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hielt und eine Uhr um 57 ^ kaufte. Daun reiste er nach Hamburg und ließ sich in einer Droschke vor die Wohnung seine» Freunde» fahren, der von seiner Flucht schon telegraphisch verständigt war und ihn der Polizei auilieferte. Bei seiner Festnahme hatte er noch 18 588,62 im Besitz. Er wollte, wie er zugibt, eine Reise nach Amerika mache».

Heilbronn 14. Dez. (Vermißt.) Seit 10 Tagen wird die Ehefrau de» Heizer» O. Sch. hier vermißt. Da sie sich bei Verwandten an­scheinend nicht aufhält, dürste ein Unglüärfall nicht ausgeschlossen sein.

Heilbronn 14. Dez. (Strafkammer.) Der frühere Schultheiß Jmanuel Bauer von Ochsenburg OA. Brackenheim wurde von der hiesige» Strafkammer heute wegen Untreue und Unterschlagung von 17196 ^ zu 9 Monaten Gefängni» verurteilt. Er wurde sofort in Haft genommen.

Vom Lande 13. Dez. (Trunksuchts­heilmittelschwindel.) In den Zeitungen verspricht wieder einmal eine Frau zu wissen und kostenlos zu verraten, wie sie ihrem Manne da« Trinken abgewöhnt hat. Da» Mittel ist schon längst bekannt und sehr teuer. Sollte eine Leserin den Bestellschein au»gefüllt und abgeschickt habe», so erhält sie auf Weihnachten ein kleines Paket mit einer Nachnahme von 1315 ^ und im Paket ein Pulver, da» für 15 ^ in der Apotheke zu habe» ist (Enzian, Natron bieLrbo- nieum). Sicher ist, daß jede Fra«, die diese» Mittel probiert, den Erfolg alsihre Privat­angelegenheiten vor der Oeffentlichkeit bewahrt", wie e» so verschämt im Inserat heißt. Diese» Heilmittel" tritt alle Vierteljahre mit anderem Namen auf. Früher hieß es Coza-Pulver, Di»- kohol, Antebeten usw. Die Firma meidet ängst­lich de» deutsche» Boden, weil sie da schon längst gefaßt worden wäre. Also Vorsicht!

Pforzheim 14. Dez. (Zur Aus­sperrung.) Nach und nach merkt man auf beiden Seiten, was eigentlich eine Aussperrung für Schattenseiten hat und nimmt die Sache nicht mehr so leicht wie am Anfang. Namentlich möchte eine große Zahl streikender Arbeiter unter allen Umständen wieder arbeiten, zunächst alle Nichtorganisierte und dann auch viele Organisierte. Deshalb war am Montag eine größere Ab­ordnung arbeitswilliger Goldschmiede beim Mi­nister de« Innern in Karlsruhe, um die Re­gierung zu bitten, die Fabrikanten zur sofortigen Wiederöffnung der Fabriken zu veranlassen und auch um weitere« Schutz der Arbeitswillige» zu bitten. Der Erfolg bleibt abzuwarten.

Berlin 14. Dez. (Reichstag) Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Lesung des Etats. Abg. Dr. Heinze (natl.): Merkwürdig war an der Rede des Abg. Erzbcrger, daß sie so starken Beifall bet den Konservativen fand. (Sehr richtig bei den Nationallib.) Die gegen uns erhobenen Vorwmfe wegen unserer Hal­tung bei der ReichSstnanzreform sind unrichtig. Unsere Haltung war durchaus klar. Die Liberali­sierung Deutschlands läßt sich nicht aufhalten. Die Vorgänge in der katholischen Kirche, wie das Vor­gehen gegen die Modernisten und die Encykliken verdienen alle Aufmerksamkeit. Wir verlangen Schutz der persönlichen Freiheit und eine schnelle durchgreifende Justiz, Ausnahmegesetze aber lehnen wir ab. Unsere Schutzzollpolitik, die dem Volke Wohlstand gebracht hat, behalten wir bei. Sie wird aber gefährdet durch die übertriebenen Forde­rungen des Bundes der Landwirte. (Sehr gut! links.) In demselben Sinne treten wir ein gegen die Nutzbarmachung der sozialpolitischen Einrich­tungen für sozialdemokratische Zwecke. Wie die Sozialdemokraiie die Meinungsfreiheit auffaßt, geht aus den gestrigen Vorgängen hervor. Als der Reichskanzler pflichtgemäß seine Meinung aussprach und herbe Angriffe zurückwtes, da erschollen die schwersten Beleidigungen von den Sozialdemokraten aus. (Sehr gut! bei der Mehrheit.) An der Be­schleunigung des VerfahllNs wegen der Aus- schreiiungen gegen die öffentliche Ordnung hat die ganze Nation ein großes Inten sie. Wir glauben den rechten Weg zu gehen und werden ihn weiter gehen. (Lebhafter, sich wiederholender Beifall bei den Nationalliberalen.) Abg. Fürst Hatzfeld (Rpt.): Die neuen Steuern find keineswegs schlimm. Zwischen der bürgerlichen Linken und der Rechten mag eine Kluft bestehen, von der Sozialdemokratie aber trennt sie ein unüberbrückbarer, gähnender Ab­grund (sehr richtig!). Die elsaß-lothringische Frage läßt sich vom preußischen Standpunkt allein nicht lösen. Der Streit aus kirchlichem Gebiet ist be­dauerlich. Wir wollen doch nicht in die Zeiten der religiösen Zerklüftung Deutschlands zurückkehren. (Sehr richtig! rechts.) Staatssekretär v. Kiderlen- Wächter dürfte es gelingen, unsere guten aus­wärtigen Beziehungen zu erhalten. Unser Flotieu- auSbau ist zum Schutz unseres Welthandels nötig. Das sollten die Engländer erkennen. Mit Aus­nahmegesetzen hat man noch nie gute Geschäfte gemacht. Wir wünschen eine planmäßige zielbewußte Politik der Fortentwicklung. (Lebh. Beifall rechts.) Raab (wirtsch. Vgg.): Der Block ist an dem Ver­halten der Linken gescheitert, die im entscheidenden Augenblick das Vaterland im Stich gelassen hat Vernünftig und demokratisch ist es, sich heute den Beschlüssen der Mehrheit in der Finanzreform zu fügen Die Sozialdemokratie ist in gewisser Be­ziehung allerdings nicht zu bekehren, solange es Selbstsucht und Dummheit gibt. (Heiterkeit und Bravo rechts; Lachen links. Zuruf: Auch Sie nicht!) Sie sollte mehr Bekennermut zeigen. (Lärm links. Zuruf: Triole!) Dieser Zuruf ist einfach hunds­gemein. (Lärm. Glocke des Präsidenten ) Gras Schwerin.Löwitz ruft den Redner zur Ordnung.

