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Pforzheim 2. Sept. Der jetzt zwanzig Wochen dauernde hiesige Maurer streik gibt den Gerichten und der Polizei immer noch zu schaffen. Das Schöffengericht urteilte gestern z. B. den Tumult vom 15. Juli vor dem Fahrer'schen Neubau ab, bei dem der Bauzaun niedergerissen und ein Schutzmann geschlagen wurde, als er einen die Arbeitenden belästigenden Streikposten festnehmen wollte. Der Hauptschuldige, der 28 Jahre alte Maurer Jakob Stein erhielt 5 Wochen Gefängnis, der Zimmermann Bernhard Held 3 Tage, der Maurer Malek, der irrtümlich statt seines Bruders angeklagt war, wurde freigesprochen, zwei weitere Schuldige sind flüchtig geworden. Vorgestern gab es wieder einen Tumult auf dem Bahnhosplatz, als Streiker ankommende Arbeits­willige aus einem Automobil Herausreißen wollten. 11 Personen wurden verhaftet.

Pforzheim 2 . Sept. In der nahen Ortschaft Büchenbronn brannte heute nacht das Wohnhaus und die Scheuer der Witwe Christine Heinz ab. Die alte Frau wurde durch das Feuer so überrascht, daß sie beim Läuten der Feuerglocke noch zum Fenster heraus­sah und die Leute fragte, wo es brenne. Die Ursache ist unbekannt.

Mannheim 1 . Sept. Ein neues Lenkballon-Sy st em. Ein Mannheimer Architekt Emil Schmitt, in Firma Emil Schmitt und Sohn, ist nun ebenfalls mit einem neuen Luftschifftyp hervorgetreten, mit dessen Konstruktion er seit dem Jahre 1907 beschäftigt ist. Das System weicht völlig ab von den seither ge­schaffenen lenkbaren Luftschiffen. Die Konstruktion sieht drei nebeneinander gelagerte Schiffe vor, ein Hauptschiff und zwei Seitenschiffe, was der Stabilität des Luftschiffes ganz besonders zugute kommt. Einige Anordnungen an dem Ballon- körper ähneln jenen von III" und, wie angenommen wird, ist auch der Austrieb ein sehr starker. Das Volumen übersteigt den III" um zirka 8000 Kubikmeter. Hervorragende Kapazitäten auf dem Gebiete des Luftschiffbaues haben die Konstruktion des Luftschiffs äußerst günstig beurteilt und stehen auf dem Standpunkte, daß es mit den seitherigen Systemen in einen erfolgreichen Wettbewerb zu treten vermag. Herr Schmitt wird den Bau des Luftschiffes nicht selbst ausführen, sondern einer leistungs­fähigen Firma käuflich übertragen.

Wien 2 . Sept. Tie Polizei kam einem schweren Verbrechen auf die Spur. Ein auf Entwendungen ertappter 15jähriger Tischler­lehrling, der aus seiner Heimat nach Wien ge­

flohen war, gab als wahren Grund seiner Flucht an, seine Meisterin habe ihm keine Ruhe gelassen und verlangt, daß er den Meister um den Lohn von 200 Kronen ermorde, damit die Frau ihren Liebhaber heiraten könne. Nachfragen in dem Heimatsort Kralup haben die Richtigkeit der An­gaben bestätigt. Die Frau soll verhaftet w.orden sein.

Wien. Die WienerN. Fr. Presse" teilt aus der Umgebung des Grafen Zeppelin mit, daß in der Unterhaltung des Kaisers Franz Josef mit dem Grafen Zeppelin der Plan erörtert wurde, daß der Graf mit einem seiner Luftschiffe im Frühjähr nächsten Jahres nach Wien kommen solle. Der Kaiser gab wiederholt seinem herzlichen Bedauern Aus­druck, daß die Vorführung des Luftschiffes am Bodensee unterbleiben mußte und hat den Vor­schlag, nach Wien zu kommen, mit Worten des Dankes angenommen. Es verlautet, daß der Gedanke einer Wiener Reise des Zeppelinschen Luftschiffes der Initiative Kaiser Wilhelms ent­springt. Graf Zeppelin hatte vor der Boden­seefahrt des Kaisers Franz Josef an dessen Generaladjutanten Grafen Paar eine Depesche gerichtet mit der Bitte, dem Kaiser sein tiefstes Bedauern darüber auszudrücken, daß es ihm unmöglich sei, dem Kaiser sein Luftschiff vor­zuführen. Der Kaiser hat sich im Gespräch mit dem Grafen Zeppelin eingehend nach den Ur­sachen des Unfalls von Wittenberg erkundigt. Graf Zeppelin erklärte dem Kaiser, daß nur die übereilte Indienststellung des Luftschiffs, das noch nicht genügend ausprobiert war, den Unfall verursachte. Der Kaiser sagte beim Abschied, er hoffe bestimmt, daß er noch einmal Gelegenheit haben werde, das Luftschiff im Be­trieb zu sehen.

