Sarnstsg
Beilage z« Ne. 26 «
13. November 1969
Im Klosterchos.
Roman von B. v. Lancken.
(Fortsetzung.)
Die Herren sagten Evelin ihr Kommen zum Diner zu, nur Herr v. Wrede wollte es erst mit seiner Frau besprechen. Evelin hatte im Schatten des Baumes gesessen, sie hatte den Hut abgenommen, der Wind spielte mit ihrem goldigen Haar, ihre Lippen lächelten reizend, und die beiden, Sarnfeld und Wrede, waren wie toll, und Armand neidete ihnen jeden Blick und jedes Lächeln. Und wie sie zu plaudern verstand, mit jener feinen Pikanterie, die nichts deutlich ausspricht und doch alles so leicht erraten läßt.-
Anfangs hatte Armand geschwankt, ob er sich für heute Abend binden sollte, aber als die anderen zusagten, als er Evelin in den Wagen hob und den festen Druck ihrer kleinen Hand fühlte, da war jedes Schwanken bei ihr überwunden und „auf Wiedersehen" hatte er gesagt, ohne daß sie noch einmal nach seiner Zusage gefragt.
Und nun lag er da und dachte darüber nach, und er sagte sich, daß er auf einen abschüssigen Weg geraten. Aber — die Gefahr war so berauschend, so lockend, — — und wenn er erst verheiratet sein würde dann würde das alles ja doch vorbei sein, natürlich.
Er mischte sich ein Getränk; sehr viel Hennessy und sehr wenig Wasser, und bald sank ihm das Haupt schwer hintenüber in die Kissen, und ein tiefer, traumloser Schlummer umfing seine Sinne. —
„Sie kommen alle, Tante Carolin", sagte Evelin auf der Heimfahrt, und Löckchen, Doppelkinn und Lippe der Alten nickten Beifall.
„Und die Damen auch?"
Evelin zuckte die Achseln.
„tzui 88.it? Und was tut es? Man macht ein kleines Baccarat. Wer könnte dagegen etwas einwenden? Wir haben ja bei Wredes immer etwas hasardiert."
„Ach, liebes Kind wir müssen hier sehr vorsichtig sein," klagte die alte Dame, „und ich fürchte, Deine Pläne werden Dir trotz aller Mühe nicht gelingen. Diese junge Braut, deren Glück Du vernichten willst, ist sehr reizend und sehr gut."
Evelin lachte leise auf. — „Gut? Als ob ein Mann wie Armand Ferni, wenn er einmal in eine tolle Leidenschaft verfallen ist, noch danach fragt, ob die, die einem Ausleben dieser Leidenschaft entgegensteht, gut ist. Er wird die Verlobung lösen, oder ich habe überhaupt keine Menschenkenntnis mehr."
Die Fenster von Solitüde strahlten in dem heraufdämmernden Sommerabend, und Evelin Horst erwartete ihre Gäste. In weiche, opalfarbenschimmernde Seide gekleidet, saß sie in ihrem Boudoir, diesem entzückenden Schmollwinkel für ein entzückendes Weib. Auf graue Seide eingestickte Streubuketts von blaßrosa Rosen und zartlila Veilchen bekleideten Wände und Sessel und die weichen, schwellenden Divans; auf vergoldeten Etageren Viaux 8axa, Blumen in den tiefen Fensternischen, Blumen auf dem Kaminsims. An vergoldeten Ketten schwebte, in reizendem Farbenspiel schillernd, der venezianische Kronleuchter, dessen Kerzenlicht durch rosa Seidenschirmchen gedämpft, eine wundersam-märchenhafte Beleuchtung schuf. — Es lag etwas schwüles über dem ganzen Raum, etwas, was die Sinne gefangen nahm und auf die Nerven überging. Die übrigen Räume zeigten neben raffiniertem Luxus eine heitere Eleganz; indische Teppiche, japanische Spielereien, Lichtfülle und Blumen, Blumen überall.
