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Pforzheim 26. Okt. Da sich immer noch keine Spur de« ruchlosen Kindrmörderr fand, hat da« Großherzo^l Justizministerium die Belohnung für feine Ermittlung auf 1000 erhöht. Diese und andere Maßregeln kommen freilich etwa» spät. In der Stadt laufen unsinnige Gerüchte um, die zum Teil auf Aberglauben beruhen und hier nicht näher bezeichnet sein sollen.
Ludwigehafen a. Rh 26. Nov. Durch die Gendarmerie wurde heute früh ein beim Betteln betroffener 17jähriger Bursche verhaftet, namen« Friedrich Roth, der schwer im Verdachte steht, den Lustmord in Pforzheim begangen zu haben. Seine Angaben find widersprechend Er gibt zu, in litzter Zeit in Pforzheim gewesen zu sein. Ueber die an seinen Kleidern entdeckten Blutspuren verweigert er Angaben zu machen.
Berlin 26. Nov. (Reichstag.) Tie Generaldebatte über die Finanzreform und Steuer-Vorlagen wird fortgesetzt. Abg. Speck (Ztr.) meint: Noch niemals habe eine Vorlage so viel Unwillen erregt, wie grade diese. In Bayern herrsche geradezu Entrüstung. Wieder sei es hauptsächlich der Konsum der arbeitenden Klassen, der die Hauptlast tragen solle. Wie könne man Vergleiche mit dem Ausland stellen, wo es sich um Steuern handle. Sonst, wenn eS sich um Rechte handelt, wolle doch die Regierung von Hinweisen auf das Ausland nichts wissen. Welche Rechte habe beispielsweise das englische Parlament verglichen mit uns. An dem System der Matrikularbeiträge dürfe nicht gerüttelt werden, denn die meisten Staaten seien auf Gedeihen und Verderben mit dem Reiche verbunden und deshalb müßten sie auch finanziell interessiert bleiben. Man müsse ihnen tie Bestimmung der finanziellen Interessen gewähren. Die Frankenstein'sche Klausel möge kein Meisterwerk sein, wie der Staatssekretär sagte, ober diese seine Finonz- reform sei auch kein Meisterstück. Gegen die Elek- trizitätssteuer erhebe Bayern einmütigen Protest. Die Nachlaßsteuer sei ein Bodenzins in neuer Auflage. Das Branntwein-Monopol sei der erste Schritt zum sozialistischen Staat. (Sehr richtig im Zentrum.) Das Reich dürfe nicht znm Schnopshändler gemacht werden. Warum erfahre man nichts über den Sparsamkeits-Erlaß des Reichskanzlers. Seine Freunde verlangten glatte und klare Antwort, wie und wo gespart weiden solle. Noch immer bestehe der Firlefanz der Uniform, die man für den Kriegsfall bedecken müsse. (Hört, hört.) Der Worte seien sitzt genug gewechselt, und man wolle endlich Taten sehen. (Beifall im Zentrum.) Abg. Graf Sch wer in- Löwitz (kons.) hält neben der Besteuerung der alkoholischen Getränke auch eine ergänzende Besteuerung der alkoholfreien Getränke für angczeigt. Der größte Fehlir der bisherigen Bedarfsrechnung sei der gewesen, daß der Bedarf immer nur nach den jeweilig notwendigen Ausgaben berechnet wurde. Der neue Schotzsekretär verfahre in diesem Punkte richtiger. Seine Berechnung, daß 500 Millionen erforderlich seien, halte er nicht für zu hoch gegriffen. Die Anleihe-Wirtschaft habe unserem ganzen Wirtschaftsleben ungeheuren Schaden zugefügt. Redner bespricht dann die Frage der 5jährigen Bindung der Matrikular-Beiträge. Seine Freunde seien mit der Vorlage der verbündeten Regierungen darin
einig, daß die Deckung des Bedarfs in der Hauptsache durch stärkere und planvollere Besteuerung des Luxus und Verbrauchs gefunden werden kann und muß, wenn die finanzielle Selbständigkeit der Bundesstaaten und damit der föderative Charakter des Reiches gewahrt werden soll Weil seine Freunde prinzipiell gegen die Ausdehnung der Erbschaftssteuer auf Eheleute und Descedenten seien, müßten sie die Nachlabsteuer ablehnen. Sie würden die vorgeschlagenen und noch vorzuschlagenden Steuerprojekte in der Kommission ohne parteiliche Voreingenommenheit durchberaten, um die Finanzreform, wenn auch mit großen Opfern, in einer den Interessen des Reiches entsprechenden Form zu Stande zu bringen. Von den Rednern der Linken sei angekündigt worden, die Bewilligung neuer Steuern abhängig zu machen, von der Gewährung konstitutioneller Garantien und der Erfüllung anderer politischer Wünsche, die mit der Finanzreform gar keinen sachlichen Zusammenhang haben. (Hört, hört, rechts.) Er, Redner, müsse gestehen, daß ihm angesichts der Bedeutung, die das Zustandekommen oder Scheitern der Finanzreform für die ganze Zukunft des Reiches habe, ein solcher politischer Standpunkt geradezu unverständlich sei. (Sehr wahr, rechts.) Namens seiner politischen Freunde habe er mit aller Entschiedenheit zu erklären, daß ihnen die Wiederaufnahme dieser Politik den Boden für eine sachliche Verständigung über die Reichsfinanzen vollkommen entziehen würde. (Hört, hört und Zustimmung, rechts.) Abg. Weber (natl) erklärt, auch seine Freunde lehnten es ab, die Finanzreform mit