Das PuppenspLel von S1.Loms
Don Waller Per sich
voller Kisten und einem reizenden Weibsbild vor dem „Etablissement" Vorfahren zu sehen. Dann allerdings begriff er sehr schnell. Er gab der Wienerin seine mächtige Pranke und forderte sie auf, ihren „Kunstkram" zu zeigen.
Das großartige Unternehmen des Uankees bestand aus einem Holzvorbau, in dem sich eine auf alle Anforderungen eingerichtete Gastwirtschaft befand, und aus einem Holzschuppen, der bei Festlichkeiten zum Tanzen diente. Im Oberstock lagen einige Fremdenzimmer/
Unter Mithilfe von Alois Packte das junge Mädchen ihre Puppen aus. John Butler schmunzelte immer mehr. Dann erklärte er sich bereit, der „Miß" ein Zimmer mit voller Verpflegung einzuräumen, so sie sich verpflichte, ab nächsten Samstag jede Woche mindestens zwei Vorstellungen zu geben, deren Einnahme sie mit ihm zu teilen hätte.
Süßsauer nahm er auch noch die Einquartierung seines einstigen Kellners mit in Kauf. Und dann konnte der Spektakel losgehen.
Als „Spectaculum" kündete Alois das „Penarinische Puppentheater aus der Kaiserstadt Wien" auf riesigen Zetteln an, die bald in ganz St. Louis von Hand zu Hand gingen. Obgleich die Preise für die- Sitzplätze bis zu dreiviertel Dollar betrugen, wurden ihm und Butler, die sich in den Kartenverkauf teilten, die Tickets förmlich aus den Händen gerissen. Nachher gab es eine richtige Geheimbörse für Theaterplätze, die bis zum achtfachen Preise von Leuten überbezahlt wurden.
Zwischendurch baute daS Hannerl Penar. seine kleine Bühne mit den Einfchiebekulissen kunstgerecht auf einem zusammengezimmerten Podest auf und unterwies in jeder freien Stunde den Kellner im Aufsagen derjenigen Deklamationen und in den Bewegungen, die den Männerpuppen zufielen, während cs selbst die Frauen agieren ließ. Für das Mädel mochte die Aufsagerei von Alois grauslich klingen, doch es tat nichts, denn wer von den Zuschauern war schon der deutschen Sprache, und nun gar der wienerischen Mundart mächtig? Die Hauptsache war, daß die toten Figuren sich wie lebende Menschen bewegten, daß der feine Mechanismus der Bühne urplötzliche Zauberverwandlungen ermöglichte, und das geschah.
Den besten Staat hatten die Leute von St. Louis angelegt. Hergeputzt waren die Frauen, würdig die Männer. Zum Schluß drängten sich noch einige Kerls in hohen Wasserstiefeln in den „Saal", sie waren weder mit Gewalt noch guten Worten hinauszubringen und mußten geduldet werden. Obendrein kannte Butler sie — es waren Leute von der Piratcn- horde, die gerne viel Lärm machten, dafür aber auch mit dem Gelde fürstlich umherwarfen.
Alles verlief wie am Schnürchen. Die zusammengewürfelte Zuschauerschaft glaubte ihren Augen kaum trauen zu dürfen, als sie eine richtige Prinzessin, einen richtigen König, eine richtige gute Fee und einen bitterbösen Zauberer im Lichte der kleinen Laternen erblickte. Tränen wurden vergossen, Beifall getrampelt, Zurufe unterbrachen immer wieder das Spiel — und dann krachten die Schüsse. Haargenau zerschellten die Köpfe der gerade auf der „Bühne" befindlichen Puppen.
Photo: Scherl-M-
Arbcitsmaiden als Erntehelferinnen zwischen den Höckerhinöerniffen des Westwalles.
Nachtdienst in den Schären
Don Christoph Walter Drei;
England und Frankreich schacherten sich abwechselnd die weiten Landstriche mit den eben aufblühenden Städten ab. Der einfache Mann kam niemals so recht dahinter, welche Wege die hohe Politik um das Jahr 1800 eigentlich beschritt — aber es kümmerte ihn auch herzlich wenig.
Das in St. Louis wie überall in der Neuen Welt zusammengewürfelte Völkergemisch versuchte in allem Drunter und Drüber auf dem neuen Boden heimisch zu werden. Und vor allem rollte das Geld.
Nur an Alois Schrippl schien es immer wieder vorbeizurollen. Nichts, was er anpackte, gedieh ihm zum Segen. Zuerst war er mit einem kleinen Schiff den Mississippi aufwärts gesegelt, um Frachten zu fahren. Das Fahrzeug hatte er von seinem in der Heimat ersparten Gelde gekauft. Piraten kaperten ihm die Ladungen. Die Händler von Saint Louis nahmen ihm unbarmherzig als Ersatz für „veruntreute Ware" sein Schiff weg. Dann hatte er es als Kellner in John Butlers Etablissement versucht, dort mit den rauhen Gästen aus dem Westen Streit bekommen. der mit einem Pistolenschuß in sein Fußgelenk endete. Seither hinkte Alois, und wer will Wohl einen hinkenden Kellner beschäftigen.
