Calmer Mmbenblati.
Samstag Beilage z« Nr. S8S. 10. Dezember 1910.
Am den Lorbeer der Wissenschaft
32) Roman von Friedrich Thieme.
(Fortsetzung.)
Als er jetzt, nach seiner Wiederentlaffung aus dem Jrrenhause seine Anklage wiederholte, vermochte sie umsoweniger überzeugend zu wirken, als der Artikel nur im Inseratenteil erschien und sich jedermann bei der Lektüre sofort der besonderen Umstände des ersten Aktes der Affäre erinnerte. Hierzu kam, daß die Zeitungen, soweit sie überhaupt von dem Vorfall Notiz nahmen, ihrem Berichte die Bemerkung hinzufügten : „Wie bekannt, sei Dr. Hohl soeben erst aus der Nervenheilanstalt des Professor» Wiltekindt entlasten worden." Statt sich aufzuregen, nahm daher alle» eine abwartende Stellung ein oder schüttelte den Kopf. „Der ist verrückt," sagten einige, und andere fanden „die Sache noch nicht spruchreif."
In ein andere» Stadium trat die sensationelle Angelegenheit durch die bereits am zweiten Tage nach dem Erscheinen des Inserats erfolgende Gegenerklärung Leopold SekalS. Sie war kurz, aber gewichtig.
„Denjenigen gegenüber," hieß es nach einigen einleitenden Worten, „welche die Entwicklung dieser Sache und da» traurige Schicksal des Dr. Reinhart Hohl kennen, hätte ich nicht nötig gehabt, mich über die gegen mich gerichtete Anklage auSzulaffev. ES gibt aber auch viele gar nicht oder doch ungenau unterrichtete Personen, wie es auch möglich wäre, daß mein Schweigen von Uebelwollenden in boshafter Weise gedeutet werde« könnte. Lediglich mit Rücksicht darauf und um die Ehre meines Namen» und der Wiffenschaft willen weise ich die Beschuldigungen de« Dr. Hohl als jeder faktischen Grundlage entbehrende haltlose Verdächtigungen zurück. Wenn ich mich au» höhere« Rücksichten, als meine eigene Person mir auferlegt, dazu entschließen muß, meinen langjährigen, mir so werten Freund vor da» Forum der Gerichte zu zitieren, so tue ich das unter der ausdrücklichen Verwahrung, daß ich keinerlei Groll gegen ihn selbst hege und fortfahren werde, ihn als meinen treuen Freund und Reisegenoffen zu verehren. Ich halte e» für meine Pflicht, ihn öffentlich gegen den Verdacht, als sei er ein bewußter Intrigant und Betrüger, in Schutz zu nehmen, ich weiß, daß er von der Reellität seiner Behauptungen fest überzeugt ist und nie imstande wäre, gegen sein bessere» Bewußtsein etwas zu tun. Es wäre daher tief bedauerlich, wollte man aus seiner Haltung Schlüffe auf seine Moralität und seinen Karakter ziehen oder ihn die Konsequenzen derselben empfinden lassen. Die Notwendigkeit gebietet mir, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, aber ich wünsche wahrlich nicht seine Bestrafung: ich suche nur mein Recht, nicht seine Niederlage! Dr. Leopold Sekal."
Reinhart Hohl geriet über die Erwiderung seine« ehemaligen Freundes in Helle Wut.
„Schurke, Heuchler," schäumte er in flammender Entrüstung. „Unter der Maske de» Mitleids trachtet er mich um so sicherer zu verderbe»!"
„Wenn ihm die Leute seine scheinheiligen Floskeln glauben," warf Gertrud skeptisch ein.
„Glauben? O, liebe Gertrud, er wird die öffentliche Meinung damit vollständig zu seinen Gunsten stimmen, soweit sie überhaupt noch objektiv oder auf meiner Seite ist! Er ist ein geschickter Akteur, kein Zweifel! Man will mich mit aller Gewalt zum unvernünftige« Narren, zum Idioten stempeln, und ich fürchte, der Nichtswürdige wird damit durchdringen. Ein Wunder wäre es wahrlich nicht, wenn ich über all diesen niederträchtigen Machinationen zum zwiitenmale den Verstand einbüßte!"
In der Tat brachten die Explikationen Leopolds eine für ihn äußerst günstige Wirkung hervor. Seine moralische Qualifikation spiegelte sich darin wie in einer Beichte; was auch Dr. Hohl in seiner Replik zur Entkräftung der Beteuerungen seines Gegner» anführte, seinen Worten fehlte von vornherein die feste Grundlage der vollwertigen Persönlichkeit. Dar Mißtrauen de» Publikums war erweckt und die mächtigen Protektoren Leopolds und ihre Parteigänger sorgten dafür, daß e» genährt wurde. Eine Erklärung Dr. Fresens, die der gutmütige Arzt für seinen zukünftigen Schwager vom Stapel ließ, worin er sich für besten geistige Normalität verbürgte, schlugen die Sekals mit dem Hinweis auf die Beziehungen Fresens zu Hohls um so leichter aus dem Felde, als gerade am Tage nach dem Erscheinen der Rechtfertigung die Vermählung des Arztes mit Gertrud in aller Stille vollzogen wurde.
Das schwer geprüfte junge Mädchen hatte nun endlich da» bescheidene Ziel erreicht, das sie anstrebte, und nur da» Schicksal de» heißgeliebte« Bruders warf trübe Schatten auf ihr junges Glück. Die jungen Ehegatten bezogen eine hübsche Wohnung in der Nähe der Wittekindtschen Anstalt, in welche auch Frau Hohl mit überfiedelte. Reinhart, wohl oder übel mußte ein Zimmer von dem wackeren Menschen annehme«. Niemand erfuhr von der bevorstehenden Trauung, auch Wera nicht; „denn sonst," versicherte die junge Frau, „hätte sie sich nicht nehmen lasten, mich wenigsten» insgeheim zu umarmen.
Wenige Tage später traf ein Briefchen von ihr nebst einem prächtigen Geschenk ein, einem silbernen Tafelaufsatz von feiner künstlerischer Arbeit. Soeben erst, schrieb sie, habe sie aus den kirchlichen Bekanntmachungen da» G schehene vernommen. Selber zu kommen, sei ihr unmöglich, auch dann, wenn nicht die bekannten Umstände sie verhinderten, denn sie sei infolge der Aufregung erkrankt und befände sich seit vierzehn Tagen in der Sommervilla ihre» Papas in Schleußig.
„Armes Kind," murmelte Reinhart, al» ihm Gertrud den Brief der Geliebte« vorla«. Doch so tief er ihren Kummer nachzufühlen im Stande war, so blieb ihm doch gerade jetzt wenig Muße, an sie zu denken. In wenigen Tagen kam Leopolds Klage gegen ihn zum gerichtlichen AuS- trag: er mußte sich auf seine Verteidigung vorbereiten. Ein UniverfitätS- freuvd, Rechtsanwalt Budenauer, hatte seine Vertretung übernommen, für Leopold aber plaidierte Dr. Kolbing, der schneidigste und berühmteste Sachverwalter und Verteidiger der Stadt. So standen auch in dieser Hinsicht die Chancen nicht ganz gleich, ohne daß indessen der de» Gerichtswesens unkundige Reinhart letzteren Umstand genügend durchschaute.
(Fortsetzung folgt.)
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Oürist. 8vku«ll,
Stricker aus Nagold.