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Calw 4. April. Zu unserer Mitteilung der Aeußerungen des Herrn Schultheißen Braun von Althengstett zu dem bekannten Vorfall erhalten wir heute das Nachstehende geschrieben:
Die Mitteilungen des Schultheißen Braun von Althengstett sind teilweise wahrheitswidrig und irreführend. Derselbe behauptet, es seien Erhebungen angestellt worden, wonach die ganze Sache aus der Luft gegriffen zu sein scheine. Derartige Erhebungen konnten aber tatsächlich gar nicht gemacht werden, denn das ohnehin einsame Gelände war zu der in Frage stehenden Zeit (Charfreitag abend 6 Uhr vollständig) menschenleer, wovon sich auch der betreffende Bursche' vor Beginn seiner Aktion durch auffälliges scharfes Sondieren nach allen Richtungen Ueberzeugung verschaffte. Sodann spricht Schultheiß Braun von einem „versuchten Ueberfall". Der Einsender der Notiz hat aber mit keiner Silbe von einem tatsächlich erfolgten versuchten Ueberfall etwas erwähnt, sondern er hat ausdrücklich festgestellt, daß der Bursche sofort den Rückzug angetreten habe, als sich der „Wanderer" ihm entgegenstellte. Da es hienach zu einer strafbaren Handlung nicht gekommen ist, konnte selbstverständlich auch keine Anzeige bei der Behörde erfolgen. Die Erregung des Ortsvorstands über diesen Fall ist unbegründet; er weiß doch selbst genau, daß sich Elemente fremder Nationalität in seiner Gemeinde aufhalten, für die er eine Garantie ernstlich nicht ohne weiteres übernehmen kann.
Herrenalb 3. April. (Zechpreller.) In einem hiesigen Hotel hat sich ein gut gekleideter Herr einlogiert, separat gespeist und sich auch den Wein gut munden lassen, dann einen Spaziergang vorgeschützt, diesen aber unbemerkt in die Stube der Kinderfrau unternommen, dort einen Schrank erbrochen und daraus 200 gestohlen. Mit dem nächsten Zuge reiste der Dieb wieder ab und entkam. Er hatte sich als Kaufmann aus Villingen ausgegeben und soll vor kurzem einen ähnlich verlaufenen Besuch einer Wirtschaft in Hirsau abgestattet haben.
Oberschwandorf OA. Nagold 2. April. Von einigen Erdarbeitern die zum Bau der Wasserleitung zugereist kamen, gebärdete sich einer auf dem Rathaus wie rasend und beschimpfte die Beamten in gemeiner Weise. Der rabiate Mensch wurde, da er den Fußtransport verweigerte, geschloffen auf einem Fuhrwerk dem K. Amtsgericht Nagold eingeliefert?
Stuttgart 2. April. Die Zweite Kammer beriet heute nach Vornahme mehrerer Ausschußergänzungswahlen den Gesetzentwurf betreffend die Schaffung eines Reservefonds der Staatseisenbahnen. Der Berichterstatter Dr. v Kiene bemerkte einleitend, daß der Finanzausschuß an dem Entwurf folgende hauptsächliche Aenderungen vorgenommen hat. Der eiserne Bestand des Fonds wurde von 5 auf 10 Millionen erhöht; die laufende Verwaltung wird an den Ueberschüffen der Verwaltung zur Hälfte beteiligt, wenn der Fonds den Betrag von 5 Millionen erreicht hat; die Giltigkeit des Gesetzes wird auf 10 Jahre beschränkt. Körner (B. K.) wies darauf hin, daß nach Zeitungsnotizen die Einnahmen der Eisenbahnen sich wesentlich verbessert haben. Zu bedauern sei, daß man statt des 2,3 nicht den 2,5 A-Tarif für die 4. Klasse eingeführt habe, denn dann hätte sich der Reservefonds noch rascher gefüllt. (Widerspruch links.) Ministerpräsident v. Weizsäcker führte aus: Ich kann konstatieren, daß die Tariferhöhung, soweit als die Regierung mit den Ständen gegangen ist, sich bewährt hat. Ob eine weitergehende Erhöhung sich auch bewährt haben würde, weiß ich nicht. Die Osternotizen der Zeitungen waren zu sanguinisch. Schätzungsweise kann ich die Zahlen des voraussichtlichen Rechnungsergebnifses des am 31. März abgelaufenen Rechnungsjahres Mitteilen. Wir rechnen.auf einen Betriebsüberschuß von rund 20 Millionen gegenüber 16430000 im Jahre 1908, also mit einem Mehrüberschuß von 3,5 Millionen. Gegenüber dem Etatsatz beziffern sich diese 3,5 Millionen nur auf ein Mehr von 1,8 Millionen. Die laufende Verwaltung wird den 10jährigen Durchschnitt mit 18715000 erhalten und außerdem kann sie in den Reservefonds 1,3 Millionen abführen. Wir gehen davon aus, daß auf 1. April ds. IS. der Reservefonds rund 2 Millionen betragen wird. ES ist das «ine günstigere Gestaltung unserer Situation. Ihre Ursachen liegen nicht so sehr in
