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Konstruktion einer Abänderung unterzogen worden war, hat heute früh wieder einen Aufstieg unternommen, der aber nur 15 Minuten dauerte, da die Konstruktion sich trotz der beabsichtigten Verbesserung wiederum nicht bewährt hat.
Berlin 21. Juni. (Reichstag.) Die zweite Beratung der Kommissionsbeschlüsse zur Finanzrefom und des Abschnittes der Besteuerung der Wertpapiere (Kot'elungssteuer) wird fortgesetzt. Abg. Röstcke (Bd. d. Ldw.) tritt für die Kotierungssteuer ein und bedauert das ablehnende Verhalten der Regierung gegenüber dieser Steuer. Er weist darauf hin, wie die Regierung doch gerade von der Linken des Hauses Korb auf Korb bekommen hätte. Die Erbanfallsteuer sei, von Ausnahmen abgesehen, keine gerechte Befitzsteuer, falls sie auch gegenüber von Deszendenten und Ehegatten zur Anwendung komme. Den großen Wert der Börse erkenne er und seine Freunde im Einklang mit dem Finanzminister durchaus au. Der gewerbliche Mittelstand im Allgemeinen werde von der Kotierungssteuer nicht berührt, während dies bei der Erbanfallsteuer der Fall sei. Den Finanzminister müsse er nochmals daran erinnern, wie derselbe hier vor 3 Jahren gegen die Erbanfallsteuer für Deszendenten aufgetreten sei. Also nicht Steuer- scheu veranlasse die Konservativen, diese Erbanfall- steuer zu bekämpfen. Wären die Konservativen steuerscheu, so würden sie wohl nicht im preußischen Landtage das Volksschul-Unterhaltungsgesetz bewilligt haben, das den Grundbesitzern schwere Lasten auferlege, einzelnen sogar tausende von Mark. Staatssekretär Sydow tritt einer Angabe des Vorredners entgegen, wonach die verbündeten Regierungen angeblich schon früher für die Kotterungssteuer eingetreten seien. Abg. Kämpf (frs. Vp.) erklärt, seine Freunde würden an dem Widerstande gegen die Kotterungssteuer festhalten, In der Hauptsache treffe nämlich diese Steuer nicht die Börse sondern alle diejenigen, welche Wertpapiere besitzen. Dr. Rösicke berufe sich auf Frankreich. Ja, wenn Sie das tun wollen, dann möchte ich Sie bitten, doch erst einmal ans die französische Erbschaftssteuer mit ihren hohen Sätzen Bezug zu nehmen und sie bei uns einzuführen. Wenn Sie das wollen, so brauchten die Konservativen keine solchen Schritte und Wege zu unternehmen, wie es bei der Kotierungssteuer der Fall ist. Abg. Müller-Fulda (Z) tritt für die Kotterungssteuer ein. Durch sie solle ein gerechter Ausgleich geschaffen werden dafür, daß andere Berufszweige bereits stark belastet find, während das mobile, mühelos Zinsen tragende Kapital am schwächsten erfaßt wird. Ohne die Kotierungssteuer habe die Finanzreform keinen Wert. Reichsbankpräsident Hav enstein legt nochmals die Bedenken der Regierung gegen die Kotierungssteuer dar. Je tiefer man in die Einzelheiten der Steuer hineingehe, desto schwerer würden diese Bedenken. Der Abg. Raab habe als Zweck hingestellt, die Börse mit 60 Millionen zu treffen. Damit würde nicht die Börse getroffen, sondern das ganze Volk soweit es Wertpapiere besitzt. Die Kapitalbeschaffung werde durch die Steuer erschwert, der Zinsfuß verteuert werden, namentlich für die zur Pfandbriefdeckung dienenden Hypotheken. Bei Einführung der Ko
tierungssteuer würden die Besitzer der Aktien der Deutschen Bank zusammen 28 Millionen verlieren, die Besitzer der Reichsbank-Anteile 30 Millionen, die Pfandbrief- und ObligationSbefitzer 500—600 Millionen. Alles in Allem würde die Kotierungssteuer durch ein plötzliches Sinken der Kurse eine Entwertung des deutschen Volksvermögens um 2 Milliarden Mark bedeuten. (Hört hört links). Die verbündeten Regierungen können daher die Kotierungssteuer nicht annehmen Deutschland sei auf eine leistungsfähige Börse angewiesen. Abg. Dr. Frank- Mannheim (Soz.) erklärt sich namens der sozialdemokratischen Fraktion, die sich in der Kommission ihre Stellung Vorbehalten hat, gegen die Kotterungssteuer, da sie indirekt auch eine Schädigung der Arbeiter bedeute. Hierauf wird die Weiterberatung auf morgen 2 Uhr vertagt. Außerdem stehen auf der Tagesordnung der Nachtrags-Etat betreffend Verkaufs eines Teiles des Tempelhofer Feldes. Vizepräsident Paasche teilt noch mit, daß die namentlichen Abstimmungen über die einzelnen Steuern nicht erst wie sonst immer am Tage nach Schluß der Beratung sondern immer am gleichen Tage stattfinden.
