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eine Panik au», doch wurde kein großer Schaden angerichtet. Ein Extrablatt de« „Carriers" beweibet» daß Messina nicht nur halb, sondern beinahe gänzlich zerstört sei. In einer späteren Meldung wird gesagt, au« Sizilien folge eine Hiob« bol sch oft der andern. In Rtposto vereinigte sich da« Erdbeben mit einem Seebeben, beide dauerten 42 Sekunden. Tie Käthe» drale ist dort eingefiürzt. 2 anders Kirchen und das Rathau« stehen ebenfalls vor dem Einstürzen. Line Prozesston durchzog die Streßen mit den Reliquien der heiligen Agathe unter Beten und Glockengeläuts. Die letzten Nachrichten aus Palermo verlauten, daß zwei Drittel von Messina zerstört seien und Tausende unter den Trümmern begraben liegen. Da auch mehrere Kasernen ein« gestürzt find, befinden sich auch viele Soldaten unter den Opfern. Heute trifft vor Messina ein Krieg«geschwader ein, das radiotelegraphische Verbindungen Herstellen soll.
Palermo 29. Dez. Die Eisenbahnverbindungen zwischen Catania und Messina find wiederhcrgestkllt. Ein Eiserbahnzug mit Flüchtlingen und Verwundeten ist au« Messina in Latanta eingeiroffen. Elftere berichten, daß dort da« Hotel Tricharia zerstört und das Personal und 90 Gäste »«gekommen seien. Auch dar Rathaus, die Börse, da» Postgebäude und dis Kasernen find zerstört. Der Schaden, den da« Meer angerichtet hat, soll noch bedeutender sein. Eine ungeheure Woge sei über Mesfira hinweggegangen. Von hier gehen Truppen mit Serzten und Hilfsmaterial ab.
Rom 29. Dez. Nach den letzten Nachrichten au« Messina ist ein großer Teil der Stadt zerstört worden. Dar Unglück hat dadurch einen so großen Umfang angenommen, daß an mehreren Stellen der Stadt Feuer aus- brach. Die Zahl der Opfer soll mehrere Lausend betragen.
Rom 29. Dez. Der Bürgermeister von Palmi berichtet, daß in seiner Stadt 500 Per« sonen getötet und mehrere hundert verwundet worden sind.
Rom 29. Dez Die Zahl -er Tote« -ei -er sü-italienischen Er--ebe«-Katastro-he wtr- ««f 30 000 geschätzt. Nach einer Meldung der Trtbuna sollen in Sizilien so?ar 75000 Menschen umgekommen sein. Von 100 Postbeamten in Messina find nur vier am Leben geblieben.
Rom 29. Dez. Der Papst hatte eine Unterredung mit dem Staatssekretär Merry del Val, worauf er ein Rundschreiben an die Btichöfe verfügte zwecks Einleitung einer Hilfsaktion für die Opfer von Calabrien uud Sizilien.
Rom 29. Dez. Der König und dis Königin find nach Calabrien und Sizilien abgersist. Die Abreise hat in ganz Italien die herzlichsten Sympathien erweckt. Für die Opfer des Erdbeben« hat der König 200000 Lire gespendet. Die Festlichkeiten, die am Hofe aus Anlaß der Jahreswechsel« in Ausstcht genommen waren, find abgesagt worden. — Der Minister der Innern hat die strengsten Befehle gegeben, um jede Gewalttat und jeden Diebstahl in Messtna zu verhindern.
Berlin 29. Dez. Der Kaiser hat dem König Viktor Emanuel von Italien anläßlich der Katastrophe in Calabrien eins in den herzlichsten Worten gesandte Beileids- Depesche gesandt, in der er seine wärmste Teilnahme und Sympathie zum Ausdruck bringt. Desgleichen beauftragte der Reichskanzler den deutschen Botschafter in Rom, im Namen der deutschen Regierung nnd im Namen de« deutschen Volke« der italienischen Regierung den Ausdruck der herzlichsten Teilnahme zu übermitteln.
Berlin 29. Dez. Zu der neueste« Erdbeben-Katastrophe in Italien schreibt die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung*: Mit Empfindungen lebhaftester Teilnahme vernimmt man in Deutschland dieTrauerkunde, daß die mit unserem Volks durch Jahrhunderte alte Ueberlieferungen in Freundschaft und Bundes« genofsenschaft verknüpfte italienische Nation abermals durch einen so schweren Schicksalrschlag betroffen worden ist. Möge die italienische Nation, die mit bewunderungswürdiger schöpferischer Kraft auf dem Wege zu ihrer jetzigen Stellung außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden wrß'e, bei ihr«m Kampf gegen die zerstörende Wirkung der Elemente in dem Bewußtsein Trost und Unterstützung finden, daß die gesamte gesittete Welt ihr mit wärmster Sympathie zur Seite steht.