politischen Forderungen zu verquicken. Ein Liebeswerben um das Zentrum zur Mitarbeit zu bewegen finde nicht statt. Die Vorlage sei weder eine Finanzreform, noch sei sie großzügig. Die Lex Francken- stein, die Ueber Weisungen, müßten abgeschafft werden. Eine Reichsverwögmssteuer habe erhebliche Vorteile gegenüber der Nachlaßsteuer. In die Nachlaßsteuer würden seine Freunde sich fügen, aber entschieden dürfe damit nicht die Wehrsteuer erquickt werden. Bei der Biersteuer müßte auf jeden Fall zu Gunsten der mitrleren und kleineren Brauereien die Staffelung geändert werden. Eine Zigarren-Banderolensteuer lehnten seine Freunde ab, eine Fabrikatsteuer verdiene den Vorzug. Die Jnseratensteuer enthalte im Aufbau so schwere Schäden, daß sie so nie Gesetz werden könne. Die Steuer auf elektrische Kraft und Beleuchtung würde grade das kleine Gewerbe treffen. Abg. Suedekum (Soz.) polemisiert zunächst gegen den Abgeordneten Grafen Schwerin und fährt dann fort: Ehe n'cht unser ganzes System geändert wird, ist die Finanzreform und die neuen Steuern für den Reichstag einfach unannehmbar. Bei dem Amtsantritt des Fürsten Bülow sagte der damalige Schatzsekretär von Thielmann: „Wir schwimmen ja geradezu im Gold". Aber von da an, begonnen mit der China-Expedition, Schlag auf Schlag: Neue Schiffe, neue Truppen und Alles unter Duldung des Fürsten Bülow. Las Volk würde es nicht verstehen, wenn wir diese erste Gelegenheit, endlich einmal mit Nachdruck konstitutionelle Bürgschaften zu fordern, vorüber gehen lassen würden. Redner übt dann eingehend Kritik an den Ausführungen des Fiuanz- ministers über Besserung der Lebenshaltung in der Arbeiterschaft. Seine Freunde sähen ihre Aufgabe darin, unser Volk kor einer neuen Massenbelastung zu schützen, auf direkten Steuern zu bestehen und konstitutionelle Garantien zu fordern. Finanzminister
von Rheinbaben sucht die Bedenken gegen die Tabak-Banderolensteuer und ElektrizitätSsteuer zu zerstreuen und legt dann gegenüber dem Vorredner nochmals dar, daß im Jahre 1907 die sozialdemokratischen Gewerkschaften nicht weniger als 51 Mill. von Arbeiterbeiträgen eingenommen hätten. Morgen 1 Uhr Fortsetzung der heutigen Beratung.
Berlin 26. Nov. Er verlautet, daß die Voruntersuchung gegen die Zugführer Wende und Schreiber, denen da« Unglück auf der Hochbahn zugeschr leben wird, sitzt abgeschlossen ist. Für den Zugführer Schreiber beantragte der Verteidiger Haftentlassung, da kein Fluchtverdacht vorliegs und auch jede Kollusfionrgefahr ausgeschlossen sei. Der Verteidiger glaubt den Nachweis führen zu können, daß seinem Klienten keine Fahrlässigkeit zur Lost falle, daß vielmehr da« Unglück durch falsche Weichenstellung, falsche Signale oder höhere Gewalt herbeigeführt worden sei.
Berlin 26. Nov. Ueber die Brandkatastrophe auf der „Sardinia" werden aus London folgende Einzelheiten gemeldet: Das Feuer brach unter einer großen Naphtaladung im Vorderteil de« Schiffes au«, kurz nachdem er den Hafen verlassen hatte. Ungeheure Rauchwolken hüllten den Dampfer vollständig ein. Die Mehr« zahl der Reisenden bestand au« maurischen Pilgern. Dis bis j tzt aufgefundenen Leichen tragen furchtbare Brandwunden, sowie Spuren de« entsetzlichsten Kampfes, der offenbar infolge der Panik unter den Mauren ausbrach. Die europäischen Reisenden und die Mannschaft zeigten eine bewunderungswürdige Geistesgegenwart und verteilten Rettungsgürtel an die von Schrecken übermannten Passagiere. Kapitän Lascallo weigerte sich standhaft seinen Posten zu verlassen. Al« dann der Steuercpparat vom Feuer erreicht und zerstört wurde, ging er zum Handsteueropparat auf dem Hinterdeck und bemühte sich selbst auf da« äußerste, die „Sardinia" an Land zu bringen, was ihm schließlich mit Hilfe seiner Offiziere und Mannschaften auch gelang. Die „Sardinia" liegt sitzt beim Fort L casolli auf dem Strand. Die Militärbehörden entsandten schleunigst eine Rettungrabteilung und Ambulanzen. In Hafen liegende Kriegsschiffe helfen nach Kräften bei dem Rettungrwerk. Die Pilger waren in Tanger und Algier an Bord gegangen, um nach Alexandria zu reisen. Die Ursache der Katastrophe ist noch nicht bekannt. Man glaubt an eine Explosion, da auch Schießpulver bei dem Naphta verstaut war. Das brennende Schiff wurde vom Hafeneingang aus bewacht, da man Gefahr für da« dortige Pulvermagazin befürchtet. Gerettet wurden 5 europäische Passagiere, 21 Mann der Besatzung und 40 Araber. Vermißt werden noch 5 europäische Passagiere, 18 Mann von der Besatzung und 100 Araber. Er sind bereits über 50 Leichen geborgen worden, darunter Kapitän Lascallo, der dar Schiff seit 8 Jahren geführt hat. Nach den letz'en Reutertelegrammen wurden allerdings alle europäischen Passagiere der durch die Feuersbrunst zerstörten „Sardinia" gerettet.
