106

stimmte sie dadurch zur Zahlung von Gebühren undAuslagevorschüffen in Höhe von 2 bi« 90 In Wahrheit war er lediglich Unteragent, der die Larlehensgesuche sammelte und an sogenannte Geldinstitute in Berlin, Braunschweig und Ham­burg weitergab, die ihrerseits auch wieder blo« Darlehen vermitteln» da» heißt, keine festen Dar­lehensgeber an der Hand haben, sondern von Fall zu Fall versuchen, bei ihnen teilweise ganz un­bekannten Geldgebern (Banken und Private), die «affknhaft eingehenden Darlehenrgesvche unter- znbringen. Von sämtlichen Darlehenssuchern hat auch kein einziger ein Darlehen erhalten. Im Ganzen gelangten 208 Fülle zur Anzeige, e« wurden aber nur 50 Fälle unter Anklage gestellt. Gegen das schöffengerichtliche Urteil legte Woydan ^ Berufung ein und erzielte Freisprechung in 26 Füllen. Wegen der übrigen 24 Fälle erkannte die Strafkammer gegen ihn aus 15 Tage Ge- fängni« unter Anrechnung von 2 Monaten Unter­suchungshaft.

Stuttgart. Am vergangenen Sonntag sprach im Lesesaal der Volkrbibliothek Redakteur Dr. Klaiber über »Hermann Hesse". Der Vortragende gab zuerst einen kurzen Ueberblick über das btiherige Leben de« Dichter«, charakterisierte dann seine Stellung in der literarischen Gesowt- entwicklung und besprach hierauf an der Hand der einzelnen Werke von den romantischen Liedern an bis auf die neueste Sammlung von Erzählungen »Nachbarn" die Grurdzüge seiner dichterischen Eigenart, die in den Gedichten, dem nur wehr in fünfzigster Auflage vorliegenden .Peter Samen, zind", der ergreifenden Erzählungaus dem Schüler- leben »Unterm Rad" und einzelnen der kleineren Arbeiten der Dichter« (Die Marmorsäge, In der alten Sonne rc.) sich am anschaulichsten entfaltet. Reife Sprachkunst, ungemeine Feinheit und Lebendig­keit der Naturgesühls und der Naturschilderung vereinigen sich in düsen Werken mit einer milden abgeklärten Lebensauffassung und einer ungewöhn­lichen Zartheit in der Darstellung seelischer Vorgänge, besonder« au« dem Kinder- und Knaben- leben. Hie und da läßt der Dichter auch die Lichter eine« feinen Humors über da« Menschen­treiben Hinspielen, immer aber ist er der Freund alle» wahrhaft Menschlichen, wie e« ihm in ein. fachen Verhältniffen bei schlichten Leuten besonder« unverfälscht und unverschnörkelt entgegentritt. Feinfinnig gewählte Proben au« den Werken de« Dichter«, unter denen die humoristischer Art große Heiterkeit auslösten, ergänzten den Vortrag, dem die zahlreich erschienenen Zuhörer mit sichtlichem Interesse folgten und am Schluffe dankbaren Beifall spendeten.

Gerlingen 2. Jan. Im Revier des Hofjagdamt« auf Gerlinger Markung wurden von einem Angestellten de« Hosjagdamt 4 Wilderer beim Jagen beobachtet. E« gelang aber dem Beamten nicht, die Namen der Beteiligten fest-

zuflellen. Auf die Benachrichtigung de» Station«- kommandanten in Leonberg hin wurden 3 der Verdächtigen beim Betreten der Stadt abgefaßt, heute früh ein vierter verhaftet. Die 4 Ver­dächtigen hatten 2 Hunde und 2 Hasen bei sich.

Tübingen 2. Febr. Der verunglückte Studierende Roller wurde gestern mit akade­mischem Gepränge und unter Teilnahme der Kommilitonen oller Korporationen beerdigt. Dem Vater wurde allgemeine Teilnahme entgrgen- gebracht.

Pfullingen 2. Febr- Nebel mitgespielt mit Stöcken und Messern hoben einige Wärter der Privatirrenanstalt dem Schutzmann, der die Leute dir zum Tor der Anstalt verfolgte, um sie festzuflellkn. Drei der Täter wurden dem Amtsgericht in Reutlingen zugeführt.

Friedrichshafen 2.Febr. DieArbeiten an dem im Bau begriffenen Luftschiff 2 II, dos sich roch in der alten Halle befindet, schreiten rasch vorwärt». Gegenwärtig ist man damit be­schäftigt. de« Gerippe de« Ballon« zu montieren. Bi« Ende Februar wird er dann soweit stabil sein, daß ec in die Reichrballo hclle überbracht werden kann. Dcselkst werden die Gondeln, da« Höbenfleuer und de« Getriebwerk angebracht. Ein wesentlicher Unterschied des neuen Luftschiffe« gegen 2 I liegt darin, dvß der 2 II hinten da« Hecksteuer erhielt, außerdem erhalten die Propeller nur zwei Flügel statt drei. Sie wurden vorher auf dem Luftschraubenboot gründlich ausprobiert; dabei wurde ein gutes Resultat erzielt. Da« Geräusch der Flügel, der da« Her annahen des Luftschiffes auf mehrere Kilometer verriet, ver schwindet fast ganz. Der vom Reich abgcnommene 2 I wird noch im Lauf dieser Monats aus der Reicht Halle fortkommen.