Nun schlug er sich recht und schlecht durch, indem er auf dem Markt half, Kisten packte, Waren in die Wohnungen der reich gewordenen Bürger trug und jedem freundlichen Menschen ein lachendes Gesicht, den Rowdys die geballte Faust zeigte. Das mochte wenig zenug einbringen, aber es reichte, um in dieser Welt des Ueberflusses und der Sklavenarbeit nicht gerade zu verhungern.
Niemand achtete auch sonderlich aus diejenigen Einwanderer, die, um des Leibes Notdurft zu fristen, auf dem Markt ihre letzten Habseligkeiten an den Mann zu bringen trachteten.
Unter ihnen tauchte an einem schönen und klaren Morgen ein junges Frauenzimmer auf. Elf Kisten hatte es sich von den schwarzen Trägern vom Schiff hierherbringen lassen. Nun baute es den Inhalt der ersten Kiste vor aller Augen auf. Es war ein feingearbeitetes Puppenspiel, wie man es drüben in Europa zu großer Vollkommenheit entwickelt hatte. Die Figuren stellten eine Prinzessin, einen Mohren, einen Zauberer, eine Fee, einen bösen dicken König und einen Leibkoch dar.
Mit bescheidenem Lächeln duldete das junge Mädchen die zudringliche Neugier der Fremden, deren Sprache es nicht verstand.
Einer der reichen Bürger verlangte die Prinzessin zu kaufen. Er wollte seinem Kinde ein Geschenk machen. Für eine lächerlich kleine Münze wollte das Fräulein die Gestalt hergeben, als sich Alois Schrippl vor den wohlhabenden Mann drängte und keck fraxL-. «Ihr seid Wienerin, Jungfer? Ich seb's an. der Aufschrift der Kisten. Ja? Um Gottes willen, verkauft diese wunderhübschen Sachen nicht um einen Spottpreis."
Zögernd schüttelte die Wienerin zum Gebot nun den Kopf, woraufhin der Kaufwillige sich verärgert zurückzog.
„Ihr seid ein Landsmann?" fragte die Verkäuferin. „Oh, welch ein Glück — ich bin hier ganz fremd. Vielleicht wißt Ihr mir Rat? Ein Unbekannter, der mir weiterzuhelfen vorgab, hat mir meine Börse abgenommeu und sich nicht wieder blicken lassen. Das war gleich, nachdem ich an Land gegangen war. Mein Papa, müßt Ihr wissen, ist auf der ll eberfahrt am Gelben Fieber gestorben —
Ihre Stimme erstickte unter Tränen.
Mitleidig ergriff Alois der Fremden Hand.
„Keine Furcht, Jungfer! Auch hier sind nicht alle Leute Menschenfresser. Nun seid Ihr jedenfalls abgebrannt bis auf den letzten Heller und wollt deshalb diese kleinen Kunstwerke verschleudern? Habt Ihr denn überlegt, was werden wird, wenn Ihr nichts mehr besitzt?"
„Das weiß Gott allein!" erwiderte das Fräulein, das übrigens recht lieblich anzusehen war. „Wir haben die Heimat verlassen, weil die magischen Bilder, die man jetzt an die Wand wirft, unsere Puppenbühne aus der Gunst der Menge verdrängt haben. Papa hoffte, in diesem großen Lande mit seiner und meiner Kunst einiges Aufsehen zu erregen. Jedoch ich bin nun allein — und mit zwei Händen kann man die Mechanik nicht dirigieren."
„Aber lernen kann man doch, wie's gemacht wird?" erkundigte sich Alois voll Eifer. Und da das Fräulein nickte: „Gut, ich werde Ihr helfen, Jungfer, und mir alle Mühe dabei geben. Zunächst will ich Sie zu John Butler bringen."
„Wer ist das?"
„Ein Jankee — Dankees sind Nordamerikaner. die keinen anderen Lebenszweck kennen als den, Geld zu verdienen." In ihr wird John Butler ein Riesengeschäft wittern. .Hallo!" rief er einige Mischlinge an und klimperte mit den wenigen Cents in seiner Tasche. „Angepackt, Jungens! Einen Handkarren her! Es gibt Geld zu scheffeln!"