kosten; aber der Titel würde auch einen nicht zu unterschätzenden reellen Wert für ihn haben.
Noch am selben Abend wollte es der Zufall, daß diese seine ehrgeizigen Hoffnungen durch eine Mitteilung Steiner« von neuem in ihm angeregt wurden.
Im Klub machte ihm der Bankier die Eröffnung, daß eine größere Anzahl Berliner Karfleute, zu denen auch er gehöre, mit dem Gedanken umginge, für Handlungsgehilfen eine Wohlfahrtseinrichtung größeren Stile» zu schaffen, zu der auch schon recht bedeutende „Zeichnungen" vorlägen. Steiner hatte dabei verheißungsvoll gelächelt und auf den Kommerzienrat- Titel angesplelt, den sich der eine oder andere dadurch erwerben könne.
Ohne lange zu überlegen, erbat Helmer sich die Liste der bisherigen Zeichnungen und beteiligte sich gleichfalls mit einer namhaften Summe, die ja — wie er sich zu seiner Beruhigung sagte — vorläufig nur auf dem Papier stand, und die er seinerzeit schon beschaffen würde.
Ada, der er bald darauf von dieser Aussicht sprach, hatte — wieder sein Erwarten — nur oberflächlich zugehört und dazu gelächelt. Was sie wirklich dachte konnte sie ihm ja nicht sagen: was galt ihr jetzt noch der Titel „Frau Kommerzienrat", wenn sie an die Fürstenkrone B.ntoff« und an' dessen unermeßliche Retchtümer dachte. Und daran dachte sie in letzter Zeit viel und oft — und mit einer bestimmten, wenn auch unausgesprochenen Absicht. .
Der Prinz hatte ihr einer Tage» in Abwesenheit Heimer« einen Besuch gemacht und ihr mit einem melancholischen Augenaufschlag erklärt, daß er abreisen müsse, daß er nach Rußland zurückgehen wolle — je eher, desto lieber.
Als Ada, aufs höchste erschreckt, nach dem Grunde diese« plötzlichen Entschlusses fragte, schüttelte er nur traurig den Kopf und entgegnete:
„Ich kann Ihnen den Grund nicht nennen, gnädige Frau ... ich darf es nicht. Und doch hängt e« eng mit Ihnen und Ihrer Person zusammen."
Da horchte Ada auf; also hatte sie doch das Richtige geahnt: der Prirz liebte sie; er konnte sich nicht länger beherrschen und hatte, als Ehrenmann, den Entschluß gefaßt, vor seiner eigenen Leidenschaft zu fliehen, um dis Ruhe ihre« Herzen« nicht zu stören.
Zitternd vor Erregung hatte sie sich damals erhoben und erwiderte:
„Und wenn ich Sie nun bitte, Prinz Alexander ... als meinen Freund bitte, mir den Grund zu nennen . . .?"
Darauf hatte sie der Prinz mit einem langen, traurigen Blicke angesehen und ernsten Tone« entgegnet:
„Wenn Sie befehlen, so bin ich selbstverständlich bereit, zu sprechen, obwohl ein Geständnis meinen Schmerz nur vergrößern wirb, anstatt ihn zu lindern, oder mich zu erleichtern. Frau Ada — zum ersten Male wage ich es, Sie bei Ihrem Rufnahmen zn nennen ... ich liebe Sie . . . ich weiß, daß diese« Geständnis einer verheirateten Frau gegenüber eine Sünde ist, aber ich kann es nicht länger verschweigen. Einmal nur sollen Sie es hören: ich liebe Sie — und weil diese Liebe für mich ausfichtslo« ist, deshalb gehe ich von Ihnen, muß ich von Ihnen gehen. Nun wissen Sie es. . ."
Schreck und Jubel zugleich hatten Ada» Brust durchzuckt bei diesem Geständnis de« Fürsten. Sie wollte etwa» erwidern, aber die Stimme versagte ihr. (Forts, folgt.)