Versailles 2 . Sept. Während einer Inspektion, die der General-Inspekteur der Armee gestern in St. Cyre abhielt, entdeckte er das Verschwinden einer elektrischen Ex­plosions-Kapsel, die dazu dient, die Minen zur Explosion zu bringen und die in den Bureaus von St. Cyre deponiert war. Man bringt dieses Verschwinden der Kapsel in Zusammenhang mit dem Verschwinden eines Soldaten Charlier, der seit einigen Tagen vermißt wird. Das Blatt Petit Parisien" erklärt, die Sicherheitsbehörden seien überzeugt, daß die letzten aufgedeckten Spionage-Affären in Nancy, Bourges, Chalon, Reims, Sedan und Versailles in innerem Zu­sammenhang mit einander stehen und setzt diese Spionagen auf das Konto eines Deutschen namens Schwarz, der vor einiger Zeit auch

verhaftet worden wäre, wenn er es nicht bei der Festnahme des Verräters Tassin für gut befunden hätte, sich über die Grenze zu machen.

Die wegen Mordes angeklagte Frau Steinheil in Paris, die rote Jüdin wie sie genannt worden ist, scheint seltsame An­sichten und Pläne zu haben. DasB. T." läßt sich darüber aus Paris melden:Zuweilen empfängt sie in ihrer Zelle zur Teestunde den Besuch von Nonnen und Wärterinnen und macht dann ganz als vornehme Dame die Honneurs. Nach dem Ende ihres Prozesses, von dem sie einen Freispruch erwartet, will sie ins Ausland gehen, um in ein protestantisches Stift (!) ein­zutreten. Auch ihre Tochter Marthe will auf das Heiraten verzickten und Krankenpflegerin werden." Eine so schwer beschuldigte Frau wird kein protestantisches Stift aufnehmen, auch wenn sie vom Schwurgericht freigesprochen würde, was aber im Hinblick auf die Mordbeweise sehr unwahrscheinlich ist.

2 in MÜckgekehrt.

Von der gestrigen Heimfahrt des Luft­schiffes trafen noch Nachrichten über sein Ein­treffen ein von Hof, wo es vormittags 10 Uhr 20 Min. gesichtet wurde; um 12 Uhr 30 Min. passierte es Bayreuth.

Nürnberg 2 . Sept. Von Wittenberg aus schlug 2 III sofort die direkte Linie Nürnberg ein. Schon gegen 2 /4 Uhr wurde er vom Hohen­stein bei Pegnitz aus gesichtet, kurze Zeit darauf über Pottenstein. Es scheint also, daß das Luft­schiff ein vom Grafen Zeppelin gegebenes Ver­sprechen, mit dem Ballon Streitberg zu besuchen, fallen lassen wird. Da aber versprochen worden war, daß im Falle einer Landung ein Telegramm aus dem Luftschiff unterwegs herausgeworfen werden sollte und dies bis ^3 Uhr nicht ge- geschehen ist, gewinnt die Annahme an Wahr­scheinlichkeit, daß das Luftschiff heute auch Nürnberg überfliegen wird. Um allen Eventualitäten vorzubeugen, sind zu den 100 Mann Feuerwehrleuten, die seit heute früh am Nürnberger Landungsplatz anwesend sind, noch 50 städtische Bauarbeiter hinzugezogen worden, die gegen 2 Uhr nachmittags um den Platz einen Kordon zogen. Das Publikum zeigt heute weniger Interesse als bei der ersten Landung am 27. August, strömt aber immerhin seit den Mittags­stunden, nachdem bekannt geworden war, daß das Luftschiff zwischen 3 und 4 Uhr in Nürn­berg eintreffen werde, in dichten Scharen zur

27 Abt Wilhelm in Hirsau 1069 1091 .

14. Gründung und Reformierung von Klöstern.

(Fortsetzung.)

Auch außerhalb Schwabens wurde ein Kranz von zahlreichen Klöstern von. Wilhelms Geist beherrscht. In Franken war es die Stiftung der königstreuen Grafen von Rotenburg an der Tauber, Komburg. Daß Wilhelm hier eingriff und die Grundsätze Hirsaus hinsichtlich freier Abts- und Vogtswahl zur Geltung zu bringen wußte, auch die Freundschaft und Gönnerschaft Wignands, eines reichen Dienst­manns des Mainzer Erzbischofs und freigebigen Wohltäters gegen Kom­burg und Hirsau, gewann, ist ein Beweis, wie sehr ihm das religiöse Interesse im Vordergrund stand, dem er hier die politische Stellung unterordnete.

