»Nach einem Vierteljahr — d. h. etwa zehn Monate nach meiner Verheiratung waren wir ganz auf dem Trocknen. Meine Frau weinte viel und sie hatte wohl auch Ursache, denn die Not pochte an die Thür und von Tag zu Tage sah sie ihrer Niederkunft entgegen. Ich faßte den Entschluß, meinem Vater zu schreiben, schilderte diesem mein Mißgeschick in beredten Worten und flehte um Hilfe. Es erfolgte keine Antwort.
»Der alte Oberst wütete und überhäufte mich mit den schmählichsten Vorwürfen. Um mein Elend voll zu machen, mußte ich auch bemerken, daß sich Katharina auf Seiten ihres Vaters stellte. Das verleidete wir gänzlich das Leben. Eines Nachts stand ich auf, warf drei Zeilen an Katharina aufs Papier, worin ich für drei Jahre Abschied von ihr nahm und versprach, mir in der Ferne eine Existenz zu gründen.
»Dann verließ ich das Haus und die Stadt; ich ging immer am Strande entlang und gelangte gegen Morgen in ein Fischerdorf. Der Hunger quälte mich. Nur wenige Pfennige befanden sich in meinem Beutel. Mein Anzug war nach ziemlich gut, die Stiefel elegant, die Wäsche sauber. Ich fühlte, daß ich mich lächerlich machen würde, wollte ich in diesem Aufzuge im Dorfe um Beschäftigung ansprechen.
»Doch Hunger thut weh. Ick ging ins Dorf, wandte mich an einen alten Fischer, der vor seiner Hütte saß und Netze flickte. In be- fangener Weise teilte ich ihm meine Notlage mit. Der Mann hatte ein gutes Herz. Er gab mir Kaffee und ein Stück Schwarzbrot und versprach mir dann, mir irgend eine Stelle auf einem Kauffahrer zu verschaffen, der in ciper nahen Bucht lag und am Mittag desselben Tages nach Kiel in See gehen sollte.
»Der Kapitän war ein Mann von hoher Bildung und edlem Herzen. Er schien mit dem alten Fischer auf sehr vertrautem Fuße zu stehen und was dessen Worte vielleicht allein nicht vermochten, vollendete mein Aussehen, das ihm das tiefste Mitleid einzuflößen schien. Er nahm mich mit sich nach Kiel, erkundigte sich unterwegs i« teilnehmender Weise nach meinen Verhältnissen, ohne msdtkret zu werden und bot mir, als wir in Kiel anlangten, 100 Thaler als Darlehen an, das ich ihm später, wenn es mir besser gehe, zurückgeben sollte.
„Ich sah darin einen Fingerzeig des Himmels. Fünfzig Thaler schickte ich sogleich an die Adresse meiner Frau nach Eldena, ich selbst ging nach Hamburg. Acht Tage lang machte ich angestrengte Versuche, mir irgend eine Stelle zu verschaffen. Als sich aber kein Hoffnungs- fchimmer für mich zeigte, da beschloß ich, mein Leben in dem Wasser der Alster zu enden.
»Abends ging ich auf den neuen Jungfernstieg, um die Dunkelheit abzuwarten und dann ins Wasser zu springen. Während ich planlos auf und niederschritt, belauschte ich absichtslos das Gespräch zweier Männer, von denen der eine über Kalifornien und seine Goldschätze schwatzte und das Vorhaben verriet, selbst dahin zu gehen und sein Glück zu versuchen.
»Ein neuer fGedanke durchzuckte mein Hirn. Auch ich wollte nach Kalifornien. Ich ließ mich mit dem Manne in ein Gespräch ein, wir fanden Gefallen an einander und nach drei Tagen befanden wir drei uns auf einem Auswandererschiffe. Mein neuer Freund, eben der, den ich zuerst hatte von Kalifornien erzählen hören, unterstützte mich noch, so daß ich ohne Gefährdung in San Francisko anlangte.
»Was soll ich dir, lieber Albert, von meinem Goldgräberleben erzählen! Ich schlug mich durch, so gut cs eben gehen wollte, hatte aber keinen rechten Erfolg. Drei Jahre laug war mir das Glück nicht günstig und das Goldgraben sollte auch nicht die Quelle meines Reichtums werden. Doch erfand ich eine bessere Methode, das Quecksilber zur Gewinnung des reinen Goldes anzuwenden uns das machte mein Glück.
»Die meisten der reichen Mtenenbesttzer kauften mir das Geheimnis meines Verfahrens ab, nachdem sich dasselbe bewährt hatte, und so konnte ich denn vor acht Wochen San Francisko mir einem gut angelegten Vermögen von nahezu zweimalhundertfünfzigtausend Dollar verlassen.
