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Dieser Erklärung fügte sodann der Minister noch längere sehr beachten*werte Ausführungen hinzu, in denen er besonder» da« Verhältni« zwischen Reich und Bundetstaaten berührte. Da» Reich sei nie in einer so schwierigen Lage gewesen. Mit weniger, al» die Reichtfiranzresorw vorsehe, werde man nicht auskomwen, wenn da« Reich auf eine gesunde finanzielle Last« gestellt werden solle. Die württ> Regierung wüste auf eine pründlicke Sanierung der Reick finanzen da« entschiedenste Gewicht legen und Hobe de«holb wesentliche Opfer gebracht. Womit wolle man die Lücke aurfüllen, wenn die beiden Steuern gestrichen werden? Warnen wüste er vor der Illusion, al« ob er möglich wäre, die Erleichterung der R-ichsfiranzm zu erzielen im Wege einer weiteren Erleichterung de« einzelstaatlichen Geldbeutels. Eine solche Reich«finanzreforrn wäre keine wirkliche Lösung der Frage, denn die Not de« Reiche« würde dann zu einer solchen der Etnzelstooten werden. Der einzelfloallichen Maschine müsse man dar nötige Feuerung-material lasten. Die Einzelstaaten dürsten nicht so schwer geschädigt werden, daß ihnen der Atem ansgehe. Finanzminister von Geßler wie» cuf den Ernst der heimischen Finanzlage und auf die enorme Höhe der Matri. kularbeiträge hin, fall» die Reich« finarz-r form nicht durchgesührt werde. Komme die Reform nicht, so würden die Etrzelstaaten unter Umständen in der Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben ge« hemmt «erden. Der Minister besprach dann die zur Beratung stehenden Steuern. Die Ga«, und Elektiizität»steuer würde vorwiegend leistung«. fähige Kreise treffen. Im Verbrauch von Elek- trizität bleibe Württemberg hinter dem Reich«» durchschritt, sodaß er nicht mehr belastet werde al» andere Staaten. Die Flaschenweinstcuer werde mürtt. Interessen nicht besonder« erheblich versitzen, da der rrürtt. Wein zum größten Teil im Faß gehalten werde. In der nun folgenden Besprechung der Interpellationen, so. weit sie sich auf die Gar- und Eleklrizi!ät«fleuer beziehen, erblickte Vogt (B. K.) in ihr eine Benachteiligung der Süden«. Die Nutzbarmachung der natürlichen Wester kl äste werde durch sie er. schwert werden. Die Erklärungen vom Regierung«, tisch über die Flaschenweinsteuer seien geeignet, für den Weingärtnerstand beruhigend zu wirken. Auch der Nbg. Häffner (D P.) wachte gegen diese Steuer eine große Zahl von Bedenken geltend, besorde!» auch vom Standpunkt der Gemeinden au«. Diese Steuern seien keine glückliche Lösung, möchten Reich und Land von ihnen verschont bleiben. Morgen wird die Beratung fortpesltzt, aber wahrscheinlich noch nicht zu Ende geführt, da etwa ein Dutzend Redner vorgewer kt find.
Stuttgart 19. Jan. Prinz Ernst
von Sachsen Weimar. Eisenach ist in der Kuranstalt Neu-Wittelibach bei München an einem Gehirnschlag erlegen, der ihn bereit« Ende vor. Woche getroffen hat. Er ist am 9. August 1859 in Stuttgart al« der 3. Sohn de« mit der Prinzessin Auguste von Württemberg, der Tante der König« verheirateten Prinzen Hermann von Sachsen.Weimar geboren. Nachdem er in Tü- hingen und Jena studiert und al« vr. für. promoviert hatte, widmete er sich der militärischen Laufbahn, deren sämtliche Grade bi« zu« Regiment« Kommandeur er im 25. Dragonerregtment durchlief, nachdem er inzwischen mehrere Kom- mandor al« Adjutant gehabt hatte. Zuletzt war der unvermählt gebliebene Prinz Oberst und Kommandeur der 21. Ke voller tebrigade.
Stuttgart 19. Jon. Nach längerer Krankheit ist im Alter von 55 Jahren heute nacht der Kassier an der Versicherungsanstalt Württemberg, Repierungsrat Joseph Lehn, gestorben. Er war früher al« Amtmann in Oehringen, Münfirgen, Woldsee und Leutkirch tätig. Der Verewigte erfreute sich wegen seine« freundlichen Charakter» und seiner beruflichen Tüchtigkeit der Wertschätzung weiter Kreise, die ihm ein ehren- de« Andenken bewahren werden.