Berlin 29. Dez. Das deutsche Hilfskomitee für die durch dar Erdbeben in Sizilien Betroffenen ist in der Bildung begriffen. Ihm find u. a. beigetreten: Staat-minister v. Molt ko, der badische Gesandte Graf Berckheim, Oberbürgermeister Kirschner, Kommerzienrat Stein
thal, Direktor der Deutschen Bank u. a. Die Großbanken find bereit Zahlungen eut- gogenzunehmen.
Bremen 29. Dez. Bei der Direktion de» Norddeutschen Lloyd ist folgende Depesche des deutschen Konsuls in Malta eingetroffen: Messina zerstört. Dampfer Therapia de» Norddeutschen Lloyd hat die Deutschen und Andere ausgenommen und nach Neapel gebracht. Die Theropia war auf der Ausreise von Barcelona nach der Levante.
Aus der Reichshauptstadt. Unter der Spitzmarke »Ein Opfer der Ganterbriefe" berichtet da« Berl. Tgbl. von einem tragikomischen Vorfall: Mit großer Bestürzung eilt ein verheirateter „Lebemann" zu seinem juristischen Berater, einem bekannten Rechtsanwalt, und zeigt ihm die soeben empfangene Gantersche anonyme „Zuschrift". Nach reiflicher Ueber- lcgung gibt der Rechtsanwalt seinem besorgten Klienten den Rat, der getreuen Gattin alle« zu beichten, in der sicheren Voraussicht, daß nach kurzem „Sturm" die Verzeihung nicht ausbletben dürfte. Kaum ist der unglückliche Ehemann von dannen geeilt, als der Rechtsanwalt den Besuch zweier anderen Klienten empfängt, die ihm eben, stlls die Ganterschen „blauen Karten" vorzeigen. Hierdurch aus den Schwindel aufmerksam gemacht, telephoniert der Anwalt schleunigst seinem ersten Klienten: „Nicht beichten, cllcs Schwindel!" und erhält hierauf die trostlose Antwort: „Leider zu spät, bereits gebeichtet!"
Wieder die Zigeuner. Trotz de« naßkalten Wetters führen die übelberüchtigten Z'geuner ihr Wanderleben in Elsaß fort. Dabei häufen sich Diebstähle in auffallender Weise. Es mag dieser Umstand großenteils darin begründet sein» als den Zigeunern immer mehr dis Türe» verschlossen werden und ihr Bettelgewerbe also rückwärts geht. In Walten he im bet Hoch- selben entstand kürzlich eine förmliche Jagd der Torfiingesessenen gegen die Bande der braunen Sippe, von welcher ein diebisches Weib einen Geldbeutel mit 50 in einem Bauernhof entwendet hatte. Es gelang den Verfolgern, da« Geld wieder zurückzu« halten. Die erkannte Diebin wurde in« Gefängnis nach Hochfelden abgeführt. In Waltenheim soll in ortsüblicher
3a der zwölften Stande.
Silvester-Humoreske von Auguste Werner.
(Schluß.)
„Da find sie ja, da find fiel" riefen mehrere Stimmen, als er mit seinen Schützlingen vor der Kirchtür erschien. „Haha!" lachte einer vergnügt, „der Peter Steffen« bringt sie dir!" Da« war Berber. Und sie? die vor ihm stand — lieblich und schlank wie einst — und ihm dankte, daß er ihre kleinen Buben beschützt: Mathilde, Berber« Schwester, jetzt Frau verwitwete Rittmeister Wallhoff.
„Na, wa» sagst tu? Da« war meine Ueberraschung für heute abend!"
Al« ob er da» nicht geahnt hätte!
Sie gingen die Promenade entlang nach Berber« Hau». Voran die Kinderschar — dann Arm in Arm ein junge« Pärchen. „Herr „Forst, asfistent Rehfeld, Bräutigam meiner Tochter. Morgen stehen sie im Blättchen!" hatte Berber vorgestillt, wobei vier junge Augen in seligem Stolz leuchteten. Hinter dem Brautpaar gingen die Eltern, dann folgten Steffen« und Frau Wallhoff.