Wildpark 20. Juni. Der Kaiser traf um 7 Uhr 40 Min. von Danzig kommend in Wildpark ein und begab sich ins Neue Palais. Vormittags 10 Uhr 6 Min. sind der Kaiser und die Kaiserin im Hofzug nach Hamburg abgefahren, wo das Kaiserpaar dem Rennen des Hamburger Rennklubs in Horn anwohnte.
Kiel 21. Juni. Im Heizraum des Panzerkreuzers „Prinz Adalbert" platzte heute vormittag ein Dampfrohr. Durch den ausströmenden Dampf wurde der Heizer Mat- kowsky getötet und der Maschinenmaat Schramm schwer verbrüht.
Innsbruck 21. Juni. Von der Reither- Spitze stürzten zwei Damen aus Innsbruck ab. Die eine erlitt schwere, die andere leichtere Verletzungen.
Eger 21. Juni. An der bayrisch-böhmischen Grenze stießen gestern Nacht zwei bayrische Grenzaufseher mit einem aus etwa 8—10 Mann bestehenden Schmuggler-Trupp zusammen, der 6 Ochsen nach Bayern einschmuggeln wollte. Die Aufseher nahmen ihnen drei Ochsen ab. Es kam zu einem blutigen Kampf, in dessen Verlauf einer der Grenzwächter von einem Schmuggler durch 6 Messerstiche, deren einer die Lunge durchbohrte, schwer verletzt wurde. Die Grenzaufseher hieben mit ihren Gewehren auf die Schmuggler ein und verletzten diese. Der Schmuggler, der die Messerstiche geführt hatte, wurde verhaftet.
Paris 21. Juni. Am Sonntag ist der Direktor der Wach- und Schließgesellschaft, Löffler, geflüchtet, nachdem er verschiedene Abonnements-Beträge einkassiert hatte und auch seinen Angestellten den Lohn schuldig
geblieben war. Uebrigens soll auch die Staatspolizei gegen Löffler eine Untersuchung wegen Spionage eingeleitet haben. Löffler ist deutscher Staatsangehöriger.
Rom 19. Juni. Wie aus Cagliari berichtet wird, sind in der dortigen Gegend große Heuschreckenschwärme aufgetreten und haben bereits enormen Schaden angerichtet. Die Landbevölkerung hat die Hilfe des Militärs in Anspruch genommen.
London 21. Juni. „Reynolds Newspaper" meldet: Die jüngsten City-Nachrichten, wonach die Gesundheit des Königs minder gut geworden sei, seien zwar übertrieben, doch sei dem König von ärztlicher Seite die größtmöglichste Schonung anempfohlen worden. Demnach wird auch die repräsentative Tätigkeit des Monarchen künftighin eine Einschränkung erfahren. Im Laufe der Woche wird der König sich mit Dr. Ott über eine eventuelle Marienbader Kur schlüssig machen. „People" meint: Obgleich nichts ernstliches vorliegt, sei der Gesundheitszustand des Königs nichts weniger als günstig und die Pflicht der Repräsentation in der gegenwärtigen Saison hätten bei dem König einen Schwächezustand herbeiführt.
London 21. Juni. Der Berliner Messerstecher soll in Liverpool verhaftet worden sein. Die dortige Bevölkerung befand sich durch verschiedene Messer-Attentate auf Frauen in großer Aufregung. Am Sonnabend früh gelang es, den Messerstecher auf frischer Tat festzunehmen. Der Attentäter gibt an Rudolf Vogt zu heißen und will aus Berlin stammen.
London 21. Juni. Zu religiösen Krawallen kam es gestern in Liverpool, wo protestantische Iren eine katholische Prozession durch die Straßen zu verhindern suchten. Die Kundgeber versuchten wiederholt Wohnhäuser in Brand zu stecken und warfen überall wo wegen der Prozession Fahnen aushingen, die Fenster ein. Die einschreitende Polizei wurde mit Steinwürfen empfangen. Bei den Zusammenstößen wurden zahlreiche Personen verletzt und viele Verhaftungen vorgenommen.