Einer der zuerst Ankommenden war Ferni. Die Leichtigkeit und Eleganz seiner Bewegungen hatten ja durch seine Lahmheit eine gewisse' Einbuße erlitten, trotzdem war er immer noch eine vornehme Erscheinung, und als er in dem schwarzen Gesellschaftsanzuge, ein weißes, zierliches Chrrffanthem im Knopfloch, den Salon betrat, in dem Evelin ihm entgegenkam, war sie überrascht; in diesem Moment machte sie sich das Eingeständnis, daß ihn nicht nur seine Herrschaft und seine Millionen begehrenswert machten, sondern daß er ihr wirklich gut gefalle, ja sie spürte sogar etwas wie eine Herzensneigung für ihn, und aus diesem Empfinden heraus begrüßte sie ihn wärmer, als es je zuvor geschehen.
„Meine Schwester und Cousine lassen sich entschuldigen, Baronin", sagte er, ihre Hand küssend und sie etwas länger in der seinen haltend, als geboten, „sie hatten sich inzwischen beim Spazierritt eine Verabredung für Pareicken getroffen und konnten Tante Volgers nicht gut im Stich lassen."
„Schade, schade, jedenfalls hätte man dort auch auf Sie gerechnet, ich erkenne es doppelt an, daß Sie gekommen sind!"
„Mich würde nichts zurückgehalten haben, Baronin."
„Ihre schöne Braut, scheint's, hat Ihnen nur die leichtesten Rosenketten aufgelegt", erwiderte sie lächelnd, ohne den Schatten zu beachten, der bei ihren Worten über seine Züge gleitet. Sie setzt sich und Armand nimmt neben ihr Platz.
Ihre Toilette ist gesucht einfach und doch von raffiniertem Pariser Schick, das milde Kerzenlicht umschmeichelt ihre Gestalt, Armands Blicke folgen jeder dieser weichen, vornehmen Bewegungen, sie heften sich auf
das Spitzengeriesel, dgs die weißen Schultern, die zarte Büste durchschimmern läßt, sie gleiten über den opalfarbenen, weichen Faltenwurf des Kleides, an dessen Saum aus einem Gewirr von Chiffon und Spitzen der schmale Fuß in goldigem hochhakigen Pompadurschuh sichtbar wird. —
Armand Ferni hat zu lange in Paris gelebt und gehört zu den Männern, bei denen immer der Luxus und die Eleganz, die eine Frau umgeben, eine gewisse Anregung auf die Sinne ausüben — der kaum wahrnehmbare Hauch von Parfüm, der Evelin stets umschwebt und zu ihm hinüberweht, raubt ihm fast den letzten Rest seiner Willenskraft, er sah nur noch das schöne Weib, er hörte nur noch ihre weiche, einschmeichelnde Stimme, alles andere war vergessen. — Unwillkürlich rückte er ihr etwas näher, griff nach der kleinen, juwelengeschmückten Hand, die lässig über
die Lehne ihres Sessels herabhing, und küßte sie.-Evelin duldete
es, lächelte — sah ihn an — es schwebte etwas Heimliches zwischen ihnen, das den Mann zu dem schönen Weibe zwang. Ein leises Räuspern im Nebenzimmer gab beiden sofort ihre Haltung wieder; Baronin Carolin trat über die Schwelle, in schwarze, starre Seide gekleidet, die runden, dunklen Augen glänzend in Freundlichkeit; kaum hatte man sich begrüßt, da kamen auch die anderen Gäste. Graf Sarnfeld und Herr Wrede, letzterer mit seiner Gattin, einer lebenslustigen Frau, deren Hauptdaseinszweck darin bestand, sich zu amüsieren.-
Man ging in bester Stimmung zu Tisch. Nach dem Diner, das in seiner Zusammenstellung tadellos war, wurden Kaffee, Zigaretten und Kognak im Salon gereicht. Irgendwie, durch irgend wen angeregt, kam das Gespräch auf Monte Carlo, Monaco. Armand erzählte vom „Pferdchenspiel", dann fiel das Wort „Baccarat". Man scherzte darüber, und schließlich befanden sich alle beim Spiel, die kleine Frau v. Wrede glühend vor Vergnügen.