Es war derselbe Weg, den sie oft zusammen gegangen — vor vielen Zehren. Auch an jenem Abend, wo sich ihm ein Wort auf die Lippen drängen wollte, da« aber dennoch unausgesprochen blieb» weil er sich trotz allem nicht entschließen konnte, seine Freiheit aufzugeben. Dawal» hatten die Linden mächtig gerauscht im sommergrünen Kleid. Heut' standen sie so still in ihrem Schneegewand, als ob sie verzaubert wären. Es war eine märchenhafte Welt. Ihm war so wunderlich zumute, als sei er lange, lange Karussell gefahren und nun noch schwindlig, de» Wege» ungewohnt.
Und sie? Schweigend schritt sie an seiner Seite. Ob auch sie der alten Zeiten gedachte, oder de» vielen Herbem, da» für sie zwischen heut' und damals lag?
Eie verließen die Lindenallee und bogen in die Straße ein, in der Berber« Haus log. Da deutete Frau Wallhoff auf eine« der altertümlichen Kleirfiadibäuser, an denen sie vorüberkamen, mit niedrigem Stockwerk und kleinen Fenstern.
„Hier werde ich künftig mit meinen Kindern wohnen," sagte sie, „ich kehre nicht wieder nach D. zurück."
„Hier?" Steffen» sah fast erschrocken auf die kleine Fensterrethe — und dachte an die hohe, Helle Pracht seiner vielen einsamen Zimmer, denen
„nichts fehlte, als die Bewohner", wie Berber immer sagte. „Wie können Sie daran denken, hier zu wohnen!" rief er. „Bedenken Sie doch Ihre Buben, die wollen sich doch austollen!"
Frau Mathilde Wallhoff lächelte ein wenig. „Ja, toll genug find sie," sagte sie dann mit klagendem Seufzer, erzählte aber doch mit heimlichem Mutterstolz ein paar ihrer kleinen, drolligen Bubenstreiche.
Er hatte wahrhaftig Talent zum Familienonkel in sich, er hatte da« nie geahnt, — aber es war Tatsache, daß er nach kaum einer Viertel- stunde Aufenthalt in der Berberschen Familie dazu avanciert war.
Er stellte Bleisoldaten auf und beschoß eine Festung. Er entdeckte den Schlüssel zu einem Gesellschaftsspiel, dessen Spielbarkeit bisher noch keiner herauszufindon gewußt. Er nahm den Berberschen Quint- und Quartanern ungeheuerliche Schulgeschichten ab. — Klub und Kabarett, — Epukbilder au« vergangenen Tagen, — wie schattenhaft verblichen fiel — „Onkel Steffens" spielte Lotto um Pfeffernüsse, und übernahm auf flehentliche« Bitten zweier kleiner, glückseliger Blondköpfe die Leitung eine« Kasperletheater« . .
Und doch ging ihm bei alledem etwa» Geschäftliche» im Kopf herum, ein Mietvertrag. Der Gedanke hieran verließ ihn selbst während de« reizenden Stlvesterspiel« nicht, welche« die Kinder, Fräulein Erna und ihr Bräutigam darstellten. Letzterer, mit langem, weißem Barlo angetan, versprach als alte« Jahre alle Sorgenbündel und Kümmernisse mit hinwegzunehmen, während das neue Jahr, einen Rosenkranz auf den dunklen Flechten, in jugendlicher Leichtwüttgkeit dis Erfüllung aller Herzenswünsche zuficherts. Am Schluß des Spiel« fielen aber leider da« alte und da« neue Jahr au» ihren Rollen und einander gänzlich unmotiviert in die Arme.
In der zwölften Stunde aber hielt der Familienvater Franz Berber eine ernste und herzliche Ansprache an das Brautpaar und sprach mit einer glänzenden Träne in seinen guten Augen von der Liebe, die nimmer aufhört.
Und in der zwölften Stunde fand auch Peter Steffen« Gelegenheit, den Mietvertrag, den er inzwischen fertiggestellt, seiner Nachbarin, Frau Mathilde Wcllhoff zum Vo-schlag zu bringen. Er lautete auf leben», längliche Bewohnung der Villa Tuffen« gegen Uebernahme de« Hausfrau« Postens . . Ein tränenschiwmernder Blick, der auch von der Liebs sprach, die nicht ar fhört, verküi dete die Annahme . .
Klingende Gläser und klingende Herzen! Ein neues Jahr brach an! —
Ende.