Calwer Wmlienblatt.
Samstag Beilage z« Nr. SVS. 2V. November 1909.
Im Klssterhof,
Roman von B. v. Lancken.
(FortsetzMlg.)
„Anna", sagt Callein nach einer kurzen Pause, „muß den diese Verlobung unbedingt aufrecht erhalten werden?"
Sie sah ihn mit großen, erstaunten, fast erschrockenen Augen an.
„Hast Du denn die feste Ueberzeugung", fuhr er fort, „daß sie zu einer glücklichen Ehe, zu einem, beide Teile wenigstens befriedigenden Dasein führen wird?"
„Armand ist verloren, Mark, wenn Inge ihn aufgibt," rief sie lebhaft mit dem ganzen Egoismus der Familienzusammengehörigkeit.
„Armand ist verloren, so, so — deshalb, und an Inge denkst Du nicht — Du hast mir gesagt, daß sie jetzt schon leidet. Wie wird sie als Gattin leiden! Und glaubst Du wirklich, daß Inge die Frau ist, um einen Charakter wie Armand dauernd zu fesseln?"
Anni sah verzweifelt vor sich nieder. „Gleichviel, ich sehe keinen Ausweg, Mark," rief sie endlich.
Aber ich. Laß die Verlobung sich lösen, die zwei werden nimmer zu einander passen. Laß jeden sich ein anderes Glück suchen! Inge wird es finden, und Armand auch, und wenn's noch einige Jahre dauert und sein leichter Sinn und flatterhaftes Herz sich ausgegoren haben wird wie junger Most, dann ist's immerhin noch Zeit genug, dann ist vielleicht für ihn erst die rechte Zeit gekommen, ein Weib dauernd an sich zu fesseln. Warum muß es denn Inge sein just, Inge? Warum wollt ihr sie opfern für eine „Illusion," daß sie allein die ist, die für Armand paßt. Ich sage Dir, Anna, sie paßt nicht zu ihm, gar nicht, und diese Ehe würde ein Unglück werden."
Er ist blaß, wie er es stets ist bei innerer Erregung und seine Stimme zittert, die kühle, souveräne Selbstbeherrschung hat ihn verlassen, jeder Nerv in ihm bebt. Heftig durchquert er den Raum hin und her. Die klugen, beobachtenden Blicke des jungen Mädchens verlassen ihn keinen Moment, ein bitterer, schmerzlicher Zug legt sich um ihren Mund, sie kämpft mit aufsteigenden Tränen, aber sie zwingt sie tapfer zurück. Langsam steht sie auf, ihre Haltung hat etwas sehr Müdes, Gebeugtes.
„Ich weiß, daß es vergeblich ist, Dich zu etwas zu bestimmen, was gegen Deine Ueberzeugung geht," sagte sie leise. „Du wirst also nicht Deinen Einfluß auf Armand geltend machen, und das Schicksal wird seinen Gang gehen. Er wird Inge verlassen um eine Evelin Horst zu heiraten."
Ist es der Ton ihrer Stimme, ist es der tiefe Leidenszug in ihrem Antlitz, ist es eine Regung dessen, was man „Gewissen" nennt — Markus Callein hält plötzlich in seinem Hin und Herschreiten inne und bleibt vor Anna stehen, ihre Blicke begegnen sich.
„Anna, ich werde dieses Mal wahrhaftig das erste Mal in meinem Leben gegen meine Ueberzeugung, mit Armand sprechen. Dir zu liebe, Anna, und im Andenken an Tante Marianne, aber auch nur einmal. Nützt diese Aussprache nichts, dann, dann mag das Schicksal seinen Gang gehen. — Wer es meistern, wen es vernichten wird, liegt im dunklen Schloß der Zukunft.
Er reichte ihr die Hand, ein lebhaftes Rot färbt ihre Wangen, ihre Augen leuchten auf in einem tiefen, zärtlichen, bewundernden Blick, fest drückt sie seine Rechte.
