Samstag
mlienblati
Beilage z« Nr. 41.
IVildwasser.
Vebirg-roman von Luise Cammer er.
(Fortsetzung.)
Der Anzug des Aelteren war von oben bis unten beschädigt und schmutzstarrend, überhaupt schien der ganze Mensch verwittert und verwildert bis in die Seele hinein, wie Veferl mit innerem Erschrecken wahrnahm. Sein jüngerer Wandergefährte hatte zwar ein krankhaftes, trotzdem aber mehr einnehmendes gefälliges Aeußere. Wiewohl auch seine Kleidung bereits stellenweise schadhaft und abgetragen erschien, trat doch eine gewisse Sorgfalt und Ordnungsliebe unverkennbar zutage. Der weiße Kragen zur sauberen Binde war sicher dem Sonntag zu Ehren umgelegt worden und die guterhaltenen Stiefel glänzten frisch gewichst. In bescheidener stiller Weise nahm er den Rest von Milch und Brot entgegen, den ihm sein selbstsüchtiger Begleiter nach vorangegangener eigener Sättigung noch übrig ließ und die manierliche Art, in der er aß und trank, gab Gewähr für eine gesittete wohlanständige Erziehung.
Mit einem dankbaren „Vergelts Gott" nahm er sein Ränzel wieder auf und langte nach dem Stock, doch der Alte warf mit widerlichem Grinsen die Schüssel vom Tische und sagte boshaft: „Pfüat di Gott, schöns Dirndl! Die Milch war schlecht und das Brot zu sauer! Das gehört für die Schweine! Wenn ich einmal wieder des Weges komm, verlang ich eine bessere Bewirtung. Ihr habt Wein, Schnaps und Geräuchertes genug im Haus und bräuchtet nit so knauserig sein. Pfüat di Gott, wir sehen uns bald wieder!"
Unter fortwährendem Gelächter und Gestikulieren erhob er sich langsam und machte sich auf den Weg.
Veferl verharrte eine Weile regungslos an ihrem Platze. Der Atem versagte ihr und Röte und Blässe jagten sich auf ihren Wangen. Eine derartige Bettlerfrechheit war ihr noch niemals vorgekommen.
„Ein andermal zieht nur gleich Eures Weges fort", rief sie ihm erzürnt zu. „Die Schneidemühl ist keine Herberge für Vagabunden und Landfahrer Eures Schlages. Der Vater hat diesmal die richtige Meinung: das Mitleid für Euresgleichen ist weggeworfen; das Bettelbrot schmeckt alleweil besser als das verdiente!"
„So? Meint der Schneidmüller dies?" Der Alte kehrte einige Schritte zurück und fragte es in bissigem Ton. „Der hat leicht reden! Wer im Vollen sitzt, der kann einem andern leicht die Armut und das Bissel Beltelbrot vorwerfen!"
Die höhnische boshafte Gegenrede reizte das Veferl, das warmherzige, gütevolle Menschenkind zu noch größerer Heftigkeit. „Der Vater ist ein Mann, der schafft für zwei und vor dem hat jeder Respekt", gab sie mit heißen Wangen unb blitzenden Augen zur Antwort. „Aus gutem Herzen bot ich Euch die Gabe, Ihr habt mir schlecht gedankt! Schafft und verdient Euer Brot, so braucht Ihr nit zu betteln und mit neidischen Augen den Wohlstand anderer anzusehen. Wer die Gottesfrucht lästert, die fleißige Hände dem Boden abringen, derselbe ist nit wert, sie zu essen! Geht, Müßiggang ist aller Laster Anfang!"
Der Alte hob drohend die geballte Faust.
„Du Lindhammersche Streitzunge, hättest ein Advokat werden sollen, nit, aber ein tappetes Bauerndirndl. Grüß mir deinen Vater, der wird eine ganz besondere Freude haben, wenn er mich wieder im Land sieht!" Ueberlaut lachte er auf, sodann verschwand er hinter der Hügelkette, die den Weg abschloß.