einer wesentlichen Erhöhung unserer Einnahmen — da handelt es sich vielleicht um Million. Nur dem unerwartet günstigen wirtschaftlichen Aufschwung, der im Sept. v. Js. eingesetzt hat, ist es zu danken, daß die Befürchtungen der Verwaltung, man werde den Etatsotz bezögt, der Einnahmen nicht erreichen, sich nicht bewahrheitet haben. Die bessere Gestaltung unseres Betriebsüberschusses beruht im wesentlichen auf dem Erfolg der energischen Spmsamkeitsmaß- maßregeln. (Zustimmung.) Dr. v. Kiene (Ztr.) und Keil (Soz.) traten dem Abg. Körner entgegen, während Liesching (Vp) und Häffner (D. P.) sich zustimmend zu dem Entwürfe äußerten und seine Notwendigkeit beronlen. Im weiteren Verlauf der Debatte wünscht der Abg. Keil (Soz.), daß dem Reservefonds bis zu seiner völligen Füllung der ganze Uererschuß zuflteßcn möge. Finanzminister v. Geßler wandte sich gegen diese Anregung. Da von einem Reinertrag in Wirklichkeit nicht gesprochen werden könne, sollte bei der Bildung des Reservefonds vorsichtig vorgegangen werden, die aus den Mitteln der laufenden Verwaltung erfolge. Man müsse an die großen Aufgaben der laufenden Verwaltung denken. Dem Interesse der Finanzverwaltung sei besser gedient, wenn der Reservefonds, sobald er einmal 5 Millionen erreicht hat, sich langsamer vermehre. Auch die Abgg. Liesching (Vp.), Körner (B.K.), Häffner (DP) und Dr. v. Kiene, sowie der Ministerpräsident v. Weizsäcker empfahlen im Hinblick auf die Finanzlage die nötige Rücksicht auf die laufende Verwaltung. Die Befristung des Entwurfs auf 10 Jahre rief gleichfalls einige Erörterungen hervor. Es wurde betont, daß die Entwickelung unseres Eiftnbahuwcsens sich kaum auf 10 Jahre hinaus übersehen lasse weshalb die Bestiftung gerechtfertigt sei. In der Schlußabstimwung wurde der Entwurf nach den Kommifsionsbeschlüssen angenommen und sodann in die Beratung der abweichenden Beschlüsse der Ersten Kammer zur Bauordnung eingetreten. Berichterstatter ist zunächst der Abg. v. Gauß. Er betonte die erfreuliche Tatsache, daß über das Verhältnis von Gesetz und Verordnung zwischen den beiden Kammern Ueber- cinstimmunq besteht. Zu Art. 1 befürwortete Minister v. Pischek die Beibehaltung eines Beschlusses der der Ersten Kammer, daß, wo in diesem Gesetz polizeiliche Vorschriften zugelassen sind, sie von den Bezirks- und Orts Polizeibehörden erlassen werden. Der Ausschuß Halle beschlossen, diese Bestimmung als überflüssig zu streichen. Dos Haus schloß sich dem Kowmissionsbeschlutz an. Nach Erledigung von Artikel 1 und 2 wurden dann noch die ersten drei Absätze des Art. 3 beraten, der das Zustandekommen der Ortsbaufvtzun gen zum Gegenstand hat. Mattutat (Soz) begründete einen Antrag, wonach die näheren Bestimmungen über die Prüfung, die der Techniker erstanden haben muß, im Verordnungsweg erlaffen Kurden sollen. Nach längeren Erörterungen, die sich hauptsächlich auf die Frage der Mitteilung von Ortsbausatzungen an die Beteiligten bezogen, wobei die Notwendigkeit des Rechtsschutzes der Interessenten betont wurde, vertagte das Haus die Weiterberatung auf Dienstag nachmittag.
Stuttgart 2. April. Der Streik der in den hiesigen Möbelfabriken beschäftigten Tapezierer dauert fort. Die Fabrikanten wollen eine Erhöhung der bestehenden Akkord- und Stundenlöhne nicht anerkennen.
Stuttgart 2. April. Wie das Neue Tagblatt erfährt, wird Oberbürgermeister von Gauß die Verhandlungen über die Bauordnung im Landtag, trotz seines Urlaubes, mitmachen. Er hat sich entschlossen, seinen Urlaub über die Zeit seines Referats hinauszuschieben, in der Hoffnung, daß die Verhandlungen nur wenige Tage in Anspruch nehmen werden.
Gmünd 2. April. Eine ehrenvolle Auszeichnung wurde dem Dirigenten der hiesigen Militärkapelle, Kapellmeister Kühn, zu teil. Er erhielt laut Gmünder Zeitung, für den dem König von Württemberg zu seinem 62. Geburtstag gewidmeten Feldmarsch „Heil unserm König Heil" einen prächtigen, mit Widmung versehenen Taktstock als Anerkennung durch das K. Kabinett im Auftrag des Königs übersandt.
