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auf dem Kühleberg, um den Bau des seit Jahren geplanten Aussichtsturms in die Wege zu leiten. Bekanntlich hat man von diesem höchsten Punkt der Gegend eine herrliche Aussicht auf die Bergkette der schwäbischen Alb von ihrem Anfang bis zur Teck. Die weitere Aussicht nach Nordosten (Hohenstaufen, Rechberg, Stuifen, Ell- wanger Berge) wird durch den zur Linken aufstrebenden Wald leider verdeckt. Diesem Uebel- stand soll der in Rede stehende Turm abhelfen und es wäre wirklich schade, wenn nicht weite Kreise sich für die Sache interessieren würden. Die Gemeinde Emmingen hat sich in anerkennenswerter Weise bereit erklärt, das Holz für den 12 in hohen, von Oberamtsbaumeister Schleicher zu 2000 ^ veranschlagten Turm unentgeltlich zu liefern. Zum Schluß der Beratung wurden die Vorstände der Schwarzwaldvereine Nagold und Wildberg ersucht, diesbezügliche Beschlüsse in ihren Vereinen zu fassen, um auf Grund derselben Schritte tun zu können bei der Hauptleitung des württ. Schwarzwald- und Albvereins.
Herrenberg 5. Juli. Wie der „Gäubote" meldet, hat die Volkspartei in einer gestern abgehaltenen Versammlung beschlossen, die Kandidatur des von der Deutschen Partei aufgestellten Oekonomierats Ruoff kräftig zu unterstützen. Ruoff soll der Volkspartei versprochen haben, den Bezirk im gleichen Sinne, wie Guoth es getan hat, zu vertreten.
Stuttgart 5. Juli. Die Beschlüsse der neun Mitgliedern bestehenden Kommission der Ersten Kammer zur Volksschulnovelle liegen nunmehr im Druck vor. Aus dem von Domkapitular Moser, Prälat v. Berg, Staatsrat v. Kern, sowie Fürst zu Löwenstein-Wertheim erstatteten, 62 Druckseiten umfassenden Bericht, ist zu ersehen, daß die Kommission sich im wesentlichen den Beschlüssen der Zweiten Kammer angeschloffen hat. Hervorzuheben sind nur folgende Abweichungen: Im ZI ist mit 7 gegen 2 Stimmen eine Bestimmung ausgenommen worden, wonach ein Zwang zum Eintritt in die Hilfsschulen nicht stattfindet. In Z 2 ist eine Aenderung dahin getroffen worden, daß es den Eltern frei stehen soll, ihre Kinder schon im sechsten Lebensjahr zur Schule zu schicken, wenn sie gehörig entwickelt sind. Bei Art. 3 hat die Kommission den Beschluß des andern Hauses betreffend die Simultanschule bei Hilft- und Mittelschulen aufrecht erhalten mit 5 gegen 4 Stimmen. Die im Z 8 festgesetzten Mindestzahlen der Schüler einer Klasse find im Sinne des Vorschlags der Regierung und dementsprechend gegenüber dem des anderen Hauses wieder erhöht worden. Es sollen bei mehr als 70 Schülern (Beschluß der Zweiten Kammer 60) zwei, bei mehr als 160 (140) Schülern drei Lehrstellen errichtet werden. Bei jeder weiteren Steigerung der Schülerzahl um 80 (70) ist die Zahl der Lehrer um einen zu vermehren. Beim Abtetlungsunterricht kann die Höchstschülerzahl einer Klasse, wo nur eine Lehrstelle ist, auf 80 (70), bei zwei und mehr Lehrstellen auf 90 (80) steigen. Zu Z 12 hatte das
