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schrift, wozu der Referent v. Kieue den Antrag stellte, nachstehender Resolution zuzustimmen: Die Zweite Kammer nimmt Kenntnis von der Denk» schrift der K. Ltaatsregterung über die Bildung eines deutschen Staatsbahnwagenverbands; sie er­sucht die K. StaatSregteruug, auf Abstellung der seit Durchführung der Wagengemeinschaft in der Güterwagengestellung im Lande hervorgetretenen Klagen hinzuwirken, ferner auf rasche und aus­reichende Befriedigung der in gewissen Bedarfszeiten austretenden speziellen Verkehrsbedürfnisse auf diesem Gebiet bedacht zu sein. Sodann wurden die un­günstigen Verhältnisse des diesmaligen Eisenbahn­etats im Verhältnis zum Zins- und Tilgurgsbedarf für die Eisenbahnschuld (zu wenig 45 Millionen), der hohe Betriebskoeffiztent (78 °/°) trotz der Frequenz­steigei ung besprochen und als Ursachen angeführt die gleiche und teilweise bessere Ausstattung der 4. und 3. Klassewagen, die Tarifierungsreform von 1906 in Verbindung mit der gleichzeitig eingeführten Fahlkartensteuer, welche beide Gründe die auffallend große Abwanderung in die untere Klasse bewirken mußten, endlich die erhebliche Ausgabensteigerung. Als Vorschläge für eine Verbesserung wurden an­geführt die verschiedene Ausstattung der 3. und 4. Klasse mit weniger Sitzplätzen für letztere, die Be­schränkung der Ausgaben auf das notwendige Maß, Vereinfachungen in der Eisenbahnverwaltung und Vermeidung unwirtschaftlicher Doppelarbeit, weshalb hier die Neuordnung der Verwaltung nach dem bayrischen und elsaß-lothringischen Vorgang im Sinn einer Vereinfachung und sparsameren Wirtschaftlichkeit für unsere Verhältn sse eingehend nachzuprüfen sei, auch wohl eine etwas stärkere Heranziehung des technischen Elements in der Leitung in Frage komme, keinesfalls aber eine grundsätzliche Beseitigung der Verwaltungsbeamte». Der Referent stellte hier den Antrag, die K. Staats­regierung zu ersuchen 1) die Angliederung der Staatseisenbahnen sowie derjenigen der Posten und Telegraphen an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Verkehrsabteilung, oder an ein zu bildendes selbständiges Verkehrsministerium, sowie die Durchführung weiterer Vereinfachungen in der Organisation der StaatSeisenbahnverwaltung in Erwägung zu ziehen, 2) die Denkschrift dcS Vereins höher geprüfter Staatsbaubeamten betreffend die Wtrtschaftsfrage im württembergischen Eisenbahn­wesen, nebst der weiteren, betreffend Vereinfachung der Staatseisenbahnverwaltung als hierdurch er­ledigt zu erklären. Endlich wurde vom Referenten als Verbesserungsmöglichkeit die Frage einer Er­höhung des ZweipfennigtarifS für die 4. Klasse auf­geworfen, aber von einem Antrag abgesehen, da die Sache sehr vorsichtig zu behandeln sei, die Er­fahrung noch kurzzeitig, auch die Frage der Fahr­kartensteuergestaltung im Reichstag noch nicht gelöst sei und ebensowenig die des Selbstkostenpreises für die Benützung unserer Eisenbahnen als klargestellt gelten, überdies die Rücksicht auf die Nachbarstaaten nicht ganz außer Acht gelassen werden könne. Eine kleine Erhöhung würde wohl in weiten Kreisen im Land verstanden und nicht schwer genommen werden. Der Ministerpräsident hatte gegen die Anträge deS Referenten keine Bedenken Er gab die erbetene Mitteilung über die Rechnungsergebnisse von 1908, die um ca. 200 000 ^ günstiger, als angenommen,

ausfielen, sodaß der Reservefonds nicht gauz auf­gebraucht wurde. Bezüglich Abwanderung in untere Wagenklossen ist das Verhältnis so vomJahre 1907/8:

1. Klasse 0,77°/°, statt geschätzter 0,76°/°,

2. Klasse 6,95°/°, . , 10,8°/°,

3. Klasse 28,96°/°, . 44,81°/°,

4. Klasse 63,32°/°, 43,00°/°.

Eine geringere Ausstattung der 4. Klasse bestehe. Es sei überhaupt fraglich, ob die Führung von 2 Holzklossen zweckmäßig sei; eine erhebliche Weiterentwicklung der Fahrkartensteuer könnte doch bedenklich werden. Bezüglich einer Tariferhöhung komme die Verwaltung noch nicht mit formulierten Vorschlägen, aber größere Einnahmen müßten erzielt werden, wenn auch dabei sehr vorsichtig vorgegangen werden müsse. Eine Erhöhung der Gütertarife könne von uns allein nicht gemacht werden. Bei der 4. Klasse halte er eine Erhöhung bis zu 2,3 A für unbedenklich, d. h. ohne Gefahr einer Frequenz­verminderung, er werde die Entwicklung der Kammer­verhandlungen abwarten. Die angeregten Organi­sationsänderungen werden studiert. Der finanzielle Vorteil werde nicht groß sein; wichtiger sei die Art und Weise der Geschäftsbehandlung, die allerdings für den Minister eine Aenderung erwünscht erscheinen läßt. Bei der gegenwärtigen Organisation, d. h. ohne ein besonderes Verkehrsmintstertum wäre die Aenderung wohl nicht durchführbar. Ob eine even­tuelle Zusammenlegung von Betriebs- und Bauamt vorteilhaft wäre, sei noch zu prüfen, die jetzige Trennung habe unstreitig Vorteile. Präsident v. Stieler machte nähere Mitteilungen über die Klagen bezüglich der Wagengestellung, die nur für die ersten vaar Tage wegen der dort aufgetretenen Störung berechtigt gewesen seien, sowie bezüglich des Ver­hältnisses von großräumigen gedeckten Wagen in Preußen und Württemberg, welche Vergleichung nicht zu Gunsten der letzteren ausfiel. Aulangend die Benützung der 3. und 4. Wagenklasse stellt sich das Verhältnis so:

3.

Klasse

4. Klasse

Oktober 1906

50

50

Februar 1907

44

55

November 1907

26

74.

Mai 1908

31

69

November 1908

36

64

bei Beachtung der Monatskarten 4. Klasse aller­dings 17:83. Auf einen Achskilometer entfallen an Einnahmen: Januar 1906 8,80 A 1907 7,34 A, 1908 6,98 A 1909 7,57 A Die Verwaltung habe auf anderem Wege etwas erspart. Man habe 2,6°/° an Achskilometern weniger geleistet, zwar roch keine Zugsverminderung eintreten lassen, aber die Zugs­ausrüstung etwas eingeschränkt mit gewisser Ersparnis, und trotzdem seien 3°/° mehr Personen befördert und 5°/° wehr eingenommen worden. Andererseits müsse sich das Publikum bei uns auch an etwas Ueber- füllung auf einzelnen Strecken gewöhnen. Aus der Mitte der Kommission wurden die Klagen über die einzelnen Wagengestellungswirkungen seit der Ge­meinschaft erweitert, speziell die bayrischen Langholz­wagen bemängelt. Von einer Seite wurde befürchtet, ob die Wagengemeinschaft nicht die Verhandlungen über die erwünschte weitergehende Vereinheitlichung erschwere, wenn sie auch sachlich nicht zu beanstanden sei. In der Organisationsfrage sei der Hinweis auf Bayern mit seinem viermal größeren Verkehrsgebiet

allem die Pflicht, das Legendengewebe zu zerreißen, das die Wirklichkeit in Nebel hüllt. Wird hiemit der poetische Zauber zerstört, der dem Ur­sprung Hirsaus eine verklärende Weihe gibt, so gewährt doch der Gewinn, den uns der tatsächliche Verlauf der Geschichte bietet, reichen Ersatz für den Verlust anmutiger Dichtungen.