Heidenheim 1. April. Die Namen der bei dem schon gestern gemeldeten Unglück Schwerverletzten sind: Wilhelm Zimmermann i und Karl Reinecker von Steinheim und die beiden i 16 und 17 Jahre alten Italiener Mario und Risieri Fabreto. Die Verletzungen bestehen hauptsächlich aus Arm- und Beinbrüchen; zum Glück waren die meisten Arbeiter nahe an der Mauer, wo die Steine nicht aus so beträchtlicher
Höhe herunter kamen. Nach Ansicht von Bausachverständigen hätte die fragliche Mauer gut stand gehalten, wenn nicht der furchtbare Sturm gewesen wäre. Für das Leben der Verletzten soll vorerst keine Gefahr bestehen. Sämtliche Verletzten wurden nach Anlegung von Notverbänden durch den Oberamtsarzt seitens der Sanitätskolonne nach dem Bezirkskrankenhaus verbracht. Die Gerichtskommissivn war sofort an Ort und Stelle.
Friedrichs Hafen 2. April. Zur Ausbildung auf dem praktischen Gebiet der Aviatik sind gestern vormittag vier Schüler der hiesigen Luftschifferschule nach Untertürkheim abgegangen, um den Motorenbau der dortigen Daimlerwerke kennen zu lernen. Der Verbleib dort wird sich auf drei Monate erstrecken. Die noch hier weilenden vier Luftschiffschüler werden vom Montag ab ebenfalls mit dem praktischen Unterricht auf der hiesigen Luftschiffwerste beginnen.
Berlin 2. April. Am 1. Juli wird sich in Bremerhaven auf dem Norddeutschen Lloyddampfer „Main" die Vorexpedition einschiffen, die im Juli und August bei Spitzbergen die Möglichkeiten des für den Sommer 1912 geplanten Zeppelin-Luftschiffluges zum Nordpol studiert. Der erste Direktor des Lloyd, Heinecken, hat das Schiff zur Verfügung gestellt, nachdem sich die Verwendung des ursprünglich in Aussicht genommenen Reichsforschungsdampfers „Poseidon" wegen Raummangels als untunlich herausgestellt hat. An der Expedition nehmen teil: Prinz Heinrich von Preußen, Graf Zeppelin, Geheimrat Lewaldt vom Reichsamt des Innern, Professor Hergesell und v. Drygalski, Geheimrat Friedländer-Fulda, Geheimrat Miethe von der Technischen Hochschule in Charlottenburg, Graf Zedlitz, der Kapitänleutnant von der Knesebeck, ein Expeditionsassistent und ein Schiffsarzt. Mit der Dienerschaft wird die Expedition 24 Köpfe stark sein. Auf Spitzbergen, wo später ein Ballonhaus gebaut werden soll, geht Prinz Heinrich auf den ebenfalls zur Verfügung gestellten norwegischen Eisdampfer „Phönix" über. Er will auf der Weiterfahrt nach Norden eine geeignete Basis für die spätere Hauptexpedition erkunden.
Stettin 3. April. Die „Ostseezeitung" berichtet von einer unglücklichen Ballonfahrt, die 3 Mitreisenden das Leben kostete. Am Sonntag Vormittag stieg der Ballon „Pommern" bei der Zabelsdorfer Gasanstalt bei sehr starkem Winde auf. Er verfing sich dabei in den Telegraphendrähten, die er zerriß, wurde dann gegen ein Fabrikgebäude geschleudert und verschwand mit großer Geschwindigkeit. Man konnte deutlich sehen, daß die Gondel, die einseitig tief herunter hing, schwer beschädigt war. Ueber den Verlauf der Fahrt gibt der noch am Leben gebliebene, der Bankbeamte Semmelhack folgende Darstellung: Bei dem Zusammenstoß mit dem Fabrikgebäude erlitt der Führer des Ballons, ReichstagSabg. Delbrück, schwere Kopfverletzungen, außerdem wurde ihm ein Bein gebrochen. Stadtbaurat Benduhn erlitt einen Arm- und Beinbruch und schwere Kopfverletzungen. Ich selbst wurde am Bein gequetscht und gegen den Rand des Ballonkorbes geschleudert, daß ich besinnungslos wurde. Das Netzwerk des Ballons war bis über die Hälfte zerrissen. Unser Führer wollte, um eine Landung herbeizusühren, das Ventil ziehen. Da die Leine jedoch riß, war eine Landung auk festem Boden ausgeschlossen. In der Ztiche von Rügen geriet der Ballon in eine WMM^ichiäu und wurde bis auf 50 in 500 ni von Saßnitz entfernt riß ' die Reißbahn. Mit furchtbarer Gevw wir auf das Wasser auf. Alle - nehmer konnten sich aus dem Ball doch versank einer nach dem ande: -. letzten Kräften gelang es mir, durch die Ballonhülle zu err-sich»<^ Han« gerettet. Der vierte FahrteilneW Kaufmann Hein, der ebenfalls tot (s. >