1274
ist zunächst nicht zu denken. Die Gräfin Stephanie läßt erklären, daß sie den König nicht direkt gebeten habe, sie zu empfangen. Mit der Prinzessin Louise habe sie nichts zu schaffen.
Brüssel 16. Dez. (Ueber die morganatische Ehe des König Leopolds.) Ungeheures Aufsehen erregt ein Artikel des „Soir" aus dem hervorgeht, daß der König tatsächlich seit längerer Zeit eine kirchliche Ehe mit der Baronin Vaughan eingegangen ist, mit der er bekanntlich zwei Kinder hat. Der Korrespondent des Soir hat den Pfarrer der Gemeinde Laeken, welcher dem Könige die Sterbe- Sakramente gereicht hat, befragt und ihn zu einem indirekten Geständnis veranlaßt. Der Priester weigerte sich auf die direkte Frage nach einer Ehe zu antworten. Als aber der Korrespondent auf den peinlichen Eindruck hinwies, welchen die Anwesenheit der Baronin Vaughan am Krankenlager des Königs verursacht hat, während Mitglieder der königlichen Familie ausgeschlossen waren und als der Korrespondent ferner auf die Rückwirkungen hinwies, welche dieses Gebühren für die Kirche nach sich ziehen könnte, erklärte der Priester mit zitternder Stimme, es gebe nur eine Moral, nämlich die, welche die Kirche lehre. Es ist dieselbe für den König wie für das Volk. Sie können mir daher glauben, daß ich, bevor ich dem König die Sterbe-Sakramente reichte, vollständig beruhigt war. Der Korrespondent unterbrach den Priester mit den Worten: Dann ist der König also kirchlich getraut? Wann und wo erfolgte die Trauung? Der Pfarrer antwortete: Ich habe nichts hinzuzufügen, ich bin Priester und erwiedere Ihnen, um der Unterredung ein Ende zu machen, daß ich mich nur mit einer Frage zu beschäftigen hatte, nämlich ob die Lage des Königs der Kirche gegenüber eine regelrechte war. Hierüber hatte ich meine vollkommenste Beruhigung. Nach diesem indirekten Geständnis begab sich der Korrespondent zu einer Persönlichkeit des Laekener Schlosses, welche in der Lage ist, über diese Angelegenheit auf dem Laufenden zu sein. Dieser Persönlichkeit stellte er die Frage, ob es richtig sei, daß der König eine kirchliche Ehe eingegangen sei und welche Beziehungen er zu dem Prinzen Albert unterhalte. Die Persönlichkeit bezeichnete das Gerücht der Verheiratung als falsch. Der König habe selbst den Prinzen Albert sehen wollen und ihn an sein Krankenlager rufen lassen. Leider habe die ärztliche Pflege die dem Könige zuteil werden mußte, es verhindert, daß er den Prinzen, als dieser eintraf, empfangen konnte. Seitdem untersagten die Aerzte dem König jeden Besuch. Die Sterbe-Sakramente sind dem Könige tatsächlich unter Ausschluß aller Mitglieder der königlichen Familie und nur in Anwesenheit der Baronin Vaughan gegeben worden. Dies erklärte der Gewährsmann mit dem Hinweise darauf, der König habe den Wunsch geäußert, daß die religiöse Feier eine ganz intime sein solle, damit er ungestört seine frommen Gedanken sammeln könne. Auf die Bemerkung des Journalisten, der Pfarrer in Laeken habe in bestimmter Weise das Bestehen der kirchlichen Trauung des Königs mit der Baronin Vaughan zugestanden, erwiderte der Gewährsmann, welcher seine Ueber- raschung nicht verbergen konnte, der Pfarrer habe unter seiner eigenen Verantwortlichkeit gesprochen. Die Persönlichkeit fügte noch hinzu, die Baronin Vaughan sei tatsächlich in den Palast gekommen, aber die Baronin halte sich beiseite.
Brüssel 17. Dez. König Leopold ist heute Nacht 2 Uhr 35 Min. gestorben.
Paris 16.Dez. (Unfall oder Mord.) Auf dem Bahnhofe von Bruney fand man gestern die vollständig verstümmelte Lei Le der Frau des Bankdirektors der Banque de France, Gouin. Die Behörden glauben, daß es sich nicht um einen Unfall sondern um ein Verbrechen handelt. Untersuchung ist eingeleitet.