Von den ersten Jahrzehnten des Hirsauer Klosters wissen wir mehr als von den drei folgenden Jahrhunderten, die in einem unheimlichen Dunkel liegen, und aus denen das Wenige, das wir erfahren, keineswegs lieblich ist und wohllautet, so daß es sich empfiehlt, diese düstern Zeit­räume mit dem Mantel der christlichen Liebe zuzudecken. Die in eine wild bewegte Zeit fallende Anfangsperiode ist deswegen so hell vom Licht der Geschichte beleuchtet, weil Hirsau einen Zentralpunkt für die Kräfte bildete, die damals die Welt bewegten. Wir sind in der Lage, einen Blick aus die mannigfaltige Arbeit zu werfen, die damals im Kloster und vom Kloster aus in die weite Ferne geleistet worden ist; wir lernen eine Reihe geschichtlicher Persönlichkeiten kennen, die hier Schutz, geistige Anregung und frischen Mut zum kämpfen gesucht und gefunden haben; ganz besonders aber können wir uns erheben und erbauen an dem Charakterbilde Abt Wilhelms, der den seltenen Männern beizuzählen ist, in denen die edelsten Bestrebungen ihrer Zeit vorbildlich sich verkörpern.

In der Regel steht der moderne Mensch mit dem Bekenntnis seiner Unwissenheit jener Periode gegenüber, in der Hirsau feine hervorragende Rolle gespielt hat, einer Periode, die mehr als 800 Jahre hinter uns liegt; dennoch ist es der Mühe wert und nicht ohne Reiz, sich lebendig mitempfindend in jene altersgraue Vergangenheit zurückzuversetzen. Auch damals haben Menschen gelebt, von denen wir Heutigen noch lernen können. So total anders auch das ganze Weltbild ist und die Lebensanschauung, innerhalb deren wir uns bewegen, gegenüber der durch die Gedanken des Mönchtums beherrschten Denkweise des Mittelalters, so finden wir doch,

nicht maßgebend, doch die beantragte Erwägung sei jedenfalls angezeigt und sei zu hoffen, daß sie nicht bloS zu papierenem Ergebnis führen möge. Der Abg. Kraut beantragte, die Regierung solle die Erhöhung des Tarifs der 4. Klasse in Erwägung ziehen. Diese Erwägung sollte sofort angestellt werden und sie dürste wohl höher als 2,2 führen, eher auf 2,5 F. Gegen letztere Anregung wandte sich der Ministerpräsident, da sie selber notwendig zu weiteren Maßnahmen (Führung nur einer Holz­klasse) führen müßte. (Morgen Fortsetzung.)

Kornwestheim 3. Juni. Gestern nach­mittag warfen Kinder in böswilliger Absicht nach einem hier durchkommenden eleganten Herr­sch a f t s a u t o m o b i l, das Probefahrten zwischen hier und Ludwigsburg unternommen hatte. Durch die Steinwürfe wurden die Fensterscheiben zer­trümmert, ohne daß die Insassen, ein Offizier und einige Damen, verletzt wurden. Die Chauffeure brachten das Fahrzeug zum Stehen und verfolgten die Kinder. Inzwischen wollte der Bauer Lindenberger von hier, der mit feiner mit 2 Pferden bespannten Mähmaschine aus dem Heimwege war, an der Stelle vorbei. Plötzlich scheuten die Pferde und rannten in das Auto­mobil hinein, das an der Anprallseite stark be­schädigt wurde. Der Fuhrmann wurde dabei von seinem Sitz geschleudert und mußte schwer verletzt ins Krankenhaus geschafft werden. Auch eines der Pferde wurde f.o schwer verletzt, daß es erschossen werden mußte.