Ein kleineres fränkisches Kloster war Schönrain am Main, das Graf Ludwig der Springer von Thüringen und sein Bruder Beringer dem Abt Wilhelm unter der Bedingung, daß er hier ein Kloster gründe, schenkten. Wilhelm hat auch hier persönlich die Einrichtung des klöster­lichen Lebens besorgt. Schönrain blieb in der Folge wie Reichenbach an der Murg als ein Priorat von Hirsau abhängig.

In Bayern hatte im Jahr 1077 Gräfin Hagaza von Scheiern eine Zelle in Helingersweng in hoher Gebirgsgegend gegründet und mit allen Gütern an Abt Wilhelm übergeben, der im Jahr 1080 12 Mönche und 12 Bärtlinge sandte; aber wegen der Schwierigkeit des Verkehrs und der rauhen Lage kam es im Jahr 1087 zu einer Verlegung nach Fischbachau, woin Wil­helms Gegenwart die Weihe des Klosters durch den Bischof von Freising vor­genommen wurde. Auch das Kloster Kremsmünster, in das wegen darniederliegender Zucht Bischof Altmann von Passau einen Abt von Gorze berufen hatte, kam durch diesen mit Hirsau in Verbindung.

Bis nach Kärnten dehnte Abt Wilhelm seine Wirksamkeit aus. Graf Engelhard von Spanheim gründete auf der Burg im Lavanttals, die sein mütterliches Erbe war, ein Kloster, das dem heiligen Paul geweiht wurde. Der fromme Graf sandte seinen gleichnamigen Sohn nach Hirsau, von wo Wilhelm im Jahr 1083 Mönche mit einem Abt Wezilo sandte.

Auch in Thüringen war Wilhelm bei Klostergründungen beteiligt. Zwar von Hasungen, wohin auf Veranlassung des Erzbischofs Siegfried von Mainz im Jahre 1081 Hirsauer Mönche kamen, mußten diese unter Siegfrieds Nachfolger drei Jahre später wieder weichen; aber der ver­triebene Abt Gisilbert kehrte zurück und übernahm die Leitung zweier Klöster in Erfurt und Reinhardsbrunn. Nachdem jedoch die sächsischen Bischöfe sich im Jahr 1090 mit dem Kaiser ausgesöhnt hatten, konnte sich Gisilbert nicht mehr halten und übernahm dann, von Erz­bischof Tiemo von Salzburg veranlaßt, die Leitung des Klosters Admont.

Die genannten Klöster sind nicht die einzigen, auf die sich der Einfluß Abt Wilhelms erstreckte; doch kann diese kurze Uebersicht einen Begriff geben von der außerordentlichen Arbeitskraft des Mannes, der einen großen Teil des Jahrs auf Reisen zubrachte, und von der Bedeutung, die seiner Beteiligung an jenem großen Kulturkampf zu­zuschreiben ist.

Es hat den Anschein, daß es Wilhelms Absicht gewesen ist, Hirsau im deutschen Reiche zu einem ähnlichen Mittelpunkte einer Kloster - kongregation zu machen, wie es Cluny im Laufe von fast zwei Jahr­hunderten geworden war. Das moralische Gewicht seiner Persönlichkeit war in der Tat dem der großen Aebte jenes berühmten Klosters eben­bürtig. Es konnte nicht gelingen, schon weil das Jahrzehnt, innerhalb dessen er seine angestrengte Tätigkeit nach außen entfaltete, ein zu kurzer Zeitraum gewesen ist, um einen so großartigen Plan zu verwirklichen. Es lagen aber auch im Unterschied von Frankreich zwei Hindernisse vor, die sich nicht überwinden ließen. Das eine ist in der Verschiedenheit des Volkscharakters begründet. Der deutsch-nationale Partikularismus sträubt sich dagegen, sich in ein solches System eingliedern zu lassen, während der Franzose das Bedürfnis hat, von großen Männern beherrscht zu werden. Sodann aber haben die deutschen Bischöfe, die zudem in ihrer über­wiegenden Mehrheit der ganzen Hirsauer Richtung abgeneigt waren, auch soweit sie von der Partei waren, keine Freude gehabt an dem Selbst­ständigkeitstrieb der Hirsauer Klöster, an der durch die Päpste erwirkten Befreiung von der bischöflichen Oberaufsicht. Wie wenig sie insbesondere gesonnen waren, einem Manne wie Abt Wilhelm ein ihre Autorität gefährdendes Versügungsrecht über die an Hirsau sich anschließenden