Ealmer Mlümlilatt.

Samstag

Beilage z« Nr. 265.

12. November 1916.

Ilm de« Lorbeer der Wissenschaft.

10) Roman von Friedrich Thieme.

(Fortsetzung.)

Allenthalben Beifall und Händeklatschen, nur von einer Seite erhob sich ebenso unerwarteter wie seltsamer Widerspruch. Ganz im Hinter­gründe des Saales, nahe der Eingangstür, erklang plötzlich eine laute, etwas heisere Stimme, welche die befremdlichen Worte in die Versamm­lung hineinrief:

Achtung! ES ist alles nicht wahr!"

Rufe:Was ist dar? Was bedeutet das?" widerhallten von allen Tafeln.

Wer hat jene Worte gesprochen?" fragte jetzt der Vorsitzende mit strenger Miene im Tone vernichtender Schärfe.

Ich", tönte dieselbe Stimme; zugleich richtete sich an einem Tisch neben der Tür die Gestalt eines blassen Männer mit dunklem Vollbart in die Höhe.Ich", fuhr der Sprecher fort,beschuldige Herrn Doktor Leopold Sekal, Ihnen, meine Herren, nicht die Wahrheit über seine Forschungsreise gesagt zu haben. Nicht die Details der Schilderung sind erlogen, nein, sie treffen im Gegenteil aufs Haar z», aber der Umstand enthält eine Lüge, daß er, Dr. Sekal es gewesen, welcher die kühne und über alle Begriffe gefahrenreiche Expedition vom Gebiete der Watwa oder Batua ins unerforschte Innere unternommen. Nicht er ist es gewesen, der dies getan, sondern ich!"

4.

In atemloser Stille ließ die Versammlung die seltsame Anklage des fremden Mannes an sich vorübergehen. Sobald er jedoch geendet, erhob sich allgemeiner Widerspruch. Ein Rufen, Murmeln, Zischen ging durch die Gesellschaft.

Ein Wahnsinniger," erscholl es von allen Seiten.

Aller Blicke wandten sich nach dem Urheber der sonderbaren Be­hauptung. Er besaß eine hohe, ziemlich breit gebaute Figur, sein Kops war oval und wohlgeformt, erschien jedoch unregelmäßig infolge der außerordentlichen Magerkeit des Besitzers. Der rotbraune Teint verriet deutlich, daß das Antlitz des Fremde» lange Zeit einer brennenden tropischen Sonne aurgesetzt war, doch konnte selbst das intensiv dunkle Kolorit das elende, kranke Aussehen des offenbar schwer leidenden Mannes nicht verhüllen. Scharf und kantig traten die Backenknochen auf beiden Seiten hervor, Kinn und Nase standen weit vor, die dunkelbraunen Augen verschwanden fast in ihren von breiten, schwarzen Kreisen umzogenen Gruben. Der dichte, üppig wuchernde Bart sah ebenso wirr und unge­pflegt aus, wie das zerzaust in die Stirn herabhängende Haar. Alle diese Erscheinungen in Verbindung mit einem eigentümlich unsteten Flimmern, das während des Sprechens über das Antlitz des Redners ging, mit dem nervösen Zucken der Augen, der beängstigenden Verstörtheit seines Blickes, der Hast und Undeutlichkeit, womit er seine Worte fast stoßweise aus sich Heraustrieb, sowie der auffälligen Lebhaftigkeit und Aufgeregtheit seiner Gestikulation, verkündeten zweifellos einen physisch nicht ganz normalen, mindestens im Zustande höchster geistiger Erregbarkeit befindlichen Menschen.

Er ist gewiß wahnsinnig", wiederholten die ihn Anschauenden.

Oder krank", flüsterten andere.

Der Vorsitzende betrachtete ihn kurze Zeit mit forschender Aufmerk­samkeit. Sonderbar die Physiognomie de» Unbekannten weckte die Erinnerung an eine Persönlichkeit in ihm, die er gekannt habe» mußte. Nur vermochte er sich nicht klar zu machen, an wen der vertraute Zug in dem Antlitz des plötzliche« Anklägers ihn gemahne. Vielleicht an diesen selber, sagte er sich betroffen, denn sicherlich sieht sich der Unglückliche in seinem gegenwärtigen Zustande kaum selbst mehr ähnlich. Er scheint 40 Jahre alt zu sein, und doch ist er in Wahrheit wohl viel jünger.

Sie erheben eine furchtbare Anklage, mein Herr", rief er dem Unbekannten in autoritativem Tone zu.Wollen Sie vor allen Dingen die Güte haben, uns zu sagen, wer Sie sind."

Der Fremde verließ seinen Platz und trat dicht an den Tisch der Vorstandes. Sein Schritt war ein schneller, energischer, und doch nicht frei von einem merkbaren Schwanken, ja, als er stillsiand, schien es, als vermöge er seine Gestalt nur mit Mühe aufreckt zu erhalten.

Wer ich bin," erwiderte er laut und heftig.Kennen Sie mich nicht, mein Herr? Kennt mich niemand mehr von Ihnen? Habe ich mich so sehr verwandelt? Fragen Sie Herrn Leopold Sekal, wer ich bin er hat mich erkannt am ersten Ton meiner Stimme!"

Alle schauten nach dem Helden des Abends hi«, der noch immer auf der Tribüne stand. In der Tat starrte er bleich und entsetzt denjenigen an, der eine so schwere und in den Annalen der Wissenschaft unerhörte Anklage gegen ihn wie eine vernichtende Bombe schleuderte.

Kennen Sie den Herrn, Herr Doktor?" wandte sich der Vor­sitzende an ihn.

