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Leonberg 25. Juni. Gestern abend halb 9 Uhr standen zwei Pferde von Konsul Scharrer vor dem Bahnhof. In einem unbeaufsichtigten Augenblick sprangen sie führerlos davon. Am Bahnübergang waren die Schranken geschloffen, welche die Pferde in dem Augenblick erreichten, als der letzte Wagen eines Zuges diese passiert hatte. Beide Tiere stürzten. Das eine der wertvollen Tiere, es soll 7000 Mark gekostet haben, brach den linken Vorderfuß und mußte sofort getötet werden. Das andere Pferd kam mit einigen Verletzungen davon.
Zuffenhausen 27.Juni. Seit gestern vormittag 9 Uhr wird die 39jährige Frau des Fabrikarbeiters Teufel vermißt. Sie hat sich von Hause wegen ehelichen Zwistigkeiten entfernt, unter Angabe, sie wolle im Neckar den Tod suchen. Zweckdienliche Mitteilungen über den Verbleib der Frau wolle man an das Polizeiamt richten.
Stuttgart 25. Juni. Das Königspaar begibt sich am 4. Juli zum Sommeraufenthalt nach Friedrichshafen.
Stuttgart 27. Juni. Das Bahnhofhotel (Hotel Heiler) ist um 530 000 ^ an die Residenz-Automat G. m. b. H. käuflich übergegangen.
Stuttgart 27. Juni. Der Verband württ. Rabattsparvereine und der Bund für Handel und Gewerbe hielten gestern ihren VerbandStag hier ab. Nach dem Jahresbericht gehören dem Verband der Rabattvereine 21 Vereine an; es wurde beschlossen, denVerbandS- beitraz von 25 Pfg. auf 50 Pfg. zu erhöhen. An Stelle des GemeinderatS Stübler, der zum Ehrenvorsitzenden ernannt wurde, wurde Kaufmann Kienzle zum Vorsitzenden gewählt. Der nächste Verbandstag soll in Nürtingen abgehalten werden. In der Hauptversammlung des Bundes für Gewerbe und Handel wurde nach einem Referat von Rechtsanwalt Oßwald-Ulm eine Entschließung gefaßt, in der die Kreisregierungen um schärfere Maßnahmen gegen das Ausverkaufswesen ersucht werden.
Stuttgart 27. Juni. Der hiesige Patentingenieur Ganz, der nach Verübung umfangreicher Wechselfälschungen und von Fälschungen notarieller Urkunden in Höhe von 60000 ^ im Februar d. I. flüchtig gegangen und später in Mailand verhaftet worden war, ist nunmehr in das hiesige Untersuchungsgefängnis eingeliefert worden. — Der frühere Hoftheatersekretär Vöhringer, der wegen Unterschlagung und Untreue verhaftet worden war, wird sich in der nächsten Zeit wegen dieser Delikte vor der hiesigen Strafkammer zu verantworten haben.
Stuttgart 27. Juni. Der zwischen der Stadt Stuttgart und der Stuttgarter Fleischerinnung am 1. April 1905 abgeschloffene Vertrag über die Festsetzung der Ladenfleischpreise durch eine FleischpreisnotierungS- kom Mission ist bekanntlich am 1. Mai 1910 abgelaufen und nicht wieder erneuert worden. Die Stuttgarter Fleischerinnung hat nunmehr die Regelung der Fleischpreisfestsetzung wieder allein übernommen und mit dieser Aufgabe eine 15gliedrige Kommission betraut.
Stuttgart. ZurLandtagSersatzwahl im Bezirk Welzheim teilt die Württ. Preffe- korrespondenz mit, daß Parteisekretär Keinath die ihm angebotene Kandidatur mit der Begründung ab gelehnt hat, daß es ihm mit Rücksicht auf seine Stellung in der Partei unmöglich sei, in einen Wahlkampf, der sich mit gegen die Fortschrittliche Volkspartei richten müßte, als Kandidat einzutreten. Die Nationalliberale (Deutsche) Partei hat infolge dessen die Kandidatur dem Schultheißen Scheiger in Rudersberg angeboten, der die Kandidatur nach einigem Bedenken angenommen hat. Damit wäre nun der Aufmarsch der Parteien für den Wahlkampf vollzogen, wenn nicht die Volkspartei sich doch noch zu einer Unterstützung dieser Kandidatur entschließen sollte. — In zwei gestern in Unterschlechtbach und Rudersberg abgehaltenen gut besuchten Versammlungen ist Parteisekretär Keinath für die Kandidatur Scheiger entschieden eingetreten.