andere Haus in den Geschäftskreis des OrtSschul- rats verwiesen: die Beschwerdeführung über dienstliche Verfehlungen der Lehrer bei dem Beztrksschul« aufseher. Die Kommission setzte hierüber fest: Kenntnisnahme von dienstlichen Verfehlungen der Lehrer und Beschwerdeführung hierüber bei dem Bezirksschulaufseher. Die wesentlichsten Aenderungen, die die Kommission beschlossen hat, beziehen sich auf die Aufsicht. Art. 72 a hat mit 6 gegen 3 Stimmen folgende Fassung erhalten: Soweit es keiner Beratung und Entschließung durch den Ortsschulrat bedarf, wird die örtliche Aufsicht über die Volksschule (Schulpflege) im Namen des Orisschul- ratS von dem mitvorfitzenden Ortsgeistlichen, in großen und mittleren Städten von dem mitvor- sitzenden Bezirksschulaufseher ausgeübt. An die Stelle des Ortsgeistlichen tritt, wo dem Ortsschulrat der Vorstand einer 7- oder mehrklasfigen Volsschule angehört, dieser und unter mehreren solchen Vorständen der dienstälteste. Die nach Abs. 1 die örtliche Schulaufsicht führenden Personen sind befugt, durch Besuche von dem Stand der Volksschule Kenntnis zu nehmen. Daneben kann der Ortsschulrat einzelne seiner Mitglieder mit Schulbesuchen beauftragen, ohne daß sie aber hierdurch die Befugnis zu Anordnungen erhalten. In Z 74 wird im Gegensatz zu dem Beschluß der Zweiten Kammer als Mitglied des Ortsschulrats an erster Stelle aufgeführt der Orisgeistliche und an zweiter Stelle der Ortsvorsteher, wozu dann noch der Bezirksschulaufseher für die dem Ortsschulrat unterstellte Schule in der großen oder mittleren Stadt tritt, in der er seinen Sitz hat. Bezüglich der Mitgliedschaft der Lehrer wurde mit 6 gegen 3 Stimmen beschlossen, daß dem Ortsschulrat neben den in großen und mittleren Städten durch Wahl zur Verwaltung der örtlichen Angelegenheiten berufenen Organen noch ein oder zwei weitere Schulvorstände ohne Rücksicht auf das Dienstalter berufen werden können, ferner von den übrigen ständigen Lehrern und Lehrerinnen diejenige Zahl, die mit Genebmigung des Ortsschulrats von den bezeichneten Organen festgesetzt wird. Im letzteren Falle entscheidet das Dienstalter über die Reihenfolge der Berufung. Zu Art. 79' wurde mit 6 gegen 3 Stimmen festgesetzt, daß die Geschäfte des Ortsschulrats von dem Ortsgeistlichen oder, wo ihm der Bezirksschulaufseher angehört, von diesem und von dem Ortsvorsteher geleitet werden. Bei den Abstimmungen gebührt dem Mitvorsitzenden Vertreter die erste Stimme. Abgesehen hiervon bestimmt sich die Abstimmungsordnung nach dem Dienstalter mit der Maßgabe, daß zuerst der nicht zum Mitvorsitz berufene Geistliche, sodann die Lehrer und nach ihnen die übrigen Mitglieder abstiwmen. Bezüglich der Bezirksschulauf- ficht ist die Kommission den Beschlüssen der Zweiten Kammer beigetreten. Außerdem hat sie eine Resolution gefaßt wonach den Theologen und Angehörigen des höheren Lehrerstandes der Eintritt in die Stellung eines Bezirksschulaufsehers nicht erschwert werden soll. Hinsichtlich der Oberaufsicht wurde der Regierungsentwurf (evangelischer Oberschulrat und katholischer Kirchenrat) wiederhergestellt. Z 84 des Regierungs- entwurfs, der von der Zweiten Kammer gestrichen worden war und das Oberaufsichtsrecht der Ober
kirchenbehörde betrifft, ist von der Kommission einstimmig wiederhergestellt worden.