Stuttgart 19. Jan. (Strafkammer) In dem Prozeß gegen den früheren Sekretär de« Hautbefitzerverein«, Josef Brtllerty, wurde heute da« Urteil gesprochen. Der Angeklagte wurde wegen Doppelehe und Urkundenfälschung in zwei Fällen unter Zubilligung mildernder Umstände zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt, ur tcr Anrechnung von 2 Monaten Untersuchung«- Haft. Der Staatsanwalt hatte 2 Jahre Zucht, hau« und 5 Jahre Ehrverlust beantragt. Die Strafkammer gekargte auf Grund der Bewei«- aufnahme zu der Utbrrzeugung, daß der Angeklagte bei der Eheschli« ßung in London wohl gewußt habe, daß eine richtige und nicht eine Scheinehe geschloffen werde. Der Vermittler habe eine bedenkliche Rolle gespielt, er sei aber von dem Angtklagten nicht dahin instruiert worden, daß er sich um eine Scheinehe handle. Von der in London bei der Anmeldung der Trauung verübten Urkundenfälschung wurde der Angeklagte frei- gesprochen; da nach englischem Recht da« Lat- bestandrmerkwal der Urkundenfälschung eine Schädigern grabficht voroursehe, ferner konrte da« Gericht in der Unterzeichnung der 15 Schuld scheine mit dem Namen Briel keine Urkunden, fälschung erblicken, da der Angeklagte bei dem Geldgeber bezüglich seiner Persönlichkeit keinen Irrtum erweckt habe. Die Strafkammer fand eine Reihe Milderungsgründe vorliegend. Da« Gericht berücksichtigte zu Gunsten der Angeklagten, daß er bisher unbescholten war und doß er von
Welche von beide«?
Novelle von Adolf Stern.
(Fortsetzung.
»Sie tuen mir Unrecht, Klara," entgegnete Friedrich Gerland und mußte dabei Fräulein Addenhovcn näher getreten sein, denn Erika sah ihn jetzt nicht wehr und hörte ihn nur sprechen. .Ich glaube ja gern, daß Ihren der Eintritt in die« Hau«, der Snsckluß an eine feste Pflicht und Tätigkeit innere« B«dürfri« ist, aber ich fürchte, doß Sie zu wenig darauf geachtet haben» wo.au« Ihre Stiumurg erwachsen ist. Weil Sie seit Jahren einsam und zumeist arf Reisen Üben, ist Ihnen Ihr Dasein zwecklos geworden — die Kirche säeirt Ihnen gleicksom ein große« gastliche« Hau«, in da« Sie flüchten. Ich Hobe so tief die Ueberzeuguug, doß Sie sich selbst unrecht tun, hege so leider schafilich da« Bei langen, Sie zurückzuhalten, doß ich Ihnen — zürnen Sie wir darum nicht I — geradezu entgegen treten möchte. Mich dürkt er unverariwortlich, wenn der Welt, unserer Welt, eine Natur, ein Leben wie da« Ihrige verloren ginge. Ich kann von der Hoffnung nicht testen, deß wern sich Ihnen eine warme feste Hand ent- gegerstreckte, ein eigene« Hau« oustäte, da« minder groß als diese«, aber beglückender märe» deß Sie wenigsten» bedenken würden, ob Sie diese Hand zurückstoßen sollen!"
„Halten Sie inne, lieber Doktor, wir find nicht wehr allein!" sagte Fräulein Nddenhoven leiser, al» setrher, aber hastig, eindringlich sprechend. Eben hatte Erika v Herbert, die noch immer draußen stand, wieder einen Schritt nach der Türe getan und so heftig an den offen stehenden Flügel derselben geprcht, al» die Knöchel ihrer weichen Vädcherhand e« vermochten. Während Doktor Gerlard zur Bewohnerin de« Zimmer» sprach, hotte e« da» junge Mädcken h,iß über Willi. Mochte der Gelehrte doch, wenn e« ihm so gefiel, Fräulein Klara seine Hand bieten und sie den Antrag an- nehmen — aber e» brauchte loch nicht eben vor ihren Augen und Ohren
dem Mädchen in energischer Weis« zur Heirat gedrängt worden war.
