Ealmer Wo^eiUm.
Zamstag «eil»«e z« Nr. SS3. 29. Oktober 1910.
Beifall.
Eine Novelle von F. A. Geißler.
. (Fortsetzung.)
Beide wartet' ruf das erlösende Wort, aber der Großherzog sprach es nicht. Er e.hoo sich, und die Gäste sprangen ebenfalls von ihren Sitzen auf; er machte, sich den Bart streichend, einen Gang durch das Gemach, trat dann an da» hohe Fenster und sah in den dunklen Abend hinaus. Die beide» schauten einander bestürzt an. Auf seinem Antlitz lag ei« ernster Ausdruck, und um seine Mundwinkel zuckte es schmerzlich.
„ES wundert mich nicht," sagte er langsam zu Hollberg, „daß Sie solche Gedanken aussprechen, denn eines Dichters Wünsche fliegen mit seinem Werke in die Weite, er will sich die Welt erobern und findet sein Genügen nicht im Beifall eines einzelnen Manne». Aber bei meinen Schauspielern ist's ein ander Ding. Sie sind durch mich auf ihr eigenes Bitten frei gemacht worden von dem Dienst der großen Menge, von dem Buhlen um deren flüchtige Gunst. Sie haben ihre Kunst freiwillig mir gewidmet, mir allein, sie wissen, daß ihr Wirken für mich an Frische und Ursprünglichkeit, an seelischem Werte verliert, wen« ich'« mit dem Publikum teilen muß, da» bezahlt hat und lachen oder weinen will für sein Geld, sie haben gewählt zwischen mir und der Menge. Die Wahl war frei, aber sie ist bindend."
Tiefes, schweres Schweigen im Gemach. Der feine, silberne Schlag einer kostbaren Pendeluhr klingt zart, wie eine warnende Geisterstimme durch den Raum. Hallberg ist verwirrt, weil ihn die Empfindung bedrückt, die Angelegenheit falsch angefaßt zu haben, Hugo fühlt sich beschämt, es würgt ihn im Halse, er fürchtet, jeden Augenblick in Tränen auszubrechen. Endlich beginnt der Fürst wieder, indem er auf ihn zutritt:
„Ich weiß, Herr Haffner, daß Sie vor einigen Tagen in Veltheim gastiert haben. Da» war mir gar nicht recht und bin nur deshalb früher von meiner Reise zurückgekehrt, um dieser Extratour ein Ende zu machen. Sie haben wieder den berauschenden Trank der Oeffentlichkeit geschlürft und er sckewt Ihnen etwas zu Kopfe gestiegen zu sein. Halten Sie mich nicht für kaltherzig. Ich begreife sehr wohl, daß Sie gerade den Harold nicht nur mir, sondern auch meinen Kronburgern Vorspielen wollen."
Der Fürst hielt inne, al» erwarte er eine Entgegnung. Hugo wurde erregt, endlich kam auch er einmal an die Reihe, zu sprechen. So begann er denn mit Wärme: „Königliche Hoheit lesen in meiner Seele, ach nur einige Male diese Gestalt vor dem großen Publikum zu verkörpern, da» ist meine Sehnsucht. Das Werk und der Dichter haben ja nur den Vorteil davon, ich selbst" —
Er stockte, denn seine Ehrlichkeit sagte ihm, daß er nahe daran war, die Unwahrheit zu reden, daß ihm seine eigene Person weit mehr am Herzen lag, als der Dichter und sei« Werk.
Der Großherzog schaute ihn durchdringend an, als verstände er, wa« in seiner Seele vorging. Daun sprach er, in seinen gewöhnlichen Ton verfallend: „Lassen wir da», meine Herren. Es ist spät geworden, und so wichtige Dinge sollte man nicht unter dem Einflüsse der Erregung eine» solchen Abend» verhandeln, wie wir ihn heute erlebt haben. Nehmen Sie nochmals meinen Dank und lebe« Sie wohl."
