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Leutkirch und Urlau zwischen dem Rekruten Ge- dige von Leutkirch und einem Dutzend Urlauer Rekruten zu einem Streit, der in ein Geraufe ausartete, wobei das Messer auf beiden Seiten wieder eine große Rolle spielte. Als der Rekrut Gedige, dem man die Kleider vom Leibe ge­rissen hatte, blutüberströmt, durch mehrere Stiche verletzt, nach Hause kam, griff er in seiner Auf­regung plötzlich nach einem Revolver und schoß sich eine Kugel durch den Kopf, so daß er tot zu Boden stürzte.

Pforzheim 30. März. Der langjährige liberale Landtagsabgeordnete für Pforzheim l Bijouteriefabrikant Albert Wittum ist von schwerer Krankheit befallen worden und sieht im städtischen Krankenhaus einer Gallensteinoperation entgegen.

Mannheim 28. März. Gestern gingen zwei wertvolle Automobile hiesiger Besitzer durch Brand zu Grunde. In der Nähe von Maudach stieß ein Chauffeur des Automobil­händlers Fritz Held aus einen Steinhaufen, der Benzinbehälter wurde leck, das Benzin ent­zündete sich und das Fahrzeug verbrannte voll­ständig. In einer Garage in Neckarau geriet das Automobil eines Fabrikanten auf noch nicht festgestellte Weise in Brand und wurde voll­ständig zerstört.

Mannheim 3«. März. Unter dem Motto: Ein glückliches Elternpaar, das recht viele Eltern glücklich sehen möchte", sind dem Oberbürgermeister weitere 500 für die Verab­reichung von Mittagessen an bedürftige Schul­kinder überwiesen worden.

Berlin 30 März. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat lautVorwärts" an die englischeArbeiter Partei folgendes Tele­gramm gerichtet:An die Arbeiterpartei im Unterhaus, zu Händen des Vorsitzenden Keir- Hardie. Die Sozialdemokratie im deutschen Reich begründete heute einen Antrag aus internationale Einschränkung der Rüstungen zur See und auf Abschaffung des Prisenrechts. In der Hoffnung, daß die englische und die deutsche Sozialdemokratie in der Förderung des Friedens Erfolg haben werden, sendet der Arbeiterpartei brüderlichste Grüße im Namen der deutschen Sozialdemokratie Paul Singer.

Berlin 30. März. (Reichstag). Tages­ordnung: Fortsetzung der zweiten Lesung des Etats des Reichskanzlers und zwar stehen zur Verhandlung die Fragen der inneren Politik. Abg. Bass ermann intl.) spricht ausführlich über die Finanzreform dabei betonend, daß in allen Kreisen der Bürgerschaft Uebereinstimmung darüber herrsche, daß eine Sanierung der Reichs­finanzen notwendig und dringend sei. Seine

Partei könne einer Finanzreform, die allgemeine Verbrauchssteuern schafft und den Rest auf die Matrikularbeiträge legt, nicht mitmachen. Wenn der Verbrauch der Masten belastet wird durch neue Konsumsteueren, wenn er belastet werden muß, dann darf der Besitz nicht frei bleiben. Seine Freunde halten in der weit überwiegenden Mehrheit den Ausbau der Erbschaftssteuer mit Heranziehung der Ehefrau und Deszendenten für den einzig gangbaren Weg. In seinen weiteren Ausführungen erörtert Redner die Haltung des Blocks in dieser Frage, den er jetzt schon für gescheitert betrachtet, spricht sich weiter gegen ein Zustandekommen der Finanz­reform mit Hilfe des Zentrums aus und wendet sich gegen ein Bündnis des Liberalismus mit der Sozialdemokratie. Nur Festigkeit der Re­gierung werde dem Gedanken der Nachlaß­steuer zum Siege verhelfen, nötigenfalls unter Appell an das Volk. Abg. Bonders cheer (Elsässer) erinnert an die Forderung der staat­lichen Selbständigkeit Elsaß-Lothringens. Staats­sekretär Bethmann-Hollweg erklärt, die Arbeiten würden weiter gefördert. Die Frage biete staatsrechtlich große Schwierigkeiten. Abg. Dr. Wiemer (frs. Vp.) macht die Regierung verantwortlich an dem langsamen Fortschreiten der Finanzreform. Seine Freunde hätten schwere Bedenken zurückgestellt, die sie gegen eine weitere und so starke Mehrbelastung des Volkes mit neuen indirekten Steuern gehaht hätten. Wenn seine Fraktion auch in sie einwillige, so geschehe dies nur unter der Voraussetzung einer beträchtlichen Besteuerung des Besitzes und erfolge diese nicht würden die Freisinnigen auch ihre Zustimmung zu den indirekten Steuern zurückziehen. Redner übt dann schwere Kritik an der skrupellosen Agi­tation des Bundes der Landwirte. (Während dieser ganzen Ausführungen wird Redner von rechts fortgesetzt durch lebhafte Rufe des Wider­spruchs unterbrochen) Redner schließt: Wir werden unser Handeln einrichten nach den gegebenen Verhältnissen. Für uns aber wird Rocher de bronze bleiben: Hebung der Wohlfahrt des ganzen Volkes. Abg. v. Richthofen (kons.) betont, seine Partei wolle nach wie vor die Reichsfinanzreform in jeder Weise fördern. Die Branntweinsteuer könne in der Weise geregelt werden, daß die großen Interessen der Brannt- weinproduzenten gewahrt werden. Redner be­streitet, daß die Konservativen den Block sprengen wollten und fährt mit erhobener Stimme fort! Es ist nicht wahr, daß wir gesagt haben, wir wollen die ganze Reichsfinanzreform mit dem Zentrum machen. Wir haben nur gesagt, wir müssen die Majorität finden, ganz gleich mit wem und wo wir sie finden. Das Vaterland geht uns auch über Parteikonstellationen. Abg. David (Soz.) wünscht eine rationellere Besteuerung des Luxus.

