sieg auf Sieg folgte, Festung um Festung kapitulierte bis mit der Uebergabe von Paris und Belfort nach mühevoller Belagerung die blutigen Kämpfe ein Ende erreichten. Kühn und tapfer zeigten sich die deutschen Soldaten in diesen Kämpfen! sie ertrugen die größten Anstrengungen u. Entbehrungen voll Freudigkeit: thaten sie es doch für Fürst und Vaterland, lür Ehre und Freiheit, für Eltern und Geschwister, für Weib und Kind. — Auch die Württembergs,: nahmen an diesen Kämpfen und ihren Erfolgen ruhmvollen Anteil. Schon bei Beginn des Krieges wurde das 6. württ. Jnf.-Regt. mit Reiterei und einigen Geschützen in den Schwarzwald kommandiert, wo sich durch fortwährenden Wechsel der Stellungen bei anstrengenden Märschen der Feind so täuschte, daß er sie für eine Armee des Schwarzwalds hielt. Am 26. Juli unternahm der württ. Generalstabsoffizier v. Zeppelin einen kühnen Ritt über die Grenze, um Aufklärung über die Stellung und Stärke des Feindes zu schossen. An der Schlacht bei Wörth beteiligte sich auch die württ. Division; die Brigade Starkloff drängte den Feind so weit zurück, daß er den Anschluß an sein Zentrum verlor. Die württ. Reiterei erbeutete bei der Verfolgung des Feindes u. a. eine sranzös. Kriegskasse mit 360,000 Frk. Die Festungen Lützelstein und Lichtenberg wurden von unseren Soldaten genommen; auch bei der Belagerung von Straßburg und Belfort war die württbg.