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Als drum vor 42 Jahren Die weisen Ratsherrn hier versammelt waren Und statt des kranken Schultheiß Gengenbach Eine neue Kraft wollt' Unterreichenbach;
Da gabs nicht lange aufzuzählen Und aus der Liste ausznmählen Als von Kapfenhardt mit schlichtem Sinn Der neue Mann trat vor die Wähler hin.
Und alsbald aus jedem Mund erscholl
Der Ruf: „Wir wählen den Schreiner Scholl",
Doch weil zu jung war der Kandidat
Hat die Regierung ihm versagt das Mandat,
Denn so gierig der Ruf vorn Oberamt aus Und die Wähler zogen betrübt nach Haus.
Doch nun genau vor 40 Jahren Als weitere zwei Sommer verstrichen waren;
Bon Calw her kam Oberamtmann Thym Nach Reichenbach und eröffnete ihm.
Daß das Maß der Jahre nun voll Und bestätigt sei Schreiner Jakob Scholl.
Der Rat und alle Bürgerschaft
Ergötzten sich aus voller Kraft
Ob dieser neuen frohen Kunde
Die rasch sich weitertrug von Mund zu Munde.
Seitdem der Mann nun eingesetzt ins Amt
Er stets fürs Beste war entflammt.
Wie der Gemeinde Reichenbach Erspart sein möge Weh' und Ach.
Doch einsam stets durchs Leben gehen Das hätten die Bürger nicht gern gesehen,
Drum hat er bald daran gedacht
Wie man dem led'gen Stand ein Ende macht.
Es war ein lichter Sommertag Von Perlen blitzte Halm und Hag,
Da zog beim ersten Lerchensang
Der Schultheiß Scholl den Berg entlang
Nach Büchenbronn zum Adler hin.
Da dort ein Mädchen nach seinem Sinn.
Und alsbald hat er sich getraut Die junge Tochter zu holen als Braut.
Nun war der Hausstand schnell gegründet;
Da oben beim Pfarrhof befindet Sich heut' noch das traute Heim,
Wo die jungen Leute einst zogen ein.
Nun galts sich tummeln, rüsten und rühren Und einen verständigen Haushalt zu führen.
Früh morgens saht Ihr ihn mähen Und hemdärmelig bei der Sense stehen.
Hieraus mit Zirkel, Säg und Hobel Er fertigte Tische und Küsten gar nobel Und abends wenn erst ihm der Hobel entfiel Da flog noch manch flinker Federkiel,
Und wenn der Schreiner des Nachts am Pult saß Da rastete nimmer sein Sandfaß.
Wie oft, wenn versammelt die Ratsherrn im Chor Die Funken sprühten gar mächtig empor Da zeigte zum Schluß der Verhandlung nicht Groll Von Reichenbach der Schultheiß Scholl.
Indessen häufte sich Würd' auf Würde Und jedes Amt brachte neue Bürde Nicht Schultheiß, Ratschreiber und Standesbeamter Allein wurde Schultheiß Scholl nacheinander; Denn auch als Ortsacciser hier Die treuesten Dienste er leistete mir.
Als Bezirks- und auch als Landesschätzer Er nie sich zeigte nur als Schwätzer.
Der Kirche war er stets eine Stütze,
Als Kirchengemeinderat auch viel nütze;
Und auf der Synode der Diözöse Er wacker kämpfte gegen das Böse,
Und beim Bezirksrat des Bezirkes Wohl Im Ang stets hatte Schultheiß Scholl.
Was in der Reihe vieler Jahren An Sachen zu erledigen waren.
Und auf dem Amt ihm ging durch d'Hand Davon sei einiges hier nur genannt.
Des Bahnbaus sei zuerst gedacht
Der damals durch das Nagoldtal gemacht;
Sodann der Schultheiß setzte durch Den Kirchenumbau unter Pfarrer Furch.
Für manchen Feldweg, neue Straße,
Auch Wasserleitung sorgt er gleichermaßen.
Er ruhte dann und rastete nicht Bis versorgt war die Gemeind' mit elektr. Licht; Nach Schellbronn beschwerlich war bisher der Pfad Drum lob ich des Schultheißen neueste Tat,
Der Nagold Gewässer zu überbrücken Um dadurch dein Badischen näher zu rücken.
Im Kreise der Seinen ein treuer Berater,
Der Frau und den Kindern ein liebender Vater Zu sein, das war sein ernstes Streben Das hinzog sich durchs ganze Leben.
Seit 4 Jahrzehnten waltet nun Und läßt die Arbeit nimmer ruhn Der Schultheiß hier in diesem Ort.
O mög er wirken noch lange so fort Zu des Dorfs und Bezirkes Segen Und dessen Wohlfahrt allerwegen.
