Calmer Woikeilblaü.

Freitag

Beilage z« Nr. SS.

4. Mörz 1S10.

Mid wasser.

Gebirgsroman von Luise Cammerer.

(Fortsetzung.)

Heut leb ich, morgen sterb ich,

Ist leicht einerlei,

Einem einschichtigen Dirndel Dem ist alles glei!"

Arms Dirndel, hältst selbst nit gedacht, daß dein Gesang so bald an dir selberK'in Erfüllung gehen könnt", Frau Therese sagte es im ausbrechenden Jammer, die Hellen Tränen flössen ihr von den Wangen. O mein Wendel,Mt das ein Kreuz und Leid, das uns der Herrgott da geschickt hat. Wir müfsens halt mit Geduld ertragen, Mann, und dem Unfrieden keinen Platz mehr vergönnen in unserem Heim. Die Lieb ist das Beste vom Leben, und die wird uns über die schwere Zeit hinweghelfen."

Gramvoll blickte sie zu der Toden nieder, die vor kaum emer Stunde in voller, frischer Lebenskraft von ihr gegangen und nun so still und regungslos mit herbgeschlossenen Lippen vor ihren Augen lag.

Du armes, liebes Dirndel, ich hält dirs so gut vermeint, dir so gern ein biss! Glück verschafft, jetzt ist alles vorbei", klagte sie schmerzlich.

Mein Leben gäb ich drum, wär die Tat nit geschehen." Lind­hammer bot ein Bild düsterer Verzweiflung,und das Schlimmste kimmt erst noch nach. Das Gerede von den Leuten und die polizeilichen Um- ständ und die Schand noch obenauf. Mein ganzes Leben hat er ver­nichtet, der Loder, aber diesmal kommt er mir nit aus. Ich selber mache die Anzeige, seine Strafe soll er haben, und wenn Haus und Hof und alles zusammen dabei zu Grund geht!"

Es ist dein Bruder, Wendel, denk daran und auch an deine Familie", sagte sie schwer.Laß die Hand davon, Gott selber wird ihn zu finden wissen und auch Richter sein. Wir wollen ihn nit gesehen und nit gekannt haben."

Noch immer findest ein Wort der Entschuldigung für den Loder?" fragte er herb.

Versteh mich nit falsch, Wendel und rede nichts, was du nit ver­antworten könntest", erwiderte sie im tiefen Ernst, du würdest mich kränken damit. Ich weiß wer du bist, und was ich an dir Hab. Du bist der Gute von der Wurzel aus, wie der andere der Schlechte. Warum es so sein mußte, darum müßt man unfern Herrgott fragen, die Menschen sind sein Werk und er allein hat das Gericht. Aber manchmal, da Hab ich doch eine schwere Stund gehabt, und vermeint, meine Liebe, die hätt den Toni halten können, und ich hätt ihn nit ganz verlassen sollen. Doch jetzt weiß ichs, daß an dem nichts zu retten war, jetzt weiß ich, daß ich kein Unrecht getan Hab, wann ich dir zu meinem Respekt auch noch mein ganzes Herz, meine ganze Lieb zugewendet Hab. Meine Barmherzigkeit und mein Mitleid gilt dem Namen von unseren Kindern, Wendel. Besinn dich auf eine Ausrede, Mann, das Dirndel wird nit wieder lebendig von unserer Schand."

Du hast recht, Theres, sei bedankt für deine guten Worte, sie geben mir Mut und auch Freudigkeit, wieder fortzumachen!"

Bewegt drückte er ihre Hand.Schau, es ist mir grad ein tröst­licher Gedanke, daß ich mich immer ein bissel ums Dirndel angenommen und ein bissel dafür gesorgt Hab. So ein armes, junges Blut, und muß auf eine so schändliche Weise sein letztes Ende finden. Weißt, wir tuns in unser Familiengrab, sie ist doch so gut wie ein Stück von uns."

Indes Veferl und die Lindhammerin bei der Toten fromme Sterbe­gebete verrichten, brachte der Schneidmüller Franz zur Ruhe und beorderte den Hütbuben, den er erst aus dem Schlaf rütteln mußte, zur nächsten Gendarmeriestation, um dort den Einbruch mit dem Unglücksfall anzuzeigen und um Aufnahme des Tatbestandes nachzusuchen. In der Stille hoffte er, sein verwahrloster Bruder, für den trotz alledem noch immer ein Fünkchen Mitleid in seinem Herzen lebte, möchte der weltlichen Gerechtigkeit noch einmal entgehen.

Als der junge Morgen anbrach und das Tagesgestirn den östlichen Himmel langsam in rosige Tinten tauchte, da trottete einer um der andere von den Lindhammerschen Ehehalten, Holzknechte wie Feldarbeiter, gemächlich auf die Schneidmühl zu.

Sie kamen in ein Trauerhaus. Die Vroni lag, von einem Ein­brecher erschossen, auf der Totenbahre. Arzt und Polizei waren zur Stelle; letztere ergriff sogleich Maßregeln, des Verbrechers habhaft zu werden, da Lindhammer und seine Familie jedoch nur ungenügende Angaben über dessen Persönlichkeit zu machen imstande waren, und Franz fiebernd, zu einer Vernehmung unfähig, im Bett lag, vermochte ein genaues Signalement zum Zwecke einer steckbrieflichen Verfolgung nicht festgestellt zu werden, weshalb die Polizei vorerst eine Sicherheitsstreife auf etwaige der Tat verdächtige, gemeingefährliche Individuen vornahm, die in der Gegend wohl Aufsehen erregten, jedoch vollständig ergebnislos verliefen.