Ludwigsburg 19.Jan. AufderStraße Reuwirtrhau«—Stammheim wurde am Sam«tag nachmittag die 34 Jahre alte Anna Kusper lik au« Oesterreich, die fick gegenwärtig im Genesung», heim Stammheim b> findet, von zwei Burschen, unter schwerer Bedrohung mit dem offenen Messer, überfallen und ihrer Barschaft von 5 beraubt; ein Versuch der Verg waltigung unterblieb schließ, lich. In der darauffolgenden Nacht wurde ferner im benachbarten Heutingsheim in der Wirtschaft z. «Hirsch" sin ge brachen und etwa« Geld, Lebensmittel und Zigarren entwendet. Dem gleichen Schicksal verfiel der Bauer Graf, bei dem Aepfel, Brot und Most gestohlen wurden. Dann zogen sich die Diebe arf den Heuboden de« Bauern Weidler zurück, wo sie sich härulich einrichteten. Weidler entdeckte aber die Spuren der ungebetenen Gäste, holte Hilfe und nun ging man den Eindringlingen an den Leib. Einer entsprang, wurde aber rasch eingeholt. Der andere wehrte sich heftig g«g-n seine Festnahme und versetzte Weidler einen übrigen» nicht gefährlichen Stich in den Rücken, wofür ihm mit einer tüchtigen Tracht Prügel quittiert wurde. Die Verhaf.eten, die in da« hiesige Amttgerichtsgefängni« über- geführt wurden, entpuppten sich al« zi> mlich g°iähr- liche, erst unlängst aus dem Zuchthau« entlass-no und vielfach vorbestrafte Burschen; der eine ist der 36 Jahre alte Wilhelm Amann von Well im Dorf, der andere, der 23 Jahre alte Blatt- ner au« Gagstadt. Da der Verdacht vorlag, daß die beiden auch den Raub an der Kusperlik verübt hatten, wurden sie gestern der Kusperlik gegenübergestillt, die sofort ihre B.dränper wieder erkannte. Blattner hat schlirß.tch ein Geständnis abgelegt, während Amann an beiden Vorfällen unbeteiligt sein will.
Fellbach 18. Jan. Weingärtner Wilh. Aldinger und seine Gattin feierten heute da« Fest der gold«nen Hock zeit. Der Gatte ssiht i« 78., die Gattin im 77. Lebenrjahr. Vor dem König erhielt da« Jubelpaar eir e prächtige Bibel-
Göppingen 19.Jan. Im nahen Schlath wurde in der Nacht vom Sam«tag auf Sonntag ein Metzgerknecht wegen ungebührlichen Benehmen« au« einer Wirtschaft entfernt. Er versuchte wieder einzudringen, wurde aber von einigen jungen Leuten daran verhindert. Einer davon wurde von dem Wütenden in die Schulter gestochen und ziemlich schwer verletzt.
Schorndorf 17. Jan. Im benachbarten Steinenberg war ein 17jähriger Bäckerlehrling bei seinen Pflsgeeltern einige Tage auf Besuch. Er kaufte sich, ebenfall« von einem unreifen
zu geschehen. Erika begriff sich selbst kaum, daß sie überhaupt geblieben war und ein vertrauliche» Gespräch, da« so seltsam bei offener Tür geführt ward, mit angehöit hatte, und ihr ungestümmer Entschlr ß rasch anzuklopfen und einzutreten, war zugleich eine Mahnung an sich selbst, sich zu besinnen — sich einer schmerzlichen Bestürzung, zu der sie weder Recht noch Ursache hatte, zu entlassen.
Jetzt stand sie mitten im Zimmer und den Beiden gegenüber.
„Ich bitte um Verzeihung, daß ich störe, Fräulein Nddenhoven, aber Ihre Tür stand offen und ich wußte nicht, daß Sie Besuch hatten. Ich habe Ihnen ein Wort von Frarcerca Holter« zu sagen, da« auch Sie angeht, Herr Doktor!"
Erika fühlte, doß sie umsonst völlig ruhig zu erscheinen suche. Hätte sie gewußt, daß sie so geringe Gewalt über sich selbst besitze, so würde sie ja zu dieser Stunde keinen Fuß in Fräulein Adderhoven» Zimmer gesetzt und die wichtige Unterredung nicht unterbrochen haben. Em Glück noch» doß da«, wo« sie mitzuteilen hatte, ihre unverkennbare Erregung, da« Zittern ihrer schlanken Gestalt und das nervöse Beben ihrer Stimme vollauf rechtsertigte. Sie berichtete über die Begegnung mit der C cca und gab geireulich deren Worte wieder — nur die Warnung, die die Römerin für Friedrich Gerland und da» Lob, daß fie über ihn aurgesprochen hatte, kam nicht über Erika» Lippen. Klara Nddenhoven und der junge Gelehrte lauschten mit lebendigem Anteil der Erzählung — dabei war e» dann dem jungen Mädcken, al» ob Doktor Gerland sie zu aufmerksam anbllcke, wozu er kein Recht Hobe. Sie wandte Ihr G« ficht «»«schließlich nock Fräulein Adder Hoven und folgte der Aufforderung, sich zu sitzen, nicht. Errka fügte dem, wa« sie berichtete, nur ein paar herzliche Worte de« Be- dauern» über da» Schrcksol der armen France« ca hinzu. Friedrich Gerland nickte bkistiwmknd — er hätte den l»sten Ausschluß über Frark Holter« plötzlichen ungestümen Ertschlrß geben können, aber seine Gedanken weilten in Wohl heit jetzt weder bei dem wilden Künstler, noch bei di ffen Weibe. Er empfand die Unterbrechung de« ernsten Gespräch« mit Klara Adden-