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nicht auf sich nehmen wollte. Dr. v. Kiene (Z.) erklärte sich für den soz. Antrag auf Einbeziehung der in der Landwirtschaft beschäftigten eigenen Kinder unter 12 Jahren in die Unfallversicherung und begründete dann seinen Antrag, wonach die Arbeiter der staatlichen Forstverwaltung bezüglich der Versicherung den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften einverleibt werden sollen, aber nur mit deren Zustimmung, um zu vermeiden, daß anstatt einer Entlastung eine weitere Belastung dieser Genossenschaften durch die jetzt schon unerträglich hohe Umlage eintritt. Die Abgg. Krug (Z.) und Andre (Z.) vertreten dieselbe Auffassung. Mattutat (Soz.) bedauerte die Haltung der Volkspartei gegenüber seinem Antrag. Diese Partei sei nicht zu haben, wenn es sich um sozialpolitische Fortschritte handle; daraus erkläre sich auch, daß ihr Anhang in Arbeiterkreisen immer mehr schwinde. Keßler (Z.) wandte sich gegen die Auffassung, daß die Unfälle in der Landwirtschaft durch Unfallverhütungsvorschriften eingeschränkt werden könnten. Minister v. Pischek betonte, daß der Zusatzantrag Kiene nach seiner Begründung eine Unbilligkeit enthalte, auf die der Finanzminister sich kaum einlassen dürfte. Annehmbar werde der Antrag nur durch Erzielung der Zustimmung „im Wege der Vereinbarung". Braunger (Z.) betonte, daß die Landwirtschaft unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf die Kinderarbeit nicht verzichten könne. Häffner (DP.) suchte den Eindruck zu verwischen, als habe Böhm gestern die Beschäftigung von Kindern in der Landwirtschaft überhaupt bekämpfen wollen, leite die Bedenken des Ministers gegen den Antrag Mattutat, dem aber ein Teil seiner Freunde zustimmen werde. Dieser Antrag wurde sodann angenommen, desgleichen der Antrag der Volkspartei mit dem Zusatzantrag v. Kiene. Das Kapitel wurde genehmigt. Zu Kap. 40: Straßen- bau, begründete Dr. Mülberger (DP.) einen Antrag, die Regierung zu ersuchen, den Entwurf der Wegordnung baldmöglichst zu veröffentlichen. Seit 44 Jahren sei die Wegordnung in Aussicht gestellt und es sei endlich an der Zeit, daß sie den Schoß des Geh.-Rats verlasse. Die Abg. Schmid (Z.), Böhm (D. P.), Feiger (V.), Körner (B. K.) und Betz (V.) unterstützten den Antrag. Fischer (Soz.) wünschte baldige Entscheidung der Regierung über die Frage der Genehmigung der Stuttgarter Kläranlage. Minister v. Pischek führte aus, niemand teile den Wunsch nach baldiger Einbringung des Entwurfs, der 1320000 ,//) erfordern werde, mehr als er, die finanzielle Lage stehe dem aber entgegen. Gegen die Veröffentlichung des Entwurfs habe er keine prinzipiellen Bedenken, nur befürchte er, daß die öffentliche Kritik sich in der Richtung nach einer weitergehende Belastung des Staates bewegen werde, wodurch die Durch
führung des Entwurfs nur erschwert würde. Seine Veröffentlichung könne erst nach Abschluß der Beratungen des Geheimen Rats erfolgen. Der Antrag fand Zustimmung. Oberbaurat v. Leibbrand sagte auf eine Bemerkung des Abg. Feiger zu, daß mit der Teerung von Straßen, um den Staub einzuschränken, fortgefahren werde. Von der Teerung sei eine geringere Abnützung der Straßen zu erwarten. Einen Vergleich mit den Straßen anderer Länder könnten die unsrigen wohl aushalten. Man werde auch in Zukunft fortfahren, für die Erhaltung der Straßen das möglichste zu tun. (Bravo!» Zu der Erigenz von jährlich 650 000 für Straßenverbesserungen und Neubauten bemerkte Präs. v. P aper mit gutem Humor, daß das Vorbringen von Bezirkseinzelwünschen strengstens untersagt sei. (Heiterkeit.) Wieland (D. P.) betonte, die Ulmer Bevölkerung vermisse eine erste Rote für den Bau einer zweiten Donaubrücke zwischen Ulm und Neu-Ulm. Diese Brücke sei für beide Städte dringend notwendig im Interesse ihrer weiteren Entwickelung. Seit 15 Jahren werde darüber verhandelt. Die eine Brücke genüge nicht mehr dem Verkehr. Schmid- Besigheim (Vp.) bedauerte die Verminderung der Erigenz um 65 000 gegenüber früheren Jahren. Dr. Ni ülberger (D. P.) sprach über eine Brücke, worauf Präsident v. Paper bemerkte, wenn diese Brücke im Oberamt Eßlingen liege, so seien die Ausführungen Mülberger nicht zulässig gewesen. (Heiterkeit.) Gegenüber einer Brücke von internationalem Charakter walte eine mildere Praxis. Nach weiterer Debatte verlangte Staudenmeper (V.) schleunigste Aufhebung der Flößerei auf Nagold und Enz. Wenn auch damit ein Stück Schwarzwaldpoesie verloren gehe und der Ruf: Jockele sperr! nicht mehr ertöne, so müsse eben doch der wirtschaftlichen und industriellen Entwickelung Rechnung getragen werden. Die Abg. Rösler (D. P.) und Schaible (B. K.) gaben demselben Wunsche Ausdruck, worauf das Kapitel genehmigt wurde. Weiterberatung Dienstag nachmittag.