Redner greift weiter die Freunde der Wahlrechts­reform in Preußen an, die Gelüste nach neuen Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie habe und erklärt die Situation aus den Kämpfen um die Person des Kaisers. Weiter polemisiert Redner gegen die Grubenbesitzer, die die Nachlaß­steuer ablehnten und sich des Trägers der Krone als Werkzeuge bedienten^um unter Umständen auch unbequeme Männer im Ministerium bei Seite zu schaffen. Abg. Fürst Hatzfeld (Rp.) erklärt, seine Freunde wollten keine einseitige Jnteresten- politik, auch keine einseitig agrarische. Sie wollen ferner die Heranziehung des Besitzes. Seine Fraktion werde auch einer steuerlichen Belastung der Erbanfälle auf Deszedenten und Ehegatten zustimmen und einer Finanzreform aus diesem Wege nicht hinderlich sein. Abg. Liebermann- Sonnenberg (W. Vg.) äußert sich in ähnlicher Weise. Abg. Haußmann (südd. Vp.) präzisiert den Standpunkt seiner Partei dahin: ohne Nach­laßsteuer keine indirekte Steuer. Abg. Zimmer­mann (Rfp.) erklärt sich für die Nachlaßsteuer rc. Nach einer kurzen Erklärung des Abg. Götz von Ohlenhusen (Welfe) ergreift Reichskanzler Fürst Bülow das Wort und führt aus: Er werde dem Kaiser zur Seite stehen, solange er das will und solange er (Bülow) glaube, daß es im Inte­resse des Landes liegt. Es gebe keine Kamarilla. Redner bestreitet ein neues Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie in Aussicht gestellt zu haben und betont, daß die gegenwärtigen Gesetze aus­reichend seien. Was die Finanzreform anlange, so fährt der Kanzler fort, bleiben die Regierungen dabei, daß von der halben Milliarde ein Teil durch Besitzsteuern aufgebracht werden muß. Redner glaubt, der Gedanke der Paarung liberalen und konservativen Geistes hat im Lande schon zu festen Boden gefaßt, als daß er durch Schwierig­keiten erstickt werden könnte. Die Regierung verlange eine Erledigung der Finanzreform von diesem Reichstage noch in dieser Session. Zeigen Sie, daß Sie das können im Interesse unseres Ansehens im Auslande und auch im Interesse des Ansehens des Reichstages. (Leb­hafter Beifall.) Abg. «.Oldenburg (kons.) wendet sich lebhaft gegen die Ausführungen bezw. An­griffe Wiemers und Haußmanns auf die Kon­servativen und Agrar-Demagogen. Wenn der Block in Trümmer gehe, so liege das nur an der gewohnheitsmäßigen Unfähigkeit der Liberalen, politische Situationen richtig zu erkennen. In Bezug auf die Besteuerung der Erbanfälle an Deszendenten sei er in Uebereinstimmung mit einem sehr großen Teil seiner Freunde. Abg. Mommsen (frs. Vg.) weist hin auf die Schwierig­keiten eines tieferen Eindringens in die Ge­heimnisse der Branntweinsteuer-Gesetzgebung. Wenn die Konservativen mit dem Bund der Landwirte bei der Auffassung des Abgeordneten

