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Posten vor dem Kgl. Palais. Wir hatten damals eine gute Wache!- Lächelnd drückte der König dem Alten die Hand und schritt weiter der Front entlang. Vor einigen Tagen nun traf an den alten Wachtposten aus dem Kabinett des Königs ein Schreiben mit 50 ^ ein,zur Erinnerung an die 100jährige Festfeier des Landjägerkorps." Ueber dieses königliche Geschenk ist der Empfänger, der zur guten Jahreszeit noch seines früheren Handwerks, der Mästerei obliegt, hoch erfreut.

Stuttgart 19. Dez. (Strafkammer.) Die bisher unbescholtene 18 Jahre alte Fabrik­arbeiterin Rosa Mann schreck von Strümpfel­bach stahl einer Freundin in deren Wohnung mittels Erbrechen einer Schatulle, ein Sparkaffen­buch über 198 Am andern Tag hob sie die Einlage auf der städtischen Sparkasse ab und bescheinigte den Empfang mit dem Namen der Bestohlenen. Von dem Geld schaffte sie sich Kleider, Schuhe und Schmuckgegenstände an. Sie ist damit einverstanden, daß die gekauften Gegenstände der Bestohlenen au?gefolgt werden. Wegen Diebstahls und Urkundenfälschung erhielt ste 3 Monat 2 Wochen Gefängnis. Der ledige 30 Jahrs alte Taglöhner August Härtner von Cannstatt, der hier in einer Wirtschaft ein Paar Stiefel wegnohm und verkaufte, außerdem im Polizeiarrest seine Kleider in Fetzen zerriß, so daß ihm neue angeschafft werden mußten, wurde mit 5 Monaten Gefängnis und 2 Wochen Haft bestraft.

Stuttgart 19. Dez Um der Ver­nichtung der Vogelwelt zu begegnen, wird von den Oberämtern verschiedentlich den Schultheißen, äwtern empfohlen, darauf hinzuwirken, daß Futter, das von den Vögeln leicht angenommen wird, an Orten, die den Vögeln (auch bei starkem Schneesall) unbedingt zugänglich bleiben, aufge­stellt wird.

Tübingen 19. Dcz. In der vergangenen Nacht verunglückte drr 24jährige Ankuppler Waiblinger beim Rangieren dadurch, daß er den Kopf zwischen zwei Bohnwagen brachte. Es ist zweifelhaft, ob der Verunglückte mit dem Leben davonkommt.

Reutlingen 19. Dez. In der Ochsen­wirtschaft in Gomaringen hat ein sich als Ehninger Schuhmacher ausgebender Hausierer aus dem Zimmer eines Reisenden zwei Anzüge und einen Ueberzteher gestohlen. Morgens war der Dieb mit dem Betttcppich noch vor Tagesgrauen aurgtflogen. Später fand man seine alten Kleider in einer Straßendohle versteckt.

Tuttlingen 19. Dez. Eine unliebsame Konkurrenz auf Weihnachten ist einer größeren Zahl von Geschäftsleuten hier durch die Riesen- Ausverkäufe der Storz-Manz'schen Trikotniederlags von Gustav Manz erwachsen. Die Waren werden mit 2550°/o Rabatt verkauft und finden guten Absatz.

Ulm 19. Dez. Der Zahntechniker Hugo Schirmer hier hat in Bekanntmachungen und Mitteilungen die Angabe gemacht, daß er das Zahnziehen garantiert schmerzlos mittels eines bis jetzt in Württemberg nicht vertretenen Mittels ausführe. Es wurde gegen ihn Klage wegen unlauteren Wettbewerbs erhoben, und das hiesige Landgericht hat erkannt, daß Schirmer die An­preisung bei Meidung einer für jede Zuwider­handlung zu entrichtenden Geldstrafe von 100 zu unterlassen und die Kosten de- Rechtsstreites zu tragen habe. Ferner wurde die öffentliche Bekanntgabe des Urteils verfügt.

Niederstetten O.-A. Gerabronn 19. Dez. Bei den zuletzt abgehaltenen Hofjagden des Fürsten Johannes zu Hohenloh e-Bartenstein- Jagstberg wurden ca. 600 Hasen, 2 Füchse und 1 Schnepfe zur Strecke gebracht.

Karlsruhe 19. Dez. Im Prozeß Hau begann heute früh vor der vierten Strafkammer des Karlsruher Landgerichts die Verhandlung in dem mit Spannung erwarteten Prozeß gegen den Frei­herrn Karl Heinrich v. Lindenau, der sich unter der Anschuldigung der Erpressung und der Beleidigung gegen die Haupt- zeugin im Hauprozeß, Fräulein Olga Molitor, zu verantworten hatte.