Veferl trat unter die Linden zurück. Ein unerklärliches, rätselhaftes Gefühl, aus Furcht und Angst gepaart, schnürte ihr die Brnst zu, es deuchte ihr, als habe der schlimme Gast das Unheil mit sich getragen und über die Bewohner der Schneidemühle heraufbeschworen. Erst jetzt fiel ihr Blick unsicher auf den jüngeren Gesellen, der bleich, mit verhaltenem Atem, noch an der knorrigen Linde lehnte und das Auge nicht zu ihr zu erheben wagte. Der junge Mann tat ihr in tiefster Seele leid, gleichwohl sollte er nicht ohne eine Strafpredigt von dannen ziehen.
„Schade um Eure Jugend," sagte sie zürnend, „in solcher Gesellschaft müßt Ihr ja an Leib und Seele Schaden nehmen! Könnt Ihr denn keinen besseren Wandergefährten finden? So ein Tagedieb, so ein nichtsnutziger, verlästert die Gottesgab, will nit arbeiten und doch essen, den laßt nur laufen und ruht Euch erst aus!"
„Auch in meinem Elternhause stand gute Sitte und Zucht obenan, aber auf der Landstraße verliert man viel von der Erziehung früherer Tage", suchte der junge Mann sich zu entschuldigen. „Ich zähle nicht zu dem Vagabundentum, das zu einer Landplage wird, und die Arbeit scheut. Ein Zufall führte mir den Alten in den Weg, ein Zufall trennt uns wieder; dennoch muß ich noch eine Strecke Wege« mit ihm ziehen, da er meine Ausweispapiere aufbewahrt."
Veferl zog die Stirn kraus. *
„Eine Krähe hackt der andern die Augen nit au«", da« ist ein alte« Sprächt", erwiderte sie kurz und verächtlich. „Hallet Euch nicht länger
19. Februar 1919.
auf, damit Ihr den häßlichen Haderlumpen einholt. Ich will Euch dran nicht hindern!"
Sie wandte sich dem Hause zu; doch ein stöhnender Aufschrei, dem ein schwerer Auffall nachfolgte, ließ sie erschreckt zurückblicken. Der junge Mann wand sich in Zuckungen und Krämpfen am Boden und war dazu noch beim Niederstürzen hart auf die eckige, scharfkantige Tischplatte aufgeschlagen, so daß ihm das Helle Blut von der verletzten Wange floß.
„O du mein liebes Herrgott! am Kreuz!" Ganz verstört und ratlos schlug Veferl die Hände übereinander. „Jetzt ist der arme Bursch auch noch krank worden und ich Hab selbst keine Hilfe im Haus. Vroni, Vroni, schick dich, da ist einer der Hilf braucht." Die Stallmagd kam zögernd herbei. Es war ein schmuckes, dralles Dirndl mit lichtem, welligem Haar über die Stirn und dunklen, freundlich blickenden Augen. Wie eine frische Apfelblüte, weiß und rot, war die Farbe ihres vollen, gutbgebildeten Gesichts, Hände und Füße derb entwickelt und sonnengebräunt, ein Arbeitskind, das vom Leben nicht mehr forderte als es ihm bot. „JessaS Maria und Josef!" bestürzt trat sie näher hinzu. „Veferl, der stirbt dir unter den Händen. Das hast jetzt für deine Gutheit. Wie ein Häuferl Elend schaut er aus! Alles Lumpenzeug kommt aber auch auf die Schneidemühle zu!"
„Red nit so viel und tu was, daß er a Hilf kriegt. Schaff Master zur Stelle, Vroni! Ich nehms auf mich und werds beim Vater verantworten. Wir sind allsamt sündhafte Menschen und keiner weiß, wens zunächst trifft!"
Völlig streng schaute sie drein. Vroni wagte keine Widerrede mehr und trug alles herbei was Veferl verlangte.
Allmählich ließ der Anfall nach. Der Blick des jungen Mannes ward Heller, bewußter. Mit einem Lächeln stillen Dankes nahm er den erfrischenden Trunk entgegen, den Veferl aus Wein und Master für ihn bereitet hatte.