Der Fürst grüßte mit einer freundlichen, aber von Zeremoniell doch nicht ganz freien Verbeugung und zog sich in seine inneren Gemächer zurück Hugo und Hallberg gingen durch den Speisesalo» nach dem Vorzimmer, wo ihnen geschäftige Lakaien beim Umlegen der Mäntel behilflich waren. Schweigend stiege« sie die Treppen hinab, schritten über den matt erleuchtete« Schloßhof und durch da» hohe Tor. In der geöffneten Tür der Wachtstube standen die beiden diensthabenden Offiziere und brachen ihr Gespräch ab, als die zwei Künstler an ihnen vorüberkamen. Im ganzen Schlöffe wußte man, daß der Großherzog ihnen die ungewöhnliche Auszeichnung eines Souper« zu Dreien hatte zu Teil werden lassen. Mit fast neidvollen Blicken schauten die jungen Offiziere ihnen nach, selbst die beiden Grenadiere auf Posten am Tore nahmen unwillkürlich eine stramme St llung ein und zogen die Gewehre an, al» die bevorzugten Herren vorüberkamen.
Als sie au« dem Bereich des RrsiderrzschlofseS waren, brach endlich Hallberg das Schweige». „Du, MenschenSkind, ich fürchte, wir haben eine Dummheit gemacht," sagte er nachdenklich und fügte, als Hugo nicht antwortete, hinzu: „Jedenfalls haben wir gemerkt, daß mit großen Herren, mögen sie noch so gnädig und freidenkend sein, doch nicht gut Kirschen essen ist. Na, guter Rat kommt morgen."
An der nächsten Straßenkreuzung trennten sie sich mit einsilbigem Gruße.
XXII.
Die nächste Woche brachte die ersten öffentlichen Aufführungen der „FreiheitSträume". Nachdem dal Publikum schon vorher erfahren hatte, daß der Grobherzog das Werk bewundere und den Dichter in zartfühlendster
Weise für die Zukunft sicher gestellt habe, stand ein Erfolg außer Zweifel. Aber so gewaltig, wie er sich in Wahrheit gestaltete, hatte ihn doch niemand erwartet. Es war ein Theaterereignis seltenster Art, unzählige Male riefen die begeisterten Zuschauer Hallberg hervor, und die Darsteller nahmen teil an dem Triumphe de» Werke», in erster Linie Herr May ring, mit dem der Dichter verbindlich die Ehren de» Abends teilte. Zu den Wiederholungen gab es einen für Kronburg unerhörten Andrang; die Kasse wurde geradezu gestürmt, und einige Opernvorstellungen mußten aurfallen, weil da« Publikum leidenschaftlich weitere Aufführungen der „FreiheitSträume" forderte.
Hugo konnte es nicht über sich gewinnen, eine dieser Vorstellungen zu besuche«. Er litt unsäglich an diesen Tagen. Dem Dichter, seinem Werke, und den Darstellern jubelten Taufende zu, und er, der die Hauptgestalt geschaffen, au» seinem tiefsten Inner» heraus gestaltet hatte, er saß unbeachtet, vergessen daheim und mußte zusehen. wie die Leute scharenweise zum Theater strömten. Ihm war e» dabei, als ob an ihm ein frevelhafter Raub begangen würde, und eine stille, dumpfe Trauer nahm immer mehr von ihm Besitz.
Mit Hallberg war er seit jenem Abend selten zusammengetroffen. Sei« Bild mit einer herzlichen, dankerfüllten Widmung hatte ihm der Dichter am nächsten Tage zugleich mit einem großen Lorbeerkranze gesandt, aber Hugo hatte darüber keine Freude empfunden, sondern war das peinliche Gefühl nicht los geworden, als habe ihm der Dichter dadurch eine Art huldvoller Herablaffung bewiesen, die ihn beinahe schmerzlich berührte. Uebrigens schien mit Hallberg, der sein Amt al» Hofbibliothekar angetreten, eine merkliche Veränderung vorgegangen zu sein. Er ging stets im Zylinder und trug eine gewisse Amtsmiene zur Schau, wodurch er sich als guter Deutscher erwies, den« selbst der freieste Geist ändert in unserem lieben Vaterlands, wenn nicht seine Anschauungen, so doch die Form seine» Auftreten«, wenn er zu Amt, Titel und Rang gekommen ist.