Anfangs waren die Einsätze gering, im Eifer des Spiels steigerten sie sich unmerklich, anfangs scherzte man noch miteinander, schließlich hatte jeder mit sich zu tun. Baronin Carolin bekam rote Wangen, und in die kleinen, dunklen Augen trat ein raubvogelähnlicher Aufdruck. Wrede wurde unruhig, Sarnfeld und Evelin bewahrten die überlegene Ruhe erfahrener Spieler; die weißen Hände der jungen Frau strichen ebenso ruhig die blauen Scheine und funkelnden Goldstücke zusammen, wie sie hohe Summen setzten; Armand befand sich in einer hochgradigen Erregung, ein Lächeln, ein Scherz, ein Blick Evelins trieben ihn, die wahnsinnigsten Einsätze zu machen, die er meist verlor.
Was tat's? Er amüsierte sich; es war wenigstens nicht die monotone Einförmigkeit der letzten Wochen, es war ein lebender Strom aus einer Welt, die Armand nun einmal liebte, deren Atmosphäre für ihn eine Lebensbedingung bedeutete. Die Fenster waren geöffnet; schwüle, feuchtwarme Luft kam vom See herauf und mischte sich mit dem Hauch der überreichen Blüten im Zimmer. Man hörte das leise Rascheln der Bäume, über deren Wipfel der Nachtwind strich, dazu das eigenartige Klingen des rollenden Goldes, das gedämpfte Lachen von roten Frauenlippen, das Leuchten strahlendblauer Augen, Champagner, in schlanken Kristallkelchen perlend, attreizend, das alles schien ihm zuzuflüstern „genieße, genieße, solange das Leben noch Dein". Ja, genießen, das wollte er, nur im Genuß lag die Daseinsfreude, Daseinswert. --
Als um 1 Uhr die Wagen gemeldet wurden, und man vom Spieltisch aufstand, kam ihm das Bewußtsein, daß er große Verluste gehabt; Sarnfeld und Evelin hatten mehrere bedeutungsvolle Schecks in Händen, Frau v. Wrede hatte tausend Mark gewonnen und fand das Spiel „entzückend", und in heiterster Stimmung trennte sich der kleine Kreis. Als Armand auf dem Klosterhof ankam, lag alles in tiefstem Schlaf. Nur das Vestibül war noch hell, und sein Diener taumelte schlaftrunken aus dem Souterrain herauf.
„Wann sind die Damen gekommen?" fragte Armand während des Auskleidens.
„Um elf."
Er sah nach der Uhr — zehn Minuten nach zwei. Ein leichtes, körperliches Unbehagen machte sich bemerkbar, als er sein Lager aufsuchte, Abspannung, Uebermüdung; er befahl dem Diener, die Fenster zu schließen und drehte sich nach der Wand, er schloß die Augen, wollte schlafen, aber immer wieder tauchte vor ihm die Frau in dem opalfarbenschillernden Seidenkleid auf. Wenn er sie früher wiedergesehen hätte? Sie war sehr schön.
Es ist elf Uhr vormittags. In der Nacht ist ein Gewitterregen niedergegangen, überall an Blumen und Grashalmen hängen noch Wasserperlen, die Luft ist frisch und rein.
Inge hat eben Gräfin Volgers die Zeitung vorgelesen und geht, das Schlüsselkörbchen am Arm, den langen, mit weißen und schwarzen Steinen belegten Gang entlang, der nach den Wirtschaftsräumen führt, als Armand vor das Haus reitet. Sie hört nichts davon, aber Gräfin Lie hat ihn kommen sehen und empfängt ihn in ihrem kleinen, nach dem Garten hinausgehenden Zimmer.
(Fortsetzung folgt.)