Paris 16. Dez. Der „New-Dork Herald" meldet: Auf Veranlagung des Elektrikers Blonde! wird auf dem Pariser Eifel türm eine neue Station für drahtlose Telephonie eingerichtet, die einen Sprechverkehr auf große Ent
fernungen gestatten soll. Man hatte mit diesem System schon in New-Dork auf eine Entfernung von 400 km Versuche gemacht, die ein gutes Resultat zeitigten. In einigen Wochen soll mit den Versuchen begonnen werden und zwar zunächst mit Orten an der deutschen Grenze. In den nächsten Tagen werden auch Versuche mit drahtloser Telegraphie zwischen Paris und Madagaskar ausgenommen werden.
New-Dork 16. Dez. (Eisenbahnunglück.) Ein Zug der Southern Railway Company stürzte in Nord-Greensboro (Nord- Carolina) aus einer Höhe von 25 Fuß von einer Brücke in einen Fluß. 12 Personen wurden getötet, 35 verwundet. Unter den Paffagieren des Zuges befand sich der bekannte Eisenbahn-Krösus Gould, sein Sohn und Privatsekretär. Der letztere wurde verletzt, während die beiden Goulds mit dem Schrecken davon kamen. Unter den Getöteten befinden sich auch der Maschinist und der Heizer des Zuges. Der Materialschaden ist groß.
Vermischtes.
Aus Baden 16. Dez. Ein heiteres Grenzgeschichtlein passierte jüngst an der badisch-schweizerischen Grenze. Ein biederer Milcher „vom Berg" holte sich im Schlachthaus in Konstanz eine Kanne voll frisches Blut, um zu Hause Blutwürste zu machen. Beim Grenzposten wurde ihm bedeutet, daß Blut nicht mehr eingeführt werden dürfe. Die gleiche Antwort wurde ihm in E., indessen raunte ihm hier ein Schalk den guten Rat zu, er solle es noch in T. probieren und sagen, er brauche das Blut ins Güllenlocb, zu diesem Zweck sei die Einfuhr gestattet. Mit der unschuldigsten Miene erzählte der Mann auf letzterem Posten, daß er eine Kanne Blut „für ins Lachenloch" mitführe. Da man ihm ein Fäßchen im Schlachthaus nicht geben konnte, habe er einstweilen die Kanne gefüllt. Der Beamte schien die Sache zu begreifen, brachte aus dem Nebenzimmer ein Kännlein, aus dem in Orten mit noch etwas altväterlicher Beleuchtung die Lampen gespeist werden, und schüttete dem verduzten Milcher das duftende Naß ins frische Blut! „Das mache ja nichts, wenn man das Blut ins Lachenloch brauche." Mit welchen Gefühlen der Biedere seine ungemachten Blutwürste in den Straßengraben schüttete, kann man sich denken.
Dvette Guilberts Standrede gegen Amerika. Aus Newyork wird berichtet: Ivette Guilbert ist nach einer glänzend gelungenen Gastspielreise in Amerika wieder nach Europa abgefahren. Ihre Börse ist mit amerikanischen Dollars und ihr Tagebuch mit bitter-kritifchen Bemerkungen gefüllt. Bevor sie aber die Vereinigten Staaten verließ, hat sie ihrem übervollen Herzen Lust gemacht und den aufhorchenden Interviewern mitgeteilt, daß dieses ganze blühende reiche Amerika mit seinen 90 Millionen Einwohnern und seinen wundervollen Hilfsquellen zum größten Teil „Bluff" ist, daß der Dollar und die Reklame alles bedeuten. Die volle Schale ihres Zorns schüttete die berühmte Dkseuse über die Impresarios und über die Unsachlichkeit aller Berichterstattung. „Mary Garden kommt her und man spricht nicht von ihrem Gesang und ihrem Spiel, sondern erzählt des Langen und Breiten von ihren 25 Hüten. Man stellt das Gewicht von Slezak fest, anstatt von seiner Stimme zu reden. Eine Journalistin dringt bei mir in Newyork ein und nennt mich „Süße", obwohl ich sie niemals vorher gesehen habe." Mme. Dvette schlägt dabei indigniert auf den Tisch und fährt fort: „Wenn ich ihr sage, daß ich solche Vertraulichkeiten nicht liebe, dann sagt sie, sie könne mich berühmt machen. Mich! Die ich seit 20 Jahren für meinen Ruhm gearbeitet habe. Ihr Ruhm ist „Bluff" und der ganze Lärm in den Zeitungen — das ist Amerika. In London sind die Varietes und ihr Publikum die besten der Welt. Hier ist alles so ganz anders. Ich sagte einmal zu einem amerikanischen Theatermanager: „Warum erziehen Sie nickt Ihr Publikum durch künstlerische Plakatedurch ästhetisch schöne Szenerien und Inszenierungen?" Er lachte laut auf und sagte: „Es ist nicht mein Geschäft das Publikum zu