John Butler war nicht wenig erstaunt, seinen erst vor kurzem auf die Straße gesetzten hinkenden Kellner mit einem Wagen
Kapitän Pell hatte sich vor Jahren zur Ruhe gesetzt. Seine Ersparnisse waren zwar nicht groß, und die Pension, die ihm die Gesellschaft zahlte, war es erst recht nicht, aber seine Tochter Astrid wußte mit wenigem hauszuhalten. Der alte Seemann war des dauernden Vorankerliegens schnell überdrüssig geworden. So erklärte er überraschend seiner Tochter, er' habe einen Posten bei einem Jachtklub angenommen.
Die neue Stellung brachte so viel ein. daß Pell nach nicht langer Zeit den Vorschlag machen konnte, ein Häuschen zu kaufen.
Auch Astrid kam mit einer Ueberraschung an. Sie wollte sich verloben.
An eine solche Möglichkeit hatte der Kapitän nie gedacht. Er erkundigte sich deshalb nicht übermäßig freundlich, wer der Erwählte sei.
„Ein Seemann, wie du. Er bereitet sich auf sein Examen vor und fährt indessen ein Motorboot für einen Millionär."
-Hm — Sonntag kann er Besuch machen."
Ein famoser Bursche war dieser Peer Jönsson! Und pikfein angezogen! Und so benahm er sich auch.
Bis er sein Examen bestanden habe, wolle er nicht ohne Verdienst sein; darum war er Motorbootführer geworden.
Pell murrte. Er könne das Knattern der Motoren nicht leiden. Jönsson versicherte, sein Boot laufe vollkommen geräuschlos. Das wollte der alte Kapitän nicht glauben. Uebri- gens fahre man bei gutem Wind mit einem Segelboot schneller als mit jedem Motorfahrzeug. Das komme auf die Stärke des Motors an, erwiderte der Gast. Sein Boot könne es bestimmt mit jedem Segelkreuzer wie mit jeder Motorjacht aufnehmen.
Als er fort war, sagte Pell: „Ein merkwürdiger Schlag Seeleute ist es heute! Trägt eine goldene Uhr an goldener Kette und am binger einen Brillantring."
„Es sind Erbstücke." behauptete Astrid.
In der nächsten Zeit hatte Pell häufiger Nachtdienst. Er war meist schlechter Laune, wenn er morgens zurückkam.
An einem Abend kreuzte seine Segeljacht weit draußen vor den Schären.
Die Segel prall gespannt, durchschnitt die Jacht mit außerordentlicher Schnelligkeit die Wellen. Ihr Ziel war ein Dampfer, dessen Vortopplaterne sich zweimal senkte, als man auf der Jacht ein ähnliches Signal gegeben hatte. Backbords machte der Segler fest. Pell und noch ein Mann stiegen das Fallreep hinauf auf das Deck des Dampfers.
Der Kapitän ging mit ihnen in seine Kajüte.
Nicht lange, und eine Motorjacht sauste heran. Sie legte steuerbords an.
Ein Mann begab sich an Bord des Dampfers. Er wandte sich gleich der Kapitänskajüte zu.
„Hallo!" Er wollte die Tür rasch wieder schließen.
Es war bereits zu spät. Die Männer hatten sich nach dem Ankömmling umgedreht. Dem einen entfiel das gefüllte Glas.
„Jönsson!" rief er aus.
„Herr Pell!" stotterte der Jüngere
„Die Herren kennen sich —?" fragte der Kapitän. „Um so besser. Hier, Jösson, vro- bieren Sie! Ich muß Ihnen heute etwas mehr für den Rum anrechnen. Es ist aber auch was Erstklassiges!" Er roch an seinem Glase, und goß den Inhalt durch die Kehle. „Sie können das Doppelte, Dreifache auf den Preis aufschlagen. Sowas gibt's in ganz Stockholm nicht."
Mit Entrüstung wandte sich Pell an Jönsson: „Sie schmuggeln —?"
„Aber, Herr Pell, Sie schmuggeln ja auch!"
„Das ist bei mir ganz was anders. Sie wollen meine Tochter heiraten!"
Eine Dampfsirene heulte draußen auf-
das Warnungszeichen, wenn eines der Küstenwachschiffe in Sicht kam.
„Deutsch ist mir zu häßlich!"
Zu dem berühmten Sprachforscher Wilhelm Grimm kam einst ein französischer Student der trotz dreijähriger Anwesenheit in Berlin noch immer kein deutsches Wort herausbriw gen konnte. Grimm fragte ihn, warum er sich denn keine Mühe gäbe, deutsch zu lernen „Deutsch ist mir zu häßlich; das ist eine Sprache für Pferde", antwortete der Franzose. „Richtig, nun begreife ich auch", sagte Grimm sarkastisch lächelnd, „warum Esel sic nicht erlernen können."
Panik brach aus — die Menschen trampelten übereinander, alles drängte zum Ausgang Die Piratenschützen, die sich einen Spatz gemacht hatten, hielten sich den Balg vor Lachen. Nur John Butler wagte, ihnen entgegenzu- treten.