Der Angeklagte, der im Laufe der Verhand­lung eine hochgradige Erregung nur mühsam unter­drückte. blieb dabei, Zeuge der Tat gewesen zu sein. Er bestritt im Gegensatz zu seinen früheren Aus­sagen und Behauptungen, daß Fräulein Molitor die Täterin gewesen sei, aber er wollte sich kein Urteil darüber erlauben, wer außerdem dafür in Betracht käme. Den Höhepunkt in der Verhandlung bot die Vernehmung des Fräulein Olga Molitor, das ihre Angaben mit größerer Sicherheit und Bestimmtheit machte als im Hauprozeß. Im weiteren Verlauf des Prozesses bestand Lindenau darauf, an dem Tage, als Frau Molitor ermordet wurde, in Baden- Baden gewesen zu sein Er habe in unmittelbarer Nähe gestanden und gesehen, wie Olga Molitor auf ihre Mutter geschossen habe. Der Vorsitzende dringt dann in den Angeklagten, er möge doch zugeben, daß er damals überhaupt nicht in Baden-Baden gewesen sei. Der Angeklagte verbleibt jedoch bei seinen Behauptungen, verwickelt sich aber fortgesetzt in Widersprüche. Auf die Frage, weshalb er seine Beobachtung nicht angezeigt Habs, bemerkt Lindenau, er würde auch heute nichts davon sagen, da sich die Aussage sehr gefährlich für den unbeteiligten Zu­schauer gestalten könne. Wenn dem Angeklagten irgend eine Unwahrheit oder Unrichtigkeit seiner Be­hauptung nachgewiesen wird, so entschuldigt er dieses durch sein schlechtes Gedächtnis. Die inkrimimerten Briese an Frl. Olga Molitor und den Rechtsanwalt Dietz will er in einem unzurechnungsfähigen Zustand geschrieben haben. Bei der Zeugenaussage des Frl. Molitor werden die Einzelheiten berührt, die bekannt sind. Olga Molitor erklärt unter Eid. daß sie nie e>ne Schußwaffe besessen, daß sie ihre Mutter nicht ge­tötet habe und daß zwischen ihr und Hau niemals ein Verhältnis oder sonst irgendwelche intime Be­ziehungen bestanden haben. In der Nachmittags- fitzung wurden die Zeugenvernehmungen fortgesetzt. Es wurden unter anderem vernommen Zeugin Frau v. Reitzenstein und der Amtsrichter Junck-Mann- heim. Lindenau erklärte u. a. noch, der bezaubernde Eindruck, den Olga Molitor ans ihn gemacht habe, als er sie znm erstenmale sah, habe ihn so über­wältigt, daß er aus dieser Stimmung heraus den Brief geschrieben habe. Vorsitzender: Also im Zu­stande der Verliebtheit? Lindenau: Ja! Vorsitz­ender: Haben Sie Olga Molitor überhaupt ge­sehen? Angeklagter: Es war an jenem Abend, als die Pause eintret. Vorsitzender: Am 18. Juli? Angeklagter: Das weiß ich nicht! Es war an dem Tage, an dem ich den Brief geschrieben habe. Vor­sitzender: Ist dies auch richtig? Der Angeklagte zögert mit der Antwort. Vorsitzender: Es könnte auch sein, daß eS nicht wahr ist, daß Sie Fräulein Molitor gesehen haben. Angeklagter: Herr Präsi­dent! Freilich habe ich sie gesehen, sonst wäre ich nicht so begeistert gewesen. (Stürmische Heiterkeit.) In Gottes Namen, cs ist halt so! In später Abendstunde wurde die Verhandlung auf Freitag vertagt. (Stuttg. Mpst.)

Dortmund 17. Dez. (Vom Schafott in die Irrenanstalt.) Der zweimal zum Tode verurteilte Heizer Kurzschuß, dessen Hin- richiung ausgeschoben wurde, soll jetzt zur Beob- achtung seines Geisteszustandes in einer Provinzial­irrenanstalt untergebracht werden.

Berlin 18. Dez. Der Hosjuwelierfirma Louis Werner in Berlin ist auf geheimnis­volle Weise ein Perlenkollier im Werte von 24000 mit einem unechten Halsband vertauscht" worden. Gestern erschien in dem Laden eine dunkelgekleidete, etwa 30 Jahre alte Dame. Sie ließ fich einige Perlenkollier« vor­legen, an denen sie aber immer etwas auszusetzen hatte. Schließlich verließ sie das Geschäft, ohne etwas zu kaufen. Bald darauf machte der Ver­käufer eine peinliche Entdeckung. An Stelle eines echten Kolliers, das einen Wert von 24000 Mark hatte, befand sich unter den Schwucksachen eine Kette aus unechten Perlen. Die fremde Dame hatte es verstanden, während ihr die Wert- sachen vorgelegt wurden, eines der echten Kolliers mit ihrem unechten zu vertauschen, ohne daß der Verkäufer oder irgend eine andere Person im Laden etwas davon bemerkte.