erziehen, sondern ihm Geld abzunehmen, und wenn ich genug habe, dann gehe ich fort und lebe in Europa." Alles ist Geschäft in Amerika. Kleine Jungen von 6 Jahren verkaufen in den Straßen Zeitungen und müssen in Bureaus arbeiten. Alles wird nach dem Dollar gemessen. Ich nehme eine Zeitung zur Hand. Da! „Das 40000 Dollar-Feuer in Chicago," die „eine Million-Dollar-Oper in Boston"; man sieht sich einen „2000-Dollar- Schauspieler" an und nennt eine reiche Witwe eine „Fünf Millionen Dollar-Braut." In Amerika kann man's zu nichts bringen, wenn man höflich ist. Wenn man gefällig ist, denkt alle Welt, man wolle ihr Geld. Oh, warum seid ihr so schmutzig? Warum verehrt ihr den Dollar so sehr? Heut, wie ich auf meinen Dampfer komme, lese ich, daß Caruso und andere große Künstler singen werden. Es ist ein Matinee und es ist angezeigt als „Bargain-Matinee." Denken Sie: solch eine Geschäftsankündigung für die Oper!" Als der Interviewer Amerika mit den Tollheiten der Jugend entschuldigen will, widerspricht Dvette heftig: „Jugend! Jugend! Immer die Jugend. Aber sie wird nicht alles erklären. Ein kluger Mann hat von Amerika gesagt, daß die Jugendlichkeit des Landes eine seiner ältesten Traditionen ist. Nein, mein Herr, Sie sind nicht mehr jugendlich. Sie sind alt genug, um es besser zu wissen. ."
(Eingesandt.)
Laut Bekanntmachung des Calwer Gemeinderats sollten am 16. d. M. im „Hof hinter der Kanne" Christbäume an hiesige Einwohner um feste Preise abgegeben werden. Auf uneingeweihte Neulinge machte dies einen vorzüglichen Eindruck. Wer aber am 16. nachmittags 2 Uhr dieser Christbaumabgabe zusehen konnte oder vollends gar an derselben teilnehmen wollte, der bekam ein anderes Bild. Von „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen" keine Spur! Wie auf die Bäumchen eingestürmt wird, wie alt und jung, hoch und nieder um einzelne Exemplare sich streitet, das wollen wir lieber nicht schildern. (Aus Uebermut geschieht es ja nicht, die ungenügende Zahl der Bäumchen ist schuldig daran.) Wer einmal zugesehen oder gar mitgestritten hat, der hat für immer genug an dem widerlichen Schauspül.
In einer Stadt im vielgepriesenen Schwarzwald, die selbst einen großen Wald besitzt, sollte es nun aber im 20. Jahrhundert dock nicht nötig sein, daß zur Erlangung eines Christbaumes «dazu noch um's Geld) solch widerliche Kämpfe ausgefochten werden müssen, die zudem lebensgefährlich sein können, wenn sie bis jetzt auch gut verlaufen sind. Dieser unwürdige Zustand sollte gebessert werden. Vielleicht ginge dies auf folgende Weise : Durch ein frühzeitiges Ausschreiben könnten die Liebhaber von Christbäumen aufgefordert werden, ihren Bedarf zu bestellen. Die Besteller werden dann mit fortlaufender Nummer notiert. Dieselbe Nummer wird ihnen gleichzeitig ausgehändigt. Am Verteilungstag werden dann zuerst etwa die Nummern 1—30, dann 31—60 usw. zugelassen. Dann heißt'« nimmer: wer am meisten drückt, sondern wer zuerst kommt, malt zuerst. Zudem bekäme auch jeder Besteller sicher einen Baum. Die Forstverwaltung wüßte den Bedarf genau und auf friedlichere und würdigere Weise kämen die Calwer Bürger zu ihrem Christbaum. Da auf diese Weise für das städtische Personal eine größere Arbeit entstände, könnte man ja ruhig den Verkaufspreis um 5—10 ^ höher setzen. X.
Gottesdienste.
4. Advent, 19. Dez Vorn Tmm 95. Predigtlied 90. 9^2 Uhr - Vo mitt.-Predigt, Ctadtpsarrer Schwid- 1 Uhr: Christenlehre mit den Töchtern im Vereinshavs. 4'/- Uhr: Weihnachtsfeier der freiwilligen Sonnlagssäule in ter Kirche.
A h»massei«r1«e. 2t. Dez. 9'/, Ubr: Predigt im VereinS- taus. Stadtpiarler Schmid
DM
Tie hungernden Vögel bitten um Futter!