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finanziellen Seite hin. Erst müsse der Reichstag Klarheit darüber erhalten, was diese Hochschule das Reich für die Dauer kosten werde, ehe selbst einmal dafür geforderte Summen bewilligt werden können. Abg. Heckscher (frs. Vg.) erklärt sich im Gegensatz zu Gothein für den Schulplan und widerspricht den Ledebour'schen Forderungen, auf Kiau Tschou zu verzichten. Auch die Chinesenschule rechtfertige sich. Die chinesische Jugend dürste jetzt nach moderner Kultur und da hätten wir allen Anlaß, ihnen die deutsche Kultur zu bringen. Ein Teil seiner Freunde werde daher die Gotheinschen Bedenken gegen den ganzen Schulplan überwinden. Nach nochmaligen Bemerkungen des Abg. Ledebour erklärt Staatssekretär Tirpitz: Da ich annehme, daß bezüglich der Aufgabe von Kiau Tschou und bezüglich der Vertretung unserer Ehre Herr Ledebour und seine Freunde mit ihrer Auffassung allein stehen dürften, gehe ich darauf nicht weiter ein. (Beifall.) Redner verteidigt dann noch gegenüber Gothein die Schulpläne für Tsingtau. Durch diese werde das gute Verhältniß zu den Chinesen erheblich gekräftigt. Nach weiteren Bemerkungen der Abg. Eickhoff und Gothein wird der Etat nach den Beschlüssen der Kommission angenommen. Der Etat für die Expedition nach Ostasien passiert ohne Debatte. Es folgt die 3. Lesung des Automobilgesetzes. Abg. Oertzen (Rp.) sieht in dem Gesetz eine genügende Sicherheit, für das Publikum. Für die Haftpflicht muß eine feste Grenze gezogen werden, die wir auf 50 000 ^ ansetzen zu sollen glauben. Abg. Stadthagen (Soz.): Wir stimmen dem Gesetze zu, auch wenn unsere Anträge abgelehnt werden. Graf Carm er (Kons.) befürwortet eine Resolution auf Verbot von Wett-, Dauer-, Zuverlässigkeits- und Touren- sahrten auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Staatssekretär v. Bethmann-Holweg: Die Verhandlungen zur Errichtung einer Rennbahn sind infolge finanzieller Verhältnisse gescheitert. Hoffentlich werden die Schwierigkeiten überwunden ; sonst könnte das ganze Automobilwesen in eine unangenehme Lage kommen. Darauf wird das Gesetz in der vom Prinzen Schönaich- Carolath beantragten en dloe-Abstimmung einstimmig angenommen. Damit ist die Tagesordnung erledigt.
Berlin 27. März. Gegenüber dem Gerücht, daß die Reichspostverwaltung das Marken- Ab kommen mit Württemberg zu kündigen beabsichtige, wird uns von zuständiger Seite mitge- teilt, daß hiervon keine Rede sein könne. Wenn Verhandlungen schwebten, so handle es sich lediglich um interne Verwaltungsangelegenheiten, speziell des Verrechnungswesens, was aber für i die Oeffentlichkeit kaum von Interesse sein könne.
Berlin. Oesterreich hat bekanntlich der englischen Regierung auf deren Wunsch seine Minde st forderungengegen Serbien mitgeteilt. Nach der „Voss. Ztg." sind diese Forderungen folgende: Abrüstung und Verminderung der serbischen Armee auf den Stand vom 1. Januar 1908, Zurückziehung der Banden von der bosnischen Grenze, Verzicht auf jede Einmischung in die Entwicklung Bosniens und der Herzegowina, die Teile der österreichisch-ungarischen Monarchie sind, und eine direkte Erklärung in Wien» daß Serbien von nun an gewilligt ist, mit Oesterreich gute Nachbarschaft zu halten.
Dresden 27. März. Der preußische Major a. D, Franz Hamond, schoß sich heute hier in seiner Wohnung eine Kugel in den Kopf und war sofort tot. Der 78 Jahre alte Herr soll leidend gewesen sein.
Paris 27. März. Der Versammlung der Post- und Tele g raph en bea m ten, welche diese Nacht stattfand, wohnten über Tausend Personen bei. Verschiedene Redner erklärtem, der Ausstand werde von Neuem beginnen, wenn auch nur ein einziger Angestellter seines Amtes enthoben würde. Es wurde hierauf eine Tagesordnung angenommen, worin erklärt wird, daß augenblicklich der Zeitpunkt schlecht gewählt wäre, neue Kundgebungen zu veranstalten. Die Kameraden werden jedoch ersucht, sich heute und morgen von neuem zu versammeln, um die Beschlüsse und Ansichten der Regierung zu prüfen.