Ulm 1. Febr. Geißböcke fressenin der Regel Grünzeug, in Wiblingen hat aber einer Zwanzigmarkscheine gefressen. Bei einem dortigen Wirt kam der Ge ßbock in die Wirts- stube, die eben leer war und spürte das Plätzchen auf, an dem der Wirt sein Geld verwahrte. Die raschelnden Banknoten erregten dis Fnßlust des Bockes und er fraß die Zwanzigmarkscheine. Beim Vertilgen eines vierten wurde der sonderbare Gast überrascht und als man das Unheil werkle, da» er ongerichtet, sofort geschlachtet, um wenigsten» die Nummer der Scheine zu erlangen. Es gelang die« aber nicht, denn dar Papier war schon zu sehr verkaut.

Friedrichshafen 2. Febr. Zur Luft- schiffahrtsausstellung, die vom 10. Juni bi« 10. Oktober in Frankfurt a. M. stattfindet, haben auch Graf Appelin und Major v. Parseval ihr Erscheinen zugesagt und zwar in der Weise, daß ein starres und ein unstarres Luftschiff von Friedrichshofen bezw. von Bitterfeld au«, den Flug noch Frankfurt a. M. unternehmen und dann

dort kleinere Probefahrten vorsühren, auf denen auch Passagiere mitgenommen werden sollen. Die Zeppelingesellschaft macht ihre Beschickung nur von der Errichtung einer Halle für ihre Luft­schiffe etwa unweit Frankfurt abhängig; fie würde aber, wenn ihr diese Holle gebaut würde» geneigt sein, Frankfurt zu einer Art Zentrum für aus­gedehnte Paffagierfahrten etwa den Rhein hinauf und zum Bodenseegebiet hinunter zu wachen. I« Düsseldorf ist man bereit, eventuell eine Aufnahme- Halle für die Rhein abwärts kommerden Luftschiffe herzustellen. Auch Hamburg würde als Endpunkt einer Route in Frage kommen, wenn dort eben­falls eine Bergungshalls eingerichtet würde. Sin dem Zeppelinunternehmen nahestehender Ham­burger Herr besichtigte gestern die Dock« bei Blchm und Voß, um festzustellen, ob diese etwa zur Bergung eines nach Hamburg fliegenden Luft­schiffes geeignet find.

Münster i. W. 2. Feb. In der Nacht zu heute flog in Telgte, einer kleinen westfälischen Stadt in der Nähe von Münster, die Aero-Gas- anstatt in die Luft. Da« Gebäude ist gänz­lich zerstört und auch mehrere Nachbarhäuser find stark beschädigt. Menschen find nicht ums Leben gekommen. Die Ursache der Explosion ist noch nicht festgestellt.

Berlin. Der »Reichsanzeiger" veröffent- licht nachfolgenden Erlaß des Kaiser«: Au« Anlaß der Vollendung meines 50. Lebensjahrs find mir schriftliche und telegraphische Glück- und Segenswünsche in besonders großer Zahl von nah und fern zugegangen. Mein Geburtrtag ist in Stadt und Land, von Behörden, Vereinen und Korporationen, du, ch Veranstaltungen mannigfacher Art festlich begc ngm worden. Auch dis im Aus­land lebenden Deutschen haben sich vereinigt und mir ihre Treue und Anhänglichkeit zum Ausdruck gebracht. Diese Kundgebungen vertrauens­voller Zuneigung haben meinem Herzen wohlgetan, und er ist mir eine angenehme Pflicht, allen, welche meiner an diesem Tage mit freund­lichen Glückwünschen und treuer Fürbitte gedacht haben, weinen wärmsten Dank auezusprechen.

Berlin 2. Febr. In Oranienburg hat sich ein Vorfall ereignet, der dort allgemeine« Aussehen Hervorrust: Mehrere Bürger, darunter der Steinmetzweister Marschner hatten eine Schlüter Partie unternommen, von der fie gegen 11 Uhr nachts zurückkehrten. Sie kehrten noch in einer Restauration in der Bernauerstraße ein und ließen den Schlitten vor der Tür halten. Noch einiger Zeit wurden fie im Lokal benach­richtigt, daß einige fremde Herren in dem Schlitten Platz genommen hatten. Diese erklärten, dm Schlitten mieten zu wollen, worauf Marschner indes nicht einging. Seiner Aufforderung, dm Schlitten zu ve,lassen, leisteten die Herren bi« auf einen, den Referendar Harry von Igel, Folge.

ruhig über den Vorsaal und klopfte an eine Seitentür, hinter der alsbald da« Herein einer zarten, weiblichen Stimme erklang.