Stuttgart 27. Juni. Heute abend zwischen V» und V-9 Uhr ereignete sich beim Schloßplatz ein schrecklicher Unglücksfall. Der Cannstatter Wirt und Mehlhändler Andreas Krapf, ein etwas korpulenter Mann, wollte auf einen in rascher Fahrt befindlichen Straßenbahnwagen aufspringen. Dies gelang ihm jedoch nicht. Er wurde erst eine Strecke von etwa 20 Meter geschleift und geriet dann unter die Räder des Anhängewagens. Dabei wurden ihm Beine und Körper furchtbar zerstümmelt. Seine Leiche wurde mittels Sanitätswagen ins Leichen Haus gebracht.
Wangen-Stuttgart 27. Juni. Das in den letzten Tagen anhaltende Regenwetter hat der Prestlingernte sehr geschadet. Die Früchte faulten am Stock. Viele Zentner der schönsten mußten weggeworfen werden, was für die hiesigen Besitzer der Presslingsanlagen einen bedeutenden Schaden macht. Auch die Zwiebeln beginnen stellenweise infolge der nassen Witterung zu faulen.
Eßlingen 27. Juni. Obwohl nach der überreichen Kirschenblüte eine starke Ernte in Aussicht stand, ist der Ertrag ganz minimal.
Viele Bäume stehen vollständig leer. Infolge der schlechten Witterung springen vorhandene Früchte auf und werden infolge Fäulnis vollständig ungenießbar. Die Zufuhr auf den Kirschenmarkt steht hinter sonstigen Jahren bedeutend zurück. Die Preise find infolgedessen ziemlich hoch.
Möhringen a. F. 27. Juni. Heute früh °/«7 Uhr ereignete sich beim Uebergang am Landhaus ein Unglücksfall. Das Postautomobil von Waldenbuch und ein Filder- bahnzug passierten gleichzeitig die Kreuzung. Das Postautomobil wurde auf die Seite geschleudert und sämtliche Insassen wurden verletzt, darunter drei schwer. Am Motorwagen de» Zuge« wurde die vordere Wand (Perron) eingedrückt und die Glasscheiben zertrümmert. Nur der Geistesgegenwart des Chauffeurs ist es zuzuschreiben, daß das Unglück nicht noch größeren Umfang erreichte. Untersuchung ist eingeleitet.
Geislingen a. St. 27. Juni. Die
Heuernte, die bei uns überall in vollem Gange ist, wird durch das anhaltend ungünstige Wetter sehr beeinträchtigt und es ist sehr bedauerlich, daß der Wert des Heues unter diesen Umständen bedeutend verliert. Die Getreidefelder stehen im Tal und auch auf der Alb vortrefflich, doch dürfte auch für diese jetzt besseres Wetter einsetzen, wenn nicht die auf gute Erträge ge- gesetzten Hoffnungen zu Wasser werden sollen.
Reichenbach OA. Gmünd 27. Juni. Zu den Unterschlagungen des Schultheißen
Grupp von hier erfährt man weiter, daß e« sich nicht nur um die 1800 die Grupp sich aus der Gemeindekaffe widerrechtlich aneignete, handelt, sondern um weitere 20000 die er der Darlehenskaffe des Darlehenskaffenverein« und um 500 die er der Kirchenpflegekaffe unterschlug. Nach der „Gmünder Zeitung" hat Grupp zur Deckung seiner Darlehenskaffen- veruntreuungen vor kurzem 8000 ^ in Donz- dorf aufzunehmen versucht, aber ohne Erfolg.
Von einem benachbarten Dorf aus richtete Grupp an das Oberamt und an die Staatsanwaltschaft in Ellwangen je einen Brief, in dem er seine Veruntreuungen anzeigte und darin bemerkte, daß er dies schon bälder getan hätte, wenn ihm nicht der Abschied von seiner Frau und seine« Kindern zu schwer gefallen wäre. Er hat 7 Kinder im Alter von ungefähr 4 Monaten bis 10 Jahren. Es beunruhigt, daß bis zur Stunde noch keinerlei Nachricht über seinen Verbleib vorliegt, entweder hält er sich bei Verwandten in der Ellwanger Gegend auf, oder hat er selbst Hand an sich gelegt.