Stuttgart 1. Mai. Die Hochstaplerin, der, wie seinerzeit berichtet wurde, die Verwaltung des evangelischen Vereinshauses „Eharlottenheim" zum Opfer gefallen ist, wurde in Köln verhaftet und ins hiesige Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Die Schwindlerin wohnte mehrere Wochen in dem Heim und verschwand dann unter Mitnahme von etwa 600 aus der Kasse und ohne ihre Schulden bezahlt zu haben. Sie hatte es verstanden, sich in das Vertrauen der aufsichtführenden Schwestern einzuschmeicheln.
Stuttgart. Das Programm für die Jahrhundertfeier des Infanterie-Regiments Kaiser Friedrich, König von Preußen
gestrige Tag mit Sturm und Regen, Sonnenschein und Schneefall war ein wetterwindischer Geselle und kein schöner, milder Maientag. Wie der Monat April bei seinem Scheiden sich kalt, wüst und unfreundlich zeigte, so hielt auch der Mai seinen kalten Einzug. Tahin sind die warmen Tage, wie sie im Anfang der April bot, unfreundliche Regen- und Schneeschauer halten die Herrschaft. Bereits blühen die Kirsch- und Pflaumenbäume und die Birnbäume wollen ebenfalls ihre Blüten entfalten. Die volle Entwicklung wird aber durch die naßkalte Witterung zurückgedrängt und starke Reifen bedecken morgens die Felder. Bis jetzt hat die Witterung der Vegetation noch nichts geschadet; eine baldige Aenderung des kalten Wetters ist aber für unsere Obstbäume sehr erwünscht. Bei Eintritt noch größerer Kälte ist Schlimmes für die Blüten zu befürchten.
* Calw 2. Mai. Die Schwarzwaldvereinsblätter bringen in ihrer Nummer 4 die Fortsetzung des Artikels „Das Zabergäu und seine Umrahmung" von H. Schäfer, dann die Fortsetzung des Artikels „Württembergs Salzwerk- und Salinenbetrieb in der Vergangenheit" von Dr. Schmidt, lieber die Ruine „Schenkenburg bei Schenkenzell" berichtet K. Koch und über die „Minnelieder des Bruno v. Hornberg" Th. Mauch. Dem langjährigen Mitarbeiter der Vereinsblütter, Julius Näher in Dresden, geb. in Pforzheim, widmet zum 85. Geburtstag freundliche Worte der Anerkennung mit dem Wunsche eines nicht zu sehr getrübten Lebensabends R. G. Zur Erstellung einer Gedenktafel für den Astronomen F. Bohnenberger in dem Geburtsort Simmozheim oder an der Tübinger Sternwarte oder auf der Solitude fordert der Schriftleiter die Mitglieder des Schwarzwaldvereins hoffnungsvoll aus. Eine Gedenktafel in hübscher, galvanoplastischer Ausführung würde etwa 160 -Rt kosten. Zum Andenken an den Dichter Eduard Paulus wird die Aufstellung eines Bildes auf dem Hohen-Neuffen in Anregung gebracht. Allerlei Nachrichten kommen aus 7 Bezirksvereinen.
— Am 30. April ist von der Evangelischen Oberschulbehörde die 2 Schulstelle in Liebcnzell, Bez. Calw, dem Schullehrer Völmle in Steinenkirch, Bez. Schalkstetten (Geislingen) übertragen worden.
Herrenberg I.Mai. Aus den heutigen Schweinemarkt waren zugesührt 126 Milchschweine, Erlös pro Paar 34—50 -Fch 48 Läuferschweine, Erlös pro Paar 60—100-,/R Verkauf ordentlich.