„Markus, ich danke Dir."
Nie war er ihr größer, bedeutender, bewunderungswürdiger erschienen als in dieser Stunde, da er sein eigenes Herz bezwungen.
„Ich werde Armand in den nächsten Tagen zum Frühstück einladen, denn wenn ich richtig kombiniere, wird er zu Tisch kaum zu haben sein. Wann fährt er gewöhnlich zu Horst?"
Meist gegen acht Uhr zum Tee.
„Hm, — ich dachte es mir." Er überlegte einen Moment. „Also — sagen wir übermorgen. Weiß jemand von Deinem Besuch bei mir?"
„Nein, den Reitknecht schickte ich mit einer Bestellung zu Pastors und ritt quer über die Felder hierher."
„Umso bester, und ich würde Dir raten, von hier direkt einen Besuch bei Tante Lie zu machen — es wird ja niemand einfallen, Deine Zeit so genau zu kontrollieren, nicht wahr?"
„Nein, niemand. Ach, Mark", rief sie anklagend, warum mußte diese Frau in unseren Kreis treten und so viel Unglück und Verwirrung über uns bringen!"
Er zuckte die Achseln und dachte: Warum ist dieser Armand ein so erbärmlicher, haltloser Schwächling! „Willst Du nicht eine kleine Erfrischung nehmen, Kind?" fragte er dann besorgt. Ohne ihre Antwort abzuwarten, schellte er und befahl dem Diener, Wein und einen kleinen Imbiß zu bringen — sie mochte nichts essen, trank nur ein Glas feurigen Marsala und ließ sich dann von ihm hinunterführen.
„Ich werde Dich zu Tante Lie begleiten", sagte er, sie in den Sattel hebend, laut genug, daß es die Dienerschaft hörte, und so ritten sie zusammen vom Hofe. Sobald sie außer Sicht waren, sagten sie
einander Lebewohl, und während Anna von Ferni den Landweg nach Pareicken einschlug, sprengte der Graf feldein. —
Ein feiner Sprühregen flog stäubchenartig durch die Lust, der Himmel war grau verhangen von schweren Wolken. Der Graf, die eine Hand mit der Gerte in die Seite gestützt, in der anderen die Zügel, die Stirn gefurcht, den Blick finster, ritt ziemlich planlos über die Aecker, als er aufsehend Armands Wolfshunde gewahrte, die in Windeseile daherjagten; im Hintergrund tauchte dieser selbst auf seinem Pferde auf. Ein eigentümliches Lächeln irrte um Calleins Lippen; noch ein kurzes Nachdenken, dann hatte er seinen Entschluß gefaßt und sprengte dem anderen entgegen. Sie begrüßten sich und ritten eine Weile in alltäglichen Gesprächen nebeneinander her.
„Verteufelt schlechtes Wetter heute," bemerkte der Graf, „wir sollten umkehren, nach Neudeck reiten, am Kamin eine Flasche Johannisberger trinken, und Berber, den Koch, fragen lassen, ob er uns schnell etwas Gutes heraufschicken kann. Wärest Du mir heute nicht in die Hände gelaufen, so hätte ich Dich in diesen Tagen einmal zu mir herüber zittert. Ich möchte etwas mit Dir besprechen."
„Mit mir?" fragte Armand lachend. „Und so etwas Wichtiges, daß Du mich eigens dazu einladen wolltest?"
„Ja, — so etwas Wichtiges."
Ein Schatten glitt über Fernis Züge. „Gut, ich bin bereit," sagte er dann leichthin. Sie wandten ihre Pferde und ritten nach Neudeck zurück. „Aber lange kannst Du mich nicht haben, ich habe eine Verabredung."
„Ah so — Deine Braut."
„Nein, die Baronin erwartet mich, ich soll den Ausschlag geben über den Ankauf zweier Ponys, Sebastian kommt heute mit den Tieren nach Solitüde." Sebastian war der Pferdehändler.