Die Po st ausweiskarten. Für den inneren deutschen Verkehr besteht die Einrichtung der Postausweiskarten, die dazu bestimmt ist, beim Empfange von Postsendungen Weiterungen zu vermeiden, worauf bei Beginn der Reisezeit besonders aufmerksam gemacht wird. Die Karten dienen als vollgültiger Ausweis an den Postschaltern wie auch gegenüber dem Postbestellpersonal. Bei der Abtragung von Postanweisungen, sowie von Wert- und Einschreibsendungen an einen dem bestellenden Boten unbekannten Empfänger der sich durch Vorlegung einer Post-
Nähe vom Bruchhof wird geholzt, dort, wo die hohen Eichen stehen. Es ist an der Zeit, daß sie geschlagen werden, wie mir Eckardt, sowohl wie Willert geraten haben."
„Schade um jeden der Riesen."
„Gut, daß Groß-Ellern noch viele solche Kerle hat, und für Nachwuchs wird auch gesorgt. Der Forst ist bei Willert in den besten Händen."
„Er mag ein tüchtiger Beamter sein, aber sympathisch ist er mir nicht."
„Weil er so ernst ist?"
„Ja, auch darum, aber hauptsächlich. weil sich seine Frau in der Ehe so verändert hat. Er ist sicher nicht gut zu ihr."
„Der alte Eckardt hat nie über ihn geklagt."
„Das ist noch kein Beweis, Wolf Dietrich."
„Gewiß nicht, aber vielleicht hat der Rotkopf ihm zu schaffen gemacht. Sie war als Mädchen sehr gefallsüchtig. Die Männer waren, wie Eckardt mir einmal ingrimmig erzählte, gewaltig hinter ihr her."
„Das kann ich mir gut denken, aber seit ihrer Verheiratung hat man doch nichts Unrechtes mehr gehört."
„Was wissen wir davon. Derartiger Klatsch traut sich nicht bis zu uns heran."
„Weißt du, daß ich bei Frau Willert stets das Gefühl habe, daß sie etwas gegen mich hat?"
„So", brummte Wolf Dietrich vor sich hin. Er dachte sich sein Teil; denn er wußte nur zu gut, daß Vetter Wilhelm dem Rotkopf seinerzeit nachgestiegen war.
„Ich habe ihr wissentlich doch nichts getan. Diese Abneigung ist auch nur bei Frau Willert zu spüren, ihr Mann dagegen bewies mir damals im Bruchhof jederzeit seine Ergebenheit. Doch sieh nur, Wolf Dietrich, wie einzig schön das Jägerhaus im Winterschmuck daliegt. Der Schornstein raucht — ach, diese Ueberraschung, wir sollen dort wohl absteigen?"
Wolf Dietrich lachte fröhlich auf und lenkte die Pferde dem Hause zu, wo zwei Männer standen und nach ihnen ausschauten.
„Guten Tag, Meinhardt! Nun, alles in Ordnung?" rief Ellern dem Fischmeister zu.
„Alles in bester Ordnung. Der Tisch ist gedeckt."
„Warum schleicht sich der Karl denn weg?"
„So ist er immer, wenn Fremde kommen."
„Ich bin doch kein Fremder."
„Aber die gnädige Frau. Er möchte ihr ja gern danken, aber er kann's nicht über die Lippen bringen."
„Ich werde mal bei Gelegenheit ein kräftiges Wörtlein mit ihm reden, er hat seine wohlverdiente Strafe abgesessen und damit seine Schuld bezahlt. Es vergißt sich doch alles mit der Zeit."
„So was nicht, Herr Baron. Der Karl spricht ja nie darüber, aber es muß die Hölle gewesen sein. Und dann fürs Leben entehrt. Die Strafe war zu hart. Man sagt so: Meineid bleibt Meineid, aber das ist ein Irrtum, man muß das nur an seinem Fleisch und Blut erlebt haben, dann urteilt man ganz anders."
Wolf Dietrich wandte sich nach einigen teilnehmenden Worten an den alten Getreuen wieder Regina zu, die der Unterredung wohl kaum zugehört hatte, da sie in den Anblick der winterlichen Landschaft versunken schien.
„Komm, das Frühstück wartet." Scherzend bot er ihr den Arm, doch als sie sich ihm notgedrungen zuwandte, rief er besorgt: „Du frierst, die lange Fahrt ist doch wohl zu viel für dich gewesen. Wie bleich du bist. Hast du Hunger?"
„Ich bin ein wenig müde, ich muß es erst wieder lernen, dein Kamerad zu sein," scherzte sie mühsam.
(Fortsetzung folgt.)