Ich weiß nicht," stammelte Leopold.Die Stimme allerdings

und doch, es ist nicht möglich. Di; Toten körnen doch nicht wieder auferstehen!"

Manchmal doch", entgegnete trotzig auflachend der Fremde.Ich bi» niemand anders als Doktor Reivhart Hohl, meine Herren, der Be­gleiter SekalS auf der großen Expedition ins Zentrum des afrikanischen Kontinents, und nicht er, sondern ich war er, welcher das Unternehmen, dessen er sich rühmt, auSführte. Er hielt mich für tot und wollte mir meine» Lorbeer stehlen! Er ist es, der bei den Batua fieberkrank zurück blieb und von mir auf dem Rückmarsch wieder abzeholt wurde. Ist cs so, Leopold, oder nicht?"

Leopold stand da mit schwer arbeitender Brust, die Arme verschrär>kt. Seine Augen blitzten vor Zorn, Aufregung und Schrecken. Starr und mit furchtbarer Spannung hefteten sich die Blicke des alten GeheimratS auf seinen Sohn.

Du bist Reinhart Hohl, kein Zweifel", erklärte dieser mit bebenden Lippen.Ich hielt dich für tot, wahrscheinlich hast du nur in toten ähnlicher Ohnmacht gelegen. Ich freue mich deiner Wiedrrgenesun; und Rückkehr."

Wahrheit sage die Wahrheit", drängte der andere, ihn mit wildem Ausdruck anstarrend.

Die Wahrheit ist, daß du krank bist, Reinhart, sehr krank. Ich überlaste der Versammlung das Urteil hierüber."

Doktor Hohl erstarrte für einige Augenblicke zu Stein, dann erhob er mit wütender Gebeide die geballte Faust.

Schurke, Lügner, Betrüger", schäumte et von seinen Lippen. Die Wahrheit die Wahrheit ist du weißt wohl, daß ich unser Kampf mit den Batua" der unglückliche Mann hielt inne, er hatte den Faden seines Gedank nk verloren, blickte wirr um sich, schwankte, tastete mit dcn Armen in der Luft herum, als wollte er da eine» Halte­punkt suchen, plötzlich brach er zusammen und schlug lang hin auf den Fußboden. Einige Umsitzende versuchten ihn rechtzeitig zu halten, doch war ei zu spät. Auch Leopold eilte sofort zu seiner Hilfe herbei. Der Arme lag lang aukgestrcckt da, bewußtlos, ohnmächtig!

Es befanden sich mehrere Aerzte unter den Anwesenden, die un­verzüglich dem Erkrankten ihre Unterstützung zu teil werdn ließen. Der Angesehenste unter ihnen, SanitätSrat Wulfling, gab endlich seine Ent­scheidung dahin ab, daß der bedauernswerte Kranke der Wirkung einer schweren Nervenüberreizung unterliege.

Der arme Herr muß sofort nach Hause gebracht werden," erklärte er mit bedenklicher Miene.WrS die Folgen diese« Anfalles sein werden, läßt sich mit Gewißheit nicht Voraussage». Ich fürchte, er wird von einem Nervenfieber befallen werden, und es ist fraglich, ob sein anscheinend bereits seit längerer Zeit stark angegriffener Körper die schwere Krankheit überstehen wird."

Leopold erbat sich, seinen Freund in eigener Person in einem Wagen nach seiner Wohnung zu geleiten. Dem widersprach jedoch der Sanitätsrat, weil der Anblick de« jungen Manne» möglicherweise den Kranken, falls dieser unterwegs zu sich komme, zur Wut reizen und einen neuen Anfall zur Folge haben könne.

Offenbar ist der arme Mann in der fixen Idee befangen, Sie hätten ihm Unrecht getan er ist bester, Sie halten sich zunächst von ihm fern."

In wenigen Minuten war ein Wagen zur Stelle geschafft, in welchen der noch immer Bewußtlose gebettet wurde. Zwei Aerzte nahmen darin Platz, die Adresse erhielten sie von Leopold. So transportierte man Dr. Hohl in seine in der Gellertstraße belegen« Wohnung.

Der Abend war schon weit vorgerückt, es schlug eben elf Uhr, als die mitleidigen Männer mit ihrer traurigen Last ihr Ziel erreichten. Die Wohnung des Unglücklchen oder vielmehr seiner Mutter befand sich in der zweiten Etage. Aus einem Zimmer drang noch ein Lichtschein, und das erste Geläut rief sofort eine Gestalt an das Fenster.

Bist du es Reinhart," rief eine weibliche Stimme von oben herab.

Bitte, öffne» Sie Fräulein," erklang die Erwiderung.Ihrem Herrn Bruder ist ein Unfall zugestoßen"

Die Gestalt am Fenster wartete den Schluß der Rede nicht ab. Das Lickt verschwand, Geräusch drang aus dem Hause, ein eiliger Fuß flog die Trepp: h rab. Gleich darauf wurde die Hauttüre von innen aufgeristen.

Er ist tot, o Gott, er ist tot?" rief Gertrud mit tödlicher Be­stürzung.

Nein, nein, beruhigen Sie sich nur unwohl hoffentlich geht alles noch gut vorüber," tröstete der Arzt.Zeigen Sie uns den Weg, wir wollen ihn hinauf in sein Bett tragen."

Gertrud warf nur einen unendlich gramvollen Blick auf da» ein­gefallene Gesicht des geliebten Bruders hier war keine Zeit zu einer Gefühlsszene, hastig schritt sie den beiden menschenfreundlichen Herren mit ihrem Lichte voran. Wenige Minute» später lag Reinhart auf dem be­reit« für ihn hergerichteten Bette ausgestrcckt.

(Fortsetzung folgt.)