Berlin 19. Dez. Vor der Strafkammer nahm heute der Prozeß Harden seinen Fort- gang. Kurz nach 9 Uhr erschien der Angeklagte und unterhielt sich mit seinem Verteidiger. Pünkt­lich 9'/r Uhr wurde die Sitzung eröffnet. Harden erklärte auf Befragen, er hoffe, der Verhandluug folgen zu können. Justiziar Bernstein erklärt, daß Harden nach wie vor der Meinung sei, der Angeklagte könne nicht ohne Gefährdung seines Lebens der Verhandlung beiwohnen. Sodann

wird in die Verhandlung eingetreten. Die ge­ladenen Zeugen, unter denen nur Freiherr von Berger und Herr von Wendelstadt fehlen, werden bis morgen Vormittag entlassen, mit Ausnahme des Grafen Moltke, des Generals von Wartens, leben, Frau von Elbe und Klosterprobst von Moltke. Auch Fürst Eulenburg soll heute vernommen werden. Nach Feststellung der Per­sonalien gibt Harden auf Veranlassung des Vor­sitzenden einen kurzen Rückblick über seinen Werdegang. Justizrat Kleinholz sucht darauf auf grund längerer juristischer Ausführungen die Zuständigkeit des Gerichtshofes zu bezweifeln, während Oberstaatsanwalt Jsenbiel die Einwände der Verteidigung zu entkräften sucht. Es kommt darauf zu einer mehrstündigen Replik zwischen Verteidiger und Staatsanwalt. Es wird nun zur Vernehmung de« Angeklagten Harden ge­schritten und zur Verlesung der inkriminierten Artikel, die über eine Stunde in Anspruch nimmt. Harden erklärt, er habe diese Artikel geschrieben, weil er glaubte, dem Vaterland nützen zu können. Er habe nicht im entferntesten daran gedacht, den Nebenkläger zu beleidigen und habe bis heute die innerste Usberzsugung, daß er ihn nicht be- lsidigt habe. Homosexualität habe er ihm nicht untergeschoben. Der Begriff eines Kreises sei hm erst durch die Klageschrift iwputiert worden. Er habe nur das WortTafelrunde" undGrüpp- chen" gebraucht» als welche er Eulenburg, Moltke und Lecomte wohl hätte bezeichnen können. Es gebe eine ganze Reihe von Menschen, und er selbst gehöre auch zu ihnen, dis das politische Wirken des Fürsten Eulenburg für rmdeilvoll gehalten hätten und er habe sich bemüht, ihn zu beseitigen. Alsdann werden die einzelnen Artikel durchgegangen. Harden erklärt, er habe die Ueberzeugung, daß Graf Moltke niemals aktiv homosexuell gewesen sei. Man dürfe es ihm glauben, wenn er sage, daß cs ihm fern gelegen habe, in den Artikeln der Zukunft" die freund­schaftlichen Gefühls der Grafen Moltke auf das homosexuelle Gebiet hinüber zu leiten. Weiter verwahrt sich Harden dagegen, daß er den da­maligen Staatssekretär des Aeußern, von Tschirschky als eine Kreatur Eulenburgs habe htnstellen wollen. Dis privaten Neigungen der von ihm angegriffenen Herren gingen ihn nichts an Er habe nur ihre politische Tätigkeit treffen und ihren schädigenden Einfluß beseitigen wollen. Wenn er gesagt habe, daß der französische Bot- schaftsrat Lecomte nicht den Vordergrund zu Tschirschky benutzt habe, so habe er damit nicht das ftxuelle Gebiet im Auge gehabt, sondern ge­meint, daß Lecomte eben durch die Freundschaft mit dem Fürsten Eulenburg auch auf der Hinter, treppe, also auch auf Umwegen, zu dem Staats­sekretär gelangen konnte. Auf die Frage des Vorfitzenden, ob er nicht wenigstens den Fürsten Eulenburg für homosexuell erklärt habe, er. widerte Harden, dies nicht leugnen zu wollen. Es sei ihm aber keine einzige Person bekannt, die während des Erscheinens seiner Artikel die Auf. faffung gehabt hätte, als sei Graf Moltke homo­sexuell. Auf die Frage des Vorsitzenden nach einer Definition für Normwidrigkeit erklärt Har« den als normwidrig jedes Empfinden, das von der Norm der Allgemeinheit abweicht, das aber nicht bestätigt zu werden braucht. Wenn unter Männern eine derartige Verschlingung herrsche, eine derartige Schwärmerei, sodatz sie sich selbst Namen geben, so sei das auch normwidrig und wenn Derartiges auf das politische Gebiet hin- übergreife, so müsse es schädliche Folgen haben. Der Vorsitzende hält dem Angeklagten vor, er hätte doch wissen müssen, daß das WortDer Süße" formell eine Beleidigung wäre. Harden bestreitet dies mit dem Hinweis darauf, daß Hohn -und Spott eins erlaubte Waffe des Satyrikers sei, zumal sie keine Ehrbeleidigung zu enthalten braucht, wenn man aus Artikeln einzelne Punkte heraurgreife und diese dann nebeneinanderstelle, so könne man alles herauslesen. Der Vorsitzende fragt den Angeklagten, wie er es mit der Beweis, führung halte, falls der Gerichtshof zu anderer Ansicht kommen sollte. Harden erklärt, keinen Beweis zu verlangen und er denke gar nicht daran, den Beweis der Perversität des Grafen Moltke anzutreten. Er lege sein Geschick in die Hände des Gerichtshofes. Nachdem Justizrat vr. Sello