Indes die Schneidmühle zu einem Schauplatz erschütternder Be­gebenheiten wurde, und dort ein junges frisches Leben urplötzlich erlosch, trat auch in Sixt's Dasein ein eingreifender Wendepunkt ein. Anfangs war er willens gewesen, seinen Vater mit guten Worten umzustimmen und gleichzeitig mit den Eltern die Heimfahrt anzutreten, denn im Grunde war er keine verderbte Natur, sondern stets nur zu leichten tollen Streichen aufgelegt, die er hinterher, sobald er wieder zur Vernunft kam, aufrichtige bereute. Andrerseits trug die unzeitige Strenge des Vaters, der ein Mißraten seines Sohnes befürchtete, vielfach dazu bei, ihn zu Ungehörigkeiten zu verleiten, zumal es sich nie um ernstliche Vergehen handelte und er die Mutter häufig auf seiner Seite fand. 'Sein besseres Selbst hatte sich auch heute geregt, allein die Sticheleien und derben Spottreden einiger ihm feindlich gesinnter Burschen, die ihn um die körperliche Gewandtheit und seine Erfolge bei den Dirndeln beneideten und denen das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn nicht geheim geblieben war und Freude machte, hielten ihn am Platz fest. Eitelkeit und Hochmut spielten gleichfalls eine Rolle und zwar nicht die bescheidenste in seinem Leben und die selbstbewußte, sichere Art, sich zu geben, bekundete deutlich genug, wie hoch er seinen eigenen Wert bemaß. Der Lindhammersixt, der Erbsohn der Schneidmühl, der Aelteste, der nach der Tradition der dortigen Oekonomen und Großbauern später einmal das Zeug übernahm, indes die jüngeren Geschwister mit einem bescheidenen Anteil bedacht wurden, der durfte den Kopf gewaltig hoch tragen, ohne daß es ihm übel vermerkt worden wäre.

Es war Sixt durchaus nicht so gleichgiltig, daß der Raintaler in Groll und Unfrieden schied, als er sich äußerlich den Anschein zu geben suchte, denn der angesehene Großbauer und langjährige Freund seines Vaters hatte diesem in allen Lebenslagen unveränderte Treue gehalten und sich in schweren Zeiten tatkräftig bewährt. Eine leise Stimme seines Innern regte sich in Sixt; sie raunte ihm zu, er habe unrecht gehandelt und das Dirndel an der Ehre gekränkt. Zugleich tauchte Gundis Bild vor seiner Seele auf. Der holde, unschuldsvolle Reiz, der das zart­entwickelte Menschenkind der Bergwelt mit einem eigenartig fesselnden Zauber umgab, war nicht ohne einen tiefen, nachhaltigen Eindruck auf ihn geblieben und er hatte nur dagegen angekämpft, um seiner Vroni die zugesicherte Treue zu bewahren, zumal er ein für allemal einen Zwang nicht ertrug, und beide Männer vereint einen Druck auf ihn auszuüben verursacht hatten.

Verfinstert und wortkarg ließ er sich ganz allein an einem Tische nieder. Die ganze Welt ödete ihn an und in seiner Verstimmung trank er wie unsinnig zu, gab auch nicht sogleich auf die Sticheleien und Spottreden seiner Gegner acht, bis es der Breitmoser Sepp, ein wegen seiner Händel und Raufsucht weit und breit gefürchteter Bursche, gar zu beleidigend trieb und Sixts Blut zur Wallung brachte. Der Sepp spottete und foppte herausfordernd drauf loS:

Der Raintaler Sixt Heut hat er keine Schneid,

Heut hat ihn sein Vater

Mit dem Stecken durchblänt!" (gezüchtigt)

Nur wenn er allein ist.

Dann traut er sich gnua,

Daheim in der Schneidmühl Der halberte Bua!"

Da büßt er die Dirndeln,

Sinds schwarz oder braun,

Drum tu ich den Burschen Einmal tüchtig verhaun!"

Sixt schmoll der Kamm. Er erhob sich und erprobte seiner Glieder Kraft.

Wo fehlts, wem Hab ich etwas getan, der mich foppen und hänseln könnt?" fragte er scharf, sich in Positur stellend.Was ich mit meinem Vater Hab, das geht niemand etwas an, als uns zwei allein. Red', wenn du was willst, Breitmoser, der Sixt, der zeigt dir, daß er eine Schneid hat und kein halber, sondern ein ganzer Bursch ist."

Das waren die Trompetenstöße zum Angriff, dem alsbald eine richtige Rauferei nachfolgte. Das alte Bajuwarenblut, das noch unver- mischt und unvermindert in den Adern dieser Kernsöhne der Gebirgswelt pulsiert, verlangte nach einer Betätigung und fragte wenig nach Recht und Unrecht. So schlugen die Burschen auf einander los in einer Weise, als ob die Rauferei ins Festprogramm gehörte. Der Wirt und der als Gast anwesende Gendarmerievorstand mühten sich vergeblich, die streitenden Parteien zu trennen und Ruhe herzustellen. Wider ihren Willen sahen sie sich plötzlich mitten in den Menschenknäuel versetzt, es regnete Püffe und Stöße hageldicht auf sie nieder, bis einer der Burschen, seinen Irr­tum gewahrend, beiden zu einem schleunigen Rückzug verhalf. Die Stühle krachten, Fenster und Gläser klirrten, die Dirndln kreischten angstvoll auf; die Musik setzte zu einem Ländlerischen ein, doch unbekümmert um all das Getöse wurde flott fortgerauft, bis die verwegensten Streitsucher und Raufbolde an die Luft gesetzt waren. (Forts, folgt.)