»Mein Ziel war erreicht. Nach fast vierjähriger Abwesenheit von meiner über alles geliebten Katharina konnte ich wieder in ihre Arme eilen, konnte ihr wieder ein Vermögen zu Füßen legen, durste mich des Lächelns meines Kindes freuen, das während meiner Abwesenheit geboren worden sein und sich inzwischen schon prächtig entwickelt haben mußte.
„Der Dampfer, der mich über den Ozean zurücktrug, ging meiner Ungeduld nicht schnell genug. Endlich langte ich in Hamburg an und ohne mir Ruhe uud Rast zu gönnen, telegraphierte ich an meinen Schwre- gerpapa in Eldena und fuhr selbst mit dem nächsten Zuge nach Lübeck.
»Infolge der schleckten Verbindungen langte ich erst am nächsten Tage gegen Mittag in Eldena an und eilte nach dem Gasthause, in welchem ich meine Katharina wohnen wußte.
„Es traten mir in dem Hause nur fremde Gesichter entgegen. Ich fragte nach dem Obersten v. Tromski. Man sah sich gegenseitig an, der Name war nicht bekannt. Der Besitzer kam herzu; er erkannte mich nicht wieder. Ich fragte ihn. Er sann nach.
»Ah, der alte Herr/ sagte er endlich, »der eine so hübsche Tochter hatte, die stch verheiratete und dann von ihrem Manne im Stich gelassen wurde-*
»Ganz recht!" erwiederte ich fast atemlos. »Wo befindet ste stch jetzt?"
»Ja, genau kann ich es nicht sagen," lautete die Antwort. „Sie wollten von hier aus, nachdem das Kleine gekommen war, nach Hermgs- dors gehen. Aber, fügte der Mann hinzu, indem er ironisch die Hand- Lewegung des Geldzählens machte, und brach dann kurz ab.
»Ich fuhr nach Heringsdorf. Durch Einblick in die früheren Kur- listen überzeugte ich mich wirklich, daß »Oberst a. D. von Tromski und Tochter" daselbst vor drei Jahren angelangt feien und eine Saison über dort geblieben waren. Ob sie ein Kind mit sich geführt, ließ sich nicht ermitteln. In der nächstjährigen Kurliste fand ich wieder den Namen »von Tromski," aber nicht die Angabe, daß seine Tochter mit ihm ge- wesen sei.
»Woher ste das Geld hatten, um eine oder zwei Saisons in dem
vornehmen Ostseebade zubringen zu können, ist mir zwar ein Rätsel ; ich vermute jedoch, daß der Alte die fünfzig Thaler, die ich ihm von Kiel aus gesandt habe, im Spiel angelegt und dabei vielleicht ungewöhnliches Glück gehabt habe.
»Nun erkundigte ich mich auch auf der Polizei. Dort wurde das, was ich schon erfahren hatte, bestätigt. Wenige Monate nach meinem Verschwinden waren der Oberst und seine Tochter in dem Seebade angekommen, hatten die Saison daselbst verlebt, waren im September — unbekannt wohin — abqereist. Im nächsten Sommer kam der Oberst allein; er mietete sich ein Privatlogis. Wenige Wochen später kam seine Tochter nach--"
Hier füllten stch die Augen des Erzählers mit Thränen, er brach in ein heftiges Schluchzen aus und teilnahmsvoll ergriff Albert seine Hand.
»Sie muß krank, sehr krank gewesen sein," fuhr Otto endlich fort, »sie konnte keine Bäder mehr nehmen, wurde auch nicht in die Kurliste eingetragen. Sie . . . starb nach kurzer Zeit und etu einfacher Denkstein auf dem dortigen Kirchhof bezeichnet mir die Stelle, wo mein Liebstes im Schoße der Erde ruht."
»Armer Freund!" sagte Albert gerührt, der stch angesichts der schmerzlichen Gemütsbewegung seines wetterharten Gastes selbst der Thränen kaum erwehren konnte.