Auch glaubte Hugo zu spüren, daß der Herr Hofbibliothekar lieber in der Künstlerklause der „Traube" al» mit ihm verkehre, und die» empfand er al» bittere Kränkung, obwohl er sich sagen mußte, daß jener schon im eigenen Interesse die Gesellschaft derjenigen zu suchen genötigt sei, die ihm sein Stück so viele Male vor au»verkauften Häusern spielten.
Jeden Tag erwartete Hugo, daß er komme» und ihm sagen sollte: „Ich kann's nicht mehr ertragen, einen anderen al» Harold zu sehen, du mußt ihn spielen, du! aber ein Tag nach dem andern verging, und Hallberg kam nicht. Da» machte ihn traurig, denn er empfand e» al« Undank und Untreue.
E» war wieder ein Abend, an dem man „Freiheilsträume" spielte, und Hugo war im Begriffe, sich zum Ausgang zu rüsten, um die schweren Stunden bei seiner Braut zu verbringen, al» Wartner bei ihm eintrat. Seine Rolle war ja bei den öffentlichen Aufführungen auch einem andern Schauspieler anvertraut.
„Da dich dein Zartgefühl, da» ich übrigens verstehe und achte, hindert, den Weg zu uns zu finden, obwohl nicht» mehr zwischen uns liegt, so muß ich dich aufsuchen, um mit dir über eine Sache zu reden, die dich selbst angeht", sagte der Besucher, indem er sich niederließ. Man raunt mir zu, du hättest deine Entlassung aus dem persönlichen Dienste unseres Fürsten gefordert, ist da» was?"
Hugo lächelte schmerzlich. „Nein, doch wa» nicht ist, kam» noch werden, und ich habe in der Tat große Lust, eine Stellung aufzugeben, deren Anforderungen immer schwerer für wich werden. Was ich in diese« acht Tagen autgestande» habe, kann sich kein Mensch ausmalen. Und ich halt e» auf die Dauer nicht aus, da» weiß ich."
Wartner schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das ist Täuschung, mein Lieber. Du machst jetzt de» Zustand der Anfechtung durch, die keinem erspart bleibt. Jedesmal, wenn wir Menschen einen Entschluß in die Tat umgrsetzt haben, der von un» einen Verzicht fordert oder uns Laste» auferlegt, kommt nach geraumer Zeit diese Anfechtung über uns. Da erscheinen un» alle unsere früheren Gründe nicht mehr stichhaltig, da lastet auf un» das Bewußtsein eines verhängnisvollen Irrtum», da peinigt un» der Gedanke', daß wir um geringen Gewinne» willen kostbarsten Besitz aufgaben, oder, um auf unseren besonderen Fall einzugehen, daß in der Wirkung auf die große Menge das Wesentliche unserer Kunst bestände. Auch ich habe das durchkämpfen müssen, und bei dir ist die Anfechtung wohl «och stärker al» bei jedem andern, weil du in so jungen Jahre» in unser» enge» Kreis gekommen bist. Ich kann dir deine Entschlüsse nicht vorschreiben, ich will dich nur bitten, in diesem Kampfe nicht dich selbst aufzugeben. Bist du erst über diesen Berg hinau», so wirst du ruhig werden und erkenne», was du hier gewinnen durftest durch den bloßen Verzicht auf Aeußerlichkeiten, die doch nur zu wandelbar sind."
Hugo fand nicht den rechten Ton, um mit Wartner zu spreche«; er blieb einsilbig und kühl, verstimmt und verbittert, so daß sich der Gast bald wieder entfernte. Eilenden Fußes begab er sich zu Eva. Hier hoffte er Rat und Zuspruch zu finden.
(Fortsetzung folgt.)