Göppingen 3. Juni. Wie erst nach­träglich bekannt wird, sind bei der Unfall­stell e in I e b e n h a u s e n zwei schwere Unglücks- sälle vorgekommen. Am Montag wurde ein Knabe von einem Fuhrwerk überfahren und getötet. Am Dienstag wurde ein Mann namens Johann Krißler von Weilhelm von einem Auto­mobil angefahren, wobei ihm ein Bein zwei­mal gebrochen wurde.

Schramberg 3. Juni. Der frühere Kassier des sozialdemokratischen Metallarbeit er- verb and es der hiesigen Ortsgruppe, Heizmann, wurde von der Strafkammer Rottweil wegen Unterschlagung von ca. 1100 ^ Verbandsgeldern zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt.

Berlin 3. Juni. Zu der nunmehr amt­lich bestätigten Zusammenkunft des Kaisers Wilhelm mit dem Zaren wird aus Petersburg gemeldet, daß Kaiser Wilhelm die Ausreise auf derHohenzollern" am 15. ds. Mts. von Danzig aus antreten wird. Vor Peterhof liegt die russische Kaiseryacht bereit, um den Zaren zu der Zusammenkunft nach den finnischen Schären zu bringen, lieber die ferneren Reisepläne des russischen Kaisers steht jetzt folgendes fest. Der Zar wird um den 20. Juni nach Schweden reisen und wieder nach Rußland zurück, wo er am 7. Juli in Poltawa der 200jährigen Feier des Sieges Peters des Großen beiwohnen und da-

wie wir anders die Geschichte uns zu nutz machen, und statt hängen zu bleiben an den zeitgeschichtlichen Formen, deren Seltsamkeit uns in Ver­wunderung setzt, auf den Grund gehen, bei großen Männern denselben unvergänglichen, allen menschlichen Gedankengebäuden und wechselnden Lebensnormen überlegenen Gehalt, der alle wahrhaft religiösen Menschen bis heute noch in einer unsichtbaren aber innigen Gemeinschaft unter einander verknüpft. Es wäre eine unwürdige Behandlung der Geschichte, wenn wir verkennen oder verkleinern wollten, was jene Zeit Großes hat und was in reiner Absicht erstrebt wurde. Ferne von aller kon­fessionellen Einseitigkeit, aber auch von der Borniertheit, die sich nicht selten einen liberalen Anstrich zu geben weiß, soll insbesondere dem auf Grund verfälschter Schriften verzeichnten Bilde Abt Wilhelms Gerechtigkeit widerfahren. Wenn wir ihn kennen zu lernen suchen, wie er gewesen ist, werden wir verstehen, warum der Mann eine so wunder­bare Herrschaft ausübte auf alle, die in den Bereich seiner Persönlichkeit eintraten und warum sein Kloster durch ihn das süddeutsche Bollwerk wurde in dem furchtbaren Kampfe zwischen Kaiser und Papst. Aber die Liebe, mit der wir dieses Bild betrachten, darf uns andererseits auch nicht blind machen gegen die Schranken, die ihm gezogen waren als einem Kinde seiner Zeit, vielmehr richtet sie sich, frei von aller Parteilichkeit, nach dem apostolischen Grundsatz':Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit." Freuen wir uns über den unwandel­baren Schatz, in dessen Besitze wir uns mit Abt Wilhelm eins wissen, so freuen wir uns nicht weniger darüber, daß das Sklavenjoch zerbrochen ist, das den edeln Geistern des Mittelalters auf den Nacken gelegt war, und daß wir hindurchgedrungen sind zu der herrlichen Freiheit eines Christenmenschen, in deren Element wir unseres Lebens erst wahrhaft froh werden können.

(Die Fortsetzung erscheint jeden Freitag.)