Hall 27. Juni. Der Taglöhner Josef Rettich von Herbertingen OA. Saulgau wurde am Freitag nach Verbüßung einer längeren Frei
froh, daß ich das nicht brauchte und beschaulich meine Pfeife rauchen konnte. Als sie ausgebrannt war, stopfte ich mir eine neue, stand auf und schlenkerte etwas umher. DaS Land nach Steuerbord war nur noch hier und da an flimmernden Punken zu erkennen, die vielleicht aus einer Stadt oder einem Dorf kamen. Fern über der Backbordseite blinkte da« Licht eines französischen Leuchtturms.
Da ich Stimmen aus dem Salon hörte, trat ich an das Oberlicht und blickte hinunter. Ich sah, wie sich soeben der Kapitän an den Tisch setzte und der Oberst sich ihm zugesellte. Bald darauf stellte ei« Steward einen kleinen dampfenden Kessel, eine Flasche Rum und mehrere Gläser auf das vor den beiden schwebende Hängebrett. Das sah ganz gemütlich aus und ich würde mich gern zu ihnen gesetzt haben, wenn mir nicht der Oberst so unsympathisch und ich augenblicklich nicht lieber allein gewesen wäre, da mir da» Herz noch schwer war vom Abschied von all den Lieben, die ich vielleicht zum letztenmal gesehen hatte. So blieb ich also oben und betrachtete Kapitän Keeling, von dem ich bei Tage noch wenig gesehen hatte, weil er er erst gegen Abend, nach Abgang de» Lotsen, zum Vorschein gekommen war. Nach allem, was ich an Land schon gehört hatte, sah ich ihn mit besonderem Interesse an.
Er genoß einen großen Ruf unter den Reedern, weil er einst sein Schiff in der Bai von Bengalen gegen eine stark bemannte Seeräuberbrigg tapfer verteidigt und glücklich gerettet hatte. Diese Tat hatte ihn zu einem berühmten Mann gemacht und sowohl von der Reederei wie auch von seinen Paffagieren war er mit kostbaren Ehrengaben überschüttet worden. Er mochte etwa sechzig Jahre alt sein, hoch gewachsen und von kräftiger Gestalt erschien er als das Vorbild eine« Seemanns. Seit fünfundvierzig Jahren auf allen Meeren heimisch, hatten Klima und Stürme seinem Gesicht ein rotgebräuntes wettergehärtetes Aussehen gegeben. Sein kurz geschorene» Haar war silberweiß, ebenso ein schmaler Streifen kurz gehaltenen Backenbartes, der sich von den Ohren bis zur Mitte der Wangen herabzog. Er hatte eine etwas stulpige Nase von bläulichroter
Färbung. Seine kleinen, tiefliegenden Augen wurden fast verdeckt von buschigen, silbernen Augenbrauen. Er trug einen dunkelblauen Ueberrock mit goldenen Knöpfen, schwarzem Sammelkragen und ebensolchen Aermel- aufschlägen. Den Hals umschloß eine schwarze, mit einer kostbaren Nadel geschmückte Atlasbinde, au« welcher hohe, spitze Vatermörder ragten, die ihn nötigten, den Kopf in steifer militärischer Haltung zu tragen.
Er mußte mein Anstarren wohl gemerkt haben, denn er hob plötzlich den Kopf «ach dem Oberlicht. Die» veranlaßte mich, weiter zu schreiten. Ich stieg wieder auf das Kampanjedeck, um noch einen Blick auf die See zu werfen.
Zweites Kapitel.
Mn Znsammenstotz.
An das Geländer tretend, bemerkte ich dicht unter mir, an der Backbordreling, den ersten Maat. Wir begrüßten uns und sahen dann still auf die rollenden Woge».
Meine umherschweifenden Augen blieben bald nicht weit vor uns an einem dunklen Punkt haften.
Sagen Sie, Herr Prance, sprach ich hinunter, wa» mag da» dort vor unserm Steuerbordbug sein?
Er blickte eine Weile hin. — Scheint ein Schoner zu sein, ein plumpes schwerfälliges Ding, da« gleichen Kurs mit uns segelt, aber kaum von der Stelle kommt. Wir werden es bald überholen. Wenn ich mich nicht täusche, ist es ein Franzose.
Damit schritt er zur besseren Beobachtung mehr nach vom, blieb aber bald wieder stehen, legte die gehöhlten Hände an den Mund und schrie der Deckwache zu:
Zeigt ein Licht! Aber fix! Der Kerl da vorn scheint zu schlafen. Er fährt ja kreuz und quer!
(Fortsetzung folgt.)