»Doch nun höre mich, Albert," fuhr der Abenteurer fort. »Mir bleibt noch ein köstliches Vermächtnis zu erfüllen. Ich habe einen Sohn, er lebt — ich weiß es von den Wirtsleuten, bet denen der Oberst Tromski gewohnt und in deren Behausung meine unglückliche Katharina ihren letzten Seufzer ausgehaucht hat. Jedoch der Oberst ist verschwunden. Er hatte meinen Sohn bet sich, als er vor zwei Jahren im Herbst Heringsdorf verließ. Zweimal hat er den Wirtsleute« Geld geschickt, damit diese die Grabstätte meiner Katharina pflegen lassen sollen, was ste auch redlich gethan. Gott lohne es ihm und ihnen. Beide Male kam die Geldsendung aus Berlin, die letzte erst im März dieses Jahres, so daß die Vermutung naheltegt, der Oberst habe stch hier dauernd niedergelassen. Ich telegraphierte an die hiesige Polizei, aber ein Oberst v. Tromski war hier nie gemeldet! Ich bin zu Ende, Albert. Ich bin ein gebrochener Mann, ich habe den Fluch meines Vaters aus mich geladen. iS habe mein Weib im Elend umkommen lassen, ich habe Schätze aufgehäuft, deren Genuß mich nie erfreuen wird. Aber ich habe eine heilige Pflicht zu erfüllen: ich muß ihn und mein Kind aufsuchen, muß es den Händen des Obersten, der zweifellos ein Spieler und sittlich verwahrloster Mensch ist, entreißen und muß an dem Kinde gut zu machen suchen, was ich an der Mutter verbrochen. Und da wem Geist wirr ist, da ich ohne Hilfe jdastand, so schrieb ich an dich um deine Hilfe und nua bitte ich dich unter Berufung auf unsere einst so herzliche Freundschaft: Albert verschaffe mir meinen Sohn wieder!"
Der Erzähler hatte geendet und bedeckte uun sein gebräuntes, bärtiges Antlitz mit beiden Händen. Albert dachte lange nach. Er kannte eine Zahl adliger Klubs in Berlin, in denen gespielt wird, und glaubte in der Annahme nicht sehlzugehen, daß der Oberst, wenn er überhaupt in Berlin gewesen wäre, sich in irgend einen derselben würde haben einführen lassen. In dieser Richtung hin mußten also die Nachforschungen angkstellt werden.
Er trösttts also Otto, so gut er vermochte, riet diesem, stch nicht so ganz und gar dem unmännlichen Schmerze hinzugeben, bat hin, sich von den Aufregungen und Anstrengungen der letzten Tage zu erholen, gab dem Diener Auftrag, den Gast des Hauses in allen Stücken zu bedienen und machte stch sodann gleich an die Lösung seiner Aufgabe.
Er begab sich in ein feines Restaurant tu der Behrenstraße, wo stch gegen die Mittagszeit bin viele seiner Freunde zum Frühstück zu versammeln pflegten. Albert besuchte dieses Restaurant nur selten; er war gewohnt, zuhause zu frühstücken und das Diner in einem andem, ihm besser zusagenden Hotel einzunehmeu. Sein Erscheinen in jenem Restaurant erregte daher bei seinen dort bereits versammelten Freunden umsomehr Aufsehen, als er sich schon vor zwei Tagen von ihnen für die Reise verabschiedet hatte.
In dem größeren Saale des Etablissements waren etwa fünfzehn Gäste anwesend, von denen die Bekannten Alberts an einem längeren Tische die Hauptgruppe bildeten.
An den Nebentischen saßm noch mehrere Personen und ein einzelner älterer Herr hatte eine Fensternische mit Beschlag belegt, woselbst er seinen Wein trank und die Kreuz-Zeitung las. Zwischen Albert und seinen Freunden entspann sich natürlich sehr bald eine lebhafte Unterhaltung. deren Gegenstand der Zweck bildete, der den jungen Edelmann heute hierhergeführt.
Den Obersten von Tromski kannte niemand; nicht einmal der Name war bekannt und mit Recht durfte Albert nun annehmeu, daß der alte Offizier überhaupt nicht in Berlin ansässig sei. Die jungen Leute, die hier versammelt waren, besuchten die adligen Klubs sehr häufig und waren sogar tetlweis Mitglieder derselben. Eine Persönlichkeit, wie ein polnischer Jusurrektionsoberst, würde ihnen daher, wenn ste irgendwo aufgetaucht wäre, nicht unbekannt geblieben sein.
Mit dem unangenehmen Gefühl getäuschter Hoffnung verließ Albert gegen zwei Uhr seine Freunde. Er hatte auf der Straße nur wenige Schritte gethan, als er sich von hinten an der Schulter berührt fühlte.
Er wandte sich um und sah jenen älteren Herrn, der im Restaurant in der Fensternische gesessen und die Zeitung gelesen hatte.
»Verzeihen Sie," redete ihn der Fremde mit steifer Verbeugung an, »der Zufall ließ mich hören, daß Sie einen Obersten v. Tromski suche». Sie wissen, daß der Genannte stch durch den letzte« Polenaufstand in den Augen der Regierenden kompromittiert hat und würden es «Ls diesem Grunde vielleicht erklärlich finden, wenn er stch etwa veranlaßt gesehen haben sollte, den Namen von Tromski, den er mit Ehren trug, als es die Unabhängigkeit seines Vaterlandes galt, abzulegen, um die Jahre seines Alters in Frieden dahinbringeu zu können." (Forts, f.)