Die Teilnehmer erklärten ihre Solidarität und ihre Entschlossenheit, ihre Rechte bis ans Ende zu verteidigen.
Paris 27. März. „Petit Journal" bestätigt in einer Meldung aus Rom, daß König Eduard und Kaiser Wilhelm auf ihrer Kreuzfahrt im Mittelmeer eine Begegnung haben werden.
Mailand 28. März. Zu aufregenden Krawallen kam es hier, als mehrere Häuser, aus deren Terrain der neue Bahnhof erbaut werden soll, geräumt wurden. 400 Familien setzten sich zur Wehr und griffen die Maurer an. Im Kampf blieb eine Frau tot, zwei Männer wurden schwer verwundet. Die Behörden verfügten die vorläufige Einstellung der Abbrucharbeiten.
Rom 27. März. 700 Personen, Männer und Frauen von Trasso Tolesino wollten ihrem Bürgermeister, der demissionirt hatte eine Vertrauenskundgebung darbringen und beschlossen in einer Versammlung, hierzu das Stadtbanner zu holen. Unter gewaltigem Lärm zog die Menge vor das Rathaus in dem sich der Polizei-Kommissar mit vier Gendarmen und vier Stadtpolizisten verbarrikadiert hatte. Vergeblich ermahnten die Beamten die Leute zur Ruhe. Sie hörten nicht darauf, holten Leitern herbei, stürmten das Rathaus und zündeten es an. Die Beamten feuerten darauf und einer aus der Menge fiel tot zu Boden, während mehrere schwer verletzt wurden. Nun kannte die Wut der Menge keine Grenzen mehr. Man zerstörte alles und ruhte nicht eher, bis das ganze städtische Archiv von den Flammen vernichtet war.
Wien 27. März. Die serbische Kronprinzenfrage ist nach den vorliegenden Berichten unklar. Der Kronprinz ist unsichtbar und empfängt Niemanden. Der Ministerrat hat die Entscheidung über den Verzicht auf den König abgewälzt. Es scheint, daß KönigPeter durch die militärischen Kundgebungen für den Kronprinzen schwankend geworden ist. Darum gilt es als möglich, daß der Kronprinz seine Abdankung zurückzieht. Die Sache wird sich vielleicht noch einige Tage hinziehen bis die Kriegsgefahr entschieden ist. Mehrfache Berichte bestätigten, daß der Verzicht kein freiwilliger gewesen ist, jetzt aber will ihn der Kronprinz nicht widerrufen. Sein Bruder weigert sich noch immer, die Thronfolge anzunehmen.
Wien 27. März. Die Verhandlungen zwischen England und Oesterreich stehen heute so, daß man in Wien die Antwort Greys ! aus die Aenderungen, die Baron Aehrental aü dem englischen Vorschläge gemacht hat, abwartet. Falls die Antwort bis Montag nicht eintrifft, wird Graf Forgach ohne Rücksicht auf den Verlauf der Verhandlungen angewiesen werden, die österreichische Note in Belgrad zu überreichen.
Wien 27. März. Graf Forgach war gestern, wie aus Belgrad gemeldet wird, zwei Stunden bei Milowanowitsch. Hieraus fand ein Ministerrat statt. Allem Anschein nach ist scmit die österreichisch-serbische Verständigung in die Wege geleitet.
Wien 27. März. Der „Neuen Freien Presse" wird aus London gemeldet: In den diplomatischen Verhandlungen, die sich gegenwärtig abspielen, ist eine neue wenig erfreuliche Tatsache zu verzeichnen. Ihre sachliche Bedeutung ist vorläufig nicht abzuschätzen und wird vielleicht nur gering sein, aber der Eindruck kann in Wien kein günstiger sein. Diese Tatsache ist, daß England seine Zustimmung zur Annexion von dem Zustandekommen einer Einigung mit Serbien abhängig macht. Man hofft noch, daß die Verhandlungen mit der österreichisch-ungarischen Regierung wegen des Wortlautes der serbischen Erklärung zu einem befriedigenden Ergebnis führen werde.
Budapest 27. März. Hochwasser richtet in verschiedenen Teilen Ungarns großen Schaden an. Mehrere Ortschaften stehen unter Wasser. Zahlreiche Brücken sind von den zu Strömen angeschwollenen Gebirgsbächen weggerissen. Die Kommunikation ist vielfach gestört.