Berg trat ein.Na, Mieze, was sagst du, unser Hinko kommt!" Er ließ sich schwer auf einen Stuhl sinken. Seit einiger Zeit fühlte er sich merkwürdig angegriffen und selbst kleinen Erregungen nicht mehr ge­wachsen.Ich muß sagen, er ist nie so sehr zur guten Zeit gekommen, wie eben jetzt. Ich kann seine Fröhlichkeit brauchen."Vater!" Marie lag schon vor ihm auf den Knieen und sah ihm besorgt in die Augen. Wie du das sagst, Vater!"

Laß nur" er fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das wellige Kraushaar und stand hastig auf.Aber wenns schon mit den Ehrenpforten nichts wird in ein festlich Gewand solltet ihr euch doch werfen, auf daß er würdig empfangen werde."

Nun sah er, daß Inge den Kopf sinken ließ, und so eilte er schnell zu ihr hin.Verzeihen Sie," bat er herzlich,Sie sind nun lange ge­nug hier, um zu wissen, daß es bei uns recht still ist, und da schickt man eben die Freude nicht fort, wenn sie doch einmal anpocht. Der, den wir da erwarten, ist der einzige Sohn meiner einzigen Schwester ist es da nicht natürlich, daß sein Besuch mich glücklich macht? Aber es wird um seinetwillen auch nicht geräuschvoller bei uns werden, als es bis­her gewesen. Hinko ist ein Sonderling, der den Menschen gern aus dem Wege geht. Feste sind schon gar nicht nach seinem Geschmack, und so wird seine Anwesenheit keine Veränderungen bringen. Nur ein wenig Sonnenschein mehr wird er ins Haus tragen na, und davon hat man doch nie zuviel und auch Sie können ihn brauchen."

Um die Mittagszeit kam Hinko wirklich. Die Mädchen hatten ihn vom Gartenzimmer aus kommen sehen, und Marie war ihm durch den Garten entgegeneilt. Hinko nahm sie ohne viele Umstände in die Arme und küßte sie herzhaft ab. Dann erst sah er sie ordentlich an.Donner­wetter, Mädel bist du schön geworden!" Er betrachtete sie so un­geniert, daß sie verwirrt und errötend die Augen sinken ließ. Dann

lachte sie ihn an.Und du bist genau so unausstehlich, wie du immer warst.Stimmt!" gab er gelassen zu.So Gott will, darfst du sogar einige Fortschritte in der Unkultur an mir entdecken. Aber da kommt dein Vater!"

Herr Berg, den Inge verständigt hatte, kam nun gleichfalls aus dem Hause, und Hinko ging ihm mit großen Schritten entgegen.Onkel"! Mein lieber, guter Junge, sei mir tausendmal willkommen!" Diebeiden Männer begrüßten sich ungemein herzlich.Weißt du auch, daß ich dir wirklich böse war!" begann Berg mit wohlwollendem Vorwurf.Zwei Jahre sinds ja wohl, daß du nicht bei uns warst ich glaube sogar, es sind schon ein paar Monate darüber! Es lag doch wahrhaftig kein Grund vor, uns so aus dem Wege zu gehen."

Das allerdings nicht," gestand er zu,aber ich muß arbeiten, Onkel. Und dann: Ich Hab' doch in all der Zeit mein Mutting nicht gesehen das soll erst kommen, wenn ich von euch gehe. Außerdem kommt es noch darauf an, ob ich euch alle nicht am meisten entbehrt habe."

Hinko mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Er war nicht schön. Eine untersetzte, gedrungene Gestalt, auf der ein mächtiger, ziemlich derb geschnittener Kopf saß. Aber in dem energischen Gesicht glühten ein Paar dunkle Augen, denen es, wie Marie behauptete, eigentümlich war, durch und durch zu sehen, und der buschige Schnurrbart über dem vollen Mund gab dem Gesicht mit dem dunklen Teint ein fast südländisches Aussehen. Drinnen im Eingang wartete Inge. Marie eilte auf sie zu und führte sie dem Gast einen Schritt entgegen.Das hier ist Hinko," sagte sie vorstellend,und das hier ist Inge Bornemann, meine Schwester." Inge reichte ihm freundlich die Hand.Ich freue mich! Marie hat mir in der letzten Stunde so viel von Ihnen erzählt, daß Sie mir kein Fremder mehr sind."

(Fortsetzung folgt.)