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Samstag Beilage z« Nr« 277. 26. November 1916.
Am den Loröeer der Wissenschaft
22, Roman von Friedrich Thieme.
(Fortsetzung.)
„Denkst du, daß der Eindruck der heutigen Szene ihm schaden wird?"
„Ich devke et nicht. Dein Bruder hat eine starke Konstitution und es bedurfte einet Zusammenwirkens so zahlreicher und einschneidender Momente, diesen Geist aut den Fugen zu heben, jetzt hat er seine Widerstandskraft zurückerhalten, und wehe dem, der ihm Unrecht tun will. Er wird einen ebenbürtigen Gegner an ihm finden."
„Du schätzest ihn, Albin?"
„Ich bewundere ihn von Tag zu Tag mehr, Trudchen. Ich glaube sogar, daß er sich kaum mehr bei «ns halten lassen wird — seine Unruhe verlangt nach Betätigung — es wird ihm mehr Nachteil bringen, hier untätig zusehen zu müsse», wie ein anderer mit den ihm gestohlenen Brillanten prahlt, als im Kampfe mit seinem Gegner die Wiedereroberung seines Eigentums zu versuchen. Ich will seinethalben mit dem Professor sp/echen. Ich zweifle nicht, daß er meine Meinung teilen wird."
Professor Witt«k-.ndt hegte in der Tat keinerlei Bedenken, den Doktor Hohl aus der Anstalt zu entlasten.
Der Tag seiner geistigen und gesellschaftlichen Wiedergeburt gestaltete sich für die Familie de« bedauernswerten Forschers zu einem Freudenfest. Gegen zehn Uhr vormittags fuhr Girtrud, gehüllt in ein allerliebstes Gewand von Moustelin, in Begleitung ihres jüngeren Bruders in einem Wagen vor und wurde am Tore von Dr. Fresen feierlich empfangen. Der Arzt geleitete die jungen Leute in den Musik und Lesesalon, wo Reivhart sich eben vom Personal und denjenigen seiner Unglücksgenosten, die er während seiner R^konvalerzentenperiode kennen gelernt und die überhaupt das Verständnis für einen solchen Akt besaßen, in herzlichster Weise verabschiedete. Selbst Professor Wittekind und die übrigen Aerzte waren zugegen. Einer der Kranken, ein ehemaliger Musikdirektor und Komponist, dessen geistige Existenz an der Klippe zwischen künstlerischem Könne» und Wollen gescheitert, spielte eine Ouvertüre mit bewundernswürdiger Meisterschaft. Sodann sprach Reinhart einige schlichte und ergreifende Abschiedsworte, worauf der Professor, die Ansprache kurz erwidernd, ihm ergriffen die Hand reichte und ihm herzlich zu seiner Genesung gratulierte.
Reinhart empfahl sich dankend den Aerzten; er umarmte Dr. Fresen, der vergeblich seine Rührung hinter einem heiter-gemütlichen Lach-ln zu verbergen suchte, nahm mit warmem Druck der Hand von jedem einzelnen der übrigen Anwesenden Abschied, wobei er nicht vergaß, die Wärter nach seinen knappen Mitteln zu bedenken und verließ hierauf, von den Aerzten und Wärtern begleitet, am Arm seiner Schwester den Saal.
Dr. Fresen und Reinharts jüngerer Bruder Hermann folgten ihm nach, denn der Doktor hatte für heute Urlaub genommen, um den frohen Tag mit den Freunden zu verleben.
Das Quartett war bereits bis an die äußere Pforte gelangt, als Dr. Hohl plötzlich stehen blieb.
„Haben Sie etwas vergessen?" erkundigte sich Doktor Fresen.
„Den Freiherrn — da fällt mir ein, daß ich ihn gar nicht unter de» Teilnehmern der kleinen Feier bemerkte — bald hätte ich ihn im Rausche meines Glücks vergessen —"
„Es ist allerdiugs ei» außerordentliches Glück, aus diesen Räumen scheiden zu dürfen," bemerkte Hermann Hohl mit einem seiner Jugend sonst nicht gewöhnlichen Ernst. „Dieses schwarze Tor kommt mir vor wie die Pforte eines Kirchhofs."
„DaS ist es auch, ein Kirchhof für die Lebenden — oder vielmehr für die Geister," stimmte der Arzt ein.
„Ohne Lebewohl kann ich nicht von dem Freiherrn fort", erklärte Reinhart umkehrend. „Ich wundere mich, wo er geblieben sein kann — ich dachte noch gestern, er würde sich wohl zum Leiter der ganze» Zeremonie aufwerfen, wie seine geträumte Prinzenherrlichkeit dies bedingt. Der liebe, arme, alte Herr ist doch nicht krank?
„Keineswegs — wenigstens habe ich ihn noch heute früh munter und wohl spazieren gehen sehen. Er wird auf seinem Zimmer sein — vielleicht schläft er."
„Wahrscheinlich. Bitte, wartet einen Augenblick auf mich."
Doktor Hohl eilte in das Gebäude zurück und begab sich nach dem Zimmer des Herrn von Ottstädt-Nöhringen. Gegen seine Erwartung fand er den alten Herrn nicht schlafend, vielmehr saß er in seinem StaatS- rocke, mit zahlreichen Orden behängen, einen zerknitterten Napoleon»Hut auf dem Kopfe, in der steifen Haltung eines spanischen Ritter», auf dem Sofa.
Als der Doktor hereintrat, blickte der Freiherr auf und nickte ihm zu mit einem Blicke, der deutlich besagte, daß er den Kömmling erwartet habe.