Drum hebt die Gläser schenkt sie voll
Es lebe Reichcnbach und sein Schultheiß Scholl!
Bad Tein ach 22. Juli. Der Gemeinde Teinach wurde vom Ministerium des Innern das Recht verliehen, jährlich zwei Viehmärkte und zwar je am ersten Dienstag der Monate März und November abzuhalten. Schon seit Jahren bemühte sich die Gemeindeverwaltung um die Erteilung der Marktgerechtigkeit, doch wurden hiegegen Einsprachen erhoben, u. a. auch von der Nachbargemeinde Zavelstein. Auf Grund eines bei der Zentralstelle für Landwirtschaft vom Ministerium eingeforderten Gutachtens wurde nun die Einwendung abgewiesen, da namentlich erwiesen, daß der Zavelsteiner Markt von Jahr zu Jahr zurückgeht und Teinach ein sehr günstig und für 14 Ortschaften zentral gelegener Platz ist. Erstmals findet der Teinacher Markt am 2. November statt.
Stuttgart 22. Juli. Großes Aufsehen macht, der „Sckwäb. Tagwacht" zufolge, der Zusammenbruch der Stuttgarter Firma Jakob Süßkind, Herrenkleiderfabrik en AiwR Die Passiven sollen 400 000 bis 500 000 ^
betragen. Die Firma strebt ein Arangement mit ihren Gläubigern an. Sie bietet 20°/».
Stuttgart 22. Juli. Der Polizeibericht schreibt: Gestern vormittag 8 Uhr fielen an einem Neubau in der Schillerstraße in Cannstatt beim Aufziehen von Bauholz zwei Balken aus dem Aufzugsseil aus einer Höhe von 7,5 Meter auf die Straße herab. Ein vorübergehender 32 Jahre alter Taglöhner wurde von einem Balken getroffen, trug aber nur unbedeutende
treibenden sowie diejenigen, welche nach dem 1. Juni 1909 die Herstellung eines Neubaus unternommen haben, auf vorstehende Bestimmungen Hinweisen und darüber, daß es geschehe» ist, im Schultheißenamtsprotokoll Eintrag machen, auch darüber wachen, daß die Vorschriften in Zukunft eingehalten werden.
Calw, 21. Juli 1909.
K. Oberamt.
V o e l t e r.
Bekanntmachung betr. Flotzsperre auf der Klein-Enz.
Wegen Reparaturen an Wasserwerken rc. bleibt die obere Klein-Enz (Neubachstube bis Agen- bachelwasseistube) für den Floßverkehr während des Monats August gesperrt. (§29 Floßordnung vom 20. April 1883 Reg.-Bl. Seite 47).
Calw, 22. Juli 1909.
K. Oberamt. Amtmann Rippmann.
Trrgesneiügreiterr.
— Calw. Letzten Mittwoch war der Schluß des im Zeichensaal des Georgenäums abgehaltenen, durch Schullehrer Hoffmann in Gcchingen geleiteten Reformzeichenkurses. Etwa 25 Volksschullehrer, worunter mehrere ergraute Häupter, arbeiteten sich während eines siebentägigen Kurses mit großem Fleiß und Eifer in das sogenannte moderne Zeichnen und dessen Methode ein. Herr Bezirksschulinspektor Stadtpfarrer Schmid schloß den Kurs, indem er der hohen Behörde wie den beteiligten Lehrern warme Worte der Anerkennung zollte.
Calw 22. Juli. Dem gestrigen Berichtüberdas 40jährige Dienstjubiläum des Schultheißen Scholl von Unterreichenbach lasten wir anbei noch ein von Herrn Finanzrat Voelter in Hirsau beim Fest vorgetragenes Gedicht folgen, das er auf Wunsch uns zur Verfügung stellte.
Im Schwarzwaid, an der Nagotd Rand Ein Ort liegt: Unterreichenbach genannt:
Die Bürger hier gar emsig, rührig sind,
Bedacht darauf wie man gewinnt Zum Leben auch den nöt'gen Unterhalt Sei's nun in der oder jener Gestalt.
Der Sägewerke sind's ein Paar;
In die Etuisfabrik geht eine ganze Schar,
Dort läuft das Mühlrad mit Getöse Nach Pforzheim geht die schmucke Poliseuse.
Der dritte handelt gar mit Leder Und ist dabei noch G'meindepsleger:
Auch Filze werden mit Bedacht Für Klaviere hier im Ort gemacht.