„Mein Geschäft!" schnauzte er sie an. „Ich gehe zu Ringens!"
Der Name machte sie kleinlaut. Ringens der Oberpirat, in seinem Reiche eine Art König, gab etwas auf Butlers Wort. Sie zogen die Börsen.
„Halt's Maul, wir zahlen den Jux!"
„Da müßt ihr schon mit anderem aufwar- tenl Heut allein sind dreihundert Dollars in der Kasse —
Lange Gesichter gab's bei den Schützen. Nun fand sich auch noch Alois ein und schnatterte erregt dazwischen. Butler packte ihn am Kragen, stülpte den ganzen jungen Mann auf eine der verlassenen Banke und schnauzte nur: „Ruhig. Ich bringe es in Ordnung."
Die Piraten wußten, daß Butler dem Hauptmann die guten Meldungen den Misis- sippi raufschickte und daß deshalb Ringens niemals eine Beleidigung dieses Mannes zulasten würde. Sie folgten ihm kleinlaut in sein „Kontor" — und noch in derselben Nacht kamen sie mit sechs Sack voll Gold an.
Das Hannerl saß noch immer weinend auf seinen Kisten. Butler packte es am Arm und zog auch Alois mit sich fort. Er deutete au! drei Säcke.
„Ehrlich wird geteilt, das war vereinbart," sagte er. „Da, Euer Anteil, Miß. Was Ihr dem Hinkefuß abgeben wollt, ist Eure Sache. Or spielt ja Wohl den Geschäftsführer für Euch."
So ist es gekommen, daß Hannerl Penartz nis wunderhübsches Puppenspiel in St. Louis nur ein einziges Mal aufgeführt wurde, obgleich die ganze Einwohnerschaft, die an allen sonst Wohl Ueberfluß haben mochte, nach jeder Art von Vergnügen wie ausgehungert war. Die Sonntagsvorstellung fiel aus —.und die Vorstellung der darauffolgenden Woche konnte Hannerl und ihr Gehilfe schon gar nicht Metz--- geben. Sie schwammen mit ihren goldgefüllten Säcken schon wieder auf dem großen Meer — heimwärts! Ihnen beiden waren die losen Sitten in St. Louis doch ein wenig zu rauh. Sie waren übereingekommen, im alten ehrlichen Europa gemeinsam ihr Glück zu zimmern. Dort hatte man etwas mehr Verständnis für die Kunst, dorthin gehörten sie.
Pell lief nach Backbord, wo sein Fahrzeug lag. Jönsson erkannte sofort, daß gerade von dort die Gefahr drohe.
„Sie rennen der Polizei in die Arme!" Er packte den Schwiegervater und zerrte ihn an das Fallreep, hinab in sein Motorboot. Der Dampfer setzte sich mit Volldampf seewärts in Bewegung — das Motorboot raste voraus.
„Uns holen sie nicht ein!" meinte Peer Jönsson am Steuer. „Habe manche Wettfahrt gewonnen. Achtung! Deckung!"
Maschinengewehrgarben zischten über das Wasser.
Pell dachte an das schöne Segelboot, das er hatte im Stich lassen müssen. Doch es gehörte, Gott sei Dank, den Leuten, in deren Dienst er stand. Um was es sich bei den Fahrten handelte, war ihm erst klar geworden, als er sich schon in die Hände der Gauner begeben hatte.
Aber dies sollte die letzte Fahrt gewesen sein. Er wollte sich auf seine alten Tage nicht noch ins Gefängnis bringen. Und niemals sollte Astrid einen Schmuggler heiraten!
„Nun, Herr Pell, wie gefällt Ihnen mein Boot?" fragte der junge Seemann. „Wir landen in einem Versteck bei der Felseninsel Hören Sie ein Geräusch vom Motor? Habe ich übertrieben —?"
„Aber sonst haben Sie nicht die Wahrheit gesagt und Astrid und mich getäuscht."
„Ich würde an Ihrer Stelle ebenso denken," sagte Peer Jönsson. „Es ist gut, daß ich heute in Ihrem Kielwasser fuhr. Ich würde Astrid nichts von allem erzählen."
„Sie werden weiterschmuggeln-?"
„Wenn Sie den .Nachtdienst' aufstecken, tue tch es auch. Ich habe bereits eine Anstellung als — Küstenwächter in Aussicht. Das ist was für meine Fähigkeiten."
Pell mußte laut-auflachen
„Meinetwegen denn!" sagte er. Entweder Kapitän auf einem anständigen Schiff oder Küstenwächter! Wenn Sie das eine oder andere wirklich sind, soll Astrid Ihre Frau werden! Aber—Mundhalten!"
Jönsson gab ihm vergnügt die Hand.
„Ehrensache! Und da sind wir in Sicherheit — mit Motors