„Hoheit gestatten doch, daß ich eintrete?" fragte Dr. Hohl, sich noch zu rechter Zeit der Eigentümlichkeiten de» Mannes erinnernd, dem er gegenüberstand.
„Morgen — treten Sie nur näher, lieber Hohl", erwiderte der Freiherr leutselig die von einer devoten Verbeugung begleitete Anrede. „Sie wollen uns verlassen heute, wie? Recht schade." Feierlich erhob er sich und reichte dem anderen mit huldvollem Lächeln die Fingerspitzen der rechten Hand.
„Allerdings", bemerkte Dr. Hohl, „und ich wundere mich, Hoheit nicht an der Spitze derjenigen gesehen zu haben, welche sich aus Anlaß meinen Scheidens um mich sammelten."
Freiherr Theo lächelte pfiffig und geringschätzig zugleich.
„Hegte ursprünglich auch die Absicht, bester Doktor", erklärte er selbstzufrieden und stolz. „Ueberlegte mir aber, daß es sich doch eigentlich nicht schickt für den Schloßherrn, und noch dazu für einen Prinzen von Geblüt, den Erben eine» der größten Reiche der Erde — es geziemt mir weit mehr, Ihnen eine Abschied» audienz zu bewilligen, das sehen Sie doch ein."
„Vollkommen."
„Hm — habe ja leider zur Zeit nicht einmal einen Diener, der Sie anmrlden konnte", fuhr der alte Herr plötzlich unzufrieden fort. „Ein Prinz und wird so gehalten — mir geziemen zwanzig Diener in Galauniform, zwölf Kammerhusaren und" — der unglückliche Irre verlor plötzlich den Faden und schloß, nachdem er einen Augenblick zerstreut die Nasenspitze seines Besucher» angestarrt hatte, mit der unerwarteten Bemerkung: „Haben Sie schon einmal einen Rappen geritten?"
„Bedaure, nein", versetzte Reinhart überrascht.
„Ich auch nicht", meinte der Pseudoprinz in ärgerlichem Tone. „Morgen will ich mir einen kaufen — ein Prinz muß doch auch einen Rappen reiten."
„Sicherlich, Hoheit — aber Sie entschuldige« mich — man erwartet mich vor dem Tore —"
„Ach so — Sie wolle« ja Abschied nehmen — wer erwartet Sie denn?" fragte der Freiherr, plötzlich in seinen gewöhnlichen gemütlichen Ton fallend.
„Meine Schwester, mein Bruder, Dr. Fresen —"
„Ach so -"
„Es geziemt sich auch nicht, daß ich Ihre kostbare Zeit solange in Anspruch nehme, Hoheit —"
„Da haben Sie recht. Ich — ich habe noch wichtige Depeschen zu erledigen. Der alte Herr blickte mit wichtiger Miene um sich, reichte dann dem Doktor wieder nachlästig die Spitze seiner behandschuhten Rechten und fügte hinzu: „Nun, gehen Sie mit Gott, bester Hohl; wir bleiben Ihnen in Gnaden gewogen. Unsere Freundschaft für Sie selbst ist unerschütterlich. Sobald wir in den Besitz unserer Krone gelangen, werden wir ihrer Freundschaft und der uns geleisteten Dienste gedenken — Sie sollen nicht vergessen sein, bester Doktor. Sie nicht, Dr. Fresen nicht und Ihre Schwester nicht. Ich erhebe euch alle drei in den Adelstand. Leben Sie wohl."
Reinhart verneigte sich zeremoniell, obgleich es ihm im Herzen durchaus nicht wie Komödiensptelen zu Mute war. Selber so nahe der Gefahr, auf immer zu eine« Wesen herabzusinken, da» der menschlichen Gemeinschaft entrissen ist, empfand er um so tiefer die gewaltige Tragik dieser äußerlich so grotesk erscheinenden Szene. Unendlich bemitleidete er de» Unglücklichen, der sich für einen der Mächtigen der Erde hielt, während er in Wahrheit ein armer Narr war, besten Schritte bewacht wurden und der sein Leben hinter den vergitterten Fenstern eines Irrenhauses elend Hinschleppe.
Der Freiherr begriff nicht» von den Empfindungen seines Besuchers, er war glücklich, glücklicher vielleicht als tausende armer Teufel in ihren Sorgen und Qualen, seine geträumte Würde genügte ihm vollständig, und es ist fraglich, ob sie ihn so beglückt haben würde, wenn er sie wirklich besessen.
Mit wohlwollenden Blicken schaute er dem Doktor nach und ehe dieser das Zimmer verlosten hatte, rief er ihn schon wieder zurück.
„Was wünschen Sie noch, Hoheit?"
„Apropos, lieber Doktor, hatte bald die Hauplsache vergessen."
„Was denn?"
Der Freiherr trat dicht an Reinhart heran, ihm mit geheimnisvoller Miene ins Ohr flüsternd: „Den Schatz, Doktor, den wunderbaren Schatz —"
„Den Schatz —"
„Bst, nicht so laut — wir müssen ihn zusammen heben — verstehen Sie? Sie und ich, niemand darf weiter darum wissen. Ich liebe Sie und will Sie reich machen, unermeßlich reich."
„Sehr liebenswürdig, Hoheit."
„Sind Sie bereit? Wollen Sie die Gefahr mit mir teilen?"
„Ist denn eine Gefahr dabei?"
Der Irre lachte gemütlich. „Denken Sie, man erlangt Millionen, ohne sich eine Hand »aß zu machen? Es ist ein gewagtes und kühne» Unternehmen und nur in tiefer Mitternacht ist die Ausführung möglich."
(Fortsetzung folgt.)