Stuttgart 5. Juli. Die Stellung des Christentums und der Sozialdemokratie zur deutschen Arbeiterbewegung wurde gestern abend in einer von der Stuttgarter Ortsgruppe der freien kirchlich-sozialen Konferenz und dem Ortskartell der christlichen Gewerkschaften in den Stadtgartensaal einberufenen öffentlichen Volksversammlung behandelt. Referent des Abends war der auch hier wohlbekannte Sozialpolitiker I-io. Mumm aus Berlin. Daß Thema und Redner gleich zugkräftig waren, bewies die Tatsache, daß der Saal von Angehörigen aller Volksschichten bis auf den letzten Platz besetzt war. Der Referent wies einleitend darauf hin, daß wirkliches Christentum sich in den Nöten unserer Zeit mit den Mitteln unserer Zeit annehmen müsse. Heute werde Aktivität des Christenstandes gefordert. Im weiteren behandelte er den Begriff und die Entwicklung der Arbeiterbewegung, sowie deren Strömungen, auch die kirchlichen Bestrebungen auf sozialem Gebiet wurden eingehend gewürdigt. An der Hand des sozialdemokratischen Parteiprogramms fand die Stellung der Sozialdemokratie zur Arbeiterbewegung eine sehr interessante Beleuchtung. Im Anschluß an den Vortrag entspann sich eine lebhafte Aussprache, in der freieste Redezeit gewährt war, bei der sich zahlreiche Gegner zum Wort meldeten. Die Versammlungsteilnehmer folgten mit gespannter Aufmerksamkeit den Verhandlungen und spendeten insbesondere dem Referenten und den auf demselben Boden stehenden Diskussionsrednern lebhaften Beifall. Selbst von gegnerischer Seite wurde zugegeben, daß mit der christlich-nationalen Arbeiterbewegung heute ernstlich gerechnet werden müsse. Daß in dieser Bewegung ein von hohen sittlichen Triebkräften durchdrungener Idealismus vorhanden ist, hat die prächtig verlaufene Versammlung und das an deren Schluß begeistert ausgebrachte Hoch auf die christlich-nationale Arbeiterbewegung gezeigt.
Stuttgart 4. Juli. (Einführung von Freimarkenhestchen.) Um dem Publikum die Beschaffung und Aufbewahrung kleiner Vorräte in den gangbarsten Freimarkensorten zu erleichtern, werden spätestens vom 1. Januar 1910 an bei sämtlichen deutschen Postanstalten Freimarken- heftchen und zwar solche mit 20 Freimarken zu 5 o- und 10 Freimarken zu 10 je im Preise von 1 -x/ö für das Stück an das Publikum abgegeben werden. Daß diese Neuerung im Vertriebe der Freimarken einem Bedürfnis entspricht, darüber besteht wohl kein Zweifel.
Stuttgart 5. Juli. Der am Samstag abend zu einer Nachtfahrt aufgestiegene Ballon „Württemberg" ist am Sonntag nachmittag ^3 Uhr nordöstlich von Mannheim glatt gelandet. In
Herrn Verteidiger gestellte Frage muß daher unter allen Umständen verneint werden.
Aber, meine Herren Geschworenen, selbst zugegeben, daß eine Beeidigung der Angeklagten nicht hätte erfolgen dürfen, würde dann der zu Unrecht abgenommene Eid weniger ein Meineid sein als der, dessen Abnahme nach den Vorschriften der Prozeßordnung erfolgt ist?