Stuttgart 1. Mai. (Zw eite Kammer). In der fortgesetzten allzu ausgedehnten Beratung über Kap. 39 des Etats des Innern (Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung) zog Böhm (DP.) seinen gestern gestellten Antrag auf nochmalige Kommissionsberatung zurück, da er das Odium einer Verschleppung der Etatsberatung
überflüssig. „Weiberlaunen!" damit war die ganze Sache abgetan. In Groß-Ellern hatten die Frauen nie die Herrschaft gehabt, der Wille des Mannes allein war maßgebend.
„Ich werde noch einen Ritt machen, Vater, wenn es dir recht ist, oder brauchst du meine Hilfe?"
„Nein, nein, Wilhelm, geh nur. Aber zum Frühstück sei pünktlich da, wir müssen Rücksicht auf Mama nehmen."
„Natürlich", lachte der Sohn auf, „schon Reginas wegen bin ich zur Stelle. Und nachher bleiben wir in deinem Zimmer ein wenig zusammen.
Bald darauf hörte der Vater den Hufschlag des Pferdes und beobachtete vom Fenster, wie der Reiter vergeblich zu Reginas Fenster hinaufblickte, um einen Liebesgruß anzubringen.
„Sie ist klug und stolz", murmelte der alte Herr vor sich hin, „sie wird sich ihre Position schon schaffen." Dann vertiefte er sich wieder in seine Aufzeichnungen.
Wilhelm zog fröhlichen Herzens durch die frühlingsschöne Welt, doch als er auf der Heimkehr dem alten Förster begegnete, fragte er ihn mit kurzen Worten nach seinem Tagewerk, um dann nachlässig hinzusetzen, daß er sich mit Fräulein von Kraußneck verlobt habe.
In Eckardts Augen blitzte es freudig auf, und er gratulierte mit herzlichen Worten, die der junge Herr kaum zu Ende hörte. Ein hochmütiger Blick auf den alten Getreuen war seine ganze Antwort, dann ritt er davon während der Förster tiefer in den Wald schritt, ohne zu ahnen, daß Wilhelm den Umweg am Försterhause vorbei einschlug, in der Hoffnung, dem Rotkopf zu begegnen.
Er sollte Glück haben, denn als er seine Blicke suchend umherschickte, fand er Else in der Nähe der Försterei auf ihrem Lieblingsplatz, dem kleinen Rund, zwischen dichten, hochgewachsenen Schonungen von Edeltannen. Sie lag dort auf dem Boden hingestreckt und schluchzte vor
sich hin. Auf dem weichen Waldboden war der Tritt des Pferdes kaum zu hören und so gelang es. Wilhelm ungesehen abzuspringen und, nachdem er die Zügel um einen Ast geschlungen hatte, sich heimlich zu der Weinenden hinzuschleichen.
„Warum weinst du so, mein rotes Mädel?"
„Wilhelm!" Else sprang auf und hing weinend und lachend an seinem Halse. Unter Schluchzen stieß sie hervor: „Es ist nicht wahr, daß du dich verlobst hast? Die alte Becker brachte es vom Schloß mit, und ich Hab den Unsinn geglaubt."
„Sie hat die Wahrheit gesagt, Rotkopf. Ich habe dich doch nie betrogen. Du wußtest, daß ich einmal heiraten würde."
„Das schöne, stolze Fräulein Regina?"
„Sie wird binnen kurzem meine Frau. Zwischen uns muß jetzt alles aus sein. Komm, gib mir noch einen süßen Kuß. Rotkopf, so als letzte Wegzehrung."
Aber die leichtfertige Art, mit der Wilhelm sich von ihr lösen wollte, empörte ihr heißes Blut, sie stieß ihn zurück und wehrte sich in seinen Armen wie eine wilde Katze. Lachend ließ er sie los, und sie lief zornig davon.
„Schade!" sagte Ellern vor sich hin, als er sein Pferd wieder bestieg und nachdenklich auf dem kürzesten Weg dem Schlöffe zuritt. Nur zu bald hatte er den ganzen Austritt vergessen. Eine hübsche Episode, wie so vieles andere in seinem Leben, was war's weiter!
Er sollte nocheinmal daran erinnert werden, als er einige Tage später im Zimmer seines Vaters Eckardt traf, der sich gerade zurückziehen wollte.
„Also es bleibt dabei, ich spreche selber mit dem Oberförster", rief der alte Herr freundlich nach.
(Fortsetzung folgt.)