„Da Du die Baronin nennst, kann ich ja gleich ohne Umschweife auf mein Ziel losgehen," bemerkte Callein. „Du scheinst mir jetzt ein recht häufiger Gast in Solitüde zu sein."
„Wie meinst Du das?"
„So wie ich es sage. Man spricht über Deinen Verkehr dort, der mir etwas über die Grenzen des Alltäglichen hinauszugehen scheint, besonders für einen Bräutigam. Ich habe Dir schon einmal in Berlin Andeutungen über Evelin Horst gemacht, hast Du sie vergessen, oder willst Du nicht daran denken?"
„Weder das eine, noch das andere — ich halte sie für übertrieben. Evelin ist schön, Witwe, sie steht ohne männlichen Schutz in der Welt, das genügt, um sie anzugreifen."
„Vergiß nicht, mit wem Du sprichst, Armand," erwiderte Callein ernst. „Hältst Du mich für einen Menschen, der eine Frau angreist, weil sie schutzlos ist?"
„Nein, das gerade nicht, aber-Du hast eben ein Vorurteil."
„Ich habe ein Urteil, hörst Du, Armand, ein Urteil, und daran lasse ich nicht rühren, und von diesem Urteil geleitet, warne ich Dich noch einmal! Hüte Dich vor Evelin Horst!"
„Dein Urteil in Ehren, Mark, aber ich bin kein Kind und habe mein eigenes," entgegnete der andere empfindlich. Markus Callein nagte an der Unterlippe, man merkte ihm die innere Verstimmung sehr an.
„Seit wann kennst Du die Horst?" fragte Callein seinen Vetter Armand nach einer kleinen Pause.
„Seit ungefähr anderthalb Jahren."
„Hm, ich kenne sie seit zwölf Jahren — ich kannte sie schon, als sie noch gar nicht daran denken konnte, einmal Alhard HorstS Frau zu werden, ich kannte sie, als sie jung und arm, hübsch, kokett und berechnend war. Ein armer Gelehrter wurde durch sie zugrunde gerichtet, sie verlobte sich mit ihm und heiratete dann einen reichen, alten Wüstling. Der Gelehrte wurde ein Trinker und ein Verkommener, und der Wüstling hat ihr den Gefallen getan, bald zu sterben. Er setzte sie zu seiner Universalerbin ein, und mit diesem Erbteil, das er seiner Familie entzogen, hat sie schlecht genug gewirtschaftet."
Nach einer kurzen Pause fuhr Callein fort:
„Mit der Schwester ihrer Mutter, der dicken Tante Carolin, die damals noch nicht ganz so dick, aber schon reichlich geldgierig mar, ging sie auf Reisen. Beide waren viel in Cannes und Monte Carlo und verspielten und gewannen abwechselnd. In Cannes lernte sie Horst kennen, und da er keinen so guten Berater zur Seite hatte wie Du, heiratete er sie und ließ sich zwei Jahre darauf im Duell für sie erschießen. Alhard Horst war ein lieber, prächtiger Kerl, und sein Leben viel zu schade, um in die Schanze geschlagen zu werden, aber ein rechter Edelmann stellt seine Ehre höher als alles andere. Du hast mich in die unangenehme Lage gebracht, Dir über die Vergangenheit einer Frau unerfreuliche Aufschlüsse zu geben, ich habe lange geschwankt, ob ich es tun soll, es scheint mir aber kein anderes Mittel zu existieren, Dich von Deiner gefährlichen „Sympathie" für diese verführerische, kaltherzige Verschwenderin zurückzubringen. Denn bei Evelin Horst kommen nicht einmal Temperament oder Leidenschaft als Entschuldigung für ihre Handlungsweise in Betracht. Sie kennt nur kalte Berechnung — nichts anderes — nichts." (Forts, folgt.)