„Ihr lieben guten Leute, Gott siehts und segnet», wa« Ihr mir Gutes tut," sagte er mit warmer Empfindung, nachdem er sich wieder erholt hatte. „Glaubt nicht, daß Eure Wohltaten einem Unwürdigen zu Teil werden. Drei Monate lang lag ich im Hospital zu Zürich schwer krank darnieder, drei Monate treibe ich mich arbeitslos auf der Landstraße umher, weil niemand mir Arbeit gab meines Aussehens halber. Nun befinde ich mich auf der Heimreise, auf dem Weg zur Heimat, wo eine liebe Mutter mit Sehnsucht mich erwartet." Seine Auge feuchtete sich.
„Denkt nicht schlecht von mir, weil ich in der Gesellschaft jenes verkommenen, verlotterten Menschen wandere, unsere Wege gehen an der nächsten Grenzscheide auseinander. Doch erst gestern erlitt ich einen ähnlichen Anfall, glaubte, mein letztes Ständlein sei mir nahe und es fiel mir schwer, daß ich in der Fremde auf der Landstraße verscheiden sollte, ohne einen Händedruck und ohne Abschiedsworte von meinem alten Mutterl. Ich überstand den Anfall, fürchtete jedoch seine Wiederholung an einem der nächsten Tage und schrieb deshalb auf der Herberg einen Abschiedsbrief an meine Mutter. Diesen, sowie meine geringen Geldmittel und Familienpapiere, die ich auf der Reise benötige, führt der Alte bei sich und ich muß mich bemühen ihm baldigst nachzukommen."
„Tut das und kommt nachher zurück zu uns in die Schneidemühl," sagte Veferl mitleidig. „Der Vater ist zwar grandig und zornig, aber kein hartherziger Mann, nein das ist er nit, und auf eine Wohltat kommts bei uns nit an. Ein paar Rasttage werden Euch schon wieder aufrichten."
„Ihr seid gut," sagte er traurig, „indes kann und will ich Eure Güte nicht mißbrauchen, zumal ich keine Zeit zu verlieren habe, denn ich fühle es hier drinnen" — mit traurigem Lächeln deutete er auf seine Brust — „daß es bald zu Ende geht und mein einziger Wunsch liegt darin, in der Heimat zu sterben, in der Heimaterde begraben zu sein."
Veferls Tränen flössen, tiefstes Mitgefühl mit dem bejammernswerten Zustand des jungen Mannes bewegte ihr junges Herz.
„O, mein liebes Herrgott!, wenn ich Euch nur grad a bissel was gutes tun könnt," seufzte sie auf, „aber es wär wirklich eine schwere Sünd Euch aufzuhalten und das alte Mutterl noch länger warten zu lasten. Zieht mit Gott Eures Weges weiter, und „Pfüet Euch Gott" allezeit."
Sorglich packte sie ihm ein Stück geräuchertes Fleisch, den übrigen Wein und Brot in das Ränzel, legte heimlich noch einen bescheidenen Zehrpfennig dazu und geleitete ihren Schützling bis zur Anhöhe hinan, von wo aus die Landstraße in das nächstgelegene Dorf abzweigte.
„Gott segne Euch für Eure Gutheit, Veferl", mit herzlichem Dankgefühl bot er ihr die Hand zum Abschied und zog sodann ruhigen Schrittes seines Weges weiter.
Der Wind trug das Glockengeläute des benachbarten Dorfkirchleins herüber; in leisen, zitternden Schwingungen verklang eS über den Höhen, ein Mahnruf, des höchsten Herrn zu gedenken, der alles Erdensein dieser Welt regiert.
Eine Weile lauschte der junge Wanderer in Andacht, nahm den Hut ab vor dem Christusbild, das gläubiger Menschensinn am Wegrain vor den Wiesenhängen aufgestellt und hielt eine stille Sonntagsfeier.
(Fortsetzung folgt.)