Meine Herren Geschworenen, Sie werden selber zugeben müssen, daß davon keine Rede sein kann, und somit ist die Angeklagte für ihre Tat voll verantwortlich. Trotz der angeblichen Bewußtlosigkeit hat die Angeklagte sehr wohl gewußt, daß, wenn sie die Wahrheit sagte, diese dem Mann ihrer Liebe Gefahr bringen könne. Ich will zugeben, daß sich die Angeklagte in einem schweren Kampf befand, aber nachdem sie Gott bei dessen heiligem Namen angerufen hatte, mußte alles andere zurücktreten, vor allem die unerlaubte Liebe zu dem Manne, mit dem sie nichts mehr verbinden durfte, nachdem sie Baron Wilhelm von Ellern geheiratet hatte. Nein, die Angeklagte hat mit voller Ueberzeugung gehandelt, ja, nach der Aussage des Unter- suchungssührenden hat sie sogar mit leuchtenden Augen, wie in heiliger Ueberzeugung von der Wahrheit, ihre eidliche Aussage gemacht.^ Die Angeklagte war durchaus Herr ihres Willens.^
Wie oft kommt es vor, daß ein gänzlich Unschuldiger das Opser einer unheilvollen Verkettung der Geschehnisse wird. Wenn, um solche Folge zu verhüten, jedesmal ein Meineid geschworen werden dürfte, so würde das Verbrechen sich mehren wie der Sand des Meeres sich zu gewaltigen Dünen häuft, und alles Rechtsbewußtsein würde ausgelöscht werden.
Nein, da sei Gott vor. Meineid bleibt Meineid! Ob ein ruchloser Bösewicht ihn geschworen, ob Leichtsinn ihn verschuldet, oder ob er einem liebenden Herzen entspringt, das ändert nichts an der Schuld. So edel der Grund bei der Angeklagten auch gewesen sein mag, der Eid ist heilig, mit ihm darf kein Mißbrauch getrieben werden, auch nicht zu Gunsten eines geliebten Menschen. Dann ist in meinen Augen die Liebe nicht
mehr eine Kraft, die Gutes schafft, sondern sie wird zu unheilvoller Schwäche und führt, wie bei der Angeklagten, zu solch fluchwürdigem Verbrechen.
Daß die Angeklagte, die sich dieses schweren Verbrechens schuldig gemacht hat, zu den Hochgestellten der menschlichen Gesellschaft zählt, darf Sie nicht beirren. Im Gegenteil, ich sage: Wem viel gegeben ist, von dem wird viel verlangt werden. Auch daß sie eine Frau ist, über die Sie den Urteilsspruch fällen sollen, darf Ihr Mitgefühl nicht also wach rufen, daß das Gesetz dabei zu kurz käme. Denken Sie an die Sache selber ohne Ansehen der Person, wie es das hohe Amt, das Sie bekleiden, fordert. Meine Herren Geschworenen, ich erwarte von Ihnen, daß Sie die Hauptfrage mit einem einmütigen „Ja" beantworten und die zweite ebenso entschieden verneinen."
Der Staatsanwalt setzte sich, kein Laut aus dem Zuhörerraum gab seiner Rede Antwort.
Bei Regina war jedes Wort, das die harte Stimme des Anklägers sprach, zu ebenso vielen Hammerschlägen geworden, die auf ihr Bewußtsein fielen, bis sie nichts mehr vernahm, als ein dumpfes Getöse. Nun er schwieg, tönte eine raunende Stimme an ihr Ohr, die sie früher so oft vernommen hatte — es war die Schuld, die so lange Jahre mit ihr gewandert war. „Zuchthaus — Zuchthaus!" so klang es unaufhörlich in beängstigender Weise, daß sie daran zu vergehen meinte.
Wollte denn noch immer nicht das Ende kommen? Sie sehnte sich nach dem Ende — dem Urteil, mochte es lauten, wie es wollte. Nur Ruhe — Einsamkeit! Wieder zurück in die Zelle, wo es keinen Menschen gab. Nur fort — fort aus den Augen des Anklägers und der Richter, sowie des schwankenden Meeres dieser unzähligen Köpfe, die zu ihr hinstarrten. „Eine Mauer um uns baue!" zog es mit den Worten des alten Liedes durch ihr versagendes Hirn, das nur durch den Anruf des Vorsitzenden zum Bewußtsein dessen kam, was man von ihm verlangte.
(Fortsetzung folgt.)