Doch jeden Bürgers Arbeitssinn Würd' nimmer bringen den Gewinn Wenn nicht im Dorfe weiser Rat Von oben käm und mit der Tat Der Vorstand einer solchen Bürgerschaft Die Seinen lenkt ohn Haß und Leidenschaft.
anschauung die redliche Ueberzeugung des Gegners zu achten. Dann müßte schließlich auch aus der großen Mannigfaltigkeit der religiösen Ansichten Segen entspringen. Uniformität oder unterschiedslose Einerlei- heit im Geistesleben führt zur Erstarrung. Nur wo Gegensätze sich auswirken, wo die Geister auf einander platzen, kann gehaltvolles Leben sich entfalten. Würden die entgegengesetzten Teile ihre größte Ehre darein setzen, daß sie mit einander wetteifern in dem Bestreben, den wertvollsten Beitrag zu sittlicher und geistiger Hebung unseres Volkes zu leisten und auf diesem Wege für die Wohlfahrt des Vaterlandes zu sorgen, dann würde über unseres Reiches Dach bald der holde Friedensbogen sich wölben.
Einstweilen aber sollte jeder evangelische Christ unbeschadet aller Entschiedenheit und Wärme, mit der er für seine Ueberzeugung eintritt, sich hüten, daß er sich frei erhält von jeder Spur von Fanatismus. Er sollte diejenigen, die nach seinem Dafürhalten auf dem Irrweg wandeln, nicht hasten und anfeinden, und wenn er sich gedrungen fühlt, belehrend auf sie einzuwirken, es in keinem andern Geiste tun als in dem, von welchem erfüllt der Apostel die Ermahnung erteilt hat: „Liebe Brüder, wenn auch ein Mensch gefangen ist in einem Fehler, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, die ihr geistlich seid" (Gal. 6,1). Wenn wir aber getroffen und verletzt werden durch Kundgebung jenes finstern Hasses, wie er im Mittelalter jedem gegenüber trat, der abweichender Meinung war und für einen Ketzer gehalten wurde, so sei es ferne von uns, Böses mit Bösem zu vergelten, vielmehr, wenn wir anders des Namens wert sein wollen, den wir als Christen führen, ziemt es sich für uns, die Anweisungen zur Richtschnur zu erwählen, die der Herr, dem wir dienen und Nachfolgen möchten, uns gegeben hat: „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hasten, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel" (Matth. 5, 44).
Investitur st reit heißt man jenen großen Kampf, der nicht bloß mit den Waffen des Geistes sondern leider auch mit dem männermordenden Schwert geführt worden ist in jener Zeit, da Abt Wilhelm lebte und
unter den Kämpfern in vorderster Reihe stand. Denn einer der Streitpunkte, wenn auch nicht der einzige und wichtigste, war die Investitur. Dieses lateinische Wort heißt auf deutsch Einkleidung; man verstand darunter die feierliche Uebergabe von Ring und Stab als den Sinnbildern seines Amtes an den neuernannten oder gewählten kirchlichen Würdenträger. Diese Uebergabe geschah im deutschen Reiche dem Herkommen gemäß durch den König, der die Bischöfe und großen Reichsäbte entweder aus seinen Hofbeamten, die fast durchweg Geistliche waren, ernannte oder unter seinem Einfluß wählen ließ. Diese Kirchenfürsten hatten aber nicht bloß geistliche Verrichtungen zu besorgen, wie es heutzutage der Fall ist, sondern sie waren gleichzeitig Landesherren, weil mit ihrer Stellung große Reichslehen verbunden waren, die zum Teil ein sehr beträchtliches Gebiet umfaßten, so daß sie zu den mächtigsten Reichsfürsten gehörten. Die Päpste fingen nun an, kaum nachdem Kaiser Heinrich III das Papsttum aus tiefster Erniedrigung erhoben hatte, die Investitur durch den König zu verbieten, weil es unzulässig sei, daß ein Laie sich Eingriffe in ein der Kirche vorbehaltenes Gebiet erlaube.
Es wäre nicht gerecht geurteilt, wenn wir von vornherein alles Recht in diesem Streite auf Seite des Staats und alles Unrecht auf Seite der Kirche finden würden, vielmehr muß dem sachlich und gewissenhaft Urteilenden es ein Anliegen sein, Licht und Schatten gleichmäßig zu verteilen. Es gab auf staatlicher Seite schwere Uebelstände und Mißbräuche, gegen welche die Vertreter der Kirche mit vollem Rechte im Interesse des sittlichen Bewußtseins sich wenden mußten. Wenn es z. B. nicht selten vorkam, daß Bistümer und Abteien von unwürdigen Personen um Geld gekauft wurden, so daß gesagt werden konnte, die geistlichen Aemter seien feil wie die Ware auf dem Markte, so hätte sich die Kirche ein unverzeihliches Versäumnis zu schulden kommen lasten, wenn sie nicht ihre ganze moralische Kraft aufgeboten hätte, diesem Unfug zu steuern.
(Fortsetzung folgt.)