Belgrad 27. März. Alle Bemühungen, den Kronprinzen zum Widerruf seiner Verzichtsleistung zu bewegen, sind bisher gescheitert. Eine Offiziersdeputation will den Kronprinzen nunmehr unter der Versicherung, daß sein Ansehen in der Armee durch die über ihn verbreiteten Gerüchte in keiner Weise gelitten hätte, dringend ersuchen, seine Verzichtleistung zurückzunehmen. — Wie verlautet, ist für heute Abend eine große Demonstration vor dem russischenGesandtschafts- gebäude geplant. Die Regierung hat umfassende Maßnahmen vorgesehen.
Vermischtes.
Vom ungeratenen Sprößling des Serbenpeter. Eine neue amtliche Erklärung der serbischen Regierung führt den Tod des kronprinzlichen Dieners Kolakowitsch auf einen unglücklichen Zufall zurück. Die serbischen Zeitungen stellen im Gegensatz zu den amtlichen Kundgebungen den Vorgang folgendermaßen dar: Eines Morgens soll der Kronprinz dem verstorbenen Diener, der übrigens sechs Kinder hinterläßt, befohlen haben, er möge ihm seine Garderobe bringen. Der Diener tat dies, legte die Stiefel vor den Sessel und die Beinkleider seitwärts davon. Aus Zerstreuung aber zog der gute Georg erst die Stiefel an, und der Adjutant, der in diesem Augenblick in das Zimmer trat, machte ihn auf seinen Irrtum aufmerksam. Darüber wurde dieser derart zornig, daß er, fürchterliche Schimpfworte gebrauchend, sich auf den Diener stürzte, ihm mit der Faust mehrere Male ins Gesicht hieb, zu Boden warf und mit dem gespornten Stiefel gegen den Unterleib stieß. Ein Bruchband das Kolakowitsch trug, platzte infolge der Fußstöße, und das Eisen im Bruchband drang dem Unglücklichen in den Leib. Kolakowisch blieb bewußtlos am Boden liegen. Dann wurde er ins Spital übergeführt, wo sein gefährlicher Zustand sofort erkannt wurde. Der König wurde von dem Vorfall verständigt. Er besuchte auch sofort den Diener im Krankenhaus und bat die Aerzte sehr, alles zu unternehmen, damit Kolakowitsch gerettet werde. Aber die Bemühungen waren erfolglos. So ist denn der „grüne Kronprinz" jetzt vielleicht am Ende seiner Taten in Serbien angelangt. Es heißt, er werde ins Ausland gehen und so den Schleier der Vergessenheit über das Geschehene zu ziehen suchen. Gleichzeitig damit solle gemäß der Verfassung der zweite Sohn des Königs, der am 17. Dez. 1888 geborene Prinz Alexander, zum Thronfolger öffentlich ernannt werden.
Entschlossene Beseitigung des Alkohols aus einer Irrenanstalt. Schon im Jahre 1905 konnte der bekannte Psychiater Direktor Dr. Delbrück-Bremen als Ergebnis einer Umfrage, die er bei den Irrenanstalten des Deutschen Sprachgebiets veranstaltet hatte, Mitteilen, daß — soweit Antworten eingingen — in 30 Anstalten kein Patient ein geistiges Getränk bekam, 92 den Alkoholikern keine geistigen Getränke gaben, sondern nur gelegentlich andern Patienten. Inzwischen hat diese Bewegung weitere Fortschritte gemacht, und die Zahl der Irrenanstalten mehrt sich beständig, in denen der Alkohol nicht bloß aus der Verpflegung der Patienten, sondern überhaupt aus dem ganzen Anstaltsleben (Aerzte, Wartepersonal usf.) entfernt ist. Sehr entschieden geht soeben die württembergische K. Pflege- und Heilanstalt Schussenried vor, indem sie den Alkohol gänzlich beseitigt und nur noch Arzneimittel beibehält. Soweit geht die Oekonomie- verwaltung der Anstalt, daß sie die noch vorhandenen Vorräte an Most (Apfelwein) öffentlich zum Verkaufe ausbietet, um allen Alkohol aus ihren Lagern zu bringen.
Flmdmrtschastlilhtt Ktjirksnttei« Sal«.
Am Mittwoch, 31. März, nachm. 3 Uhr, findet im Gasthaus zum Ochsen in Zwerenberg das Prüfungs Esten des Wauderkochknrses statt, wozu jedermann freundlichst eingeladen wird.
Calw, 26. März 1909.
Der Vereinsvorstand:
Regierungsrat Voelter.