ES wird ein Schlußantrag eingekracht, unterstützt seitens der Konservativen, des Zentrums und der Retchspartei. Die Abstimmung ist eine namentliche. Von 230 Stimmen sind 112 dafür und 113 dagegen; bet 5 St'mmenenthaltungen. Der Schluß­antrag ist damit abgelehnt; ebenso wird ein Antrag des Abg. Speck (Zentr.) aus Vertagung abgelehnt. Abgeordneter Böhme (Wild. Bb.): Wenn in dem Wahlkampf von Labiou die Heran­ziehung von Hilfskräften erfolgen müßte, so geschah es, weil die dortige Bevölkerung es selbst für not­wendig hielt. Sogar die ungesetzlichen Einflüsse seitens der Behörden . . . (Bravo links und Lärm. Pauli-Potsdam ruft: Verlogenheit!) Präsident Graf Schwerin-Löwitz: Ich nehme an, daß sich der Zuruf nicht auf den Redner, sondern auf die Wahlagitation beziehen sollte. Böhme fortf.: Wir sind von der Bevölkerung aufgefordert worden, genau auf die Wahl zu achten und durch eine Kontrolle dafür zu sorgen, daß man frei absttmmen könne. (Hört, hört!) Durch die Schutzzollpolitik hat sich die Lage des Kleinbauernstandes außer­ordentlich gehoben. Der Getreidesoll kommt auch d-n Kleinbauern zugute. Die Belastung dcS Ar­beiters durch die Zölle wird ausgeglichen durch die soziale Gesetzgebung. Unter den Jndustriezöllen hat sich die Industrie sehr gehoben. Der deutsche Vteh- stond wird durch den kleinbäuerlichen Betrieb ge- 'dert und nicht durch industriemäßige Viehzucht- betrtebe, in denen die Seuchengcfahr übergroß wird.

Eine Abwehrerklärung Dernburg». Der frühere Staat»sekretär de» Reichskolonial- amts Dernburg, der am Montag im Reichs­tage von dem Abgeordneten Erzberger scharf angegriffen worden ist, veröffentlicht in Berliner Blätter« eine Erklärung, worin e» heißt: Die Diamantenverträge sind monatelang Gegenstand der Erörterung in Budgetkommission und Reichstag gewesen, dann vor ihrem Abschluß dem Parlament zur Kenntnis mitgeteilt und von mir im Kampf mit meinen Gegner« in endloser Debatte verteidigt worden. Hiemit war die Angelegenheit für die Reichtverwaltuvg erledigt und mein Bleiben oder Gehen für die Maßregel gleichgültig. Die Verteidigung gegen die sach­lichen Angriffe auf die Verträge im Parlament kann ich mit Beruhigung meinem Herrn Nach­folger überlaffen, der jede Phase kennt und dabei mitgewirkt hat. Die Kolonie Südwest­afrika hat auch in diesem Jahre wieder einen Reingewinn au» den Diamanten von 7 Millionen gehabt, während für die angeblich bevorzugten Gesellschaften die goldenen Berge durchaus ausgeblieben sind. ES besteht «ach meiner Erfahrung keine Aursicht, daß sich da» deutsche Kapital den Kolonien wie bisher zu- wendet, solange die feindliche, auch neuerdings wieder verlangte Gesetzgebung gegen die größeren Kapitalaffociationen drohend über de« Kolonien hängt.