Der junge Mann trat in ein große« Eckzimmer, das durch Oberlicht und ein mächtige« Glasfenfler, da» die Stelle der südlichen Wand vertrat, in ein Gewächshaus uwgeschaffen worden war. Sandboden statt de« Parkett«, eine Fülle grüner Ettäucher und Blattpflanzen, blühender Kamelien, Hyazinthen und Azaleen gaben dem behaglich erwärmten Zimmer in der Tat da« Ansehen «ine« üppigen kleinen Gartens.

Seltiam kontrastierte mit der Blumenprccht und dem lichten Grün der Blattpflanzen eine Gruppe von Nadelbäumen, dis schneebedeckt waren, wie der Garten drunten und der Waldrand am Leich, aus die man durch die großen Scheiben einer Balkontür blickte. In dem Halbkreis, den diese mit Watte und Wasserglas künstlich überschreiten Tonnen bildeten, stand ein Borkentischchen, auf dem ein halbe« Dutzend Bücher in geschmackvollen Einbänden Platz gefunden hatten. Dicht an diesen Tisch war ein Fahr­stuhl herangeschoben, au« dessen K ffen eine aufrechtfitzende schlanke Mädchen- gestalt dem Eirtretenden entgegensah, ohne fich erheben zu können. Der feine Kopf mit dem länglichen blaffen Gesicht beugte fich vor, die blauen Lugen leuchteten auf, als fich Heinrich zeigte, beide Hände streckten fich dem Kommenden entgegen, soweit die Arme zu reichen vermochten» aber die rotseidene Decke, die den Unterkörper der Kranken verhüllte» bewegte fich nicht, und auch ein Fremder hätte erraten, was Heinrich nur schon zu lange wußte, daß seine Eoufine Christine, die mit ihm in gleichem Lebens­alter stand, seit ihrem vierten Jahre und jetzt schon ein V erteljohrhundert gelähmt war. Heinrich Hagen hielt die blaffen Hände Christine« einige Minuten zwischen seine» braunen kräftigen und gab fich redliche Mühe, auf seinem Gesichte nur die Freude der Begrüßung und nicht» von der schmerzlichen Teilnahme wiederscheinen zu leffen, die ihn bei j>der Begeg­nung mit der Kranken tief ergriff. Fräulein Christine ließ ihm aber

kaum zum Gruß das Wort, fie sagte mit halblauter, herzgewinnender Etiwme:Ich habe mich schon seit einer halben Stunde auf Dein Kommen gefreut, Vetter Heinrich. Martin hat mir gleich gemeldet, daß Du ge­kommen bist, etwa« rascher als ich gemeint und gehofft hatte, nicht wahr Heinrich?"

Der junge Mann bejahte mit einem stummen, traurigen Blick die Frage. Dann zog er, um seine innere Bewegung nicht übermächtig werden zu lassen» einen von den kleinen geflochtenen Sesseln, die im Wintergarten standen, dicht an den Fahrstuhl der Kranken und setzte fich stumm neben sie.

Nun war e« aber Christine, die seine Rechte erfaßte und leise mit ihrer weißen, durchsichtigen linken Hand darüber strich. Einige Augen­blicke vergingen, ehe fie dann flüsterte: »Ich sehe Dich an, Heinrich, Du hast nicht gefunden, was Du suchtest? Bist Du ganz vergeblich gereist oder hast Du wenigstens eine Hoffnung, eine Spur mit heimgebracht?"

»Nicht den blässesten Schimmer," entgegnete er niedergeschlagen und schien fich zu besinnen, ob er mehr sagen solle. Doch ruhten die blauen Augen der Kranken so erwartend, mit so sichtlicher, beinahe ängstlicher Teilnahme auf ihm, daß Heinrich die Gewißheit überkam, eins offen« Beichte würde nicht bloß der armen Cousine eine Beruhigung gewähren, sondern ihm selbst wohl tun.

»Ich habe weniger zu erzählen, als Du meinst, Christine," sagte er daher j tzt mit entschlossenerem Tone als vorhin. »Im Grunde war ja meine Fahrt, eine Torheit, wie alle«, wa« mich dazu trieb. Du wirst nicht glauben, daß ich die Hoffnung geteilt hätte, als ob ich nur zu reisen brauchte, um Deinen lichten Traum wahr zu machen und mit der Unbe­kannten an der Hand vor Euch hirzutreten. N.ür, ich wußte wohl, daß, nachdem ich einmal den Faden verloren, ein Märchenglück dazu gehört haben würde, ihn wieder zu fassen. Du weißt, wa» mich wenigsten« für möglich halten ließ, eine Spur gefunden zu haben. Sie, die junge Dame,