Dr. Sekal'S glühendem Ehrgeiz, von seinem Betragen gegen Gertrud Hohl, worin sich ein kalte» Herz und ein pietätlose» Gefühl offenbarte».

Auch seine Rede blieb nicht ohne Eindruck, Leopold Sekal wagte jetzt kaum aufzublicken und ein glühendes Rot wechselte mit Leichenbläffe auf seinen Wangen.

Er fühlte, daß hier noch ei« Umstand von Gewicht in die Wag­schale geworfen werden müsse, und tuschelte lebhaft mit seinem Recht»- beistand.

Kaum aber hatte Budenauer geendet, so bat er ums Wort.

Was habe» Sie »och anzuführen, Herr Doktor Sekal?"

ES dürfte von Belang sein, und ist doch im Prozeß nirgends zur Erwähnung gekommen daß der Großvater Doktor Hohls im Irrenhaus verstorben ist."

Diese Mitteilung rief große Sensation hervor.

Ist da» wahr?" wandte sich der Vorsitzende an Reinhart.

Ich kann es nicht leugnen," entgegnete dieser aufrichtig.Doch handelt e» sich um einen vereinzelten Fall, der hinsichtlich der Erblichkeit wohl in keiner Weise in Betracht kommen kann."

Die medizinischen Begutachter waren hierüber geteilter Ansicht. Professor Wittekindt und Dr. Frese» wiesen mit Rücksicht auf da» Fehle» hervorstechender psychopathischer Züge bei anderen Gliedern der Hohlschen Familie die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zurück, während die anderen Sachverständigen da» Vorliegen atavistischer Vererbung wenigstens nicht außer den Bereich der Möglichkeit stellten.

Reinhart selbst hoffte nicht mehr auf eine günstige Entscheidung, er fürchtete, der Gerichtshof würde sich überhaupt für nicht kompetent er­klären, ein definitive» Urteil zu fällen. Er sah sich enttäuscht, aber nicht angenehm. Spät am Abend verkündete nach fast zweistündiger Beratung der Vorsitzende de» Schöffengerichts unter atemlosem Schweigen de» Publikum» folgende» Erkenntni»:

Da» Schöffengericht ist nach sorgfältiger Prüfung de» Falle» nicht

darüber im Zweifel, daß Dr. Hohl sich in der Tat eine Beleidigung auf Grund de» H 186 de» Strafgesetzbuches zu schulden hat komme» lassen. Nicht mit derselben Unumstößlichkeit steht jedoch fest, ob er die von ihm erhobenen Anschuldigungen wider besseres Wissen erhoben hat, oder ob sich selbige lediglich als der Ausfluß einer krankhaften Störung seiner Geiste»tätigkeit karakterisiert. Die Möglichkeit, daß letztere» der Fall ist, ist nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern nach der ganzen Sachlage sogar äußerst naheliegend, die strafbare Handlung, welche der Anklage zu Grunde liegt, ist daher nach 8 51 al» nicht vorhanden zu betrachte» und der Privatbeklagte von Strafen und Kosten freizusprechen.

Geheimrat Sekal und die Freunde der Sekalschen Familie bekun­deten laut ihren Triumph, Leopold atmete auf, reckte sich höher und sagte, gegen den Gerichtshof gewendet:Ich danke Ihnen, meine Herren, für meine Rehabilitation. Um weiter nicht« al» diese Feststellung war e» mir zu tun, ich war weit entfernt, eine Bestrafung meine» ehemaligen Freundes zu wünschen. Meine Klage war nur eine Maßregel der Selbst­verteidigung, weiter nicht»."

Dann ging er mit versöhnlicher Miene auf Reinhart zu und bot ihm die Hand. Dieser wandte sich mit zorniger Verachtung von ihm ab. Noch überwog sein Unwille, seine Entrüstung, wenige Augenblicke aber, und jede Aufwallung ging unter in der trüben Moorflut einer tiefen Deprimation, wie er sie nie empfunden, selbst nicht in den Vor­stadien seiner Krankheit. Seine stattliche Gestalt schwankte, e» flirrte ihm vor den Auge», fast hätte er die au» dem Gericht»saal nach dem Korridor führende Stufe verfehlt und wäre gestürzt, wenn nicht sei» Schwager ihn mit starker Hand am Arm ergriffen und geleitet hätte.

Mut, Reinhart," redete der gutmütige Arzt ihm zu,noch ist ja nicht alles verloren! Selbstverständlich legst du" die beiden Ver­wandten hatten am Tage vor der Hochzeit Brüderschaft gemacht gegen da» Urteil Berufung ein."

(Fortsetzung folgt.)